Ein Zwischenbericht zum aktuellen 278a-Prozess gegen 13 TierrechtsaktivistInnen in Wiener Neustadt/Österreich
Seit 2. März 2010 läuft der 278a-Prozess gegen 13 AktivistInnen der österreichischen Tierrechts- und -schutzszene am Landesgericht in Wiener Neustadt in Niederösterreich, eine halbe Stunde von Wien entfernt. Drei Tage pro Woche müssen sich die Beschuldigten ganztägig im Gerichtssaal einfinden. Drei Tage pro Woche, an denen die um Autorität bemühte und offensichtlich überforderte Richterin Sonja Arleth nicht einmal probiert den Schein eines objektiven Gerichtverfahrens zu wahren, indem sie be- oder entlastendes Beweismaterial gleichermaßen würdigt oder einer logischen Prozessführung folgt. Drei Tage pro Woche, an denen Mailinglisten, Verschlüsselungsprogramme, Kampagnentätigkeiten und politische Ideologien erörtert, diskutiert und zerredet werden. Drei Tage pro Woche, die meistens für die Betroffenen bedeuten, still zu sitzen, still zu sein und ihr Vertrauen gänzlich in die Hände von AnwältInnen legen zu müssen, die zwar bemüht, doch oft nicht allzu tatkräftig der cholerischen Richterin Paroli bieten. Angeklagt sind in Wiener Neustadt 13 ganz unterschiedliche, aber vor allem langjährige, erfahrene AktivistInnen, die nun beispielsweise für zum Teil zehn Jahre alte Witzchen auf Emaillisten, ideologische Positionen oder Bekanntschaftsverhältnisse untereinander Rede und Antwort stehen müssen – oder – je nach Standpunkt – wollen.
Aussage verweigern?!
Strategisch unterscheidet sich das Verhalten vor Gericht von fünf Angeklagten, die der Basisgruppe Tierrechte (BAT – _www.basisgruppe-tierrechte.org _) zuzurechnen sind, massiv von dem der restlichen Betroffenen. Bei der am Beginn des Prozesses erfolgten Beschuldigtenvernehmung verweigerten die fünf BAT-AktivistInnen ihre Aussage und trugen stattdessen eine „Prozesserklärung“ vor (alle fünf Prozesserklärungen sind nachzulesen unter _www.antirep2008.org/ _). Argumente für die Sinnhaftigkeit der Aussageverweigerung gibt es viele: Gegenäußerungen vonseiten der Beschuldigten würden der Staatsanwaltschaft helfen, der Anklage Substanz zu verleihen, wo keine ist. Den Beschuldigten bliebe nur das Reagieren auf die ewig selben Fragen. Dauerndes Reden über das Hirngespinst der Kriminellen Organisation beispielsweise ermögliche es der Staatsanwaltschaft darauf hinzuarbeiten, dass etwas vom suggerierten negativen Eindruck zu den Beschuldigten hängen bleibe und ins Urteil einfließt. Aussageverweigerung stellt weiters die letzte Möglichkeit dar, die eigene Integrität zu wahren – die Betroffenen wurden teilweise über große Zeiträume überwacht und ihre Privatsphären wurden bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Wer ist da noch scharf auf weitere Entblößungen durch Aussagen?!
Sowohl das Vorgehen der Ermittlungsbehörden, als auch jenes der Justizbehörden sind tendenziös. Entlastende Hinweise oder Indizien wurden ignoriert, andere zur Belastung der Beschuldigten verdreht oder bewusst falsch verstanden. Zu vielen Vorwürfen kann gar nicht sinnvoll Stellung genommen werden und die Zusammenarbeit mit den Repressionsbehörden kann auf den Weg der Aussageverweigerung zum Großteil vermieden werden.
Die übrigen Angeklagten wurden teilweise tagelang befragt und machten detaillierte Aussagen zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen wie die Bildung einer Kriminellen Organisation, Sachbeschädigung oder Nötigung. Die Einvernahmen der aussagebereiten Angeklagten waren gekennzeichnet durch permanente Unterbrechungen durch die Richterin, unklare Fragen, wirre Gedankenschlüsse und ein generelles Unverständnis der Richterin für politischen Aktivismus, Tierrechte, linke Lebensrealitäten oder generell Lebensrealitäten abseits der Norm bzw. ihrer Vorstellungskraft. Was nicht weiter verwunderlich ist, wurde doch bekannt, dass die Richterin beim Polizeisportverein gerne Schießübungen absolviert. Alle Beschuldigten bekannten sich für nicht schuldig und hoffen auf einen Freispruch.
