Interview mit Gush Shalom-Gruenderin Aloni

Der Bewegung gegen den israelischen Vernichtungsfeldzug im Gaza-Streifen gehörden auch ehemalige Regierungsmitglieder an. Eine davon ist Shulamit Aloni (80). Die Schriftstelleirn, Mitbegründerin der Friedensorganisation Gush Shalom und Trägerin des Israel-Preises (der höchsten Auszeichnung des Staates) legte in einem Interview für die italienische Tageszeitung „l’Unità“ vom 6.1.2009 ihre Sicht der Dinge dar.

Wie die palästinensische Nachrichtenagentur „Ma’an News Agency“ am 7.1.2009 (18:04 Uhr) unter Berufung auf die Gesundheitsbehörden in Gaza meldete, sind bei dem vor zwölf Tagen begonnenen israelischen Blutbad im Gaza-Streifen bislang 682 Palästinenser ums Leben gekommen. Darunter sind 41 Frauen und 185 Kinder. Die Zahl der Verletzten liegt inzwischen bei über 3.000. Auf israelischer Seite starben (laut der „Deutschen Welle“ vom selben Tag) sieben Soldaten und drei Zivilisten.

Das Ausmaß der Wahllosigkeit und Barbarei der israelischen Aggression wird dabei nicht nur am Artilleriebeschuss einer klar erkennbaren UN-Schule in Jabalija deutlich, bei dem am Dienstag, den 6.Januar 2009, allein 42 Palästinenser umgebracht wurden, sondern auch die Tatsache, dass vier der sieben israelischen Soldaten an zwei unterschiedlichen Orten dem Beschuss durch eigene Panzer zum Opfer fielen, 20 weitere wurden dabei verletzt, vier von ihnen schwer. Die Getöteten gehörten der Eliteeinheit Golani an, zwei von ihnen waren Offiziere! („Haaretz“ 6.1.2009 – 23:50 Uhr)

Im krassen Widerspruch zur Propaganda der Olmert-Livni-Barak-Regierung in Tel Aviv wird ganz offenkundig ziellos in alle Richtungen kartätscht. Ein Vorgehen, das den Schilderungen in dem Dokumentarfilm „Waltz with Bashir“ über den ersten Libanon-Krieg entspricht, der (Schizophrenie oder Akt kultureller Opposition?) vor wenigen Tagen von der israelischen Kritikervereinigung zum besten Film des vergangenen Jahres gewählt wurde. Ähnlich wie im Libanon wird auch das Gemetzel im Gaza-Streifen dem Besatzerregime – aller Propaganda zum Trotz – nur neue Probleme und neue Krisen bescheren.

Diese Ansicht vertritt auch die Mitbegründerin der Friedensorganisation Gush Shalom, Shulamit Aloni, in einem Interview für die sozialdemokratische, italienische Tageszeitung „l’Unità“ vom 6.1.2009. Die am 20.November 1928 in Tel Aviv geborene Rechtsanwältin und Schriftstellerin war ab 1965 sieben Legislaturperioden lang (bis 1996) Knesset-Abgeordnete erst der Arbeitspartei und ab 1973 der Linksabspaltung RaZ bzw. der 1991 aus einer Fusion von RaZ, Shinui und Mapam hervorgegangenen linkssozialdemokratischen und linkszionistischen Meretz und mehrmals Kabinettsmitglied. Aloni, die als israelische Soldatin 1948 an den Kämpfen um die Jerusalemer Altstadt beteiligt war, ist Trägerin des Israel-Preises (der höchsten Auszeichnung des Staates), kritisiert das Verhalten gegenüber den Palästinensern aber seit langem offen als „Apartheidpolitik“ (siehe u.a. ihren Artikel im linken US-Magazin „Counterpunch“ vom 8.1.2007; http://www.counterpunch.org/aloni01082007.html).

Shulamit Aloni:

„Ich bin Israelin, aber ich will keinen Helm aufsetzen“

Von Umberto Giovannangeli

„Nicht ganz Israel hat den Helm auf. Die großen Demonstrationen vom vergangenen Samstag sind der Beweis dafür.“ Das Israel, das nicht an den „gerechten Krieg“ glaubt, erkennt sich in den Worten der Frau wieder, die die Geschichte der israelischen Friedensbewegung verkörpert: Shulamit Aloni, Gründerin von Gush Shalom („Frieden jetzt!“), mehrmalige Ministerin in den von Shimon Peres und Yitzhak Rabin geleiteten Regierungen. Für ihren Kampf um die Verteidigung des laizistischen Charakters des Staates bekam Aloni wiederholt Morddrohungen von Gruppen der extremen Rechten Israels.

