Neuste Stellungnahme der Japanische Eisenbahnergewerkschaft Doro-Chiba zur Atom-Katastrophe und Bericht eines Arbeiters in Sendai. Weiter Berichte hier:
Tsunami und Explosionen in der Atomfabrik sind keine Naturkatastrophen!
Sie sind ein Verbrechen, begangen durch den Staat, das Kapital und eine unterwürfige Gewerkschaftsführung!
29. März 2011
Internationales Arbeitersolidaritätskomitee von Doro-Chiba
Die Gesamtzahl der toten und vermissten Leute erreicht bereits die Dreißigtausend. Wie der beigefügte Bericht eines Arbeiters der Stadtverwaltung Sendai, im direkt betroffenen Gebiet zeigt, sterben Leute, unter anderem alte Leute in diesem Moment durch den fatalen Mangel an Wasser, Nahrungsmitteln, ärztlicher Behandlung usw. Zu diesen katastrophalen Bedingungen hinzu tritt ein große Menge hoch radioaktiven Materials aus dem Kernkraftwerk von Fukushima Daiichi aus und verbreitet sich weit über die Einwohner und den Boden der angrenzenden Region, während die zuständigen Behörden akrobatische Versuche machen, die Schmelze des radioaktiven Kerns zu verhindern, die bereits begonnen haben könnte.
Inzwischen sind die Grenzwerte der erlaubten radioaktiven Belastung des menschlichen Körpers, innerlich und äußerlich angehoben worden. Kürzlich wurde eine „minimale Menge“ Plutonium auf dem Gelände des Kernkraftwerks entdeckt und Nuklearexperten und Wissenschaftler, Befürworter der Nutzung der Kernenergie wiederholen ständig im Regierungsfernsehen, „wir sehen keine direkte Gefahr für die menschliche Gesundheit“.
In der Region Kanto, 200 Kilometer von den Kernkraftwerken entfernt, ist in Flaschen abgefülltes Wasser im Supermarkt vergriffen aus Angst vor radioaktiver Verseuchung. Die Regierung ordnete an, den Versand von Blattgemüse wie Spinat und Kohl zu stoppen. Wir haben gerade eine tragische Nachricht aus Fukushima erhalten: Ein 64-jähriger Bauer, der Gemüse anbaute, beging am 29. März Selbstmord. Er hatte sich mehr als 30 Jahre damit beschäftigt, die Grundschüler seines Distrikts mit Kohl guter Qualität aus ökologischem Anbau zu versorgen. Kurz vor seinem Tode soll er, so wird berichtet, in seinem erstickenden Kummer geflüstert haben: „Es ist aus und vorbei mit Gemüse aus Fukushima!“
Der Staat und das Kapital haben lokale Gemeinden zur äußersten Erschöpfung und Verwüstung getrieben, sie gaben die notwendige Errichtung von Deichen auf (während sie wiederholt Forschungen und Studien über den Tsunami machten!) und bauten weiterhin Atomfabriken auf dem „für Erdbeben anfälligen Archipel“: Ihr einziges Ziel, Gewinne zu erzielen und das know how über Kernkraft für die nukleare Bewaffnung zu besitzen. Eine große Zahl von Arbeitern wurde von ihren Arbeitsplätzen vertrieben, entweder durch den Tsunami, oder weil Fabriken wegen der radioaktiven Verseuchung aufgegeben wurden. Nicht nur in den betroffenen Gebieten sondern auch in anderen Gebieten wurden zahlreiche Fabriken geschlossen, verloren Arbeiter ihren Job, weil Zulieferer von Teilen durch die Katastrophe getroffen wurden. Infolgedessen wurden Arbeiter auf die Straße gesetzt ohne Ausgleich für die verlorenen Arbeitstage. Dies ist ein Verbrechen begangen durch den Staat und das Kapital!
