Auswertung zum Naziaufmarsch

Für den 18.Januar 2014 rief die so genannte „Initiative gegen das Vergessen“ zum jährlichen geschichtsrevisionistischen Aufmarsch zum Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs durch alliierte Luftstreitkräfte (16. Januar 1945) auf. Verschiedene antifaschistische Akteure nahmen dieses Vorhaben schon frühzeitig in den Blick, so dass im Jahr 2013 zahlreiche Veranstaltungen mit Bezug auf den Naziaufmarsch in Magdeburg und darüber hinaus stattfanden. Wir beteiligten uns ebenfalls an der Vorbereitung und veranstalteten im näheren Vorfeld eigene Aktivitäten. Diesbezüglich möchten wir mit diesem Beitrag zurück schauen, die Aktionen rund um den 18.Januar 2014 auswerten und unsere Diskussionen nachzeichnen.
Im Dezember 2013 begann mit der Veröffentlichung unseres Aufrufs “Staat und Nazis Hand in Hand – organisiert den Widerstand“ und der Organisierung freitäglicher Antifacafés die intensive Mobilisierungs- und Vorbereitungsphase zum Januar 2014. Die Antifacafés wurden überwiegend von Jugendlichen aus dem Stadtteil für die verschiedensten Aktivitäten und Diskussionen genutzt. In dieser Zeit führten wir beispielsweise die direkte Mobilisierung im Stadtteil wie Plakatier- und Verteileraktionen durch. In diesem Rahmen fand aber auch die Veranstaltung “Nazis und die Geheimdienste“ mit GenossInnen der Roten Aktion Köln statt. Darin beleuchtete der Referent unter anderem am Beispiel der NSU- Mordserie und an Hand anderer faschistischer Taten sowie deren Hintermänner über die Kontinuität der Zusammenarbeit zwischen Nazibanden und Geheimdienste. Weiter wurde der NSU mit anderen Stay Behind- Organisationen aus der älteren Vergangenheit und deren Steuerung durch den Staat aufgezeigt und verglichen. Diesbezüglich wurde die These aufgestellt, der NSU reihe sich in diese Kontinuität ein und würde vom Staat ebenso gesteuert. (Broschürenlink zur Veranstaltung)

Darüber hinaus konnten wir verschiedene Mobi- und Infoveranstaltungen in anderen Locations und Städten durchführen um so auch in einem breiterem Spektrum für den antifaschistischen Widerstand zu informieren.
Die heiße Phase begann einen Tag vor dem Naziaufmarsch mit dem Warm Up im Infoladen. Rund 80 Menschen versorgten sich mit den neuesten Infos sowie diskutierten und koordinierten ihre Gegenproteste. Kurz nach 18 Uhr startete dann die unangemeldete antifaschistische Vorabenddemo vom Hauptbahnhof. Unter dem Motto „Staat und Nazis – Hand in Hand- organisiert den Widerstand“ bildete sich recht zügig der Demozug und setzte den Start problemlos durch. Lautstark, selbstbestimmt und mit vielen Parolen verlief die Demonstration durch die Innenstadt wobei im Verlauf noch Menschen sich anschlossen. Über 600 Leute demonstrierten kämpferisch begleitet von Pyrotechnik nach Stadtfeld um am Olvenstedter Platz ohne nennenswerte Zwischenfälle und Festnahmen aufzulösen.
Die gemeinsame Entscheidung zur bewussten Nicht- Anmeldung der Demo hat sich bewährt denn nach den aktuellen Repressionsschlägen gegen die Linke war dies nur ein folgerichtiger Schritt. So war die Demo auch eine offensive Reaktion auf die jüngsten Kriminalisierungs- und Einschüchterungsmaßnahmen aus dem Januar 2014: wie z.B. der Verurteilung eines Antifaschisten wegen Widerstand gegen den Faschoaufmarsch oder der jüngsten zwangsweisen DNA- Abnahme eines Genossen in Berlin im §129-Verfahren gegen die Revolutionäre Linke.

