Conti: Militanter ArbeiterInnenprotest

Bei Continental werden Werke geschlossen und verlagert. Die Wut in Frankreich hat sich in gewaltsame Proteste (Video) gewandelt… und die Bourgeoisie sieht einen Mai kommen, welche 1968 in den Schatten stellen könnte. Hier ein Bericht über die Demo vor der Generalversammlung in Hannover und die Rede vom Streikführer aus Clairoix.

Die Wut der Contis

Das polizeiliche Grossaufgebot für die Demo vom Donnerstag, 23. April 2009 in Hannover war umsonst. Ebenso die Angst der Aktionäre von Continental, zu deren Schutz das Heer von Ordnungskräften ausgerückt war. Die Arbeiter aus dem Reifenwerk im nordfranzösischen Clairoix haben gezeigt, dass sie den Herrschenden und deren Beschützern weit überlegen sind. Wie sie zu kämpfen haben, dass bestimmen sie ganz allein und lassen es sich von niemandem mehr vorschreiben. Wichtiger als brennende Reifen war an der Grossdemonstration in Hannover der Zusammenschluss mit ihren deutschen Kollegen. Mögen sich die französischen und die deutschen Conti-Arbeiter verstanden haben, trotz unterschiedlicher Sprache und Kultur! Begriffen haben sie zweifellos, dass sie die gleichen Interessen haben und sich gemeinsam gegen die Angriffe des Reifenmultis zur Wehr setzen müssen. Das haben sie mit dem vereinten Grossaufmarsch vor der Konzernzentrale deutlich demonstriert.

Ob auch die deutschen Gewerkschaftsführer die Zeichen der Zeit verstanden haben, muss allerdings bezweifelt werden. Ein paar Nachhilfestunden durch ihre französischen Kollegen hätten sie jedenfalls dringend nötig. „Wir wollen die Aktionäre mit Argumenten überzeugen.“ Mit diesen Worten wird der Sprecher der deutschen IG BCE in der Presse zitiert. Noch immer tun sie so, als gäbe es gemeinsame Interessen zwischen Arbeit und Kapital. Noch immer scheinen sie nicht begriffen zu haben, welche Sprache die Unternehmer und ihr Staat verstehen. Sechs Wochen lang seien sie ruhig gewesen und hätten umsonst gewartet, erklärt gegenüber dem Fernsehkanal RMC.fr Xavier Mathieu, CGT-Delegierter der Conti-Arbeiter in Clairoix. Erst nachdem eine Präfektur verwüstet worden sei, habe man ihnen eine Stunde später die geforderten Gespräche angeboten. „Man muss aufhören, die Leute zu verarschen!!“

Während sich die IG BCE Funktionäre von der Gewalt der Arbeiter distanzieren (und sich gleichzeitig problemlos der Gewalt der Unternehmer und ihres Staates unterwerfen!), verteidigt Xavier Mathieu die gewaltsamen Proteste, an denen er an vorderster Front teilgenommen hat: Es sind keine Chaoten, erklärt er, sondern Leute voller Wut. Leute, die sich auflehnen, die am Rand einer Depression stehen. „Man spricht von zerbrochenen Scheiben und Computern. Aber was ist das schon neben 1100 Leben, die gebrochen werden? Das ist überhaupt nichts. Seit sechs Wochen sind die Leute unter Druck, schlafen nicht mehr, essen nicht mehr, warten auf Antworten, auf Versprechen, die man ihnen macht, hören auf alles Mögliche und dessen Gegenteil. Jene, die davon sprechen, die Leute zu bestrafen, welche die Präfektur verwüstet haben, sind die gleichen, die vor sechs Wochen gesagt haben, dass sie die Patron-Halunken bestrafen werden. Man wird sehen, ob sie mit Continental dasselbe tun werden wie mit uns.“

Bereits vor zwei Jahren sprach der CGT-Gewerkschafter von Verrat, als sein Kollege von der christlichen Gewerkschaft CFTC für eine Arbeitsplatzgarantie bis 2012 mit dem damaligen Werksdirektor Thierry Wipff den Vetrag über eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich unterschrieben hatte. Die Verarschung ist perfekt: Die Arbeiter haben gratis mehr gearbeitet, und nun soll ihre Fabrik dennoch bereits 2010 geschlossen werden. Sogleich nach der Vertragsunterzeichnung ist Thierry Wipff nach Rumänien versetzt worden. Seither leitet er das Conti-Werk in Timisoara, wie France Info herausgefunden hat. Während in Frankreich und Deutschland die Schliessung der Werke verkündet wird, sucht Continental gleichzeitig in Rumänien Arbeiter für die Produktion und den Maschinenunterhalt, ferner Ingenieure und Abteilungsleiter.

