Ein deutscher Polizist – Kurras und der 2. Juni ’67

„ Die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet“ (Michael Stürmer, Springer-Kolumnist und nationalkonservativer Historiker).

Gleichzeitig zu den iniziierten Jubelarien zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland wurde ein geschichtliches Monstrum aus dem Hut gezaubert, das seine Spur nach der üblichen Skandalisierung a’la BILD durch die Feuilletons fast aller Printmedien zog. Karl Heinz Kurras, nie verurteilter Mörder Benno Ohnesorgs, wurde durch die Recherche eines Trupps der ZDF-Nachrichtenredaktion, pünktlich zu den Identifikationstiftungsfeierlichkeiten zur Staatsgründung, als Stasi-Spitzel und Mitglied der SED enttarnt. Das wühlen in den STASI-Aktenbergen der Birthlerbehörde hatte einen Erfolg gebracht. Die Möglichkeit, die Verantwortung für ein Verbrechen loszuwerden, was als Schatten, scheinbar untilgbar, auf der sonst so glorreich hochgehaltenen Geschichte der BRD lag. Ein Verbrechen, dass dem deutschen Staat beinahe eine ganze Generation gekostet hätte. Eine Generation, die teilweise erst Jahre später, durch Zuckerbrot und Peitsche, wieder eingefangen werden konnte. Zumindest größtenteils.

Schon aus den ersten Reaktionen wurde klar, zu welchem Zweck die neuen Erkenntnisse benutzt werden sollten. Aus dem Berliner Polizisten, der über Jahrzehnte gerade von den konservativen und sozialdemokratischen Parteigängern in Staat und Justiz gedeckt wurde, wurde in den Augen desselben Klientels ein Stasi-Mörder, der jetzt endlich abgeurteilt werden sollte. Offensichtlich stand für sie nie die Tat zur Beurteilung, sondern die politische Verortung des Schützen. Die haltlosen Spekulationen aus allen Lagern in Richtung Auftragsmord der Stasi wurden durch ständige Wiederholung zum gängigen Erklärungsmuster. Eine öffentlich (-rechtlich) anerkannte Wahrheitsvermutung, sozusagen.

Um hinter dieses Spiel schauen zu können, sollten wir zurückschauen:
WAS GESCHAH EIGENTLICH AM 2. JUNI?

Ein ausländischer Diktator, der in den Medien und der Klatschpresse wohlgelitten war und beste wirtschaftliche Beziehungen zur BRD unterhielt, besuchte Berlin. Im Zuge der schon längst fortgeschrittenen Politisierung der Studierenden und einer sich gerade entwickelnden Subkultur gab es, gerade in Berlin, eine starke Mobilisierung gegen diesen Diktator, dem Schah von Persien. Studierende PerserInnen an deutschen Universitäten vermittelten ihren deutschen KommilitonInnen die Realität unter der iranischen Diktatur.

Die Proteste gegen den Schahbesuch wurden aber brutal niedergeschlagen. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte, arbeiteten deutsche Polizisten bei der Demonstrationsbekämpfung mit den Schlägertrupps eines ausländischen Geheimdienstes (des iranischen SAVAK) zusammen. Die Iraner, später als Jubelperser bezeichnet, waren für das Grobe zuständig: das blindwütige Draufhauen mit Holzlatten, Schlagstöcken und Stahlrohren. Bundesdeutsche Beamte in Zivil, unter ihnen auch K-H. Kurras von der Abteilung 1 für Staatsschutz (BRD) bildeten kleine Einheiten, die einzelne DemonstrantInnen gezielt herausgriffen und nicht weniger brutal zusammenschlugen. Später bei der Auflösung der großen Demonstration am Abend, prügelten die Polizei und die Kollegen der SAVAK ebenfalls gemeinsam. Bei dieser, später als Fuchsjagd bezeichneten Polizeiaktion, während der die Demonstranten gejagt und durch das Abschneiden von Fluchtwegen in die Enge getrieben wurden, fielen zwei Schüsse. Einer davon traf Benno Ohnesorg von hinten und tödlich.

