Morsleben/Magdeburg Der gestern kurz vor Redaktionsschluss vom Bundesamt fuer Strahlenschutz (BfS) bekannt gegebene erneute Deckeneinsturz in einem Hohlraum im Zentralteil des Endlagers fuer radioaktive Abfaelle Morsleben (ERAM)[1] macht deutlich, dass der Betreiber der gefaehrlichen Atomanlage das Problem der Standsicherheit nicht im Griff hat – so das Fazit aus dem unabhaengigen Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte des Endlagers Morsleben, Falk Beyer. Obwohl das BfS genau in diesem Bereich der Schachtanlage, im Zentralteil, seit mehr als fuenf Jahren Sicherungsmassnahmen durchfuehrt, die fast zum Abschluss gelangt sind, hat sich erneut ein sogenannter „Loeserfall“ ereignet. Ueber den Umfang der herabgestuerzten Deckenteile macht die vom BfS herausgegebene Presseerklaerung keine Aussage. Vor etwa acht Jahren, 2001, als sich zuletzt ein solcher Einsturz der Decke des maroden Salzbergwerks ereignete, bei dem mehrere Tausend Tonnen Salzgestein herunterbrachen, loeste dieser Vorfall die sogenannten „Vorgezogenen Versatzmassnahmen“ zur Gefahrenabwehr im Zentralteil des ERAM aus.
„Es ist unverantwortlich diesen zum Teil über mehr als eine Million Jahre strahlenden Atommuell zu produzieren“, meint auch die Anti-Atom-Aktivistin Hanna Poddig. „Es gibt keine sichere Entsorgung für dieses Material – weder in Morsleben noch sonst irgendwo. Der neuerliche Loeserfall in Morsleben zeigt einmal mehr, dass nicht nur die Atomtechnologie unbeherrschbar ist, sondern auch die Entsorgung ihrer Endprodukte immer wieder mit Risiken verbunden ist.“
In seiner Presseinformation erklaert das BfS, dass keine Gefahr für die Sicherheit bestand und betont, dass Loeserfaelle in alten Salzbergwerken auf der Tagesordnung stehen. Damit erinnert diese Oeffentlichkeitsarbeit an die Presseverlautbarungen, die mit fast jedem Unfall in Atomanlagen verbunden ist – es habe zu keiner Zeit eine Gefahr fuer die Oeffentlichkeit bestanden.
Oft wurde mit solchen Erklaerungen von der Problematik abgelenkt, dass jeder Zwischenfall in einer Risikoanlage hoechst gefaehrlich ist, zeigt er doch die Grenzen der kuenstlich erzeugbaren Sicherheit auf. In Morsleben kann derzeit von aussen kaum eingeschaetzt werden, welche Sicherheitsrelevanz dieser Loeserfall hat – mangels detaillierter Information der Oeffentlichkeit kann hier nur spekuliert werden, oder der Einschaetzung der Betreiber des Atommuelllagers vertraut werden. Angesichts der zweifelhaften Informationspolitik dieser Behoerde in der Vergangenheit schadet ein gesundes Misstrauen sicher nicht.
„Morsleben sei mindestens 10.000 Jahre langzeitsicher, garantierte die damalige Umweltministerin Angela Merkel und setzte mit dieser Begruendung die Fortsetzung der Einlagerungen in der umstrittenen Atomanlage durch[2]“, erzaehlt Beyer. „Das Gegenteil war bereits 1969 bekannt, also vor der Errichtung des Endlagers in Morsleben. Und in der Amtszeit Merkels wurden weitere Sicherheitsdefizite bekannt – u.a. etliche Wasserzutrittsstellen, die bis dahin nicht veroeffentlicht worden waren. Spaetestens der Loeserfall 2001, bei dem etwa 4.000 Tonnen Salzgestein von der Decke eines Hohlraums im Zentralteil des Endlagers herabstuerzten, strafte Merkel Luegen. Wer will angesichts dieser Chronologie Leuten in solchen Machtpositionen vertrauen?“
Das Forschungsprojekt hat sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der umstrittenen Morslebener Atomanlage aufzuarbeiten – unabhaengig von Interessengruppen, deren Hauptaugenmerk auf den ungestoerten Betrieb des Endlagers setzt. Die Recherchen haben bereits ueber 2.800 Dokumente aus einem Dutzend oeffentlichen und privaten Archiven zutage gebracht. Seit 2003 arbeitet das Projekt und hat bereits mehrere Broschueren und eine von mehr als 20.000 Personen besuchte Ausstellung hervorgebracht.[3] Die unabhaengige Forschung ist notwendig, da die Geschichte Morslebens und anderer Atomanlagen zeigt, dass weder den Beteuerungen von Atomfirmen, die vom Betrieb nuklearer Anlagen profitieren, noch den Behoerden, die dieses immer wieder ermoeglichen und durchsetzten, die Geschichtsschreibung überlassen werden sollte.
Quellen:
[1] – http://www.bfs.de/de/bfs/presse/pr09/pr0915.html vom 02.04.2009
[2] – taz, die tageszeitung vom 26. August 1995: „Atomlager Ost
verstopft. Die Umweltministerin des Landes Sachsen-Anhalt
untersagt die Einlagerung mittelradioaktiver Abfaelle im
Kalibergwerk von Morsleben“
[3] – http://greenkids.de/morsleben