Interview mit Werner Braeuner

Am 7. Juli wurde ein telefonisches Live-Interview im Webradio von Radio Flora aus Hannover mit dem Gefangenen Werner Braeuner geführt, der aus der Arbeitslosenbewegung kommt und seit Februar 2001 inhaftiert ist.
Frage (?) : Erst mal, Guten Abend. Hörst Du mich gut?
Werner Braeuner (W. B.): Ja, ich hör´ Dich gut! Hallo!
?: Du bist seit 8 Jahren inhaftiert. Du bist damals verhaftet worden, weil Du einen Arbeitsamtsdirektor niedergestochen hast. Kannst Du mal schildern, was da genau passiert ist? W. B.: Gut, das war 2001 im Februar: Es gab eine Auseinandersetzung und im Rahmen dieser Auseinandersetzung habe ich mich dazu durchgerungen, diese Tat zu begehen und zwar, weil ich mich nicht in diesem Krieg, der von den Arbeits- und Sozialbehörden gegen Arbeitslose und sozial Schwache geführt wird, völlig zerstören lassen wollte. Und ich glaube, das Wesentliche an dieser Tat war eben, dass sie deutlich macht, dass es diesen Krieg gibt.
?: Kannst Du mal erläutern, was Du unter Krieg verstehst? Ich meine, um es mal anders zu sagen, ich hatte das so verstanden: Du hattest eine Weiterbildung gemacht, und dieser Arbeitsamtsdirektor oder das Arbeitsamt in Verden hat ohne Grund Deine Leistung für drei Monate gekürzt. Stimmt das so?
W. B.: Ja gut, das wär´ jetzt viel zu kompliziert, das im Einzelnen zu erläutern. Aber das ist eine der typischen Situationen, dass Sperren gegeben werden und zwar so, dass also die Rechtsgrundlage dafür gar nicht besteht.
?: Okay, ich meine: Mensch muss es schon ein bisschen erklären. Weil, Du hast das als Krieg bezeichnet. Deine Situation war: Du hattest eine Weiterbildung, Du hattest dich geweigert, Du hattest geäußert, das ist nichts für Dich, und aufgrund dessen hat das Arbeitsamt ohne zu prüfen, mit anderen Worten, sie haben auch gegen ihre eigenen Gesetze damit verstoßen, haben sie Dir sozusagen alle Leistungen gekürzt.
W. B.: Das ist eigentlich ein Punkt, den finde ich viel zu unwichtig, um da jetzt im Einzelnen drauf einzugehen, weil das ist allgemein bekannt, dass Weiterbildungen, Trainingsmaßnahmen und jetzt seit 2005 auch 1 € Jobs hauptsächlich dazu dienen, Arbeitslose zu disziplinieren und zu demoralisieren. Die müssen stundenlang herumsitzen, untätig, das Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Und das ist eigentlich der wesentliche Kern der Auseinandersetzung, in der ich mich da auch befunden habe. Ich bin in dieser Weiterbildung krank geworden, ich konnte das nicht mehr ertragen dort herumzusitzen und das war der Punkt, da ging es mir so wie vielleicht Millionen Anderen! Und welche Details da im Einzelnen vorliegen, das ist in jedem Fall irgendwie verschieden, aber letzten Endes uninteressant, denke ich mal. Weiterhin ist dazu zu sagen , dass dieser Bereich der Weiterbildung ein Bereich ist, in dem Milliarden € jährlich umgesetzt werden. Im Jahr 2001 waren es 20 Milliarden und jetzt sind es nur noch 10 Milliarden €, die an die Träger von solchen Maßnahmen gegeben werden, damit die solche Maßnahmen durchführen können. Das ist ein Riesengeschäft, denn davon leben eine Menge Leute sehr gut von und da liegt eben die Konfliktlinie, da ist sozusagen die Frontlinie in diesem Krieg, der von den Arbeits- und Sozialbehörden gegen Arbeitslose und sozial Schwache und prekär beschäftigte Menschen geführt wird. Um die so zu demoralisieren, dass sie bereit sind, sich unter Bedingungen zu stellen, die sie sonst niemals hätten akzeptieren mögen. Sei es von den Arbeitsbedingungen , von den Löhnen her und so weiter und so fort. Ich wundere mich nur immer wieder, dass das kaum je zur Sprache kommt und in meiner Tat ist das ganz wesentlich auch der Konfliktpunkt gewesen. Ich habe auch deutlich gemerkt, dass Staat und Justiz unglaublich viel Angst davor haben, dass diese Dinge zur Sprache kommen. Ich bin massiv unter Druck gesetzt worden. Und zwar wurde mir zur Wahl gestellt, entweder zu sagen, es handele sich um eine individuelle Tragödie, die mich zu dieser Tat veranlasst habe, dann würde man mich noch einigermaßen anständig behandeln, und mir eine normale Haftstrafe geben. Wenn ich aber darauf bestehen würde, diese Tat als politische Tat zu betrachten, dann droht mir der Wachsaal in der Psychiatrie, das heißt, das ist die härteste Sanktion, die dieser Staat überhaupt vergeben kann. Heißt Zwangsmedikation, heißt völlige Isolation, da kann die Telekommunikation, also Post, Besuche, Telefonieren, völlig unterbunden werden und das ist praktisch die härteste Sanktion, die es überhaupt gibt. Nur unter diesem Druck bin ich dann bereit gewesen, von dieser politischen Seite meiner Tat abzurücken.
