Hungerstreik im Abschiebeknast

Seit 20 Jahren kämpft Victor Atoé aus Nigeria für eine Aufenthaltserlaubnis. Im Abschiebegewahrsam in Köpenick ist der 50-Jährige nun in den Hungerstreik getreten.

von CHRISTIAN WYREMBEK

Seit zehn Tagen hat Victor Atoé nichts mehr gegessen: „Ich habe Schmerzen in meinem Bauch. Alles ist heiß. Ich fühle mich nicht gut“, sagt der 50-jährige Nigerianer im Telefongespräch mit der taz. Zwei Monate sitzt er nun in Abschiebegewahrsam in Köpenick. Vor zehn Tagen ist er in den Hungerstreik getreten. Sören Schneider von der Initiative gegen Abschiebehaft steht in Kontakt mit Atoé: „Er sieht für sich keine Hoffnung mehr. Für ihn ist der Hungerstreik die letzte Möglichkeit.“ Mehrere Asylanträge wurden bereits abgelehnt. Ein Termin für Atoés Abschiebung steht noch nicht fest.

Der Nigerianer hat eine lange Flüchtlingsgeschichte hinter sich. 1991 flüchtete er nach Deutschland. Er lebte in Schleswig-Holstein, nach mehreren Jahren wurde sein Asylantrag abgelehnt. 1996 war er gerade zu Besuch in einem Lübecker Flüchtlingsheim, als auf dieses ein Brandanschlag verübt wurde, bei dem zehn Menschen starben. Durch einen Sprung aus dem Fenster überlebte Atoé mit starken Verletzungen an den Beinen. Als einziger der Überlebenden wurde Atoé kurz darauf abgeschoben, da für ihn ein anderer Kreis zuständig war und er sich offiziell nicht in der Lübecker Unterkunft hätte aufhalten dürfen. Drei Jahre nach der Abschiebung kam Atoé 1999 zurück nach Deutschland, immer noch gezeichnet durch starke Verletzungen an den Beinen. Als 2007 seine Abschiebung erneut bevorstand, tauchte er unter. Vor zwei Monaten wurde er in Berlin aufgegriffen und in Abschiebegewahrsam genommen.

Anja Sierks-Pfaff, Pressesprecherin des Kreises Ostholstein in Schleswig-Holstein, erklärte der taz, Flüchtlinge aus Nigeria bekämen derzeit in der Regel keine Aufenthaltserlaubnis. „Auch alle Asylanträge von Herrn Atoé sind rechtskräftig abgelehnt worden.“ Seine Akte sei inzwischen an Berlin übergeben worden. Berlins Senatsinnenverwaltung wollte zu dem Einzelfall jedoch keine Auskunft geben.

Die Initiative gegen Abschiebehaft fordert, „eine humanitäre Geste, ihn nach diesen 20 Jahren aufzunehmen“. Für humanitäre Entscheidungen zuständig ist die Härtefallkommission. Rechtlich unklar ist laut Schneider jedoch, ob dort ein Antrag möglich ist. Bereits 1996 hatte die Schleswig-Holsteinische Härtefallkommission einen Antrag Atoés abgelehnt.

„Es passiert sehr häufig, dass Menschen in Abschiebegewahrsam die Nahrungsaufnahme verweigern, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ich denke, bei Herrn Atoé ist das sehr ernst gemeint“, sagte Bernhard Fricke, Seelsorger der evangelischen Kirche. Er steht in Kontakt mit den Insassen in Köpenick. Atoés gesundheitlicher Zustand sei sehr schlecht: „Wenn sich das fortsetzt, besteht die Gefahr, dass er Schäden davonträgt.“ Entscheidend sei aber auch seine psychische Situation, so Fricke. Die ständige Bedrohung, abgeschoben zu werden, und die Erinnerungen an Lübeck setzten ihm zu. Dennoch: „Er weiß, was er erreichen will: Gerechtigkeit für sich.“

Ein Termin für die Abschiebung stehe noch nicht fest, sagte Katja Ponert, Atoés Rechtsanwältin, der taz. Für haft- und reisefähig hält sie ihn nicht: „Er hat nachweislich posttraumatische Belastungsstörungen.“ Beim Amtsgericht hat sie einen Antrag auf sofortige Entlassung gestellt: „Wir hoffen, dass es schnell geht. Er muss da raus. Der Abschiebegewahrsam ist einfach falsch.“

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