129-b-Prozeß gegen mutmaßliche DHKP-C-Mitglieder kaum beachtet. Angeklagte brauchen Solidarität. Ein Gespräch mit Dr. Heinz-Jürgen Schneider
Interview: Markus Bernhardt
* Dr. Heinz-Jürgen Schneider ist Rechtsanwalt in Hamburg. Als Strafverteidiger in politischen Prozessen vertrat er u. a. zahlreiche Kurden sowie seit 1982 Ex-RAF-Mitglied Christian Klar. Zur Zeit vertritt er u. a. Mustafa Atalay im Stammheimer 129-b-Prozeß; www.tribunal-online.de
Sie vertreten Mustafa Atalay, gegen den derzeit vor dem Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim ein 129-b-Prozeß (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) geführt wird. Atalay und vier weitere Männer werden beschuldigt, Mitglieder der türkischen Revolutionären Volksbefreiungspartei – Front (DHKP-C) zu sein. Wie beurteilen Sie den bisherigen Verlauf?
Der Prozeß dauert sehr lange. Anfang Juli hatten wir schon mehr als 100 Verhandlungstage hinter uns. Gefühlt weit über die Hälfte aller Zeugen kamen aus dem Polizeiapparat und von Geheimdiensten. Viele haben stundenlang »Vermerke« referiert. Das ist keine Beweisaufnahme.
Die Untersuchungshaft dauert für die fünf Angeklagten seit November 2006 an. Sie wird mit Isolation und Sonderbedingungen durchgeführt. Alle Anträge auf Entlassung blieben ohne Erfolg. Es gibt bei zweien ernste Erkrankungen, die nach Meinung der Verteidigung die Haft- und Verhandlungsfähigkeit aufheben.
Grundsätzlich problematisch und nicht hinnehmbar ist die Verwertung von sogenannten Beweisen aus der Türkei. Sie sind wegen der anhaltenden Folterpraxis dort generell unverwertbar. Es gibt aber ordnerweise Material aus der Türkei, und der Chef-Antiterrorbekämpfer aus Istanbul wurde kurzzeitig als Zeuge gehört – bis die Verteidigung nachweisen konnte, daß gegen ihn zwei Anklagen wegen Folter im Dienst erhoben worden sind.
Mustafa Atalay ist trotz schwerer Herzerkrankung weiterhin inhaftiert. Mit welcher Begründung?
Mein Mandant wurde aus einer Rehaklinik heraus von Mitarbeitern des Bundeskriminalamts verhaftet. Während der Haft erfolgte ein erneuter medizinischer Eingriff, weil zwei Bypässe zum Herzen wieder verstopft waren. Heute bekommt er täglich acht bis zehn Medikamente verabreicht. All das ist gerichtsbekannt. In den Beschlüssen zur Haftfortdauer, zuletzt im April und Mai, wird eine Entlassung aber abgelehnt. Es bestehe weiter Tatverdacht und Fluchtgefahr. Auch einer Entlassung mit diversen Auflagen hat das Gericht nicht zugestimmt.
Warum ist der Prozeß in den Medien nicht ähnlich präsent wie der Fall der »Kofferbomber« oder der »Sauerlandgruppe«?
Darauf wüßte ich auch gerne eine Antwort. Eigentlich ist es doch so: Für die »Stuttgart 5« könnte es eine linke Solidaritätsarbeit geben. Es ist ein »Pilotprozeß«, in dem auch für andere Gruppen in der BRD und die deutsche Solidaritätsarbeit Wichtiges entschieden wird. Und bewaffnete Organisationen gibt es ja nicht nur in der Türkei. Aber die Arbeit zum Prozeß ist sehr begrenzt. Auch die liberale Journaille hätte genug Ansatzpunkte für Berichte: Ein geistig verwirrter und in Deutschland verurteilter Agent des türkischen Geheimdienstes als Kronzeuge, Folterdokumente als Beweismittel, physisch und psychisch Kranke auf der Anklagebank – Stammheim reloaded in schlimmster Form. Aber nichts passiert, obwohl Redaktionen angesprochen worden sind.
Werden die Paragraphen 129a und b des Strafgesetzbuchs unterschätzt?
Den Paragraphen 129a gibt es ja schon seit Jahrzehnten. Der politische Selbsterhaltungstrieb verbietet es, diese Praxis zu unterschätzen. Und das passiert auch nicht. Die Staatsschutzaktionen gegen die sogenannten militante Gruppe, »mg«, und Demonstranten gegen den G-8-Gipfel waren von medialen Berichten begleitet, es gab Solidarität und Proteste. Es ist bekannt, daß der Paragraph 129a ein Ausforschungsparagraph ist. Denn in 90 Prozent werden die Ermittlungen ohne Gerichtsverfahren eingestellt. Und es gibt bei Betroffenen, Gruppen und »Szenen« ein Bewußtsein für eine Bedrohung und – mehr oder weniger gut – auch daraus folgende Verhaltensweisen.
Der 129b besteht seit August 2002. Ich schätze, es gab seitdem knapp 200 Ermittlungsverfahren und wenige Prozesse – fast alle gegen Islamisten. Über das Schlagwort hinaus besteht wenig Kenntnis über eine Gefährdung für linke Strukturen durch diese Vorschrift.
Dabei zeigt der Stammheimer Prozeß, daß es um die Kriminalisierung legaler Tätigkeiten geht. Den dortigen Angeklagten wird die Gründung von Vereinen vorgeworfen, Demoteilnahmen, Organisierung von Schulungen, Geldsammlungen oder das Abhalten von Kulturveranstaltungen. Alles mit der Konstruktion, hier werde die »europäische Rückfront« für die »Terrorkommandos in der Türkei« tätig.
Auch das Verfahren gegen die Journalistin Heike Schrader und ihre Verurteilung quasi als »Presseprecherin der DHKP-C in Europa« zeigt, inwieweit Solidaritätsarbeit in Deutschland ins Visier des Staatsschutzes geraten kann.
Sie haben auch das ehemalige Mitglied der »Rote-Armee-Fraktion« Christian Klar vertreten. Welche Bilanz ziehen Sie nach den massiven Medienkampagnen gegen Ihren Mandanten?
Das Wichtigste bleibt ja, daß er seit letztem Dezember draußen ist. Und auch die Paparazzi-Hetzjagd nach dem ersten Foto ist vorbei. Ansonsten bleibt die Erinnerung an die ersten Monate 2007, vom Grußwort für die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt bis zur Ablehnung des Gnadengesuchs. Eine solche mediale und politische Jauche ist über keine andere Person in den letzten Jahren vergossen worden.
Verfolgt man den Stammheimer Prozeß und die Stimmungsmache gegen Christian Klar, fühlt man sich zeitweise an die Kampagnen gegen Linke in den 1970er Jahren erinnert. Rüstet der Staat wieder auf?
Wann hätte er das letzte Mal abgerüstet? Der Unterschied der Siebziger zu heute ist: Damals gab es mehr plumpe »Kopf-Ab-Hetze«, Computer des BKA waren groß wie Kühlschränke und kein Staatsschützer hätte etwas mit dem Begriff GPS-Ortung verbunden. Heute ist die öffentliche Kampagne differenzierter – was sich bei Bedarf ändern läßt, aber der Bundestrojaner kommt in den PC und GPS-Ortung ist ein normales Fahndungsmittel.
Aus: antirepression, Beilage der jW vom 08.07.2009