DER FREIBRIEF

„Ihre Vorgesetzten werden sich auch dann für sie einsetzen, wenn sich bei der nachträglichen taktischen und rechtlichen Prüfung Fehler herausstellen sollten.“ (Innensenator Wolfgang Büsch vor dem Einsatz am 2.Juni an Polizeipräsident Duensing)

Auch in der Nachschau der Ereignisse an diesem Tag…
Angefangen davon, dass schon im Vorfeld Freibriefe für die beteiligten Polizisten verteilt wurden, gefolgt von der menschenverachtenden Polizeitaktik, bis zur Verschleierung dieser Tat, ist es nicht möglich, die Schüsse des K.-H. Kurras als Tat eines Einzelnen zu begreifen. Die Jagd auf Demonstrierende, die später in zwei Schüssen kulminierten, war Folge der deutschen Außen- und Innenpolitk, sowie der „Bild“-Zeitungshetze gegen die StudentInnenbewegung und der dadurch ausgelösten Hemmungslosigkeit bei ihrer Bekämpfung.

Was die Studierenden und den sich bildenden Underground am meisten aufbrachte, war nicht die Tatsache, dass Schüsse fielen. Sondern die Gründlichkeit, mit der die Umstände der Tat verschleiert wurden. In drei Prozessen gelang es wegen verschwundener Beweismittel, manipulierter Zeugenaussagen und der Staatsraison des Justizpersonals nicht, Kurras auch nur wegen „fahrlässiger Tötung“ zur Rechenschaft zu ziehen. Die politisch Verantwortlichen entledigten sich ihrer Verantwortung durch Rücktritte, auf die keine Anklagen folgten. In sämtlichen Erklärungen der linken Gruppen und Organisationen, von SDS, der RAF oder der Bewegung 2.Juni, standen die Verschleierung der Tat und die Verantwortlichkeit der Politik im Vordergrund.

Jetzt auf der Grundlage einer STASI-Mitarbeit von Kurras ein neues Verfahren zu eröffnen und ein neues Exempel am „Unrechtsstaat DDR“ durchzuführen, entspricht zwar der (in erster Linie auf einem ideologisch determinierten Rechtsverständnis aufgebauten) Logik der BRD-Verantwortlichen, könnte für diejenigen, die dies anstreben, aber auch nach hinten losgehen. Ohne Polizeistaatsbesuch keine Todesschüsse auf Benno Ohnesorg. Egal ob Kurras auf einer oder zwei Gehaltslisten stand.

Zum Verhältnis zur DDR (und damit auch zur SU) ist zu sagen, dass beide keine große Rolle in den Diskussionen der Neuen Linken spielte. Antikoloniale Kämpfe, die sich unabhängig vom sowjetischen Kommunismuskonzept entwickelten, waren die Bezugspunkte der ’68er. Es wurden Bilder von Che Guevara und Ho Tchi Minh vor sich hergetragen. Damals wurde die SU von den meisten als sozialimperialistisches Gebilde, bzw. als revisionistisch gebrandmarkt. In den späteren KP-Karikaturen der 70er waren es Kommunismusmodelle von Albanien bis zu den maoistischen Ablegern, die die größte Rolle spielten. Die DKP war schon damals eher etwas für linke Spießer und OpportunistInnen.

DAS FEUILLETON

Schon längst in der BRD integrierte Alt-68’er wie Wolfgang Kraushaar (Hamburger Institut für Sozialforschung), Gerd Koenen (Publizist) und Peter Schneider (Schriftsteller) standen bei dem Versuch, den damaligen Aufbruch im nachhinein zu de-legitimieren mal wieder in vorderster Front. Schnell zog z.B. Kraushaar mit der These nach, dass auch der Mordversuch an Rudi Dutschke von der Stasi in Auftrag gegeben sein könnte. Allein, die aus dem politischen Gesamtbild nachvollziehbare Erwägung Rudi Dutschkes, die Stasi bzw. der KGB könnte ebenfalls Interesse an seinem Tod haben, schafft nichts von dem aus der Welt, was auf Rudi Dutschke von Seiten der Springerpresse und der offiziellen Politik herniederprasselte. Es zeigt dagegen, wie schutzlos er sich im sog. freien Teil Berlins fühlen musste und dass die SU, aus der Sicht Dutschkes und des SDS, kein Interesse an der Stärkung einer antiautoritär und demokratisch ausgerichteten Bewegung hatte. Im Gegenteil. Weshalb sollte die Stasi dann den Mord an einem Studenten in Auftrag geben.