?: Ich kann das bestätigen .Bei der Sendungsvorbereitung hatte ich einen alten Artikel aus der Jungle World gelesen, der das ganz gut beschrieben hat, wie sozusagen die politische Dimension total aus dem Verfahren herausgenommen worden ist. Die (radikale) Linke hat sich ja da auch nicht zu Dir sehr solidarisch verhalten. Die Arbeitslosenbewegung hat sich ja mehr oder minder von Deiner Aktion distanziert. Trifft das so zu?
W. B.: Ich meine, der Staat hat eine enorme Angst davor, dass sich noch einmal so eine gewalttätige Widerstandsbewegung entwickelt wie in den sechziger und siebziger Jahren. Zum Beispiel die Roten Armee Fraktion und den anderen kämpfenden Gruppen. Da weiß jeder und jede, in einem solchen Moment geht es um alles, dann wird der Staat ohne Rücksicht zuschlagen, und davor haben alle Angst, und deshalb distanzieren sie sich. Das ist selbstverständlich. Nur heißt das ja nicht, dass diese Distanzierung auch tatsächlich ernst gemeint war. Das war, denke ich, eine Distanzierung aus Angst.
?: Du meinst die Arbeitslosenbewegung?
W. B.: Ja, sicher. Die sind sowieso von Angst geschüttelt. Also diejenigen, die sich dort als Vertreter und als Sprecher der Arbeitslosen gebärden, sind ja letzten Endes doch Leute, die noch relativ privilegiert sind, und die sprechen nicht für die tatsächlichen Arbeitslosen. Mensch hört von Seiten der Arbeitslosenbewegung auch keine Kritik an dieser mafiaartigen Struktur aus Arbeitsagenturen und Sozialbehörden auf der einen Seite und diesen Weiterbildungsträgern auf der anderen Seite. Die da ihre Milliarden jedes Jahr umsetzen und sich bereichern auf Kosten der Arbeitslosen und die Drecksarbeit für die Herrschenden machen, indem sie die Arbeitslosen da schurigeln und demoralisieren. Und diese Kritik kommt von der Seite überhaupt nicht.
?: Das ist richtig und die Gewerkschaft partizipiert ebenso, hattest Du auch mal in einem längeren Papier geschrieben.
Ich will jetzt auf deine Haftsituation eingehen: Du bist im Februar 2001 verhaftet worden, inzwischen warst Du in vier Gefängnissen Niedersachsens, soweit ich das weiß. Nämlich in Verden, Oldenburg, Meppen und jetzt bist Du in der JVA Sehnde.
Was ist das für ein Knast?
Ist das jetzt ein Hochsicherheitstrakt und wie sind Deine Bedingungen?
