Wenige Tage vor der für kommenden Sonntag geplanten Volksabstimmung über eine vorzeitige Abberufung des Präsidenten Evo Morales und der Gouverneure in den Provinzen des Landes, setzt die bolivianische Rechte immer offener auf Gewalt, um den Urnengang zu verhindern. Umfragen zufolge kann Morales mit einer Unterstützung von 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler für einen Verbleib im Amt rechnen, aber mehrere – in Opposition zur sozialistischen Regierung stehende – Gouverneure könnten in der Abstimmung ihr Amt verlieren.
Gestern ist es den Rechten in der Stadt Tarija gelungen, ein Gipfeltreffen von Evo Morales mit der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und Venezuelas Hugo Chávez zu verhindern. Nach gewaltsamen Ausschreitungen, bei denen Journalisten und Mitglieder der bereits eingertroffenen Delegationen aus Argentinien und Venezuela angegriffen wurden, sagten Fernández und Chávez in Buenos Aires ihren Besuch kurzfristig ab. Bei einer Pressekonferenz sagte Chávez in der argentinischen Hauptstadt, die Gewalttätigkeiten erinnerten ihn „an die schlimmsten Zeiten des Faschismus“. Er rief die Opposition auf, die Ergebnisse des Referendums zu akzeptieren: „Ich bin mir sicher, dass Evo, wenn er das Referendum verlieren sollte, friedlich und würdevoll von der Regierung abtreten und weiter kämpfen würde, aber alle Umfragen zeigen, dass er mit fast 60 Prozent gewinnen wird“. Die friedlichen und demokratischen Veränderungsprozesse aufzuhalten bedeute nicht, so Chávez, „den Weg für Evo, Chávez, Fernando Lugo, Cristina Fernández de Kirchner oder Rafael Correa und Daniel Ortega zu versperren, sondern den Völkern den Weg zu versperren“. Die Rechte müsse akzeptieren, dass die Linke zurückgekommen ist und die sozialistischen Ideen nicht tot waren. Er vertraue auf das Volk Boliviens, dass den Frieden gegen jeden Wahnsinn durchsetzen werde, den die faschistische Rechte begehen könnte, schloß Chávez: „Möge Bolivien seinen Weg der Veränderungen in Demokratie fortsetzen, denn das ist gut für alle auf diesem Kontinent.“
Angesichts der Gewalt mußte Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera auch die für heute geplante Festsitzung des Kongresses zum bolivianischen Nationalfeiertag absagen. Die von der Opposition kontrollierten Behörden der Hauptstadt Sucre hätten nicht für die Sicherheit der internationalen Staatsgäste und der weiteren Teilnehmer der Sitzung garantieren wollen und stattdessen gewalttätige Aktionen befördert, kritisierte Linares. Präsident Evo Morales wird aufgrund der Situation in Sucre seinen Rechenschaftsbericht von einem Balkon des Regierungspalastes Palacio Quemado in La Paz aus halten, meldet Prensa Latina.
Unterdessen ist Regierungsminister Juan Ramón Quintana gestern abend in Trinidad, im Department Beni, offenbar nur knapp einem Mordanschlag entkommen, meldet die staatliche bolivianische Presseagentur ABI. Von Motorrädern aus seien um 22.40 Uhr Ortszeit Schüsse auf das offizielle Fahrzeug des Ministers abgegeben worden. Auch wenn man noch nicht sicher wisse, wer den Anschlag verübt habe, zeige das Attentat deutlich die „kriminelle und verbrecherische Mentalität, mit der in Beni agiert“ werde, so der Minister. Der oppositionelle Präfekt von Beni, Ernesto Suárez Sattori, fürchte das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag, da ein Großteil der Bevölkerung des Departments, darunter die indigenen Gemeinden und die Mittelschicht, gegen ihn rebelliere und diesen Protest auch an den Urnen ausdrücken werde. „Diese Kräfte, die es gewohnt waren, in Abwesenheit des Staates zu agieren und die Volksmacht zu usurpieren, sehen sich heute praktisch vom Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger belagert“, so Quintana.
Ebenfalls am gestrigen Dienstag starben zwei Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Arbeitern und der Polizei. 4000 Bergarbeiter hatten die Verkehrsverbindung zwischen La Paz und Cochabamba blockiert, um die Annahme eines vom Gewerkschaftsbund COB vorgelegten und derzeit im Parlament beratenen Rentengesetzes zu fordern. Nach mehrstündigen Verhandlungen räumte die Polizei die Blockade, nachdem, wie es von Regierungsseite hieß, die die Blockierer begannen, Dynamitstangen zu werfen und so die mehr als 400 wartenden Fahrzeuge und ihre Insassen zu gefährden. Bei den sich entwickelnden Auseinandersetzungen starben zwei Arbeiter. Die Regierung wies darauf hin, dass die tödlichen Verletzungen durch Schußverletzungen verursacht worden seien, die eingesetzten Polizisten jedoch nicht mit Feuerwaffen ausgerüstet gewesen seien, während einige der Demonstranten Waffen getragen hätten.
Vizepräsident Linera beklagte in La Paz den Tod der beiden Arbeiter, warf aber zugleich den Funktionären des Gewerkschaftsbundes COB, die Ziele des Protestes lediglich vorgeschoben und sich zu einem „Stoßtrupp der antidemokratischen Rechten“ verwandelt zu haben. „Ich bedaure, dass diese Funktionäre die große COB und ihre Arbeiter zu Stoßtruppen für antidemokratische und faschistische Interessen verwandeln“, so Linera. Die Gewerkschaftsführung betrüge ihre kämpferische Basis, so der Vizepräsident.
Der Vizeminister für die Koordination der sozialen Bewegungen, Sacha Llorenti, führte die gewaltsamen Ausschreitungen auf eine gemeinsame Kampagne von regionalen Gewerkschaftsfunktionären, den oppositionellen Gouverneuren von Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija – dem sogenannten „Halbmond“ – und rechten Organisationen zurück, deren Ziel die Verhinderung des Referendums am kommenden Sonntag sei.
Quellen: Prensa Latina, TeleSur, ABI, ABN / RedGlobe