Ex-US-Bewacher berichtet über Guantánamo: »Saalam aleikum« war der Höhepunkt der Ausbildung. Gespräch mit Chris Arendt.
Chris Arendt war von 2001 bis 2007 bei der US-Nationalgarde und elf Monate lang als Gefangenenwärter auf dem US-Stützpunkt Guantánamo (Kuba) eingesetzt
Wieso sind Sie zur US-Nationalgarde gegangen?
Kurz vor meinem Abschluß an der Highschool kamen Offiziere vom Rekrutierungsbüro an die Schule und versprachen, 100 Prozent der Ausbildungskosten für das College zu übernehmen, wenn man zur Nationalgarde gehe. Ich war damals 17, meine Familie war extrem arm. Wir wohnten in einem Wohnwagen, waren »white trash« (weiße Unterschicht – d. Red.). Also habe ich mich für sechs Jahre verpflichtet.
Im Januar 2004 wurden Sie nach Guantánamo verlegt. Was waren Ihre Aufgaben?
Die ersten zwei Monate habe ich als Gefangenenwärter in den Blocks gearbeitet, ich war zuständig für die Lebensmittelausgabe. Ich habe dabei mit den Gefangenen über ihre Geschichte gesprochen, wo sie herkommen usw. Das führte dann zu meiner Ablösung. Die letzten acht Monate war ich in der Verwaltung, da konnte ich im Computer sehen, wie lange manche Leute schon ohne jede Anklage in Pakistan oder Afghanistan eingesperrt gewesen waren.
Wie sind Sie auf den Einsatz in Guantánamo vorbereitet worden?
Es gab keine richtige Ausbildung, ich bekam nur einen kurzen Kurs, das waren insgesamt gerade mal fünf Tage, das war absolut unangemessen. Da wurde uns der Satz »Salaam aleikum« beigebracht, und es wurde uns gesagt, daß sich Moslems mit der linken Hand den Hintern abwischen. Das war unsere ganze kulturelle Kompetenz. Ansonsten wurde uns eingeschärft, daß die Gefangenen alle Terroristen seien und eine Bedrohung für unsere nationale Sicherheit.
Haben Sie das geglaubt?
Nein, für mich hörte sich das gleich nach völligem Blödsinn an. Ich habe erfahren, daß die Gefangenen aus Pakistan hergebracht worden waren, dort erhielten die Leute Prämien dafür, daß sie ausländische Moslems melden, die sich in der Region aufhielten. Die kamen dann nach Guantánamo, wo sie völlig menschenfeindlich behandelt wurden.
Was heißt das?
Sie wurden in extrem kleinen Zellen gehalten, körperlich und seelisch gequält und bekamen nur wenig zu essen. Es war einfach schrecklich. Einmal habe ich mitbekommen, wie ein Gefangener nach Toilettenpapier gerufen hat, es ihm aber extrem lange verweigert wurde. Er schrie immer wieder nach Toilettenpapier. Als ich ihm endlich welches bringen konnte, sah er mich total haßerfüllt an. Das war ein Schock für mich, immerhin war ich erst 19, ich kannte ihn nicht, er kannte mich nicht, aber er haßte mich, nur weil ich Soldat war. Später habe ich allerdings begriffen, was ich da erlebt habe. Die USA haben ihre Terrorbekämpfung richtig fanatisch geführt, die Gefangenen werden gar nicht mehr als Menschen angesehen, eher als eine Art hochgefährlicher Wilder. Immer werden sie nur als Terroristen bezeichnet. Wir haben in Guantánamo Hunderte von Lebensjahren zerstört.
Sie haben heute noch Kontakt zu früheren Gefangenen?
Ja, ich arbeite mit »cage prisoner« zusammen, einer Organisation, die sich gemeinsam mit moslemischen und nichtmoslemischen Aktivisten und Anwälten für die Gefangenen in Guantánamo einsetzt. Einen früheren Gefangenen habe ich in London besucht, ich habe seine Frau und seine Kinder getroffen, lernte ihn also von einer Seite kennen, die es nach Darstellung der Regierung gar nicht gibt.
Haben Sie mit Ihrer Zeit in Guantánamo abgeschlossen?
Nein, das kann man nicht sagen. Kurz nach meinem Einsatz dort war es schon eine psychologisch schwierige Zeit, mit ein paar Problemen. Aber heute geht es mir gut, da sind keine bleibenden Schäden zurückgeblieben.
Aber es ist mir wichtig, über meine Erfahrungen zu berichten. Ich habe bei der Anhörung »Winter Soldier« im letzten Jahr in Washington meine Erlebnisse zum ersten Mal der Öffentlichkeit geschildert. Soviel ich weiß, war ich der erste Guantánamo-Wächter, der das gemacht hat. Im Moment reise ich durch die Welt und berichte weiter.
Frank Brendle in der Jungen Welt vom 16.03.09