W. B.: Jetzt bin ich in einer normalen Strafhaftstation eines Hochsicherheitsgefängnisses. Um das vom Ablauf kurz darzustellen, war ich zuerst 18 Monate in der U-Haft in Verden und dort war ich unter Bedingungen, die direkt als Folter zu bezeichnen sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten Menschen zu foltern, ich meine jetzt nicht die so genannte weiße Folter, das was mir geschehen ist, ging weit über weiße Folter hinaus. Ich war einem Haftraum von 7 ½ Quadratmetern, offene Toilette, 23 Stunden Einschluss und mit einem zweiten Gefangener mußte ich mir die Zelle die ganze Zeit teilen. Das alleine ist schon schlimm genug, wenn es aber dann noch Gefangene sind, die schwerst persönlichkeitsgestört sind und regelrecht permanent Terror ausüben, indem sie unsinniges Zeug reden, sehr laute Musik hören und permanent völlig chaotisch agieren, dann begreife ich das als Folter. Ich denke, da wurden auch ganz bewusst Gefangene ausgewählt. Ich habe es auch von meinen Mitgefangenen gehört, die haben mich gefragt: „Wie hältst Du es überhaupt mit diesem Arschloch da auf der Zelle so lange aus?“ Es sollte verhinder werden, dass ich meine widerständige Haltung durchsetze, mit dem Ziel, mich weich zu klopfen. Das waren die ersten 9 Monate meiner Haft. Nach 6 Monaten begann die Verhandlung und ich war völlig apathisch gewesen. Kurzum völlig am Ende. Der Staat zeigt, welche große Angst er vor Widerstand hat, wenn er zu solchen Maßnahmen greift.
Das dauerte bis 2002, danach bin ich von von der U-Haft aus in die JVA Meppen verlegt worden. Das ist eine Strafhaftanstalt mit niedriger Sicherheitsstufe und insgesamt war ich da 2 ½ Jahre. Von dort bin ich in die Hochsicherheitsanstalt Oldenburg verschubt worden, mit der Begründung im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2001 sei ich als „Linksextremist“ aufgeführt. Ich war in Oldenburg im Jahre 2005, in dem Jahr, in dem auch die 1 € Jobs eingeführt worden sind. In Oldenburg gab es einen eklatanten Bruch des Strafvollzugsgesetzes, weil die sie dort durchgängig Post kontrolliert, also die Post mitgelesen, Telefonate mitgehört haben, was laut Strafvollzugsgesetz gar nicht zulässig ist in dieser Form. Es war praktisch eine Sonderstrafanstalt, ein kleines Guantánamo für Gefangene, die besonders unbeliebt ist. Ich habe es geschafft nach 1 ½ Jahren aus Oldenburg wegzukommen, durch eine Kampfmaßnahme meinerseits, und bin seit September 2006 in der JVA hier in Sehnde, hatte hier auch teilweise enorme Schwierigkeiten, war lange Zeit in der Isolation, habe mich selbst eingeschlossen und hab aber jetzt seit einem Jahr eine relativ gute Situation.
?: Du hast das eben als Kampfmaßnahme bezeichnet, wie Du von Oldenburg nach Sehnde gekommen bist. Kannst Du schildern, wie du das durchgesetzt hast?
W.B.: Ich hab mich geweigert, meinen Haftraum zu verlassen und es auch der Anstalt anheim gestellt, ob sie mir Essen bringen will oder nicht, weil normalerweise muss man sein Essen selbst abholen gehen. Dazu habe ich gesagt, das könnt Ihr mir bringen oder nicht, wenn Ihr es mir nicht bringt, dann ist es eben zusätzlich Hungerstreik. Dann haben die eine Regelung gefunden, dass mir das Essen gebracht werden konnte an den Haftraum. Das habe ich so mehrere Wochen, ich glaube sieben, acht Wochen durchgehalten und danach waren die endlich bereit, weil ich das ja mit der Forderung verbunden hatte, in eine andere Haftanstalt verlegt zu werden, nämlich nach Sehnde. Daraufhin ist es dann also zu dieser Verlegung gekommen.
?: Wie sind deine Bedingungen in der JVA Sehnde? Wie groß ist der Knast?
W.B.: Es sind dort ungefähr 400 Gefangene in den einzelnen Hafthäusern. Es ist eine sehr moderne Anstalt, die erst vor kurzem in Betrieb gegangen ist und hier wird ein Kleingruppenvollzug praktiziert. Das heißt, es gibt immer einzelne, völlig abgeschottete Stationen mit 20 Gefangenen. Und die anderen Inhaftierten auf den anderen Stationen sieht man nur gelegenlich und begrenzt beim Sport. Auf einzelnen Haftstationen werden Einige zusammengefasst, die machen gemeinsam Sport und Hofgang. Es gibt hier drei verschiedene Höfe, so dass die Gefangenen zusätzlich von einander getrennt werden können. Und so herrscht hier doch eine große Isolation, die Eingesperrten wissen nicht, was in anderen Häusern los ist, die können sich nicht koordinieren, die können sich nicht gemeinsam irgendwie widerständig verabreden.