Wir müssen die systemfreundliche, gehorsame Führung der Gewerkschaftsbewegung verurteilen, die volle Verantwortung dafür trägt für das, was geschehen ist und was mit der Arbeiterklasse geschieht. Vor allem Rengo (Japanische Gewerkschaftsföderation), die sich offiziell für den Bau der Nuklearfabriken einsetzte, erklärte angesichts der gegenwärtigen Katastrophe: „Wir zeigen Respekt und Dankbarkeit für die schnelle und passende Antwort der Regierung“, „Wir sind bereit, uns bei Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen einzubringen, um die nationale Krise zu bestehen“. Denryoku-soren (Konföderation der Gewerkschaften der Elektrizitätsindustrie Japans) fordert schamlos die Zusammenarbeit mit TEPCO (Tokyos Elektrizitätsgesellschaft) bei Stromunterbrechungen, sie unterwirft sich dem Kapital. Die Führung von Kokuro (die Vereinigung der nationalen Eisenbahnarbeiter) und anderer Organisationen schlugen eine „politische Waffenruhe“ vor, die den Kampf für die Wiedereinstellung von 1047 entlassenen Eisenbahnarbeitern verriet als sie erklärte: „Vorläufig stoppen wir die politische Bewegung für die Lösung des Eisenbahnproblems“.
Welche feige Einstellung! Betrachten wir die Wirklichkeit! Eine große Zahl von Arbeitern und Leuten ist gestorben, stirbt jeden Moment und Betroffene kämpfen mutig, um angesichts der Katastrophe und des Unglücks zu überleben, das noch längst nicht ausgestanden ist. Aber die gehorsamen, systemfreundlichen Arbeiterführer haben keine Absicht, die Ursache der gegenwärtigen Katastrophe herauszustellen oder die dafür verantwortliche herrschende Macht zu verurteilen. Im Gegenteil, sie unterstützen eifrig die verzweifelten Versuche des Neo-Liberalismus, zu überleben. Diese korrupten Arbeiterführer müssen zerquetscht und aus der japanischen Arbeiterbewegung durch die steigende Wut der Arbeiterklasse rausgeschmissen werden.
Ein Hilfszentrum für Erdbebenopfer ist eingerichtet worden. Es ist Ausdruck unseres Entschlusses zu kämpfen, um zu leben. Wir sind entschlossen, in der Mitte der Katastrophe zu auszuharren. Wir laufen vor dem gegenwärtigen Unglück nicht davon. Indem wir enge Verbindung zur Wut unserer betroffenen Freunde herstellen, wiederbeleben wir die Gewerkschaft als „eine Organisation von Arbeitern, die (immer) in Schwierigkeiten leben“.
Unsere ganze Macht muss auf diese Aufgabe konzentriert werden.
Arbeitende Brüder und Schwestern der ganzen Welt, wir versprechen, für eine helle Zukunft der japanischen Arbeiterbewegung zu kämpfen, obwohl unsere gegenwärtigen Fähigkeiten begrenzt sind.
Lasst uns zusammengehen, um die verzweifelten Offensiven des Neo-Liberalismus zu schlagen!
Sofortiger Stopp aller Kernkraftwerke überall auf der Welt!
Wir kämpfen jeden Moment mit unserer ganzen Macht, damit unsere Leute und wir selbst überleben.
24. März 2011
Ich bin Arbeiter der Stadtverwaltung von Sendai. Ich gehöre dem Doro-Chiba-Unterstützungskomitee an. Gern drücke ich meine aufrichtige Dankbarkeit für Eure Unterstützung aus, einschließlich der überwältigenden Geldspenden und der auf der Kundgebung am 20. März gesammelten Sachspenden. Ich bedanke mich bei jedem von Euch weltweit.
Ich schreibe Euch aus dem betroffenen Gebiet. (Wir sind getroffen von einer von Menschen gemachten Katastrophe!).
Die Arbeiter der Stadtverwaltung kämpfen jetzt hart jeden Moment, für das Überleben ihrer Kollegen, ihres Volkes, ihrer Familien und ihrer selbst. Wir sind schwer beschäftigt mit der Wiederherstellung der Elektrizitäts-, Gas-, Wasserversorgung und der Straßen und dem Funktionieren der Notunterkünfte.
Gestern klingelte mein Mobiltelefon, als ich Rad fuhr. Es war ein Anruf meines Kollegen. Er ist in seine Heimatstadt gefahren, um seine Eltern nach dem Erdbeben zu retten. Das Haus seiner Eltern stand in der Hafen-Stadt, der Tsunami erfasste es und zertrümmerte es. Auf seinen Anruf hin stoppte ich schnell mein Rad, um ihm zu antworten. Aufgeregt rief ich seinen Namen immer wieder ins Telefon, aber sein Telefon schien einige Probleme zu haben, er konnte meine Stimme nicht hören. In quälenden und kummervollen Ton gab er Bericht.
