Nichts als Wahn: Der Aust-Eichinger-Komplex lebt seine Syndrome aus
Ron Augustin / Junge Welt vom 24.09.08
Mit dem »Baader-Meinhof Komplex« läuft am Donnerstag eine der aufwendigsten Produktionen in der Geschichte des deutschen Films in den Kinos an. Nach einer Medienkampagne, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Die Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Stefan Aust ist schon vor der Freigabe an die Öffentlichkeit als deutscher Beitrag zum Oscar nominiert worden, nachdem Reinhard Hauffs »Stammheim«, der sich ebenfalls auf das Aust-Buch stützte, bei der Verleihung des Goldenen Bären vor zwei Jahrzehnten von der Juryvorsitzenden Gina Lollobrigida als »lausiger Film« abgetan worden war.
Der Film kommt genau ein Jahr nach der weitgehend verfehlten »Abrechnung mit dem Terrorismus«, die zum 30. Jahrestag des Deutschen Herbstes im September 2007 schon mit einem Zweiteiler von Aust im Fernsehen angefeuert wurde. Auf Basis einer beispiellosen Schnittfolge werden sämtliche Behauptungen, Erfindungen und Fälschungen, die in dem Buch noch irgendwie den Quellen zugeordnet werden konnten, auf der Leinwand auf die Psychopathie einzelner Personen reduziert. Dem Produzenten Bernd Eichinger zufolge war entscheidend zu zeigen, »daß sie es tun, nicht, warum sie es tun«. Das hat ihn in dem Streifen nicht davon abgehalten, leichtfertig mit Begriffen wie »Faschismus« um sich zu werfen und die dargestellten Personen, bis hin zu Rudi Dutschke und den 68er Demonstranten, zu hysterischen und lächerlichen Karikaturen zu verzerren. Mit dem erklärten Ziel, nach vielen Jahren noch mal mit allen Mitteln einen »Mythos« zu zerstören. Gehirnwäsche also.
Die Schauspieler fühlen sich dabei erschreckend wohl. Da wird ein geradezu antisemitisches Bild eines wild herumkommandierenden Andreas Baader im von Aust frei erfundenen Pelzmantel gezeichnet, werden ihm Sätze in den Mund gelegt und Geschichten angehängt, die absurd sind. Baader ist umringt von einem brutalen Haufen, in dem vor allem die Frauen als fanatisch, zerstörerisch, eiskalt, blöde und selbstmörderisch dargestellt werden, um nichts als »Wahn« zu vermitteln. Von wegen »Legendenbildung«. Die letzte Erkenntnis des Aust: Bonnie und Clyde als Voraussetzung für die Existenz der RAF. Ohne die Liebesbeziehung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin hätte es den bewaffneten Kampf hier nicht gegeben.
Es sind in Deutschland bis jetzt schon mehr als 30 Spielfilme zum Thema RAF gemacht worden, und die Dokumentarfilme – mehr als 100 nach meiner Berechnung – sind gar nicht mehr zu zählen. Etwa ein Dutzend gehen auf das Konto von Stefan Aust selbst, der sich seit dem Erscheinen seines dem Film den Titel gebenden Buchs als RAF-Experte stilisiert hat. Das Buch, das in diesem Monat in einer auf die Filmversionen abgestimmten dritten Neuauflage erscheint, hat sowohl seinen Titel als auch seinen Inhalt dem Bundeskriminalamt zu verdanken. Es hat die mehr als 120000 Seiten umfassenden Ermittlungsakten in den ersten Prozessen gegen die RAF als »Baader-Meinhof Komplex« geführt.
Aust hat diese Akten, mehr als 250 Ordner, zu einem Zeitpunkt bekommen, als der Zugriff darauf formal noch auf die Prozeßbeteiligten (d.h. Gericht, Staatsanwaltschaft, Anwälte und Angeklagte) beschränkt war. Informationen des Staatsschutzes (VS, BKA, »politische Polizei« bei den LKAs, Bundesanwaltschaft u.a.) sind denn auch seine Hauptquellen. Ein kritisches Verhältnis dazu ist vom vormaligen Konkret- und Spiegel-Redakteur nicht zu erwarten, der vor allem auf Effekthascherei aus ist. Bei seinem Lieblingsthema Stammheim, zum Beispiel, ist er nie der Frage nachgegangen, ob das »ausgeklügelte Kommunikationssystem in HiFi-Qualität«, das es unter den Gefangenen gegeben haben soll, vielleicht nicht das Abhörsystem der Geheimdienste selbst war. Dagegen macht er sich in den Medien gerne wichtigtuerisch mit der Story breit, daß die RAF ihn einmal »abknallen« wollte. Und mit der These, daß, wer die RAF verstehen will, »Moby Dick« lesen soll.
