22.07.10 (von ivk)
Offener Brief der Campaign to End the Death Penalty (CEDP) an die internationale Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe:
Die CEDP verurteilt den Versuch, Mumia Abu-Jamal und seine Verteidigung an einem öffentlichen Auftritt während des 4. Weltkongresses gegen die Todesstrafe in Genf zu hindern, »auf das Schärfste«. Offener Brief der Campaign to End the Death Penalty an die internationale Bewegung zu Abschaffung der Todesstrafe in Verteidigung von Mumia Abu-Jamal:Die Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe (CEDP) ist entsetzt über die Nachricht, daß mehrere Einzelpersonen führender Organisationen zur Abschaffung der Todesstrafe ein vertrauliches Memorandum unterzeichnet haben, in dem es heißt: »Die Teilnahme von Mumia Abu-Jamal gefährdet das US-Bündnis für die Abschaffung der Todesstrafe.« Weiter heißt es in dem Papier, die World Coalition Against the Death Penalty (WCADP) sollte Mumias Fall nicht herausstellen, denn dann »erhalten unsere stärksten Gegner unnötigerweise größere Beachtung und unsere Bündnispartner werden abgeschreckt; und das zu einer Zeit, in der wir Allianzen bilden und nicht Haß und Feindseligkeit erzeugen sollten«.
Das Memorandum trägt das Datum 21. Dezember 2009, es wurde aber erst jetzt bekannt, weit nach dem 4. Weltkongreß gegen die Todesstrafe, der vom 24.-26. Februar 2010 im schweizerischen Genf tagte. (1) Mumia Abu-Jamal rief seinen Anwalt auf diesem Kongreß an und konnte so, verstärkt über das Saalmikrofon, zu den Versammelten sprechen. Daraufhin erhoben sich mehrere Mitglieder von US-Abolitionistengruppen und verließen aus Protest den Saal.
Die CEDP verurteilt diese Aktion auf das Schärfste und widerspricht der Haltung gegenüber dem Kampf gegen die Todesstrafe, die in diesem Memorandum zum Ausdruck kommt.
Zuallererst wollen wir unmißverständlich bekräftigen, daß wir Mumia Abu Jamal in seinem Kampf unterstützen. Wir sind von seiner Unschuld überzeugt und sehen seinen Fall mit vielen Ungerechtigkeiten befrachtet, wie sie auch in anderen Todesstrafenverfahren vorkommen: rassistische Vorurteile, Amtsvergehen und Brutalität der Polizei und Vorverurteilung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Mumia Abu-Jamal sitzt jetzt seit 28 Jahren in einem Todestrakt Pennsylvanias, weil die Gerichte, die von der Fraternal Order of Police seit Jahren unter Druck gesetzt werden, alle seine Bemühungen, seine Freiheit zurückzuerlangen, vereitelt haben. Von seiner Gefängniszelle aus hat Mumia eine internationale Bewegung in Gang gebracht, die ihn in seinem Kampf für Gerechtigkeit unterstützt. Er hat zahlreiche Artikel geschrieben und Bücher verfaßt, die Schlaglichter sowohl auf den Gefängnis-industriellen Komplex als auch andere historische und aktuelle politische Themen werfen. Seine Texte werden von vielen Menschen auf der Welt gelesen, die ihn darüber kennengelernt haben und ihn respektieren. Seine vom Projekt www.prisonradio.org verbreiteten Beiträge sind mehr als hervorragend. Er hat dazu beigetragen, Millionen von Menschen über das Strafjustizsystem aufzuklären. Am wichtigsten aber ist, daß er eine Inspiration für alle ist, die für die Abschaffung der Todesstrafe kämpfen, weil er unsere Bewegung durch seine Stimme der Hoffnung, seine Ermutigung und seine unbeugsame Entschlossenheit bereichert.
Deshalb verstehen wir nicht, warum Mitglieder einer US-Delegation von Todesstrafengegnern den Saal verlassen, wenn Mumia sich per Telefon an die Versammelten des Weltkongresses wendet. Hätten sie sich nicht eigentlich erheben und ihm applaudieren müssen?
