Landauf, landab wird von Politik und Justiz betont, in der Sicherungsverwahrung säßen nur die Gefährlichsten der Gefährlichen ein. Die SV wurde 1933 von den Nationalsozialisten in das Strafgesetzbuch als Maßregel der Sicherung eingeführt; hiernach kann eine Person, welche als „allgemeingefährlich“ gilt auch über das Ende der regulären Strafzeit hinaus im Gefängnis verwahrt werden. Nach einer „Reform“ von 1998 unter SPD/GRÜNE, kann die SV nunmehr auch im ersten Fall ihrer Anordnung lebenslang dauern (zuvor war sie auf 10 Jahre begrenzt).
Mit Beschluss vom 07. Mai 2009 ordnete das Landgericht Karlsruhe bei Herrn Schüler die Fortdauer der SV über 10 Jahre hinaus an, da „die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.“ Weswegen sitzt er in der SV? Er hatte sich eine Verurteilung wegen „Diebstahls in 17 Fällen und versuchten Diebstahls in 3 Fällen“, wie Gefangene zu sagen pflegen, „eingefangen“. Konkret ist er mehrfach in Wohnungen und Geschäftsräume eingebrochen und hat dort u.a. Bargeld entwendet.
Frustriert über den Umstand, daß nach seiner Beobachtung in der SV-Station der JVA Freiburg, wo er von 1999-2005 einsaß, zwar Diebe und Betrüger bis zum Tode verwahrt würden, man jedoch Sexualverbrecher frei lasse und er für sich als „Einbrecher“ keine realistische Entlassungsperspektive sah, begann er Nachschlüssel herzustellen um aus der Haft fliehen zu können. Bei der Erprobung der Schlüssel im September 2005 wurde Alarm ausgelöst und Herr Schüler entdeckt.
Wegen der nun seitens der Justiz angenommenen erhöhten Fluchtgefahr, wurde er in die JVA Bruchsal verlegt, wo er bis heute, d.h. seit bald vier Jahren in Absonderung sitzt. Zwar muss er arbeiten (in einem Minibetrieb, der extra für eine handvoll „gefährlicher“ Gefangener eingerichtet ist), darf jedoch an keinerlei Freizeitveranstaltungen teilnehmen, seine Zelle bleibt stehts verschlossen und auch die Hofstunde, darf er nur mit seinen Arbeitskollegen aus den Minibetrieb absolvieren.
Am 02. April 2009 hatte Ralf Schüler 10 Jahre der SV verbüßt; nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hätte nun positiv festgestellt werden müssen, daß er akut „gefährlich“ ist. Wie kann man dies bei einem Einbrecher, der während der Einbrüche nie „Kontakte“ zu den Bewohnern hatte? Der also nie etwa jemanden überwältigte, fesselte – eben weil nie jemand da war!? Kammer und Gutachter gingen über 22 Jahre (!) in der Vita des Herrn Schüler zurück; damals hatte er mittels einer ungeladenen Schrotflinte eine Bank überfallen. Dies dokumentierte, so heute die Richter und der Sachverständige (Professor Dr. Harald Dreßing; Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim), sei enormes Gefährlichkeits- und Gewaltpotenzial.
Die Einbrüche hatte er während des Freigangs begangen; aber aus dem Umstand, daß er bei diesen anerkanntermaßen unbewaffnet war, wollte man keine positiven Rückschlüsse ziehen. Der Gutachter verstiegt sich zu der These, „inwieweit der Proband überhaupt die Möglichkeit hatte, sich Waffen zu besorgen und einen gewalttätigen Überfall vorzubereiten“. Es wird also unterstellt, er hätte im Freigang keine Waffen sich verschaffen können; eine an der Realität vollkommen vorbei gehende Idee.
