Chile: „Die Enteignung der Enteigner ist das Recht des Volkes !“

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Analyse der Ereignisse durch die „Bewegung der revolutionären Linken“ (MIR) in Chile. Sie legt dar, wie sich die sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der Katastrophe manifestieren, was das Volk dringend benötigt und wie Revolutionäre sich unter solchen Bedingungen verhalten sollten:

Erklärung der MIR

Das Erdbeben zeigte in brutalst möglicher Weise die Interessen der herrschenden wirtschaftlichen und politischen Elite. Obwohl wir in diesem Moment glauben, daß konkrete Aktionen der Solidarität mit den betroffenen Familien und Gemeinden –  so klein sie auch sein mögen –  am dringensten nötig sind, so halten wir es gleichwohl für nötig auf das Folgende hinzuweisen:

1. Die Autobahnen und Brücken, die unter der alten Regierung gebaut wurden, widerstanden dem Erdbeben, die neuen Autobahnen in der Hauptstadt nicht. Die Autobahnen, die unter der Koalitionsregierung (Mitte-Linkss-Koalition, die jede Wahl seit 1988 gewann) privatisiert wurden und die als öffentlich-private Investitionen propagandiert wurden, hielten den Erdstößen nicht stand und wurden zerstört. Trotz Millionen an öffentlichen Zuschüssen, trotz vertraglicher Garantien, trotz täglicher Gebühren der Benutzer wurden alle Brücken und Fußgängerüberwege zerstört mit vielen Toten und ungezählten Verletzten….

2. Die christlich-demokratische Partei, die das Wohnungsbauministerium leitet, erzeugte beim Bau von Billigwohnungen dermaßen viele Skandale und Korruptionsaffären, daß die Koalitionsregierung die Privatisierung des Programms zum Bau von Billigwohungen einstellte. Jetzt werden in verschiedenen Teilen des Landes infolge des Erdbebens die Bewohner dieser Häuser obdachlos, weil ihre Häuser gefährlich sind. In Erscheinung traten die Konsequenzen der Spekulation beim Neubau der Wohnungen, die direkt und indirekt durch das Regierungsprogramm angeheizt wurde.  Bereichert haben sich dabei wohlbekannte Figuren der Koalition und des rechten Flügels. Ganze Mittelklasse-Hauskomplexe stehen vor dem Zusammenbruch, wie z.B. das 15-stöckige Appartmenthaus in Conception, in dem 100 Bewohner getötet oder verschüttet wurden. Im Kapitalismus ist der Zweck des Hausbaus nicht die Schaffung von guten Wohnungen sondern die Akkumulation von Kapital. Das macht es profitabler, die Qualität der Konstruktion zu vermindern, die Qualität des eingesetzten Materials zu verringern, gefälschte technische Gutachten zu erstellen und Inspektoren zu bestechen.

3. Wesentliche Teile des Regierungsapparates funktionierten langsam und armselig. Der hydrographische Dienst der Armee offenbarte kriminelle Gleichgültigkeit; er wusste nicht mit seinen eigenen Messinstrumenten umzugehen. Er sandte falsche Informationen zur nationalen Notfallzentrale im Hinblick auf eine Warnung vor dem Tsunami. Das führte dazu, daß die Regierung erst mit einer Verzögerung von 24 Stunden wahrnahm, daß der Tsunami die Küste bei Constitución, Iloca, Pelluhue, Curanipe, Talcahuano, Concepción, Contulmo, Juan Fernández, etc. verwüstete. So war die Bevölkerung an der Küste und im Inland in den am meisten von der Katastrophe betroffenen Gebieten unseres Landes den Gewalten schutzlos ausgeliefert, was zu Verletzungen, Todesfällen, Verschüttungen führte. Als Folge des Mangels an Koordination zwischen der Zentralregierung und staatlichen Institutionen waren weite Teile des Landes isoliert, ohne Wasserversorgung, ohne Elektrizität, ohne Nahrungsmittel….Trotz vorhandener finanzieller Resourcen erreichte die Hilfe nicht diejenigen, die sie erreichen sollte: Die betroffenen Menschen.