„Am Tag des Erdbebens schaffte ich es, in meine Heimatstadt zu gelangen. Aber meine Eltern und die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, waren durch den Tsunami weggeschwemmt worden. Ich wollte meinen Vater und meine Mutter suchen, aber die Militärposten der Armee hatten die Stadt abgeriegelt, und die Posten ließen mich nicht in die Nähe der Stadt. Bis gestern hielt ich mich in einer Schutzunterkunft auf. Ich habe hart mit den Leuten dort gekämpft, aber schließlich wurde ich krank und ins Krankenhaus verfrachtet.
Verzeih mir bitte das Einweggespräch. Ich kann deine Stimme nicht hören. Ich weiß nicht, ob Du mich hören kannst. Ich hoffe, Dich eines Tages wiederzusehen…“
Seine Stimme zitterte vor Kummer und Frustration und füllte sich mit Wut.
Sie können nicht hingehen und nach ihren Eltern suchen, weil Militärposten ihre Heimatstadt abriegeln. Was in aller Welt ist das? Ich sackte auf der Straße zusammen. Was ist „das für eine Hilfsoperation der 100.000 Mann starken Selbstverteidigungskräfte (japanische Armee)“, die der Premierminister Naoto Kan stolz vorantrieb? Kan gab bekannt, dass die Truppen mobilisiert wurden, um Rettungs- und Hilfsarbeiten zu führen, aber in Wirklichkeit ging es nur um die öffentliche Sicherheit. Das wirkliche Ziel von Kan ist, die Einheit der Arbeiter zu zerstören, die sich zum Kampf erheben, um zu überleben.
Alle diejenigen, die mit der Wiederherstellung der Versorgungslinien beschäftigt sind und sich um Notunterkünfte kümmern, sind Arbeiter. Nicht die Armee! Die Leute stehen alle zusammen und arbeiten zusammen, um selbst zu überleben. Obwohl die Explosionen des Fukushima-Werks Nr. 1 und die großen Nachbeben andauern, lässt die Kan-Regierung alle anderen Kernkraftwerke weiterlaufen mit der Aussage, dass sie die menschliche Gesundheit nicht unmittelbar gefährden.
Wie kann Kan es wagen zu sagen, „Lasst uns die nationale Krise gemeinsam angehen!“ Das wichtigste Ziel ist jetzt, die Kan-Regierung zu stürzen!
Es ist nicht die Aufgabe der Arbeiter, den Kapitalismus „wieder herzustellen“, sondern zusammen zu stehen, den Kapitalismus zu bezwingen und eine Gesellschaft der Arbeiter zu errichten. Und Gewerkschaften sollten in der vordersten Reihe dieses Kampfs stehen.
Liebe Freunde im ganzen Land! Die Kan-Regierung sendet die Polizei und Truppen in die betroffenen Gebiete. Doch nur Arbeiter und Gewerkschaften können aufrichtige und wirksame Hilfe leisten, notwendige Hilfsgüter bringen und wirklich anpacken. Wir wurden sehr ermutigt durch den Hilfsaufruf von Doro-Chiba, herausgegeben gleich nach dem Erdbeben und der früheren Mitteilung, dass die Mitglieder von Doro-Chiba sich der Entlassung von Eisenbahnarbeitern widersetzen, für April geplant von der japanischen Eisenbahngesellschaft. Gegen die Kernkraftwerke zu kämpfen und für die nationale Mobilmachung zu streiten, ist nicht Aufgabe der Arbeiter in den betroffenen Gebieten allein, sondern es ist eine historische Aufgabe aller Arbeiter im ganzen Land und überall auf der Welt.
Jetzt ist die Zeit, die Energie zu bündeln für eine landesweite Bewegung der nationalen Eisenbahnarbeiter, die ihre Organisationen quer durch das Land haben. Lasst uns zusammenstehen! Kämpfen wir gemeinsam, um wirklich zu (über)leben!
Wir kämpfen mit unserer ganzen Kraft in den betroffenen Gebieten. Unterstützen Sie uns bitte.
DORO-CHIBA (DC): National Railway Motive Power Union of CHIBA
Email: doro-chiba@doro-chiba.org Web: http://www.doro-chiba.org/