UNSERE TOTEN

Benno Ohnesorg war nicht der erste Demonstrant in der BRD, der erschossen wurde. Philipp Müller wurde vor 57 Jahren, am 11.Mai. 1952 bei einer Friedenskarawane in Essen durch Schüsse in den Rücken ermordet. An diesem Tag hatten sich Zehntausende aus der ganzen BRD in Essen versammelt um gegen die Wiederbewaffnung zu demonstrieren. Benno Ohnesorg war auch nicht der letzte. Olaf Ritzmann (1980), Klaus Rattay (1981), Günter Sare (1985) und Conny Wissmann (1989)…. sind nur einige der Opfer polizeilichen Handelns. Andere starben unter ungeklärten Umständen in den Knästen oder bei der Flucht.

Auch international gibt es genug Beispiele für Morde durch Polizeibeamte. Im Sommer 2001 wurde Carlo Giuliani während der G8-Proteste in Genua von Polizisten erschossen. Auch hier, wie in fast allen Fällen von Polizistenmorden, wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Weder die Polizisten selbst, noch die Verantwortlichen für die Polizeieinsätze. Die Regierung und die meisten Medien rechtfertigten die Erschießung Carlo Giulianis. Letztes Jahr wurde der 15jährige Alexis Grigoropoulos in Athen durch eine Polizeikugel ermordet. Auch der Umgang mit dieser Tat war ähnlich. Die Liste unserer Toten ist lang.

Was Benno Ohnesorg, Carlo Giuliani und die vielen anderen Toten eint, ist der Versuch des Staates durch die offensichtliche Inkaufnahme von Toten, radikalen Widerstand einzuschüchtern und möglichst zu zerschlagen. Repression in dieser Form gehört zur Klaviatur globaler Herrschaftssicherung. Und das damals wie heute.

ALLE AKTEN ÖFFNEN

Um polizeiliche und geheimdienstliche Vorgehensweisen und ihre Auswirkungen auf die Geschichte wirklich zu verstehen, müssen alle Aktenschränke geöffnet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Nicht nur der Osten hatte einen riesigen Staatsschutz- und Geheimdienstapparat, der versuchte, Einfluss auf die jeweilige Opposition zu nehmen, bzw. diese zu zerschlagen. Über die Einflussnahmen der CIA und des FBI auf die Geschichte innerhalb und außerhalb der USA kann mensch mittlerweile einiges (aber auch nicht alles) lesen. In der BRD gibt es seit Jahrzehnten Berichte über V-Leute, die über den alltäglichen Verrat hinaus versuchten, politische Prozesse zu manipulieren. Erst letztens ist durch einen Betriebsunfall, während des Berliner „mg“-Prozesses, so etwas ans Tageslicht gelangt.

Aber auch in der Vergangenheit gab es genug Beweise für Geheimdiensttätigkeiten, die sich im rechtsfreien Raum abspielten. Das Celler Loch ist nur ein Beispiel. Immer noch kann niemand, außer die direkt betroffene ehemalige Gefangene Irmgard Möller mit Sicherheit sagen, was am 18. Oktober 1977 im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart-Stammheim geschah. Was im Moment geboten wird, ist die Geschichtsschreibung der Siegermächte des kalten Kriegs. Doch dieser wird erst dann überwunden sein, wenn alles auf dem Tisch liegt. Das Wissen auch die Mächtigen. Sie sind es, die Angst vor der Wahrheit haben müssen.

Carsten Ondreka

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