Die Gründe für die verwerfliche Aktion erklären sich aus dem geheimen Memorandum, das im wesentlichen argumentiert, es würde die Chancen auf Abschaffung der Todesstrafe zunichte machen, wenn man etwas mit Mumias Fall zu tun habe.
Warum? Im Memorandum heißt es dazu: »Für das Erreichen der Abschaffung der Todesstrafe ist die Unterstützung durch Funktionsträger der Strafverfolgungsbehörden entscheidend. Im Rahmen einer nationalen Strategie zur Abschaffung der Todesstrafe ist es für die US-Todesstrafengegner und Rechtsanwälte wesentlich, daß wir die Stimmen der Polizisten, Staatsanwälte und Experten der Strafverfolgungsbehörden dazu gewinnen, unseren Aufruf zur Beendigung der Todesstrafe zu unterstützen, und daß wir diese Kontakte pflegen.«
Diese Stellungnahme weist in eine sehr beunruhigende Richtung, deren Herausbildung wir bereits in den letzten Jahren unter ein paar Organisationen der Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe beobachten konnten, nämlich unser Hauptanliegen durch Kompromisse aufs Spiel zu setzen, um eher die Unterstützung durch konservative Kräfte gewinnen zu können. Das hat führende Organisationen der Todesstrafengegner dazu gebracht, den Einfluß, den die ethnische Herkunft im Strafjustizsystem ausübt, herunterzuspielen und dafür einzutreten, Kräfte der Exekutive für die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe zu gewinnen.
Jene, die sich für diese Strategie einsetzen, ignorieren oder verharmlosen die Rolle, die die Polizei dabei spielt, Arme und Afroamerikaner unschuldig in die Todeszelle zu bringen. Sie ignorieren die Rolle, die Polizisten, Staatsanwälte und Richter als Hüter eines ungerechten Justizsystems spielen, dessen Opfer überproportional arme und nichtweiße Menschen sind. Im Ergebnis hat diese Strategie dazu geführt, Gefangene wie Mumia, deren Stimmen hinter den Mauern so wichtig in diesem Kampf sind, auszugrenzen.
Die Personen, die das Memorandum verfaßt haben, beschreiben die Stimmen, die sie in ihre Strategie einbeziehen wollen, folgendermaßen: »Wenn es um die Veränderung der öffentlichen Meinung und der Ansichten der Entscheidungsträger (Politiker) und Meinungsführer (Medien) geht, bilden die Stimmen der Unschuldigen, die Stimmen der Opfer und die Stimmen der Strafverfolgungsbehörden den am meisten überzeugende Faktor. Wenn aber weiterhin das Hauptaugenmerk auf Abu-Jamal gerichtet wird, der bereits seit vielen Jahren großes öffentliches Interesse genießt, dann droht, daß diese drei wichtigsten Partnergruppen abgeschreckt werden.« Wir von der CEDP stimmen mit dieser Strategie absolut nicht überein. Wir sind überzeugt davon, daß der »am meisten überzeugende Faktor« bei der Veränderung der öffentlichen Meinung der ist, eine Bewegung aufzubauen, die für alle sichtbar ist und sich Gehör verschafft und klar und direkt ihre Forderungen stellt, statt daran zu arbeiten, unser politisches Anliegen auch unseren Widersachern schmackhaft zu machen.
Schauen wir uns die Analogien vergangener Kämpfe an. Was wäre gewesen, wenn Martin Luther King die Ziele der Integration durch Kompromisse verwässert hätte, nur um den Verantwortlichen für die Apartheidpolitik in den USA die Hand zu reichen und sie auf seine Seite zu ziehen? Nein, das hat er nicht getan, er ist vielmehr auf die fortschrittlichen Kräfte zugegangen und hat sie in den Kampf für die notwendigen Veränderungen mit einbezogen. Das ist genau die Art von Strategie, die wir brauchen.
Nicht die Männer und Frauen in den Todestrakten hier überall im Land sind unsere Gegner – auch nicht diejenigen unter ihnen, die »schuldig« sind. Unser Gegner ist das auf Schuld und Sühne ausgerichtete Strafjustizsystem, das sie zu Monstern erklärt, damit die Öffentlichkeit es richtig findet, wenn sie hingerichtet werden. Das ist Teil der Strafphilosophie, auf der diese Rechtsordnung basiert – einem System, das überhaupt erst Kriminalität erzeugt, das den Opfern kaum Hilfe bietet, das sagt, es glaube an die Resozialisierung, um ihr im nächsten Atemzug alle Gelder zu entziehen und sie in den Neubau von Gefängnissen zu stecken.