?: Arbeitest Du?
W.B.: Ja, das ist sehr wichtig in Haft arbeiten zu können, weil sonst die Haftbedingungen extrem schlecht werden. Und zwar in der Form, dass dann nachmittags Einschluss ist, dann hat man, wenn man nicht arbeitet, nur vormittags zwei Stunden die Tür auf und kann dann also duschen gehen, kann sich in der Küche was machen und danach den ganzen Tag bis zum nächsten Morgen wieder die Tür zu. Und mensch hat kein Geld, um die Kabelgebühren fürs Fernsehgerät und so weiter zu bezahlen, auch zusätzlich was einkaufen, ist nicht möglich, weil die Haftverpflegung ist hier nicht so ausreichend, dass man davon alleine sich gesund ernähren könnte und dann treten Mangelerscheinungen auf. Um das zu vermeiden, ist es nur durch das erarbeitete Geld möglich, durch Zusatzeinkäufe beim Kaufmann in der Anstalt, sich irgendwie einigermaßen noch gesund zu ernähren. Also gesund heißt wirklich auf einem ganz niedrigen Niveau.
Geweckt wird um 6 Uhr, danach wird Kaffe getrunken und um 7 Uhr geht es in die Arbeitsstätten. Feierabend ist etwa um 15 Uhr und dann geht es zurück auf die Haftstation. Da gibt es von 16 Uhr bis 17 Uhr Hofgang, wenn einer nicht am Hofgang teilnehmen möchte, dann wird er in der Zelle eingeschlossen in seinen Haftraum und um 17 Uhr wird wieder aufgeschlossen und es wird das Abendessen verteilt und es ist bis 19.45 Uhr die Tür noch auf. danach wird die Tür des Haftraums für die Nacht verschlossen. Der übliche Ablauf.
?: Wie sind die Besuchsbedingungen in Sehnde?
W.B.: Umständlich. Es muss mindestens 14 Tage vorher schon der Antrag für den Besuch eingereicht werden und es gibt drei Stunden Besuch im Monat. Der Besuchsraum ist sehr unwirtlich, da hängen überall Kameras, die Tische sind mit Glasbelägen, so dass die Kameras auch durchschauen können, ob da irgendwelche Dinge übergeben werden, Berührungen sind da nicht möglich, das wird auch nicht erlaubt. Der wachhabende Beamte sitzt praktisch sozusagen mittendrin, es ist so ein bisschen wie ein Halbrund aufgebaut der Besuchsraum und in dem Zentrum dieses Halbrundes ist dann der Ort, wo dieser wachhabende Beamte sitzt. Die Tische stehen recht eng beieinander, so hat man nicht das Gefühl etwas ungestörter miteinander reden zu können.
?: Du kennst jetzt vier Gefängnisse in Niedersachsen. Wozu dient das deiner Einschätzung nach? Was hat Knast für eine Funktion? Du hattest im Jahr 2007 einen Brief geschrieben, ich zitiere: „ Schon immer war Knast Vorreiter sozialer, politischer und ökonomischer Repression und Reaktion. Letztes und schärfstes Drohpotential der Herrschenden zur Disziplinierung der Beherrschten.“ Kannst Du zum Ende des Gespräches ein Resümee ziehen?
W.B.: Um das schlagwortartig auf den Begriff zu bringen: Knast ist die Keimzelle dieser Gesellschaft. Denn jeder und jede in dieser Gesellschaft interessiert sich für Knast, es ist bekannt, dass es das gibt, das ist ein Aufreger-Thema. Die Medien bringen viele Berichte, die direkt aus den Knästen heraus zeigen, wie das Leben dort ist.
