Todesschüsse während der Proteste in Chile

Neben Schülern und Studierenden mobilisieren nun auch die Gewerkschaften. Jugendlicher stirbt durch Polizeikugel

Von Kristin Schwierz

amerika21.de

Santiago de Chile. Bei den seit Monaten andauernden Bildungs- und Sozialprotesten in Chile gibt es ein erstes Todesopfer. Nach Berichten lokaler Medien wurde der 14-jähriger Junge Manuel Gutiérrez von Polizisten erschossen. Der Jugendliche starb im Stadtteil Macul der Hauptstadt Santiago de Chile durch einen Schuss in die Brust. Vor wenigen Tagen beeits hatten in der Hafenstadt Valparaíso Polizisten mit scharfer Munition auf Studierende angelegt. Mitte der Woche wurden geheime Waffenlieferungen an die Armee bekannt. Der rechtsgerichtete Bürgermeister von Santiago hatte zuvor gefordert, am kommenden 11. September die Armee gegen Demonstraten einzusetzen.

Am Mittwoch und Donnerstag sind in Chile hunderttausende Menschen dem Aufruf des Gewerkschaftsverbandes CUT sowie von über 80 weiteren Organisationen zu einem landesweiten Streik gefolgt. Angestellte des öffentlichen Dienstes, Mitarbeiter aus dem Gesundheitssystem, Kupferarbeiter, Busfahrer, Studierende, Schüler, Lehrer, Universitätsangestellte und andere gingen in ganz Chile auf die Straße.

Den Aufruf zum zweitägigen Ausstand hatte die CUT mit grundsätzlichen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit begründet. Auf der Agenda standen beispielsweise die höhere Besteuerung von Unternehmen und Reichen, die Ausarbeitung eines neuen Arbeitsgesetzes, eine Reform des Gesundheits- und Bildungssystems und schließlich eine Verfassungsreform.

Laut der Vereinigung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ANEF streikten aus ihren Reihen 80 Prozent. Nach Angaben des Studierendenverbandes Fech waren am zweiten Streiktag allein in der Hauptstadt Santiago 300.000 Demonstranten an den Aktionen beteiligt, die CUT spricht von 600.000 in ganz Chile, landesweit wurden über 50 Demonstrationen angemeldet. Es gab Straßenblockaden, Barrikaden, Besetzungen, Cacerolazos und zahlreiche kreative Protestaktionen

Insbesondere am ersten Streiktag kam es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der militarisierten Polizei (Carabineros) sowie zu massiven Tränengaseinsätzen und Polizeigewalt. Nach Regierungsangaben wurden alleine am Mittwoch über 300 Menschen verhaftet.

Die zuständigen Behörden hatten, wie auch schon bei Bildungsprotesten zuvor, den Marsch vom zentralsten und traditionellen Sammelplatz Santiagos über die Hauptverkehrsader Alameda verboten, sodass die CUT eine Alternativroute durchsetzen musste. Die Regierung hatte die Streiktage im Vorfeld als ein Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dargestellt.

Der Streikaufruf sowie die CUT als zentrale Organisatorin wurden von Seiten der Regierung und der Regierungsparteien im Vorfeld heftig attackiert. So bezeichnete der Wirtschaftsminister Pablo Longueira den Streik als „unnütz und unnötig“, er richte nur Schaden an. Insbesondere Spitzen der rechten UDI (Unabhängige Demokratische Union) diffamierten die Proteste als von „einer Minderheit“ getragen, „der Entwicklung des Landes abträglich“. Der Streik würde sich gegen die Bürger und die „arbeitenden Menschen“ richten.

Während am Mittwoch der erste Streiktag anlief, lud Präsident Sebastián Piñera indes 15 „einflussreiche“ User des Microbloggingdienstes Twitter zum Mittagessen in den Regierungspalast ein. Die Gäste waren aufgrund ihrer medialen Bedeutung oder der Anzahl ihrer Follower ausgewählt worden.

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