Erklärungen von RAF-Gef. noch relevant?

Aus Gefangeneninfo Nr. 346

Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat sich 1998 aufgelöst. Auch bei den Linken wird die RAF auf ihre Aktionen reduziert, was wir falsch finden. Doch was waren die politische Vorstellungen der Gefangenen aus der RAF? Haben diese Ideen heute noch für uns eine Relevanz für unser Agieren?
Der folgende Beitrag versucht diese Fragen zu beantworten.

Haben Aussagen der Gefangenen aus der RAF heute noch Gültigkeit?

Um was zu unserer Perspektive zu sagen, müssen wir als erstes die objektiven und subjektiven Blockaden benennen, die den emanzipativen Prozess des Voranschreitens behindern.
Ein Lösungsansatz wäre, sich nicht nur an dem RAF-Logo mit der Knarre und den Aktionen zu ergötzen, sondern auch Texte der Gefangenen zu lesen. Was haben z.B. die Hungerstreikerklärungen aus den Jahren 1981 und 1984 für uns heute noch an Aussagekraft, d.h. sind sie für unsere heutigen Auseinandersetzungen noch hilfreich?
Ein kleiner historischer Einschub am Anfang: Die Gefangenen führten 10 kollektive Hungerstreiks, um die rigide Isolation zu überwinden.Die Isolationsfolter wird auch weiße Folter genannt, weil sie keine sichtbaren physischen Spuren am Körper hinterlässt. Sie dient der sensorischen Deprivation und sozialen Isolation, die auf das Aushungern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastorgane zielt und dadurch zu lebensgefährlichen Zuständen führen kann. Selbst die UNO hat die Isolationshaft als Folter geächtet. Folgen sind z.B. Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Schlafstörungen, chronischer Schnupfen, Gedächtnisverlust … Diese Sonderhaftbedingungen gehen an keinem der Gefangenen spurlos vorbei. Dazu kommen die Langzeitfolgen.
Erforscht wurde die Isolation in Hamburg am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Dienten diese Haftbedingungen anfangs zur Aussageerpressung, zielten sie später auf die Vernichtung der Gefangenen. Insgesamt 9 politische Gefangene überlebten den Knast nicht.

Wir sind zur Zeit mit einer stark zunehmenden Repression konfrontiert. Bewusstseinsmäßig scheint uns zwar klar zu sein, dass Unterdrückung uns abhalten und abschrecken soll, da die Herrschenden für ihre Kriege nach Außen im Innern Friedhofsruhe benötigen. Die Widerstandsbekämpfung im Innern wird also immer weiter ausgebaut und verschärft, um die deutschen Kriegseinsätze – es sind rund 9000 Bundeswehrsoldaten derzeit auf dem Balkan, in Afrika, im Nahen Osten und in Zentralasien im Einsatz – abzusichern.
Nach dieser Analyse müsste unser Umgang mit der Repression ein offensiver sein. Dem ist aber leider häufig nicht so!
Genossinnen und Genossen meiden Prozesse, da sie Angst vor der Erfassung haben. Oder lehnen Kontakt mit verhafteten Gefährt_innen wegen der Erfassung ab, d.h. schreiben und besuchen sie nicht und lassen sie damit alleine.
Schauen wir uns diese Beispiele mal genauer an: Was ist für die Weggesperrten in solchen Situationen wichtig? Unsere Solidarität! Die Frage für uns ist doch die: Wie können wir unsere Verbundenheit mit den Eingekerkerten zeigen? Wie können wir diese Situation für uns alle umdrehen, um unsere Vorstellungen durchzusetzen? Wichtig ist, uns nicht von den Repressionsorganen abschrecken und bestimmen zu lassen, sondern von unserem Bedürfnis nach Solidarität auszugehen.
” Wenn die militante Linke sich aneignet, was der Imperialismus in seinen Niederlagen immer wieder erfahren mußte: dass seine Macht dort endet, wo seine Gewalt nicht mehr abschreckt, hat sie das ganze Geheimnis seiner scheinbaren Unbesiegbarkeit aufgelöst.” (Aus der Hungerstreikerklärung von 1981)