Der Sachverständige fühlte sich offenbar auch davon getroffen, daß Herr Schüler jegliches Gespräch mit ihm ablehnte und führte dann in der Anhörung vor Gericht aus, aufgrund dieser Verweigerungshaltung, die darin -Zitat- „gipfele“, daß Schüler sogar die Anhörung bei Gericht verweigere, er es letztlich verunmögliche zu beurteilen, welche Entwicklungen bei ihm eingetreten seien.
Zwar wurde erwähnt, daß Herr Schüler weder während der Haftzeit, noch der Jahre in der SV durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen sei – aber dies positiv zu werten kam weder dem Gutachter, noch den Richtern in den Sinn. Einerseits wurde eben erwähntes nicht positiv berücksichtigt, andererseits wurde „prognostisch ungünstig“, so der Herr Professor aus Mannheim, gewertet, daß Herr Schüler in Briefen an Dritte die Behauptung vertritt, die Hustiz entlasse hoch gefährliche Kinderschänder und Sexualtäter, um auf diese Weise eine ständige Verschärfung der Strafgesetze rechtfertigen zu können, um letztlich Menschen wie ihn dauerhaft in der SV unterzubringen.
Das ist schon faszinierend, wie hier eine zulässige Meinungsäußerung dazu dient, letztlich die „Gefährlichkeit“ eines Verwahrten zu begründen. Heute ist Ralf Schüler 46 – Mit diesem, Beschluss des Landgerichts wird er noch in 10 oder 20 Jahren einsitzen. (Quellen: Beschluss Landgericht Karlsruhe vom 07. Mai 2009, Az: 15 StVK 81/09 BR; Anhörungsprotokoll vom 24. April 2009, a.a.O.)
B.) Gefangener in Nürnberg verblutet
Straf- und Untersuchungsgefangenen kommt nach der Gesetzeslage nicht das Recht auf freie Arztwahl zu, sie müssen mit dem Arzt oder der Ärztin vorlieb nehmen der/die in der JVA arbeitet. Auch wenn gegen diesen wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts zum Nachteil eines Gefangenen ermittelt wird.
So aktuell der Fall in Nürnberg. Am frühen Morgen des 16. Juli 2008 verblutete der Untersuchungsgefangene David S. und starb mutmaßlich deshalb, weil der sich in seiner Nachtruhe von einem Sanitätsbeamten per Telefon informierte Gefängnisarzt Kurt P. nicht weiter stören lassen wollte, und empfahl die klaffenden Wunden von David, dieser hatte sich die Pulsadern eröffnet, mit Klemmpflaster zu versorgen. Selbst ins Gefängnis kommen und den Patienten untersuchen wollte der Doktor nicht; erst zum regulären Dienstantritt um 7.00 Uhr werde er nach ihm sehen, man möge den Gefangenen solange in die B-Zelle sperren (ein Raum, völlig kahl, ein Loch im Boden als WC-Ersatz). Nur lebte um 7.00 Uhr David nicht mehr. Der vom Sanitäter zwischenzeitlich alarmierte Notarzt konnte später nur noch den Tod von ihm feststellen. Doktor Kurt P. hatte in dieser Nacht ausdrücklich Bereitschaftsdienst!
Der Nürnberger Strafrechtler Bernd Ophoff, der die Eltern des 23-jährigen David S. vertritt geht von einer Tötung durch Unterlassung aus.
Das Justizministerium sah keinen Anlass den Gefängnisarzt zu suspendieren, obwohl ihm selbst von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten schwer wiegendes Fehlverhalten bescheinigen. Zynisch mutet die Aussage des Leiters der JVA Nürnberg an, der angesichts des Todes von David S. und dem Verhalten des Arztes Kurt P. davon schwärmt mit welchem großem Einsatz und Engagement dieser seit mehr als 20 Jahren vorbildlich hinter Gittern seinen Dienst tue.
Zwischenzeitlich prüft der Petitionsausschuss den Fall, insbesondere die Frage einer möglichen Suspendierung.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 18. Mai 2009)
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA-Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal