von Sinn Féin Poblachtach
Loyalisten attackieren Wohnviertel, Journalist angeschossen
Die vergangenen Nächte sahen die größten Zusammenstöße in Belfast seit mehr als 15 Jahren. Mitglieder der loyalistischen UVF griffen die kleine, irisch-nationalistische Enklave in Ost-Belfast an. Mehrere Personen wurden teilweise schwer verletzt, ein Katholik liegt seither im Koma, ein Pressefotograf wurde angeschossen. Mehrere Familien wurden aus ihren Häusern vertrieben, Republikaner und Nationalisten aus ganz Belfast konnten das Gebiet allerdings verteidigen.
Belfast – In der Nacht von Montag auf Dienstag attackierten hunderte pro-britische Loyalisten die kleine, irisch-nationalistische Enklave Short Strand im Osten Belfasts. Zwei Nächte lieferten sich britische Polizei, Loyalisten, Republikaner und die Einwohner von Short Strand blutige Straßenschlachten bis das Gebiet von der Bevölkerung gegen die loyalistischen Schlägertrupps verteidigt werden konnte.
Die militärische Invasion war von der loyalistischen Organisation UVF geplant und organisiert. Hunderte vermummte und teilweise uniformierte Loyalisten griffen von Katholiken bewohnte Häuser und öffentliche Einrichtungen an. Die Paramilitärs waren gut organisiert und hatten mit sich Laser, um Polizei und Nationalisten zu blenden. Mehrere Personen mussten mit Augenverletzungen in den Krankenhäusern behandelt werden.
Neben Wohnhäusern wurde von den Loyalisten auch versucht die katholische St. Matthews Kirche in Brand zu setzen. Ein großer Teil der Loyalisten war mit Rohr- und Brandbomben bewaffnet und trug teilweise militärische Uniformen. Steine, Golfbälle, Molotow-Cocktails und Pflastersteine wurden über Straßensperren in das nationalistische Viertel geworfen. Dabei wurde ein Katholik von einem Betonblock getroffen, er liegt seither im Koma.
Die britische Polizei PSNI versuchte kaum, die Loyalisten vom Angriff auf das nationalistische Viertel abzuhalten. Stattdessen wurde das Gebiet lediglich großräumig abgesperrt.
In der zweiten Nacht wurden während der Zusammenstöße mehrere Schüsse abgegeben. Ein Fotograf der Associated Press wurde dabei am Fuß getroffen. Wer die Schüsse abgegeben hat, ist bisher unklar. Die Einwohner von Short Strand berichteten, die Schüsse kamen von der loyalistischen Seite. Es wurde jedoch eine 22-jährige Republikanerin als Verdächtige festgenommen. Aus militanten republikanischen Kreisen wurde aber betont, Republikaner für die Schüsse verantwortlich zu machen diene einzig der „pro-britischen, anti-republikanischen Propaganda“.
Polizeiautos wurde genauso wie Gebäude angezündet. Mehrere katholische Bewohner, vor allem Pensionisten, mussten aus ihren Häusern fliehen.
Die Bevölkerung hatte sich während des Tages gegen einen erneuerten Angriff organisiert. Mehrere Republikaner verschiedener Organisationen kamen in das Gebiet. Es wurden Straßensperren errichtet, und Kanister Wasser und Sand vorbereitet, um im Notfall Brände rasch löschen zu können.
Bei den schweren Ausschreitungen der zweiten Nacht wurden mehrere Katholiken durch Brandsätze verletzt. Zwei Loyalisten erlitten Schussverletzungen an ihren Füßen. Die Polizei setzte Gummigeschoße nahezu ausschließlich gegen die nationalistischen Verteidiger von Short Strand ein.
In der Nacht auf Donnerstag konnte sich die Lage wieder beruhigen. Tausende Personen versammelten sich an den Interfaces in Ost-Belfast. Trotz der angespannten Situation blieb die Lage aber relativ ruhig und gegen 1 Uhr Nachts lösten sich die Gruppen auf.
