Neuseeländische AktivistInnen vor Gericht

Neuseeländische AktivistInnen vor Gericht – Maori-Autonomie auf dem Verhandlungstisch

Am 1. September beginnt die Vorverhandlung gegen 20 AktivistInnen in Aotearoa/Neuseeland, die im Rahmen einer landesweiten ‚Anti-Terror-Razzia‘ am 15. Oktober letzten Jahres verhaftet worden waren. Die neuseeländische Polizei hatte damals unter massivem Aufwand dutzende Häuser und Projekte durchsucht und deren BewohnerInnen verhaftet. Im weitgehend vom Maoristamm der Tuhoe bewohnten Urewera-Gebiet riegelte die Polizei eine ganze Ortschaft einen Tag lang hermetisch ab, während sie Häuser durchsuchte und deren BewohnerInnen festhielt. Die Durchsuchungsbeschlüsse waren unter dem Terrorism Suppression Act, dem nach 9/11 eingeführten Anti-Terror Gesetz, ausgestellt worden und entsprechend war die begleitende Berichterstattung der Medien. Die ursprünglichen Terrorismusvorwürfe mussten jedoch einen Monat später fallengelassen werden, als der Generalstaatsanwalt feststellte, dass es keine Grundlage dafür gäbe. Seitdem sind die Angeklagten unter Auflagen auf freiem Fuss und sind nun wegen diverser Verstösse gegen das Waffengesetz angeklagt.

Obwohl der Terrorismusvorwurf vom Tisch ist, bleibt der politische Charakter der Anklagen unübersehbar.
Die Mehrzahl der Angeklagten sind Maori und bei den restlichen Pakeha (Neuseeländer europäischer Abstammung), handelt es sich um UnterstützerInnen der Maori-Selbstbestimmungsbewegung. Den Angeklagten wird vorgeworfen, an angeblichen Trainingslagern im Urewera-Gebiet teilgenommen und dort mit Waffen hantiert zu haben.

Dieses Gebiet ist jetzt der Gegenstand von Verhandlungen des Tuhoe-Stammes mit der Regierung. Weite Teile der Gegend wurden von der Kolonialregierung vor etwa hundert Jahren unter Vorwänden konfisziert und bis heute ist weder das Land zurückgegeben worden, noch hat es eine Entschädigung für das erlittene Unrecht gegeben. Darum geht es jetzt bei den Verhandlungen. Dabei wollen die Tuhoe sich nicht mit Entschädigungszahlungen abfinden lassen, wie sie das Resultat der Verhandlungen einiger anderer Stämme waren. Tuhoe wollen ihr Land zurück – und nicht nur das, sie wollen auch gleichzeitig ein Stück Autonomie erlangen. Zur Unterzeichnung des Rahmendokuments zu den Verhandlungen am 31. Juli reisten über 500 Tuhoe nach Wellington, um der Zeremonie beizuwohnen und damit die Bedeutung dieser Verhandlungen zu betonen.

Pikanterweise ist einer der Verhandlungsführer der prominente Tuhoe-Aktivist Tame Iti, der gleichzeitig mit über 20 Anklagepunkten vor Gericht steht, und dem vorgeworfen wird, die angeblichen Trainingslager organisiert zu haben. Das in allen Zeitungen abgedruckte Photo der formellen Begrüssungszeremonie zwischen Iti, der einen Sinn für gut inszenierte und medienwirksame Auftritte hat, und Vizepremier Michael Cullen ist der Regierung auch einigermassen peinlich. Im wenigen Monaten sind Parlamentswahlen und welcher Politiker will schon zusammen mit jemandem gesehen werden, den er vor kurzem noch als Terroristen bezeichnet hat. Dass Itis Freund Te Weeti im Bild neben ihm mit erhobenem Stinkefinger zu sehen ist, macht die Sache für die Regierung nicht einfacher.

Parallel zu den Landraub-Verhandlungen hat es ausserdem Gespräche zwischen einigen Stammesführern der Tuhoe und Polizeipräsident Howard Broad gegeben, als deren Resultat ein Sprecher der Tuhoe bekanntgab, dass Broad im Oktober den Ort Ruatoki besuchen wird, der damals von der Polizei besetzt worden war. Obwohl die Polizei sich nicht öffentlich dazu geäussert hat, ist der einzig vorstellbare Grund für diesen Besuch der, eine offizielle Entschuldigung für den Polizeieinsatz abzuliefern.

Die derzeitige Situation gibt also den Autonomiebestrebungen der Tuhoe Aufwind. Nach der Unterzeichnung des Rahmendokuments erklärte Iti auf einer Veranstaltung in Wellington: „Als wir vor wenigen Monaten von Tuhoe-Autonomie sprachen hiess es, wir wären Spinner und Träumer. Heute ist das Thema offiziell auf dem Tisch“.

Allerdings bestehen weiterhin über 200 Anklagepunkte, basierend auf 25.000 Seiten angeblichen Beweismaterials gegen 20 Angeklagte. Diese werden von Solidaritätsgruppen unterstützt und eine breit angelegte Kampagne soll den politischen Druck erhöhen mit dem Ziel, dass der Prozess eingestellt wird. Als im letzten Oktober die Angeklagten in Untersuchungshaft waren, hat eine Welle von weltweiten Solidaritätskundgebungen (u.a. in Berlin, Basel, Athen und Melbourne) dazu beigetragen, dass keine Anklagen unter dem Anti-Terror-Gesetz erhoben wurden. Die Solidaritätsgruppen in Neuseeland wollen diesen Erfolg wiederholen und haben deshalb zu einem globalen Aktionstag am 30. August, also unmittelbar vor Beginn der Vorverhandlung, aufgerufen. Eine Sprecherin der ‚October 15 Solidarity‘ Gruppe in Wellington: „Wir fordern die sofortige Einstellung der Verfahren. Die Anklagen sind das Resultat von politisch motivierten Ermittlungen und eines rassistischen Polizeieinsatzes. Es geht nicht darum, wer in den Ureweras im Busch war. Der Staat hat schlicht Angst vor der Vorstellung von Maori-Selbstbestimmung.“

Dass das Thema in der BRD auf Resonanz trifft, hat sich im vergangenen Oktober gezeigt, als spontane Solidaritätsaktionen an der neuseeländischen Botschaft in Berlin stattfanden. Dies liegt wohl auch an der auffälligen Ähnlichkeit der neuseeländischen Verfahren mit den laufenden Verfahren gegen deutsche G8-AktivistInnen.

www.October15thSolidarity.info/de

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