Die Darstellung einer Sache wird nicht wahrer, indem sie immer aufs neue wiederholt wird. Auch nicht, indem sie mit scheinbar logischen Schlüssen und oberflächlichen Ähnlichkeiten zum Original ausgeschmückt wird. Oder indem sie Lernprozesse dadurch verneint, daß Geschichte an der »Persönlichkeitsstruktur« einiger bekannter Figuren festgemacht wird. Die Frage ist nur, was wir diesem Bild entgegensetzen können. Auf verschiedenen Ebenen hat sich gezeigt, daß immer noch und immer wieder viel Interesse an der Geschichte der RAF besteht. Außer Bruchstücken und Einzelbiographien gibt es dazu bisher leider keine authentische Beschreibung und Analyse aus der Gruppe selbst, die diesem Interesse entspräche. Die meisten aus der RAF, die noch leben, haben sich jahrelang mit anderen Dingen auseinandersetzen müssen, wie Knast, Polizeirazzien, Gesundheit und bis zuletzt der Androhung von Beugehaft und neuen Verfahren. Relevante Diskussionszusammenhänge haben sich unter ihnen nur langsam entwickeln können.
Deshalb ist es für Historiker, Studenten und sonstige Interessenten schwierig, auch nur einigermaßen zuverlässige Quellen zu dieser Geschichte zu finden. Die Aufarbeitung der Geschichte der RAF ist gekennzeichnet von äußerst mangelhafter und willkürlicher Dokumentation, sowohl in den Archiven als auch im Internet als auch in der bis jetzt erschienenen Literatur, um von den Medien und Filmproduktionen ganz zu schweigen. So werden Erklärungen in den unterschiedlichsten Fassungen zitiert. Es sind mehrere gefälschte und zerstückelte Dokumente im Umlauf, und ich habe noch keine Veröffentlichung gesehen, die nicht subjektiven Interpretationen unterlegen hätte. In einer Quellenausgabe, die vorgibt, nur Originale zu veröffentlichen, ist jeder zweite Satz irgendwie geändert worden. Die Situation bei den Übersetzungen ist fast noch schlimmer. Wer sich wirklich informieren will, wird sich vorläufig mit den Originaldokumenten begnügen müssen, von denen es inzwischen eine authentische Sammlung auf der Webseite der International Association of Labour History Institutions gibt (labourhistory.net/raf/).
Klar, aus der Sicht derjenigen, die zu ihrer Geschichte stehen, wäre es an der Zeit, die wesentlichen Erfahrungen auszugraben und aufzuschreiben, die Ziele und Inhalte wieder an sich zu reißen, sich die Bilder, die Sprache und einen irgendwie kollektiven Begriff wieder anzueignen. Solange es ihn nicht gibt, werden die vorgegebenen Denunziationen – vom Avantgardeanspruch, verpackt in Erpressungsmärchen, über den Dritte-Welt-Fetischismus und Deutsch-Nationalismus bis hin zum Antisemitismus und zu den Selbstmordbeteuerungen – den öffentlichen Diskurs beherrschen. Und einige werden versuchen, sich damit einen Namen oder halt das große Geld zu machen.
Ein afrikanisches Sprichwort lautet: »Solange die Löwen nicht ihre eigenen Historiker haben, werden die Jagdgeschichten stets die Jäger glorifizieren.« Eichingers Film macht genau dies. Ihm scheint es nicht einmal um die Opfer von Anschlägen zu gehen, schon gar nicht um die politischen Fehler, die die RAF gemacht hat, sondern einfach darum, abzuschrecken und zu denunzieren. Und damit denjenigen, die zur RAF stießen, auch noch ihren moralischen Anspruch abzusprechen. Der Film ist eine Beleidigung all derer, die für Emanzipation und Befreiung gekämpft haben, und all derer, die versuchen, Widerstand gegen die bestehende Weltordnung zu organisieren.
* Der Baader-Meinhof-Komplex. Regie: Uli Edel. Deutschland 2008, 150 Minuten. Kinostart: 25. September
* Ron Augustin war ab 1971 Mitglied der RAF. Zwischen 1973 und 1980 saß er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Urkundenfälschung fast ununterbrochen in Einzelhaft.