Wir weisen die Logik zurück, wir müßten die Fraternal Order of Police als Partner oder Verbündeten gewinnen. Die FOP hat sich stets all unseren Bemühungen, Gerechtigkeit für Mumia, Troy Davis, für die Jon-Burge-Folteropfer in Chicago (2) und unzählige andere zu erreichen, entgegengestellt.
Wir vertreten eine klare antirassistische Perspektive. Wir wissen, daß das aggressive Vorgehen der Polizei, die harten Urteile und die Todesstrafe ihre Wurzeln in der Sklaverei haben und daß die Rhetorik »Kein Pardon dem Verbrechen!« und die Haltung »Sperrt sie ein und schmeißt den Schlüssel weg!« ihren Ursprung im Rassismus haben.
Die CEDP steht vollständig und eindeutig hinter Mumia Abu-Jamal. Außerdem stehen wir für eine völlig andere Strategie, um die Abschaffung der Todesstrafe zu erreichen.
Statt eine mahnende Stimme wie die Mumias auszugrenzen, sollten wir über mehr innovative und schöpferische Wege nachdenken, um ihm Gehör zu verschaffen – und nicht nur Mumia, sondern auch den Stimmen von Troy Davis, Rodney Reed und Kevin Cooper, um nur ein paar wenige Todeskandidaten stellvertretend für andere zu nennen. Wir müssen diesem Kampf ein menschliches Gesicht geben. Wir müssen eine Bewegung aufbauen, die das rassistische und auf Klassenvorurteilen beruhende Wesen der Todesstrafe angreift, und um aufzuzeigen, daß dieses Unrecht im gesamten Strafjustizsystem existiert.
In unserem Kampf für Gerechtigkeit dürfen wir »polarisierende« Themen wie Rassismus nicht ins Abseits drängen. Wir müssen sie vielmehr frontal angehen. Und statt den konservativen Elementen in der Gesellschaft die Hand zu reichen, sollten wir Brücken zu den fortschrittlichen Elementen bauen und uns mit ihnen zusammentun. Laßt uns nicht vergessen, daß es die geringste Zustimmung zur Todesstrafe (42 Prozent) 1966 gab, als die Bürgerrechtsbewegung ihren Höhepunkt hatte. Laßt uns daran arbeiten, den Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe mitten ins fortschrittliche Lager zu tragen, wo er hingehört.
FREIHEIT FÜR MUMIA!
VORWÄRTS IM KAMPF FÜR DIE ABSCHAFFUNG DER TODESSTRAFE!
Campaign to End the Death Penalty (CEDP)
http://nodeathpenalty.org
Anmerkungen des Übersetzers:
(1) CEDP hatte hier versehentlich den »4. März« als Tagungsdatum angegeben. Der 4. März 2010 war aber das Datum, an dem die Abschlußerklärung des Kongresses veröffentlicht wurde.
(2) Im Januar 2010 wurde der in zwei vorausgegangen Verfahren zu lebenslanger Haft verurteilte Afroamerikaner Michael Tillman nach 25 Jahren Haft von einem Gericht in Cook County freigesprochen. Staatsanwaltschaft und gericht mussten einräumen, daß Tillmans angebliches Mordgeständnis unter Folter (u. a. durch Schläge, Scheinerschießung, Flüssigkeit durch die Nase eintrichtern etc.) zustande gekommen war. Andere Beweise oder Indizien für eine Schuld Tillmans an einem Mord gab es nicht. Verantwortlich für die Folter war eine berüchtigte Chicagoer Polizeiabteilung unter Leitung von Jon Burge. Tillman war der sechste Gefangene, der freigelassen werden mußte, nachdem auch bereits in den anderen fünf Fällen die Folterungen durch diese Polizeiabteilung aufgedeckt worden waren.
(Siehe: http://www.chicagobreakingnews.com/2010/01/alleged-burge-torture-victim-to-go-free.html)
Übersetzung: Jürgen Heiser / IVK