Im Mai 2011 besuchte eine Delegation des Antiimperialistischen Lagers Ägypten und traf u.a. mit Abdelhalim Qandil zusammen. Obwohl sich die ägyptische Aufstandsbewegung inzwischen weiterentwickelt hat, veröffentlichen wir im Folgenden das leicht gekürzte Original-Interview, das eine interessante Bestandsaufnahme der ägyptischen Bewegung Anfang Mai wiedergibt.
Intifada: Mubarak wurde durch einen Volksaufstand gestürzt. Haben Sie auf diesen Moment gewartet?
Abdelhalim Qandil: Ich habe zehn Jahre lang darauf gewartet. 2005 war ich Ihr Gast in Wien, damals sprach ich exakt von hunderttausend Menschen am Tahrir-Platz.
Es gibt eine Revolution, die keine ebenbürtige Führung hat. Die Revolution war gezwungen, sich eine Führung auszuborgen, dargestellt durch den Militärrat. Das führt dazu, dass der Kampf weitergeht, sogar selbst um die demokratischen Slogans dieser Revolution Das ist ein Hin und Her. Manchmal geht der Rat schnell auf die Forderungen ein, wie z.B. im Fall von Mubarak-Prozess, was ein Maximum der Bereitschaft des Militärrats darstellt. Allerdings bedeutet die Verschiebung der Verfassungsfrage eine Verlangsamung des Prozesses, und dass wir weiterkämpfen müssen.
Die Revolution vom 25. Januar wird nicht die letzte Revolution in Ägypten sein. Weitere ähnliche Revolutionen sind auf dem Weg. Grund dafür ist, dass zentrale Fragen wie etwa die sozialen Fragen noch nicht beantwortet wurden. Auch bei der Frage der nationalen Souveränität haben wir noch einen langen Weg vor uns. Als wir uns 2005 in Wien trafen, habe ich eine ähnliche Revolution erwartet, die innerhalb von 10 Jahren passieren würde. Bekanntlich war ich damals der erste ägyptische Journalist, der den Präsidenten öffentlich kritisierte. In den letzten Jahren schrieb ich vier Bücher zu diesem Thema :“Gegen den Präsidenten“ 2005, „Die letzen Tage“ 2008, „Dem Präsidenten die Rote Karte“ 2009, „Der Alternativpräsident“ 2010.
Die jetzige Entwicklung hat direkte Auswirkungen auf die Beziehungen mit Israel. Die Ära, als Ägypten im Dienst Israels stand, ist vorbei. Die jetzige Übergangsverwaltung tendiert zu mehr Balance in ihren Beziehungen mit den verschiedenen Mächten in der Region. Es gibt eine koordinierte Kampagne seitens Israels, Saudi Arabiens und den USA gegen die ägyptische Revolution. Ihr Ziel ist es, eine Wirtschaftskrise auszulösen, die den Fortschritt dieser Revolution verhindert.
Im benachbarten Palästina, verbessern sich die Beziehung zwischen der jetzigen Verwaltung und Hamas, was auch das Abkommen zwischen Fatah und Hamas ermöglichen konnte. Es gibt auch einen neuen Trend, die Beziehungen mit dem Iran wieder aufzunehmen. Natürlich macht sich Israel große Sorgen. Seit der Revolution wurde die Erdgasleitung zu Israel dreimal gesprengt.
Intifada: Welche neue Revolution erwartet Sie? Wie sind die Umstände einer solchen Revolution? In wie fern ist der Militärrat in der Lage, die Situation zu stabilisieren?