Ein Journalist der BBC, Mark Simpson, spielte die Belagerung herunter und sprach von einem „mini riot“. Die Bewohner von Short Strand waren entsetzt, diese Äußerungen zu hören, nachdem ihre Häuser und Vorgärten mit Pflastersteinen, Farbbeuteln und anderen Wurfgeschossen übersät wurden. Als mehrere Details über die Zusammenstöße zu Tage kamen, änderte sich das Bild in den Medien aber rasch.
Short Strand ist eine kleine katholisch-nationalistische Enklave im überwiegend loyalistischen Teil von Ost-Belfast. Bei großen Zusammenstößen in dem Gebiet im Jahr 1970 wurde das Gebiet von Republikanern gegen loyalistische Paramilitärs verteidigt. Diese „Battle of St. Matthew’s“ gilt als die Geburtsstunde der Provisional IRA.
Der prominente Republikaner Billy McKee, ehemaliger Führer der Provisional IRA, sprach seine Solidarität mit der Bevölkerung von Short Strand aus. Er sei traurig, dass er aufgrund seines hohen Alters von 89 Jahren nicht mehr selbst in das Gebiet kommen kann um die Bevölkerung gegen die loyalistischen Angriffe zu verteidigen.
Für die Regierungen in London und Dublin waren die plötzlichen Ausschreitungen ein Schock. Es wird erwartet, dass sich die Lage im Zuge der beginnenden marching season noch weiter verschärfen wird. Bereits vergangene Woche wurden bei Zusammenstößen im Zuge eines loyalistischen Aufmarschs in Nord-Belfast 14 Polizeibeamte verletzt.
Fergal Moore, der Vize-Präsident von Republican Sinn Féin, verurteilte den loyalistischen Angriff. Er gratulierte der Bevölkerung zur erfolgreichen Verteidigung ihres Wohngebiets. „Diese Szenen sind uns aus den sechs besetzten Grafschaften nur allzu gut bekannt, denn dieses Sektierertum ist das Fundament des politischen Systems in Stormont.“
Machtkampf innerhalb UVF?
Der Polizeisprecher Alistair Finlay erklärte: „Die UVF in Ost-Belfast hat diese Ausschreitungen begonnen. Daran gibt es keinen Zweifel.“
Von einem Augenzeugen wurden berichtet: „Das waren nicht einfach Zusammenstöße an den Interfaces. Das war ein von Loyalisten organisiertes Pogrom um die Katholiken aus Ost-Belfast zu vertreiben.“
Bereits in den vorangegangenen Tagen, waren uniformierte Loyalisten bei Übungen und Exerzieren in Ost-Belfast beobachtet worden.
Kenner der loyalistischen Szene vermuteten, dass der Führer der UVF in Ost-Belfast, bekannt unter dem Namen „Beast in the East“, hinter den Ausschreitungen steht. Es dürfte sich hierbei um einen Machtkonflikt innerhalb der UVF handeln. Die Organisation ist seit der Ermordung des führenden Loyalisten Bobby Moffet auf offener Straße durch Mitglieder der UVF im Sommer 2009 in einer schweren internen Krise. Bei den letzten Wahlen verlor ihr politischer Arm PUP die letzten Repräsentanten im Abgeordnetenhaus Stormont. Seither hat der militante Loyalismus keine gewählten politischen Vertreter auf überregionaler Ebene.
Zusammenstöße in anderen Stadtteilen
Zu kleineren Ausschreitungen kam es am Montag auch in West Belfast, als Loyalisten von der Shankill Road nationalistische Häuser nahe der Springfield Road angriffen. Auch in der zweiten Nacht kam es bei zwei weiteren Interfaces in Belfast zu Zusammenstößen.
In den frühen Morgenstunden des Dienstag wurden britische Polizeibeamte nahe dem Kennedy Einkaufszentrum in Andersonstown, West-Belfast, mit einem Sprengstoff beworfen. Verletzt wurde dabei niemand.
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