Irland vor den EU-Wahlen und dem zweiten Referendum über den Lissabon-Vertrag. Auszüge aus einer Diskussion mit Roger Cole und Frank Keoghan
Am 26. Mai waren Roger Cole, Gründer und Präsident der irischen Friedensinitiative PANA (Peace and Neutrality Alliance), sowie der irische Gewerkschafter und Vorstandsmitglied von People’s Movement, Frank Keoghan, in der jW-Ladengalerie in Berlin zu Gast. In einer Diskussion zum sogenannten EU-Reformvertrag und der in Irland für den Herbst vorgesehenen zweiten Abstimmung dazu stellten sie sich den Fragen des Bundestagsabgeordneten Alexander Ulrich (Die Linke) und des jW-Chefredakteurs Arnold Schölzel. Fabio De Masi – Kandidat der Linken zu den EU-Wahlen – übersetzte.
Die irische Bevölkerung mußte schon einmal über einen EU-Vertrag so lange abstimmen, bis ein Ja herauskam. 2001 wurde der Vertrag von Nizza in einem Referendum abgelehnt, 2002 gab es Zustimmung. Kann sich das beim Lissabon-Vertrag wiederholen – oder sind die Gründe für das irische Nein vom 12. Juni 2008 zu tief verankert?
Frank Keoghan: Es gab vergangenes Jahr deutliche Unterschiede zu 2001. Damals schien es, das irische Nein verhindere den Beitritt Rumäniens. Die Iren erinnern sich aber gut daran, wie es ist, arm zu sein. Solidarität ist für sie wichtig. Das war ausschlaggebend für das Ja. Ein weiteres Argument war, daß Irland bei einem Nein viel zu verlieren hatte – nämlich die EU-Strukturfördermittel. Die erhalten wir jetzt nicht mehr, das Argument entfällt also.
Roger Cole: Man muß zum Verständnis noch weiter in die Geschichte zurückgehen. PANA mobilisierte bereits 1996 gegen den EU-Vertrag von Amsterdam und erreichte 38 Prozent Nein-Stimmen, obwohl unsere Organisation sehr neu und entsprechend schwach war. Und es geschah vor dem Hintergrund, daß die EU in Irland traditionell sehr hohe Zustimmungswerte hatte – schon wegen der erwähnten Fördermittel. Beim Nizza-Vertrag gelang 2001 eine viel stärkere Mobilisierung. Dann passierte aber folgendes: Es kam heraus, daß ein Konservativer, der sich für das Nein an führender Stelle engagierte, auf einer Neonaziveranstaltung in Deutschland aufgetreten war. Die Regierung schlug uns das um die Ohren, und dies war mit ein Grund, warum wir die zweite Abstimmung verloren.
Nun wird in Europa das Märchen erzählt, der Multimillionär Declan Ganley, der sein Geld u.a. durch Geschäfte mit US-Sicherheitsbehörden gemacht hat, habe 2008 maßgeblich das irische Nein bewirkt. Es gab aber in Dublin jetzt eine Umfrage, d.h. unter 40 Prozent der irischen Bevölkerung, die ergab: Die Partei Ganleys zieht ungefähr ein Prozent der Stimmen auf sich, die Kampagne von PANA etwa 28 Prozent. Das belegt sehr klar, wie unseriös Behauptungen über die entscheidende Rolle Ganleys sind. Er hat übrigens verkündet: Sollte er bei den EU-Wahlen, zu denen er kandidiert, nicht gewählt werden, beteilige er sich nicht mehr an der Nein-Kampagne. Sollte das eintreten, wird uns das nach unserer Meinung nützen.
Frank Keoghan: Das Nein vom 12. Juni 2008 war ein klassenbasiertes Votum. 70 Prozent aller Arbeiter Irlands haben mit Nein gestimmt. Diese enorme Unterstützung kann nicht wegdiskutiert werden. Die Umfragen nach dem Referendum zeigten, daß die größte Sorge der Bevölkerung der Verlust der Rechte von Beschäftigten ist. Ich glaube, daß die Menschen sich dessen sehr bewußt sind, wie der Europäische Gerichtshof diese Rechte mißachtet. Eine Woche nach dem Referendum kam das sogenannte Luxemburg-Urteil des Gerichtshofes – das schlimmste Beispiel dieser Art. Es ist der bisher gravierendste Eingriff in das Recht der EU-Mitgliedsstaaten, den Schutz von Beschäftigten gesetzlich zu verankern. Das Urteil sieht z.B. vor, daß Unternehmen nicht mehr per Gesetz gezwungen werden können, einen Arbeitsvertrag mit Beschäftigten abzuschließen. Ich glaube, daß die verheerende Wirkung dieser Entscheidung völlig unterschätzt wird. Es wird uns aber in der Nein-Kampagne sehr helfen, weil sich viele noch gut daran erinnern können.
Wie wirkt sich die Weltwirtschaftskrise in Irland aus? Welche Konsequenzen wird sie für die EU-Wahlen und das geplante zweite Referendum zum Lissabon-Vertrag haben?