Bei dem Prozess gegen Thomas K., der kürzlich in Stuttgart endete, verzichtete er auf eine politische Verteidigung des Projektes RZ (Revolutionäre Zellen). Er meinte sinngemäß, der Gerichtssaal sei der falsche Ort. Diese Einschätzung finden wir falsch. Zum einen konnte so die herrschende Meinung ohne Widerstand leichter ihren Dreck über eine linke Organisation ablassen und zum anderen wollten viele jüngere Genoss_innen was Authentisches über die RZ wissen.
„Der Kampf hört auch im Gefängnis nicht auf, die Ziele ändern sich nicht, nur die Mittel und das Terrain, auf dem die Auseinandersetzung (…) weiter ausgetragen werden, (…)“ (Ebenda)
Eine unpolitische Verteidigung praktizieren auch andere Menschen und Thomas war nicht inhaftiert, aber wir bestehen auf unserer Kritik, dass er die Auseinandersetzung dort nicht geführt hat und damit den politischen Raum nicht genutzt hat.

In der schon mehrmals zitierten Hungerstreikerklärung von 1981 wurde festgestellt, dass „im letzten Nato-Brief die Regierungen offen daran erinnern, dass auf Forderungen nach politischen Status und internationalen Untersuchungen der Folterungen an militanten Gefangenen nicht einzugehen ist und die übrigen Direktiven der Kriminalisierungsstrategie revolutionären Widerstandes einzuhalten ist.“
Aktuell kommt es zum sechzigjährigen Jubiläum der Nato zu zahlreichen Protesten. Es gibt hier schon zahlreiche Gefangene, die wegen anti-militaristischen Aktivitäten verhaftet bzw. verurteilt worden sind:
Sei es Natalja, die 2007 anlässlich einer Demonstration gegen die Nato-„Sicherheitskonferenz“ in München weggesperrt wurde. Oder Axel, Florian und Oliver, denen in einem §129-Verfahren vorgeworfen wird, Bundeswehrfahrzeuge in Brand gesteckt zu haben. Der Entpolitisierungstrategie der Herrschenden entgegnen sie in ihrer Prozesserklärung: „Hier sitzen die falschen Leute auf der Anklagebank und sollen als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 verurteilt werden. Auf die Anklagebank gehören Kriegstreiber, Kriegsbefürworter und Rüstungskonzerne. (…)“ Mustafa Atalay, einer der fünf türkischen inhaftierten Linken, die wegen §129b in Stuttgart-Stammheim verurteilt werden sollen, wurde in der Türkei über 15 Jahre weggesperrt, schwer gefoltert und auf Verlangen des Natopartners Türkei im November 2006 in der BRD wieder verhaftet. Angemessene ärztliche Behandlung in Freiheit wurde ihm von den zuständigen Stellen trotz Lebensgefahr verwehrt. Stattdessen wird er weiter in verschärfter Einzelhaft gehalten. Mustafa erklärte: „Die Isolation ist die größte Schlechtigkeit, die ein Mensch einem anderen Menschen antun kann und sie war für mich die größte Folter“.