Zum Beispiel gibt es über die JVA Oldenburg einen ganz berüchtigten Beitrag aus dem Jahr 2005 von der ARD. Der heißt: „Das Alcatraz des Nordens“. Es gibt ständig viele vergleichbare Berichte: Über die Ereignisse in Sachsen, mit dem Beinahe-Mord im Jugendgefängnis. Ein ähnlicher Fall ereignet sich in Siegburg, Nordrhein-Westfalen. Bekannt ist , dass Knast eine sehr unangenehme Situation bedeutet. Und das ist der Knüppel, den der Staat in der Hand hält, und der durch die Fernsehgeräte in jedes Wohnzimmer an die Wand projiziert, drohend dort hängt. Allen ist bewußt, dass sie sich sehr genau überlegen müssen, wie weit sein Widerstandsgeist gehen sollte, um nicht in diese Sanktion zu geraten und in einen Knast zu kommen. Knast ist nur Theater: Ich glaube die meisten Gefangenen hier sind einfach nur Statisten für dieses Theaterstück. Das eigentliche Publikum sitzt draußen, an diese ist das Stück gerichtet. ?: Du meinst, dass das Theater die Menschen draußen abschrecken soll, und das sie so immer „brav“ an die Gesetze halten sollen. Nur wenn sie „Ärger machen“, dann besteht für sie die Gefahr, dass sie auch in den Knast kommen können. Du meinst es soll die Menschen abschrecken? W.B.: Das ist Einschüchterung der allgemeinen Öffentlichkeit. Mensch weiß, dass die Mütter ihren Kindern vom Knast erzählen, wenn sie noch ganz klein sind. Das ist allgemein üblich und da fängt es schon an. Diese Angst ist ganz tief in der Gesellschaft verankert. Daraus folgen weitere Ängste: „Ich will nichts mit der Polizei zu tun haben. Ich will nichts mit den Gerichten zu tun haben.“ Das hat natürlich den Hintergrund, dass Polizei und Gerichten dafür sorgen, dass Menschen in den Knast gesperrt werden. Davor herrscht Angst.
?: Eine Frage hätte ich noch. Wie ist denn so die Solidarität unter Euch Gefangenen? Kannst Du da was zu sagen?
W.B.: Die meisten, die hier einsitzen, gehören nicht gerade zu den privilegierten Menschen in dieser Gesellschaft. Die sind gewohnt, dass sie sich alleine durchs Leben schlagen müssen und dass sie sich mit Ellbogen durchkämpfen müssen. In solchen Lebenssituationen ist kein Platz für Solidarität, weil Solidarität eine gewisse Organisation voraussetzt und auch eine gewisse Stärke. Ich glaube, die fehlt den meisten. Ich glaube, für die ist der Knast Ausdruck oder deutliches Zeichen ihres Scheiterns im Hinblick auf ihre Versuche sich in dieser Gesellschaft zu integrieren oder sich anzupassen. Die meisten erleben den Knast als wirklich unangenehmes Ergebnis individuellen Versagens. Von daher sind sie auch nicht der Meinung, dass die anderen um sie herum das anders betrachten würden. Von daher fehlt eine positive Bezugnahme für allgemeine Solidarität. Das ist sehr schwierig im Knast Solidarität zu entwickeln. Der einzelne kann jederzeit massiv unter Druck gesetzt werden, das geht sehr leicht. Es gibt zum Beispiel Stationen, auf denen vermehrt schwer verhaltensgestörte und persönlichkeitsgestörte Gefangene untergebracht sind. Die sind gewalttätig, die sind verrückt und die machen irrsinnige Sachen. Die bedrohen, die belästigen, die wenden Gewalt an. Jeder ist froh, wenn er auf einer Haftstation ist, wo es einigermaßen so normal noch zugeht und jeder weiß, die Haftanstalt kann aber jeden, der irgendwie widerständig ist ohne weiteres auf eine Haftstation verlegen, wo es drunter und drüber geht. Das sind zum Beispiel ganz klare Möglichkeiten die Gefangenen einzuschüchtern, so dass die keinen Widerstand leisten. Hinzu kommt natürlich noch die ganze Thematik mit der vorzeitigen Entlassung. Nur Gefangene, die sich nicht widerständig verhalten, haben eine Chance auf eine vorzeitige Entlassung. Der Staat verlangt eigentlich Unterwerfung, das ist genau der Punkt, das ist die entscheidende Frage, wer sich nicht unterwirft, der muss immer damit rechnen, nach Ende der Haftzeit noch in Sicherungsverwahrung genommen zu werden. Das ist eine sehr harte Sanktion – das heißt eine potentiell unendlich lange Strafe.