Part of the game?!
Anfang April hat das Beweisverfahren mit der Befragung der ZeugInnen der Anklage begonnen und inzwischen gibt es dabei eine Reihe von unvollständigen Einvernahmen, da Arleths Terminplan für die einzelnen Verhandlungstage viel zu knapp bemessen ist. Bei vielen ZeugInnen wurde mit der Einvernahme zwar begonnen, die Befragung jedoch aus Zeitgründen abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt, darunter auch die „spannensten ZeugInnen“ wie die BeamtInnen der extra gegründeten Sonderkommission „Bekleidung“.
Diese schlecht organisierte Prozessführung hat vor allem massive Behinderungen der Verteidigung zur Folge: Die Prozessvorbereitung wird permanent über den Haufen geworfen. Der größte Nachteil des Durcheinanders ist – neben der vermehrten Absprachemöglichkeit der BelastungszeugInnen, dass AnwältInnen und Beschuldigte auf ZeugInnenaussagen nicht sofort reagieren können. Da zuerst die Richterin Fragen stellt, ohne dass es die Möglichkeit zu Einsprüchen oder Zwischenfragen für die VerteidigerInnen gibt, bekommt die Verteidigung erst nach dem Staatsanwalt das Fragerecht – vorausgesetzt dafür ist noch Zeit, was oft nicht der Fall ist. Dieses Prozedere führt dazu, dass während der Befragung durch die Richterin getätigte Behauptungen im Raum stehen bleiben und erst Wochen später widerlegt werden können. Fragend schreiten wir voran…
Aufgrund der unterschiedlichen Zugänge der Betroffenen zu Aussageverweigerung, Infragestellung des Rechtsstaat oder linksradikale Praxen ist die Vorbereitung und Abwicklung des Prozesses mühsam und lähmend. Nicht vorhandene Erfahrungswerte im Umgang mit derartigen Großprozessen gegen politische AktivistInnen und das diffuse Feld des Organisationsparagraphen 278a runden das Bild der gelegentlichen Überforderung und oft empfundenen Hilflosigkeit ab.
Auch wenn Fehler passieren, Beschuldigte, UnterstützerInnen und FreundInnen große Fragezeichen fühlen, die Wut größer und der Frust spürbarer werden, so bleiben wir nicht mit leeren Händen zurück. Alle Beteiligten vergrößern permanent ihr Wissen im Umgang mit Repression auf persönlicher, politischer und juristischer Ebene.
Die jüngsten Repressionswelle in Wien gegen AktivistInnen, denen vorgeworfen wird, im Eingangsbereich des Arbeitsmarktservice Mülltonnen angezündet zu haben und nach Hausdurchsuchungen seit dem 8.7.2010 in Untersuchungshaft sitzen (siehe _http://ausbruch.blogsport.de/_), zeigt sich wiedereinmal, dass Repression alle treffen kann und die Auseinandersetzung mit Repression zu jeder politischen Praxis dazugehören muss. Vorhandenes Wissen, dessen Weitergabe sowie solidarisches Handeln müssen daher grundlegende Basis für ein starkes Auftreten gegen Repression und ein gemeinsames Kämpfen für eine bessere Welt sein. Ob die Einschätzung, dass die umfangreichen Ermittlungen und Kriminalisierungen gegen die Tierrechts- und Tierschutzbewegung im Rahmen des aktuellen §278a-Verfahrens eine Art Testballon waren, die einem ähnlichen Vorgehen gegen andere progressive Bewegungen voraus ging, zutreffend ist, kann noch nicht gesagt werden. Spürbar ist allerdings, dass die Repression gegen linke Demos und Aktivist_innen seit einiger Zeit deutlich gestiegen ist. Es gilt auf der Hut zu sein!
Wir sind alle 278a!
Freiheit für alle Gefangenen!
Mehr Infos zum aktuellen Prozessgeschehen: _http://antirep2008.org/_
Repression hat ihren Preis:
Kontonummer: 1910815837
Bankleitzahl: 14 000
Kontoinhaberin: Grünalternative Jugend Wien
Zweck: Antirep 2008
IBAN: AT451400001910815837
BIC: BAWAATWW
Österreich: *Rechtsstaat – hahaha!*
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