4. Mit der Zeit wurde dann klar, wen das Erdbeben wirklich betraf….die Armen. In der Bio Bio-Region, einer der ärmsten Gebiete des Landes, wo die Arbeitslosenrate 10,4% beträgt und in der die Mehrzahl der Arbeitenden von der Hand in den Mund leben, gab es kein Trinkwasser, keine Elektrizität, keine Nahrungsmittel; viele konnten nicht in ihre Häuser zurückkehren und mussten die Nächte unter freiem Himmel ohne Zelte verbringen. Die Krisenspekulanten verlangten 3500 Pesos (ca. 7 Dollar) für ein Kilo Brot und 1000 Pesos (ca. 2 Dollar) für ein Viertelliter Wasser. Die Menschen haben daraufhin die Absperrungen vor den Supermärkten durchbrochen, um sich zu nehmen, was sie zum Überleben benötigten: Wasser, Milch, Windeln, Mehl….Es waren die Frauen, die mit solchen Aktionen für ihre Kinder und ihre Familien begannen, wie das oft in der Geschichte war. Obwohl auch kriminelle Bandes die verzweifelte Situation ausnutzten kann es doch keinerlei Zweifel daran geben, daß es keinerlei oder jedenfalls nicht ausreichende Hilfe durch die Regierung gab, um auch nur die dringensten Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Die Menschen haben nicht kleine Geschäfte aufgesucht  – sie holten sich das Nötigste aus großen Supermärkten wie Lider und Santa Isabel.

5. Die Menschen haben zu direkten Aktionen gegriffen um ihr Leben zu sichern. Jacqueline van Rysselberghe, die Bürgermeisterin von Conception, forderte von Beginn an Militär an und gleiches tat der gewählte Präsident Sebastián Piñera. Die Direktoren der Supermärkte (einschließlich der von WalMart und Jumbo) gingen direkt zum Präsidentenpalast. Wie bestellt rief die Regierung einen Katastrophennotstand aus, der eine Form des Kriegsrechts ist und die Aussetztung verfassungsmäßiger Rechte vorsieht ohne zuvorige Zustimmung des Parlaments. Der Verteidigungsminister verkündete die Mobilisierung von 10.000 Soldaten.

Diese logistischen Resourcen wurden nicht genutzt, um den vom Erdbeben betroffenen Menschen zu helfen sondern dazu, die Interessen des Managments und die „Ordnung“ im Zentrum von Conception zu schützen. Kein einziger Soldat wurde ausgeschickt, das bisschen Eigentum der Armen zu schützen….oder die Spekulanten zu unterdrücken.

Die (Michelle) Bachelet-Regierung erwies sich so als repressivste aller Koalitionsregierungen. Sie erwies sich nicht nur als Regierung, die die Rückkehr der Rechtsradikalen an die Macht erleichterte, sondern als Regierung, die Maule und die Bio Bio-Region ans Militär auslieferte und zum ersten Mal seit dem Übergang zu einer eingeschränkten Form der Demokratie den Ausnahmezustand erklärte.

Wir als Bewegung der revolutionären Linken halten es für absolut notwendig, legitim und gerecht, wenn die Menschen die Türen der Supermärkte öffnen, um die durch das Erdbeben geschaffene schlimme Not zu lindern. Wo unsere Mitglieder sich aktiv an díeser Bewegung beteiligen können, sollten sie dies so rasch wie möglich tun….

Die Soldaten können in den Armensiedlungen keine Ordnung errichten, weil sie wieder einmal eintrafen allein um die Interessen der herrschenden Klasse durch „öffentliche Ordnung“ zu sichern, die Ordnung der Elite der Mächtigen und Reichen.

Die Ordnung wieder zu schaffen ist eine Aufgabe, die die Nachbarschaften nur selbst wahrnehmen können. Darum rufen wir die linken revolutionären Organisationen dazu auf, aktiv teilzunehmen in der Organisation von Nachbarschaften in den vom Erdbeben am härtesten betroffenen Gebieten.

Wir rufen die revolutionären Organisationen und alle linken Gruppen dazu auf, die Bevölkerung zu verteidigen, die Spekulation zu bekämpfen und zu verhindern, daß kriminelle Banden die Situation ausnutzen.

Wir rufen die revolutionären Organisationen und alle linken Gruppen dazu auf, eine Plattform für Notfallhilfe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu schaffen, die alle Kämpfe und Anforderungen eines breiten Sektors der Arbeiter und Bewohner herstellt.

Angesichts der mangelnden Hilfe durch die bürgerliche Regierung: Geht auf die Straßen !

Die Enteignung der Enteigner ist das Recht des Volkes !

Revolutionäre an die Front zur Sammlung und Verteilung von Wasser, Nahrung und Kleidung !

Das Volk entwickelt sich durch Kampf !

Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) in Chile

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