Am 18.1.2014 erlebte Magdeburg dann den größten Polizeistaatsaufmarsch der Geschichte von Sachsen-Anhalt. 3300 Bullen mit verschiedenstem Gerät und Geläuf wurden angekarrt mit der Absicht jede mutmaßliche Route der Nazis abzusichern. Der Tag wurde schon im Vorfeld durch eine Woche intensivster bürgerlicher Propaganda und Hetze gegen den kommenden antifaschistischen Widerstand eingeleitet. Dies sollte die Vorbereitung darstellen um eine großflächige Sperrzone, Polizeigewalt und andere Kriminalisierungsmaßnahmen präventiv zu legitimieren. Die Lokalgazetten warnten vor schlimmen Auseinandersetzungen und letztlich taten sie vieles, diese auch stattfinden zu lassen.
Der Tag begann für uns recht früh um schon die Anreise der Faschos stören zu können. Im Hinblick auf das Konzept möglichst jeden Bahnhof zu besetzten suchten wir uns eine entsprechenden Zughaltepunkt aus. Die Bullen provozierten dort bereits frühzeitig durch willkürliche Personenkontrollen und Angriffe auf eine Spontandemo in Stadtfeld, welche sich auf den Weg zum Treffpunkt machte. Trotz der Prügelangriffe einer Berliner Hundertschaft am Vormittag bewegte sich die Demo bis unmittelbar zum Bahnhof weiter. Da bereits weitere Antifas auf dem Bahnsteig standen wurde dieser Bahnhof vorerst erfolgreich blockiert. Als mittags die Nachricht die Runde machte, dass sich die anreisenden Faschos noch im Norden der Stadt befinden würden, machten wir uns auf in diese Richtung.
Trotz hoher Polizeipräsenz konnten immer wieder größere antifaschistische Demonstrationszüge unkontrolliert und selbstbestimmt auf den Weg Richtung mögliche Nazitreffpunkte ziehen. Gerade im Bereich Alte Neustadt liefen rund 800-1000 Menschen lautstark durch die Straßen und die Beamten hatten nur das Nachsehen. In anderen Situationen hätte uns mehr Entschlossenheit und Koordination ein Durchbrechen ermöglichen können. Hingegen die Bullen an vielen Orten auch massiv gegen Antifas vorgingen, wie z.B. die Angriffe am Vorplatz des Neustädter Bahnhofs oder durch Gasgeschosse und gezogener Dienstwaffe während eines Durchbruchversuchs im Bereich Bahnhof Buckau.
Obwohl die Nazis durch Gleisblockaden im Norden der Stadt sich weder formieren noch bis in die Nachmittagsstunden aus ihren Zügen kamen wiederholte sich das Szenario aus dem letzten Jahr. In reibungsloser Zusammenarbeit zwischen Andy Knape und Polizeiführung gelang es den Faschos dann doch ihren menschenverachtenden Aufmarsch am späten Nachmittag im Süden der Stadt zu beginnen. Wenige Antifas, welche die weiten Wegstrecken und vielen Polizeisperren so schnell bis in dieses Areal hinter sich lassen konnten, wurden durch Knüppel und Pfefferspray vom Blockieren abgehalten. Eine kleine Gruppe von u.a. Lokal- und Landespolitikerinnen durfte in der Schilfbreite dann doch auf der Straße Platz nehmen wobei die Nazis dennoch direkt daran vorbei geführt wurden. In der Brenneckestraße und in anderen Abschnitten konnten nur Böllerwürfe und antifaschistische Parolen teilweise die NS- Gedenkzeremonie der circa 800 Nazis stören. Nach geschichtsverfälschenden Reden und das Abbrennen von Fackeln wurde der Scheiß dann gegen Abend am Bahnhof Sket beendet.