Roger Cole: Die Auswirkungen der Krise auf die irische Bevölkerung sind im Vergleich mit anderen Ländern katastrophal. Der durchschnittliche Einkommensverlust der Erwerbstätigen beträgt 25 Prozent, wer arbeitslos wurde, hat bis zu 80 Prozent verloren. Derzeit sind etwa 500000 Menschen ohne Job, das bedeutet eine Arbeitslosenquote von 16 Prozent. Wenn die Kampagne startet, werden die Menschen nach meiner Meinung daran denken, daß diejenigen Politiker, die sich für das Ja einsetzen, dieselben sind, welche die politischen Voraussetzungen für das wirtschaftliche Desaster geschaffen haben. Es sind diejenigen, die sich an den Kriegen der USA und der NATO beteiligt haben. Daran ändert auch die gegenwärtige Angstkampagne der Regierung nichts. Sie behauptet, wenn die Mehrheit mit Nein stimme, verlören die meisten Iren nicht 80 oder 90 Prozent ihres Einkommens, sondern 100 Prozent und könnten ihre Kinder zur Sklavenarbeit schicken. Das wird nach meiner Auffassung nicht verfangen. Sollte auch noch Ganley verschwinden, sind wir sehr optimistisch.
Frank Keoghan: Als Irland der Euro-Zone beitrat, wurden viele öffentliche Dienste, z.B. im Gesundheitswesen, stark beschnitten, um den Kriterien des EU-Vertrages von Maastricht – nicht mehr als drei Prozent Staatsverschuldung pro Jahr, Verschuldungsgrenze bei maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – zu genügen. Zum Zeitpunkt unseres Beitritts zum Euro war ein Land wie die Bundesrepublik nach dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase Anfang dieses Jahrzehnts auf sehr niedrige Zinssätze angewiesen, um z.B. die Autoindustrie anzukurbeln. Irland war aber an einem völlig anderen Punkt des Wirtschaftszyklus. Die niedrigen Zinssätze der Europäischen Zentralbank führten bei uns zu einer Aufblähung des Immobiliensektors. Die Löhne stiegen, die Preise stiegen, aber die Zinsen waren niedrig, so daß sehr viele Kredite für den Hausbau aufgenommen wurden. Um so größer sind die Probleme jetzt. 60 Prozent unseres Handels wickeln wir mit Großbritannien und den USA ab. Das britische Pfund und der US-Dollar haben aber jeweils um 30 Prozent gegenüber dem Euro abgewertet, was irische Exportgüter entsprechend verteuert. Nun hat zwar der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärt, Deutschland wolle Irland helfen. Er fügte aber hinzu, Irland müsse »demütig« sein. An solche »Hilfsangebote« wird beim zweiten Referendum erinnert werden.
Unser entscheidendes Argument gegen den Lissabon-Vertrag ist, daß er hemmungs- und grenzenlose Märkte im Sinne des Neoliberalismus festschreiben soll. Das aber ist ein total gescheitertes System. Es soll nun in den Rang einer Verfassung erhoben werden, was wohl auch international als ungewöhnlich bezeichnet werden kann. Hinzu kommen die realen Machtverhältnisse: Länder wie Frankreich oder Deutschland verfügen über das hundertfache an Investitionskapital im Vergleich zu Irland. Das jetzige EU-System ist ein Depressionsprogramm für unser Land.
Was sagen Sie zum Argument Ihrer Regierung, Irland ginge es wie Island, wenn es nicht der Euro-Zone angehörte?
Frank Keoghan: Es gibt keine Parallele zwischen Irland und Island. Island war ein einziger Hedgefonds – elfmal so groß wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Irland hat das Problem fauler Kredite wie Großbritannien oder die USA. Aber niemand verlangt in Irland, die Euro-Währung aufzugeben. Wir haben da die Wahl zwischen Pest und Cholera: Innerhalb des Eurosystems gibt es keine Mechanismen, um Länder wie Deutschland, die viel exportieren und relativ niedrige Löhne haben, zu einer anderen Einkommenspolitik zu bewegen. Ein Austritt führt aber sofort dazu, daß gegen die dann wieder nationale irische Währung spekuliert wird – mit verheerenden sozialen Folgen. Für die jetzt anstehenden Abstimmungen spielt das aber eine untergeordnete Rolle. Bei uns geht es darum, daß unsere neoliberalen Eliten noch an der Regierung sind. Die sollen weg.
Gegen Sie wird der Vorwurf erhoben, daß Sie antieuropäisch seien. Haben Sie ein positives EU-Konzept?
Frank Keoghan: Wir sind der Auffassung: Nizza ist genug, d.h. wir wollen kein weiteres Abkommen, das zu einem föderalen EU-Staat führt. Die Nein-Kampagne richtet sich nicht gegen die EU, sondern gegen diesen Vertrag.
Roger Cole: Die PANA konzentrierte sich von Anfang an auf den Kampf gegen die Militarisierung der EU, die engen Beziehungen zwischen NATO und EU und die immer stärkere Verwicklung der EU in Kriege. Zum Vorwurf, wir seien Antieuropäer, möchte ich nur sagen: Als wir 2003 gegen die irische Beteiligung am Irak-Krieg kämpften, wurden wir als Antiamerikaner bezeichnet. Das ist durchsichtig.
Unser Ziel ist: Wir fordern in allen EU-Verträgen eine Neutralitätsklausel für Irland. Uns geht es aber insgesamt darum, deutlich zu machen, daß der Kampf um das Nein in Irland nicht eine irische Angelegenheit ist, sondern eine europäische, ein Kampf für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Frieden, der zufällig in Irland ausgetragen wird. Wir bitten daher um Unterstützung auch aus der Bundesrepublik.
aus: Junge Welt, 05.06.2009 / Schwerpunkt / Seite 3