Prozessbericht und erste Einschätzung zum Stammheimer Urteil vom 15. Juli

Der 168. Verhandlungstag begann mit etwas Verzögerung, da verschiedene Vertreter der Presse und der Medien erst noch Bilder von Senat, Angeklagten, und dem Gerichtssaal schießen mussten, in dem, vermutlich um dem Schein eines „Terrorprozesses“ gerecht zu werden, zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses 8 Hundertschaftspolizisten Platz genommen hatten. Die Medien waren an diesem Verhandlungstag anwesend, da an diesem Tag das Urteil gegen Devrim Güler und Ahmet D. Yüksel gefällt werden würde.
Das Urteil fiel wie folgt aus:
Devrim Güler wurde als Regionsverantwortlicher zu 4 Jahren und 10 Monaten und Ahmet Düzgün Yüksel als Rechtsberater der Organisation und als Gebietsverantwortlicher zu 5 Jahren und 4 Monaten als Mitglieder der DHKP-C verurteilt. Beide sind von der Abschiebung bedroht. Sie sollen Spenden gesammelt, legale Zeitungen verkauft und Informationsveranstaltungen u.a. über den Todesfastenwiderstand organisiert und durchgeführt haben.
Devrim soll auch an der Vorbereitung des den Gefangenen vorgeworfenen Waffenschmuggels beteiligt gewesen sein, sowie über den Aufenthaltsort von „Radios“ – was laut Spitzfindigkeit des Senats ein Codewort für Waffen sei – Bescheid gewusst haben.
Ahmet soll als Intellektueller innerhalb der Organisation gewirkt haben, der Schulungen organisiert und durchgeführt habe und sich auch um den Druck der Zeitungen gekümmert haben. Des weiteren wurde Ahmet aus der Vertretung des langjährigen Generalssekretärs Dursun Karatas, sowie seiner Tätigkeit als Anwalt des Rechtsbüro des Volkes in der Türkei eine politische Nähe zur Organisation nachgesagt.
In seiner Begründung stützte der Senat sich auf die Aussagen von Hüseyin Hiram, dem psychisch kranken Doppelagenten, und auf die Aussagen von Serdar Bayraktutan, dem Leiter der Abteilung DHKP-C der Istanbuler Polizei, gegen den in der Türkei wegen mehrerer Foltervorwürfe Ermittlungen laufen. Der Senat bestand aber darauf, dass nur sachliche Angaben des Folterers in das Urteil mit eingeflossen seien und keine menschlichen Angaben, da Folter zwar einerseits verfahrensirrelevant sei, aber andererseits dann doch beachtet worden sei.
Eine weitere Begründung des Richters waren die Lebensläufe der beiden und die Tatsache, dass sie trotz vorheriger Verurteilung, die zur Bewährung ausgesetzt worden war, weiterhin politisch aktiv waren. Dabei berücksichtigte der vorsitzende Richter Wieland zu Gunsten von Devrim Güler, dass dieser bereits in frühen Jahren von der Organisation „ideologisch indoktriniert“ worden sei.
Weiter bezeichnete der Senat in seiner Begründung sowohl die Anatolische Föderation, als auch verschiedene anatolische Vereine, darunter auch das Anatolische Kunst und Kulturhaus in Stuttgart mehrmals als „Tarnvereine und Tarnorganisationen der DHKP-C“ und bezeichnete die legal hier erscheinenden Zeitungen als „Parteizeitungen“, was auf nichts anderes abzielt als auf die Kriminalisierung jeglicher Betätigung von politisch aktiven MigrantInnen.
Mit der Verurteilung sind sowohl Devrim, als auch Ahmet von der Abschiebung bedroht. Was das bedeutet hat nicht unlängst Faruk Ereren, der ebenfalls von der Abschiebung bedroht ist, in einem seiner Briefe ausgedrückt: „Was mich erwartet wenn ich in die Türkei ausgeliefiert werden sollte, ist Repression, Folter und Haft bis zum Tod. Der faschistische Staat in der Türkei hat eh schon zur Sprache gebracht, mich bis zu meinem Tod ins Gefängnis stecken zu wollen.“ Wann mit einer Entscheidung hinsichtlich der Abschiebung zu rechnen ist bleibt unklar. Weiter hat die Verurteilung zur Folge, dass die Angeklagten die Kosten des Verfahrens tragen, die sich ohne die Ermittlungskosten einberechnet, auf 2,4 Millionen Euro belaufen. Das Urteil war – wie nicht anders zu erwarten – nur ein Spiegelbild des ganzen Prozesses, in dem die Verurteilung von Anfang an feststand und damit ein weitere Manifestation der Klassenjustiz ist.

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, Stuttgart

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