?: Meine letzte Frage. Werner wie sieht es bei Dir aus? Du bist damals zu 12 Jahren verurteilt worden. Das heißt, Du müsstest, „wenn alles gut geht“, Februar 2013, entlassen werden ? W.B.: Die Strafe, zu der ich verurteilt worden bin, lautete auf Totschlag und nicht auf Mord. Wenn es Mord gewesen wäre, dann wäre es eine Mindeststrafe von 15 Jahren. Das ist aber Theorie, denn die Mindeststrafe ist reell 17 Jahre und im Durchschnitt sind es 22 Jahre, die ein zu Mord Verurteilter im Gefängnis zu verbleiben hat. Ich bin aber nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt worden. Somit begrenzte sich das Strafmaß auf eine Zeit zwischen 5 und 15 Jahren maximal. Ich habe 12 Jahre erhalten und wenn es mit normalen Dingen zugehen würde, heißt das, dass ich im Februar 2013 entlassen werden würde. Falls aber irgend etwas dazu kommt, dann werde ich auf unbestimmte Zeit in Sicherungsverwahrung genommen. Da gibt es ein paar juristische Bedingungen, die da zu beachten sind, aber die in meinem Fall dadurch erfüllt sind, weil der Verfassungsschutz mich nachträglich als Linksextremist angeführt hat, nachdem mein Urteil rechtskräftig war. Das ist dabei der entscheidende Punkt, der Zeitpunkt – und so wäre es für die Justiz also ohne weiteres möglich, mich bis zum Ende meines Lebens, quasi bis zum letzten Atemzug, in Haft zu halten, so weit ich mich widerständig verhalte, wird das dann auch voraussichtlich geschehen.
Ich lasse mich aber nicht einschüchtern.
?: OK Werner, wir lassen das mal so stehen und wir werden das Gespräch bestimmt noch einmal weiter führen, Tschau!
W.B.: Tschau, bis dann!

Werner in einem Brief vom 27.7.:
„….und hab Dank für deine Kurznachricht: „Interview ist gut ankommen“, über die ich mich gefreut habe.
Die arbeits- und sozialpolitischen Zwangsmaßnahmen halte ich für das zentrale Thema emanzipatorischer antikapitalistischer Politik, der Kampf gegen sie führt unmittelbar in selbstorganisierte Gemeinschaften mit dem Primat des sozialen Zusammenhangs, welchen letzteren zunehmend aufzulösen nicht zufällig Beigabe von Kapitalismus/Lohnarbeit ist, sondern systemische Voraussetzung von Lohnarbeit. Wie bei Marx breit angedacht, wird die Entwicklung notwendig zur Wiederherstellung von unmittelbaren sozialen Zusammenhängen gehen müssen Das Ökonomische ordnet sich da dem Primat des sozialen Zusammenhangs nach. In gewisser Weise, äußerlich betrachtet,ist dies eine Rückkehr zu „archaischen“ sozialen Formen, doch ohne deren technisch-ökonomische Rückständigkeit und den damit einhergehen müssenden sozio-kulturellen Zwangsinstituten, welche letzteren bekannt unter dem Sammelbegriff der „Idiotie des Landlebens“ sind. Die Rede hier ist, wohlgemerkt, von Kommunismus, von dessen direkter Einrichtung, ohne den Zwischenschritt einer Diktatur des Proletariats resp. von (Staats-)Sozialismus. Und eben genau diese weite Perspektive eröffnet sich für mich aus dem Kampf gegen die arbeits- und sozialpolitischen Zwangsmaßnahmen. Bildlich gesprochen stellen letztere den letzten Versuch dar, den Exodus und der Lohnarbeit und hinein in solbstorganisierte soziale und im weiteren auch sozio-ökonomische Zusammenhänge aufzuhalten, sie sind das Rote Meer, welches über den ägyptischen Verfolgern, über der Macht des Phararao zusammenschlägt – wenn sie zu Fall gebracht werden! Darum danke ich dir sehr, mir die Möglichkeit eines Webradio-Interviews eröffnet zu haben. Ich freue mich sehr darüber!“
Werner Baeuner
Schnedebruch 8
31319 Sehnde
Das Interview wurde im Rahmen der Sendung“ Wieviele sind hintern Gittern, die wir draußen brauchen!“ Politische Gefangene – Sendung zu Repression und Widerstand geführt.
Zu hören über das Webradio Radio Flora aus Hannover per Livestream:

www.radioflora.de, jeden ersten Dienstag im Monat von 18-19 Uhr und den Donnerstag darauf als Wiederholung von 11-12 Uhr.

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