Auf einer Reise durch das Baskenland …

…ein Gespräch in Elorrio:
als ich Julen Arzuaga im Juni 2008 in Elorrio, einem Städtchen in der baskischen Provinz Bizkaia – nicht weit von Bilbao – treffe, steht der Prozess gegen ihn und 26 weitere Bürgerrechtsaktivisten kurz vor dem Ende. Zehn Jahre oder mehr forderte der Staatsanwalt inzwischen für fast alle Angeklagten wegen angeblicher Zugehörigkeit zu ETA.
(Bild: Rathausplatz von Elorrio, © Uschi Grandel; rechts unten: Julen Arzuaga, © Periódico Diagonal)

Zehn Jahre Haft für Engagement gegen Folter

Julen Arzuaga ist Rechtsanwalt und Koordinator der baskischen Menschenrechtsgruppe Behatokia. Als international anerkannter Experte brachte er mehrfach Foltervorwürfe gegen den spanischen Staat vor die Anti-Folterkommission der UNO.
Lautstarke Mahner

Julen erklärt, dass es keine individuellen Vergehen gibt, die den Angeklagten zur Last gelegt werden. Ihr „Verbrechen“ ist ihre führende Rolle als jahrelange Sprecher der baskischen Bürger- und Menschenrechtsbewegung Gestoras Pro Amnistía-Askatasuna (Bewegung Pro-Amnestie – Freiheit). Ihre friedlichen und öffentlichen, aber unbequemen Aktivitäten sollen laut Anklage nicht eigenem Engagement entspringen, sondern den Befehlen der ETA folgen .

Es ist schon sehr durchsichtig, dass sich der spanische Staat die unbequemen und lautstarken Mahner gerne vom Hals schaffen würde: die Pro Amnistía Bewegung erhebt Foltervorwürfe gegen die spanische Polizei. Sie bilanziert Menschenrechtsverletzungen. Sie betreut die über 700 baskischen Gefangenen, die im Zusammenhang mit dem Konflikt derzeit in Haft sind. Sie organisiert Proteste gegen unmenschliche Haftbedingungen und willkürlich verlängerte Haftstrafen. Sie ist in fast jedem Ort im Baskenland vertreten. Wenn sie zu Protesten aufruft, mobilisiert sie Tausende.
Aushöhlung universeller Rechtsprinzipien

Dafür stehen die 27 Angeklagten nun gemeinsam vor dem spanischen Sondergerichtshof „Audiencia Nacional“ in Madrid, der für die Fälle zuständig ist, die als terroristisch klassifiziert werden. Sondergesetze ersetzen hier geltendes Recht.

„Wir haben immer wieder unsere Besorgnis über die Verfahren vor der Audiencia National geäußert, in denen die Anwendung spezieller Sondergesetze universelle Rechtsprinzipien, grundlegende und fundamentale Rechte von Verhafteten und Angeklagten aushöhlt“,

kritisiert der Verband Europäische Demokratische Rechtsanwälte ( Webseite EDL , vollständige Stellungnahme in englischer Sprache ). Er fordert die Auflösung der Audiencia National und ähnlicher Sondergerichte. Der UN Sonderbeauftragte Scheinin, der im Mai 2008 Spanien besuchte , warnt die spanische Regierung nachdrücklich vor der Ausweitung des Terrorismusbegriffes auf Aktivitäten, die nichts mit Terrorismus zu tun haben ( UN Bericht in englischer Sprache, 14. Mai 2008).

Die spanische Regierung weist jede Mahnung als unzulässige Einmischung zurück.
Ein Hammer gegen Ketzer

Das Urteil im Prozess wird im Herbst verkündet. Julen geht davon aus, dass sie verurteilt werden, weil dies die Vorgabe der spanischen Regierung sei: „ein Hammer gegen Ketzer“ nennt er den Sondergerichtshof und seine politischen Urteile.

Bei einem Glas Txakolin, dem landestypischen Weißwein, den man hier vor dem Mittagessen trinkt, erzählt er mir, wie er versucht, mit der Aussicht umzugehen, für Jahre hinter Gefängnismauern zu verschwinden. Er hat seine Projekte an Kollegen übergeben, damit diese notwendige Arbeit weitergeht. Dass dieser Prozess in Europa möglich ist, ist zutiefst beunruhigend. Die spanische Regierung wird mit ihren „Hämmern gegen Ketzer“ den Konflikt im Baskenland nicht lösen. Das geht nur im Dialog mit all denen, denen sie gerade die Stimme zu verbieten sucht.

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