Abdelhalim Qandil: Der Militärrat ist kein Rat der Revolution. Er hat bewiesen, dass er immer Druck von Unten braucht, um etwas zu unternehmen. Der Militärrat wollte nicht einmal Mubarak festnehmen und wurde nur durch den Druck des Volkes dazu gezwungen. Er kann jedoch keine feindlichen Maßnahmen ergreifen, weil die ägyptische Armee ihm diese unmöglich macht. Die Beziehung zwischen der ägyptischen Armee und dem Volk hat einen speziellen Charakter. Seit zweihundert Jahren, in der gesamten modernen Geschichte Ägyptens, ist es nie passiert, dass die Armee eine Konfrontation mit den Volksmassen einging. Entweder entfachte die Armee selbst die Revolutionen, wie Orabi im 19. und Nasser im 20. Jahrhundert, oder sie unterstützte die Revolutionen, wenn auch mit gewisser Trägheit. Der Charakter der nächsten Revolution wird jedenfalls sozial sein.
Intifada: Der Aufstand vom Januar stellte einen Volkskonsens gegen Mubarak dar. Welche Fronten werden sich nach dem Abgang von Mubarak bilden? Kann man erwarten, dass ein Aufstand sozialen Charakters einen ähnlichen Konsens herstellen kann?
Abdelhalim Qandil: Dieses Regime hat Ägypten in der Wirtschaft, in der Kultur, in der Bildung und in der Landwirtschaft zurückfallen lassen. Die Aushöhlung des Landes hat dazu geführt, dass sich bei der Bevölkerung unter der Oberfläche viel Wut anstaute. Die hunderttausend Menschen am Tahrir-Platz sind jene kritische Masse, eine kleine Minderheit, die den Deckel vom Druckkochtopf entfernte und die Wut entweichen ließ. Das ist genau, was am 25. Januar passiert ist. Es waren siebzigtausend und die Sicherheitsapparate haben den Fehler gemacht, brutal an die Sache heran zu gehen. Dieser Fehler der Apparate ist unvermeidlich, denn man kann nicht ein Monster züchten und dann von ihm erwarten, behutsam zu sein.
Die Menschen stürmten wie hypnotisiert den Platz. Sie waren vor allem von Wut getrieben. Sie hatten auch unterschiedliche Forderungen neben Demokratie: Menschlichkeit, Würde, Hoffnung, Arbeit, Wohnung, Nahrung usw. Deswegen glaube ich, dass es weitere Episoden geben wird. Medial herrscht diesmal die Demokratiefrage und übertönte andere Fragen, die nicht durch bloße parlamentarische Demokratie gelöst werden können. Diese benötigen eben eine neue Revolution mit sozialen und auch patriotischen Motiven.
Intifada: Aber da wären die Kräfteverhältnisse doch viel ungünstiger. Die Moslembrüder, die einen wesentlichen Teil der Opposition ausmachen, werden bei einer sozialen Revolte nicht mitmachen. Das gilt auch für andere Kräfte, die bei diesem Aufstand dabei waren.
Abdelhalim Qandil: Die Moslembrüder sind im Moment tatsächlich die größte organisierte Kraft. Nichtsdestotrotz hat diese größte Kraft keine Rolle bei der Auslösung der Revolution gespielt. Heute findet eine neue Art von Revolten statt, die eine genauere Beobachtung benötigt. Revolten bedienen sich neuer Kommunikationsmitteln. Die Bewegungen sind in der gesamten Region sehr ähnlich, weil auch die Regime sehr ähnlich sind. Überall herrschen Familien, umgeben von einer Schicht von Vertretern eines parasitären Kapitalismus, geschützt von aufgeblähten Sicherheitsapparaten. Die Wirtschaft basiert auf primitiver Verteilung und die Politik auf Scheinparteien. Deswegen sind die Szenarien in den verschiedenen Ländern ähnlich. Nur Libyen stellt eine Abweichung dar.
Es ist nicht überraschend, dass nach der Revolution die Moslembrüder in einer günstigeren Lage sind. Sie sind als einzige Kraft im Land gut organisiert. Es war zu erwarten, dass sie sich in eine wirtschaftsliberale Partei mit einer islamischen Maske umwandeln, ähnlich der CDU in Deutschland. Sie werden zur größten Kraft der ägyptischen Rechten. Das bedeutet ein großes Gewicht rechts und ein großes Vakuum links.