Zwar bestreitet Thierry Wipff, dass Continental die Produktion verlagern wolle. Doch in Rumanien kostet die Herstellung eines Reifens nur fünf Euro, gegenüber neun Euro in Frankreich. Ob unter diesen Umständen der Kampf für die Erhaltung des französischen Werkes nicht völlig aussichtslos sei, will der Reporter von France Info von Xavier Mathieu wissen. Vom Standpunkt des Geldes aus gesehen zweifellos, antwortet der CGT-Gewerkschafter. Wenn man jedoch bedenke, dass in Frankreich ein Reifen für 75 Euro verkauft werde, dann sei das französische Werk durchaus rentabel, und das rumänische einfach noch viel rentabler. Es sei beschämend, es gehe nur noch ums Geld des Geldes willen. „Es ist Zeit, damit aufzuhören! Man muss die Gesellschaft verändern! Nicht länger das Geld, sondern der Mensch muss wieder ins Zentrum der Gesellschaft gestellt werden. Andernfalls werden wir alle krepieren!“

Xavier Mathieu rechnet vor, wieviele Millionen Reifen in jedem der Conti-Werke hergestellt werden. Damit wird klar, dass die Überproduktion schon vor der Krise voraussehbar war. Ebenso die Schliessung der Werke in Frankreich und Deutschland. Mit falschen Versprechungen wurden die Arbeiter hingehalten: Um ihre Arbeitsplätze zu retten, müssten sie Opfer bringen, mehr arbeiten für weniger Geld. Dass sie nur ausgenützt worden sind, ist ihnen inzwischen klar. Und deshalb ist es nur allzu verständlich, dass sie nun ihrer Wut freien Lauf lassen. Der Wortbruch der Conti-Manager ist kein Einzelfall. Das zeigen alle andern Beispiele, wo zwecks angeblicher „Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit“ von den Arbeitern Opfer verlangt worden sind und noch immer werden – nur damit der Betrieb früher oder später dennoch geschlossen wird.

Vielleicht wird auch die wütende Reaktion der französischen Conti-Arbeiter bald kein Einzelfall mehr sein. Xavier Mathieu sei der Mann, der die Lunte für den „Mai 2009“ angezündet habe, schreiben die französischen Zeitungen. Und, so befürchten sie, dieser könnte noch weit heftiger werden als der Mai 1968. Mögen sie recht behalten! Mögen die Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Ländern sich nicht mehr wie brave Lämmer zur Schlachtbank führen lassen! Mögen sich für alle Ausgebeuteten die Worte von Xavier Mathieu bewahrheiten: „Wir sind jetzt keine Lämmer mehr sondern Löwen!“ – rth

Verwendete Quellen:
–    http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/1729892_Solidaritaet-gegen-Conti-Hilfe-die-Franzosen-kommen.html
–    http://www.rmc.fr/blogs/lesgrandesgueules.php?post/2009/04/22/Je-suis-epuise-Xavier-Matthieu-CGtiste-de-Continental
–    http://www.courrier-picard.fr/courrier/content/view/full/104545
–    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/400/465985/text/
–    http://www.leparisien.fr/economie/nous-ne-sommes-plus-des-moutons-mais-des-lions-22-04-2009-487481.php
–    http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/Frankreich-Continental;art271,2764391
–    http://www.france-info.com/spip.php?article271076&theme=81&sous_theme=184
–    http://www.youtube.com/watch?v=BDwsxUiVAsI

Rede von Xavier Mathieu an der Demonstration der Conti-Arbeiter vom 23. April in Hannover

Wir erleben heute Morgen alle zusammen einen historischen Moment. Ihr seid rund 800 Kollegen aus Stöcken, die von denselben kriminellen Bossen und Aktionären von Continental entlassen werden sollen wie wir aus dem Werk Clairoix, die heute nach Hannover gekommen sind. Und ihr, die Kollegen aus Saargemünd (Frankreich), Opfer derselben Lügen, derselben verlogenen Worte der Bosse, die Euch mit dem Verlust Eurer Arbeitsplätze erpressen, ihr seid auch heute Morgen hier in Hannover. Ihr, die 1120 Kollegen aus Clairoix, mit dem Sonderzug gekommen, vereint in derselben Wut, in derselben Entschlossenheit unser Recht und das Recht unserer Familien auf unser Leben bis zum Schluss zu verteidigen, ihr seid ebenfalls heute Morgen in Hannover. Und Ihr, die Werktätigen aus der Region Hannover, Ihr seid
derselben Arroganz der Arbeitgeber, derselben Arbeitsplatzerpressung, derselben
Entlassungsdrohung von Aktionären ausgesetzt, die nur an ihr Vermögen denken, Ihr seid heute morgen auch mit uns.