„Gaza“ – sagt Aloni „l’Unità“ – „ist nicht das Reich des Bösen. Gaza wurde auf einen immensen vom Rest der Welt isolierten Käfig reduziert. Die Eiserne Faust hat die Hamas noch nie geschwächt. Sie hat unter den palästinensischen Jugendlichen nur die Wut und den verzweifelten Wunsch nach Rache genährt.“

In Gaza wird gekämpft und gestorben. Die Umfragen sagen, dass die große Mehrheit der Israelis die Militäroffensive gutheißt.

„Das war auch zu Beginn des Libanon-Krieges so. Aber wir wissen, wie es endete. Dieser verheerende Krieg kennzeichnet den Anfang vom politischen Ende Ehud Olmerts. Für einen politischen Führer ist es kein Beweis des Weitblicks, wenn er auf der Unsicherheit und der Angst herumreitet, um etwas Illusionäres zu versprechen.“

Was für eine Illusion?

„Die Illusion, dass sich Sicherheit allein durch Waffengewalt garantieren ließe. Man kann nicht sicher sein, wenn man ein anderes Volk unterdrückt. Das ist die große Lehre, die uns Yitzhak Rabin als Erbe hinterlassen hat.“

Die Offensive wurde mit der Notwendigkeit, der Pflicht und dem Recht begründet, Zehntausende Bewohner Südisraels vor dem Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen zu schützen.

„Die Kriegsvorbereitungen haben, wie sich (der Verteidigungsminister und Führer der Arbeitspartei; Anm.d.Red.) Ehud Barak öffentlich rühmte, bereits Monate vorher begonnen als die von Ägypten vermittelte Waffenruhe noch in Kraft war. Es liegt mir fern die Raketen auf den Süden meines Landes zu rechtfertigen. Gewalt befreit die Völker nicht und die Palästinenser werden da keine Ausnahme bilden. Aber wie kann man die perverse Verknüpfung von Krieg und Politik übersehen? Den Zusammenhang zwischen der Offensive in Gaza und den Wahlen am 10.Februar? Wenn in die Glaubwürdigkeit und das Ansehen einer Führung in der Krise steckt, versucht sie die militärische Karte zu spielen: ‚Rotten wir den Terrorismus aus. Die Terroristen haben nur noch wenige Monate zu leben…’ Wie viele haben das versprochen! Ariel Sharon, Benyamin Netanyahu, Barak selbst, Olmert usw. Das Ergebnis haben alle vor Augen: Es ist ein neuer Krieg, der alles andere als zur Niederlage der extremistischen, palästinensischen Gruppen führen wird.“

Olmert, Barak und Tzipi Livni wiederholen: Israel befindet sich nicht im Krieg gegen das palästinensische Volk, sondern gegen die Hamas.

„Es gibt keinen Palästinenser, auch den moderatesten nicht, der das glaubt. Wie es immer der Fall war, wenn die Waffen gesprochen haben, waren die ersten Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden, die derjenigen Palästinenser, die an den Dialog glauben. Die Zustimmung zur Hamas ist auch das Ergebnis des Scheiterns der Verhandlungsstrategie und des Unilateralismus, der das Handeln der israelischen Regierungen von Rabins Tod bis heute gekennzeichnet hat. Die Waffen können die Politik nicht ersetzen und das umso weniger in einem Land, das – wie Israel – demokratisch sein will. Eine mutige Führung hätte den Friedensprozess mit der Palästinensischen Autonomiebehörde von Abu Mazen ((d.h. Mahmud Abbas)) gestärkt, hätte die Kolonisierung der Besetzten Gebiete gestoppt und Entspannungsgesten gegenüber der palästinensischen Bevölkerung gezeigt. Zum Beispiel dadurch, dass die Anzahl der Checkpoints verringert worden wäre, die das Westjordanland in tausend Einzelteile teilen. Das hätte man tun können. Aber es ist nicht getan worden.“

Israels Staatschef Shimon Peres hat behauptet: „Die Hamas braucht eine Lektion und wir werden sie ihr erteilen.“

„Die Lektion, die wir gegenwärtig 1,4 Millionen Palästinensern erteilen, ist eine Lektion des Todes. Gegen diese Lektion wehre ich mich.“

((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: * Rosso))

Der Name * Rosso steht für ein Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover und der ehemaligen Antifa-AG der Uni Hannover

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