Im Nachhinein bewerten wir viele Aspekte der Aktivitäten rund um das Wochenende dennoch als positiv. Durch die antifaschistische Vorabenddemo fanden wir einen selbstbestimmten und kämpferischen Ausdruck für unsere aktuellen Kämpfe, welche weit über Antifa hinausgehen und den Nazis sowie Repressionsbehörden keinen Schritt zurückweichen soll.
In Zusammenarbeit mit Magdeburg Nazifrei konnte eine bundesweite Mobilisierung bewirkt werden und 1500-2000 Menschen am 18.1. in Magdeburg auf die Straße gebracht werden. Auch viele antifaschistische und internationalistische Autonome aus anderen Städten  machten sich auf den Weg nach Magdeburg, beteiligten sich am Widerstand und nahmen prägenden Einfluss auf den Tagesverlauf der Nazis. Durch viele offensive antifaschistische Aktionen auf verschiedenen Ebenen, wie z.B. Sabotageaktionen auf Bahnanlagen auf den Anreisewegen oder Gleisblockaden, konnte der Ablauf der Nazidemo erheblich beeinträchtigt werden. Dennoch konnten die Nazis mit massiver Unterstützung von Polizei und Deutscher Bahn ihren so genannten Gedenkmarsch durchführen. Weiterhin kam es noch am Abend zu Angriffen auf Linke durch Nazis, welche sich als Zivibullen ausgaben. Die direkten Angriffe, die Einschüchterungsversuche auf Antifas im Vorfeld durch die Veröffentlichung von Adressen und der gelaufene Naziaufmarsch am 18.Januar 2014 wird die Nazis sicherlich in ihrem Vorgehen weiter ermutigen. Dagegen werden die Bestrebungen staatlicher Behörden linke Politik und AktivistInnen (auch im Nachhinein des diesjährigen Aufmarsches) zu kriminalisieren fortgesetzt und rechten Terror Platz geschaffen. Von daher ist es umso aktueller eigene Selbstschutzstrukturen in unseren verschiedenen Lebensbereiche zu organisieren und zu stärken, welche sich eben nicht auf Staat oder Polizei verlassen. Die sichtlich verstärkten Bemühungen der bürgerlichen Kräfte und Demokraten den Standort Magdeburg als tolerant und weltoffen zu verteidigen konnten die Nazis auch nicht stoppen. Die Ankündigungen, alle Menschen würden zu genehmigten Kundgebungen durchgelassen um Protest in Hör-/Sichtweite von der Polizei ermöglicht wird stellte sich im Nachhinein als Farce heraus und täuschte Viele.
Dennoch sehen wir auch bei uns noch viel Verbesserungspotential, sei es in der Vorbereitung oder auch am 18.1. selbst. Im Hinblick auf den Januar 2015, dem 70. Jahrestag der Bombardierung, bleibt nur noch die Losung auszurufen dann auch wirklich die gesamte Stadt lahmzulegen um den Naziaufmarsch endlich zu verhindern.

Abschließend gilt es Danke zu sagen – bei allen solidarischen GenossInnen, die auf der Straße waren und uns unterstützt haben! Obwohl sicherlich bei uns auch nicht alles problemlos verlief waren wir über den fetten Support sehr erfreut und hoffen euch beim nächsten Mal wieder dabei zu haben!

zusammen kämpfen [Magdeburg]

Fotos von der Vorabenddemo findet ihr HIER und HIER; Fotos vom Naziaufmasrch HIER.

 

 

„Bericht Sanizentrale 18.1.: Fünf Kopfverletzungen, die meisten davon Nasenbrüche und Platzwunden, verursacht durch Schläge mit Schlagstöcken und Polizeihandschuhen. Extremitätenverletzungen waren Brüche an den Armen durch Gewalteinwirkung mit Schlagstöcken, so wie auch mehrere Knieverletzungen und offene Wunden von z.T. herbeigeführten Stürzen. Mehrere Gelenkverletzungen und Überdehnungen durch so genannte Schmerzgriffe, ein Handgelenk wahrscheinlich dauerhaft geschädigt. Es kam zu einer Verletzung im Bauchbereich wieder durch Gewalteinwirkung mit Schlagstock. Aufgrund der erlebten Gewalt musste eine Person psychologisch betreut werden. Viele Personen mussten aufgrund der Einwirkung von Pfefferspray versorgt werden. Gegen Abend gab es Verletzte durch Angriffe von Nazis, die sich als Zivilpolizisten ausgaben. Eine Polizistin wurde von Demosanitätern versorgt, diese war ausgerutscht und hatte sich dabei das Wadenbein gebrochen.“

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