Ja, in der Tat, wir haben uns heute Morgen hier versammelt, um den Aktionären von
Continental zu zeigen, dass wir wütend sind. Auf diese Aktionäre, die auf dem Rücken ihrer 140.000 Mitarbeiter Milliardengewinne eingefahren haben, zwei Milliarden waren es noch 2008, und die noch weitere Werke schließen wollen. Wir sind hier versammelt, dass kein Mitarbeiter des Konzerns weder in Deutschland, noch in Frankreich auf die Straße geschmissen wird. Sie sollen wissen, dass unsere Wut riesig ist und dass wir sie nicht in Ruhe lassen werden, dass wir nicht aufgeben werden.

Wir haben alle das Gefühl, dass dies ein historischer Moment ist, denn er birgt eine immense Hoffnung, ja, wir wissen, wir fühlen, dass wir heute stärker sind als gestern. Wir, die Werktätigen aus Deutschland und aus Frankreich, die wir damit begonnen haben, die künstlichen Gräben zu überwinden, die unsere Bosse versuchen, zwischen uns zu ziehen. Hier bei Continental hat man versucht, uns in Kategorien zu spalten: Arbeiter, Angestellte, Werkmeister und Führungskräfte, dann zwischen den einzelnen Standorten, als ob wir, die Werktätigen, mit unseren anderen Kollegen in Konkurrenz stünden, dann zwischen den Ländern, zwischen Frankreich und Deutschland. Aber unsere Lungen haben sich mit demselben Gummistaub vollgesogen, unsere Glieder sind vom selben Arbeitstempo und denselben schlechten Arbeitsbedingungen kaputt. Ja, wir sind an dieselbe Kette gefesselt, die
unglaubliche Gewinne an einem Ende und Mühsal und Hoffnungslosigkeit am anderen Ende produziert. Diese Spaltungen haben nur einen Zweck. Wir sollen vergessen, dass wir, die Werktätigen, gemeinsame Interessen haben, dass wir, wenn wir unsere Kräfte zusammenschließen, alle Arbeitgeberpläne zum Scheitern bringen können.

Die Großaktionäre, die von Continental, von Michelin, von Goodyear, die von Opel, von Peugeot, von Volkswagen, Renault, Ford, Daimler, Porsche haben einen riesigen Batzen Kapital angehäuft, hunderte von Milliarden. Sie stehen vielleicht im Wettbewerb miteinander, aber sie können sich auch verbünden, um den Krieg gegen die Arbeiter zu führen, sie sind vereint in ihren gemeinsamen parasitären Interessen. Und in den Regierungen ist es genau dasselbe. Sarkozy und Angela Merkel, man könnte sie gegeneinander austauschen, sie verteilen Milliarden an die Banken, an die Aktionäre, und lassen zu, dass Tausende von Werktätigen auf die Straße geworfen werden. Die Werktätigen können für sie krepieren.

Aber heute sind wir hier in Hannover versammelt und zeigen damit, dass sie uns mit ihren Lügen nicht mehr reinlegen können. Unsere Bosse und Aktionäre stehen zusammen wie die Nullen auf 500 Euroscheinen, aber wir sind vereint wie die Finger einer Hand, um zusammen zurück zu schlagen und unser Recht auf Leben zu verteidigen. Das Los, dass uns die reichen Aktionäre zugedacht haben, ist kein unabwendbares Schicksal. Wir müssen gemeinsam handeln, entschlossen alle Hindernisse überwinden, zu allem bereit sein, um unsere Zukunft und die unserer Familien zu garantieren. So können wir ihre Pläne durchkreuzen und das Blatt
wenden. Die Milliarden, mit denen heute die Familie Schaeffler spielt, wurden durch unsere eigene Arbeit geschaffen. Ohne uns sind die Bosse und die Reichen nichts. Die Bosse und ihre Diener, und in erster Linie die Regierungen in Deutschland wie in Frankreich faseln von Wettbewerbsfähigkeit, von Konkurrenz, vom Marktzwang, das wäre das unausweichliche Schicksal das die bedauernswerten Bosse zwingt, Fabriken zu schließen, Tausende Arbeitsplätze zu streichen, ganze Regionen in den Ruin zu treiben.