Ein Wort noch zu der scheinbaren krakenhaften staatlichen Erfassung durch die diversen Dienste des Staates. Trotz der scheinbaren totalen Überwachung und Erfassung wegen Kontakten zu Gefangenen hat das nicht alle Linken von ihrem Kampf nach Befreiung abgeschreckt: Sie haben z.B. weiterhin Öffentlichkeit zu den Knästen hergestellt und damit die Situation drinnen verbessert. Einige haben sich mit Illegalen getroffen oder sich später selbst der RAF angeschlossen.
Heute ist es oft so, dass bei Vorträgen, in Flugblättern und sonstigen Erklärungen fast immer nur die Analyse des Staates, der Konzerne etc. im Mittelpunkt steht und nicht, was unsere Ziele sind. Das wurde auch jüngst in der Interim 686 bedauert, denn früher gab es in den Papieren für die „Linken auch Anregungen und Impulse“.
Damals war es für uns wichtig, uns gegen die zunehmende Vereinzelung und Isolation durch das System zu wehren, indem wir versuchten, kollektive Strukturen für uns zu erkämpfen.
“Wo Herrschaft durch Trennung, Differenzierung, Vernichtung einzelner, um alle zu treffen, und den ganzen Prozess zu lähmen, funktioniert, ist Solidarität eine Waffe. Es ist die erste starke subjektive politische Erfahrung für jeden, der hier zu kämpfen anfängt, der Kern revolutionärer Moral…” (Hungerstreikerklärung aus dem Jahre 1984)

Gegen die zunehmende Vereinsamung anzugehen, ist heute aktueller denn je, da alle Menschen davon betroffen sind, natürlich auch die radikale Linke. Neue Technologien wie über 30 TV-Programme und Internet verstärken diesen Isolationsprozess zunehmend. Das Problem sind dabei nicht diese neuen Medien, sondern dass sie überwiegend nur vereinzelt genutzt bzw. konsumiert werden.
Auch die Existenzsicherung durch Ausbildung und Arbeit wird immer schwieriger. Sie wird immer mehr individualisiert und atomisiert durch die herrschende Klasse. Dieser Prozess der Vereinzelung und der Allmacht des Systems, beeinflusst auch negativ unsere politische Praxis: Wir werden immer routinierter, eingefahrener, abstrakter, verlieren den Glauben, dass wir was erreichen und Siegen können! Wir schrecken folglich eher Außenstehende ab und verlieren damit die gesellschaftliche Anziehungskraft, statt unsere fremdbestimmte Situation zum Ausgangspunkt unseres Agierens zu machen.
” Auch in unserer Lage ist das aus der gesamten Situation, die gleiche Entscheidung, vor der alle Teile der revolutionären Linken stehen. Aus einem festgefahrenen Kräfteverhältnis die Defensive durchbrechen, die Suche, die Anläufe, den Willen in Kampf verwandeln (…). Für uns heißt das, von der Tatsache der Isolation auszugehen und auf die eigene Kraft zu vertrauen.” (Ebenda)

Es könnte jetzt eingewendet werden, wir haben doch viel angepackt. Veranstaltungen, Demos z.B. gegen die G8 in Heiligendamm. Doch ist danach bei vielen eine Leere entstanden, was sich auch so äußert, dass viele Initiativen seit dem Sommer 2007 ihre Homepage nicht mehr erneuert haben oder von einem “Event” zum anderen springen. Und dadurch entstehen statt Stärke viel Stress und Leere.
“Kollektivität bestimmt sich übers Ziel: Zum Angriff kommen nicht zu einem einzigen, sondern als dauernder, gemeinsamer Prozess der politischen Bestimmung und Aktion. Sie existiert nur im Kampf, und nur gegen Herrschaft und Unterdrückung ist sie zu entwickeln.” (Ebenda)

Auch wurde anfangs schon festgestellt, dass heute unsere Texte nur jenes beinhalten, wogegen wir sind und was wir alles abschaffen wollen. Es ist zwar wichtig, dieses immer wieder zu benennen, aber es fehlt was Wesentliches: Was wir wollen und wofür wir stehen. Das ist durchaus schwierig, aber auch notwendig, sich diese Begrifflichkeit anzueignen;
„Sie ist (die Kollektivität) ist nicht bloße Negation all dessen, was Staat und Kapital sind, sondern die gesellschaftliche Organisierung freier Menschen, wie sie hier und jetzt – überall wo gekämpft wird – schon möglich ist.“ (Ebenda)

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen

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