Sie verspotten uns, sie lügen, dass die Balken sich biegen: Die Stilllegung eines Betriebs ist kein Schicksal, das ist eine Wahl, eine menschenunwürdige und unannehmbare Wahl, die einen einzigen Grund hat, mehr Geld zu gewinnen. Wir können sie durch Kampf dazu zwingen, dass ihr Vorhaben scheitert, dass sie eine andere Wahl treffen, denn diese Wahl haben sie. Ausschlaggebend ist das Kräfteverhältnis zwischen ihnen und uns.

Es ist wirklich schon lange her, dass es eine Versammlung von Werktätigen aus Deutschland und Frankreich gegeben hat, die Seite an Seite in einem gemeinsamen Kampf gegen einen gemeinsamen Boss stand. Wir von Continental haben das gemacht, trotz der Hunderte Kilometer, die uns trennen sollten. Und wir können stolz darauf sein, diese Trennung überwunden zu haben, stolz darauf, dass wir diese Versammlung gegen die Aktionäre zustande gebracht haben. In Clairoix haben wir uns zusammen getan, alle vereint zum Kampf, von Compiègne nach Reims, von Paris nach Saargemünd und heute haben wir uns aufgemacht an die Seite unserer Kollegen aus Hannover. Wir haben gezeigt, dass wir gehen können, wohin es uns beliebt. Mit der Hilfe der Kollegen der anderen Continental-Standorte und der anderen Werktätigen, die uns ihre Solidarität zeigen wollen, haben wir unsere
Abgeschiedenheit, in der wir krepieren sollten, überwunden. Wir werden den Aktionären von Continental einen Antrag überreichen. Wir fordern, dass kein Mitarbeiter von Continental entlassen und auf die Straße geworfen wird. Dieser Antrag ist genau der, den ihr in Deutschland an den Vorstand gerichtet habt. Dieser Antrag ist ein Ultimatum!

Die heutige Demonstration ist nicht das Ende, sie ist kein Begräbnis erster Klasse, sie ist der Anfang. Wir haben uns mobilisiert und jeden Tag mehr Unterstützung erhalten. Wenn man uns nicht anhört und unsere schwarz auf weiß schriftlich vorgelegten Forderungen erfüllen will, ist unsere Antwort auf den Krieg, den uns die Aktionäre erklärt haben, der Gegenangriff der Werktätigen. Wir haben nichts zu verlieren. Die Opfer, die dieser Kampf von uns fordern wird sind nichts gegen die Opfer, die uns für den Rest unseres Lebens von unseren Bossen und ihren Handlangern, ihren offenen und versteckten Verbündeten aufgezwungen werden.
Natürlich wissen wir nicht, wie dieser Kampf, den wir vor uns haben, ausgehen wird. Aber wir werden ihn kämpferisch bis zum Ende unserer Kräfte führen.

Was auch immer geschehen wird, wir können die Steine, die man uns in den Weg legen wird, überwinden. Und glaubt mir, es werden viele Steine sein, ganze Felsbrocken. Aber wenn wir unseren Kampf bis zum Ende führen, gewinnen wir etwas, was keiner uns mehr nehmen kann. Ich spreche von unserer Würde, der Würde der Werktätigen, von aufrechten Frauen und Männern, die ihrem Schicksal die Stirn bieten. Wir werden für den Rest unseres Lebens in den Spiegel schauen können, ohne uns zu schämen. Sie wollten uns das Rückgrat brechen und wie die Schafe zur Schlachtbank führen. Aber nein, sie haben es mit kämpfenden Werktätigen zu tun, die ihrem Schicksal die Stirn bieten.

Ich will allen Kollegen danken, die heute hier in Hannover zusammen gekommen sind, Euch allen, die ihr uns herzlich empfangen habt, uns alle als die Werktätigen einer Familie. Geschlossen und Seite an Seite stehend verteidigen wir unsere gemeinsame Zukunft, die der Kollegen von Continental wie auch die der Kollegen in anderen Betrieben und Unternehmen. Danke, dass Ihr uns neue Kraft für den Kampf gegeben habt! Wir schwören, dass wir alles tun werden, um unserer gemeinsamen Hoffnung gerecht zu werden. Nieder mit den kriminellen Aktionären, die uns ins elende Schicksal schicken wollen. Es lebe die Continentale Solidarität in Deutschland und in Frankreich.

Die Leute hinter uns, die Aktionäre, reden nur mit ihrem Geld, wir reden mit unserem Herzen. Vielen Dank an Alle!

Quelle: http://www.labournet.de/branchen/chemie/conti/demo_230409_reden.pdf

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