Die nächste Bewegung wird von anderen Kräften angeführt werden. Die zentrale Aufgabe ist es, eine vereinigte Partei der Linken zu bilden. Damit ist nicht die marxistische Linke gemeint, sondern die linken Kräfte der Gesellschaft, darunter die Nasseristen, Marxisten, Sozialdemokraten, Islamisten mit progressiven Tendenzen, auch Liberale mit sozialer Verantwortung. Sie soll auch jene große Gruppe der Jugend beinhalten, die hinter dem Aufstand stand und sich heute noch nicht politisch definiert hat. Diese Partei soll ein politisches Programm entwerfen, das als Basis für die nächste Revolution dienen kann.
Es ist großartig, was in Ägypten passiert ist. Kurz zusammengefasst: Wir sind von einer Todesagonie in eine kritische Lage übergangen. Es ist besser in Lebensgefahr als am Sterben zu sein.
Intifada: Was halten Sie von den neuen politischen Formationen? Ersetzt die neu entstandene Nationale Front Kifaya? Hat Kifaya ausgedient?
Abdelhalim Qandil: Kifaya hat tatsächlich eine ganze Reihe ihrer Ziele erreicht. Jetzt müssen diese Ziele erneuert werden. Wir brauchen eine politische Partei, die in ihrer großen Bandbreite Kifaya ersetzt. Erschwert wird diese Einheit durch den Drang vieler Gruppen, Parteien zu gründen. Doch nach den ersten Wahlen wird sich die Notwendigkeit der Einheit erweisen. Angesichts eines potentiellen Wahlsiegs der Moslemischen Brüder wird die Linke gezwungen sein, sich mit der Gründung einer solchen Partei zu beeilen. Die Moslemischen Brüder werden die ersten Wahlen gewinnen, aber ich zweifle daran, dass sie die nächsten auch gewinnen werden.
Es ist wichtig in dieser Phase eine Rolle für die Armee zu finden, nämlich die Verfassung zu schützen. Ich persönlich sehe die ägyptische Armee als Teil der antikolonialen Bewegung und als eine Kraft für die Einigung der Araber. Es gibt Kriegsgefahren, denn weder die USA noch Israel noch Saudi Arabien werden zuschauen. Man wird mit einer Konfrontation rechnen müssen.
Intifada: Sehen Sie eine militärische Rolle der ägyptischen Armee in Libyen? Ist ein solches Szenario denkbar? Die ägyptische Armee wäre vielleicht die einzige Kraft, die sowohl die Nato als auch Ghaddafi aus Libyen hinauswerfen könnte.
Abdelhalim Qandil: Ich habe ein solches Szenario auch in einem Artikel gefordert. Aber das Sicherheitsvakuum in Ägypten macht es unmöglich für die ägyptische Armee zu intervenieren; jenseits von proklamatorischen Aussagen, Ghaddafi ist gleich Mubarak.
In Libyen begingen die Rebellen den Fehler, Waffengewalt mit Waffengewalt zu beantworten. Einerseits verloren sie dadurch ihre moralische Überlegenheit gegenüber dem Regime, andererseits verursachte das einen Bürgerkrieg, der eine Nato-Intervention erst möglich machte.
Der Charakter der Armee zeigte sich in den letzten Tagen Mubaraks, als die Armee ihn ohne seine Zustimmung aus dem Amt entfernte. In den 24 Stunden zwischen seiner letzten Rede (in der er den Rücktritt ablehnte) und der Rede von Suleiman bewegte sich die sechste US-Flotte in Richtung Suezkanal. Der Plan war, den Suezkanal zu kontrollieren, während die israelische Armee in Sinai erneut einmarschiert. Im Camp David-Abkommen gibt es eine Klausel: Wenn Israels Sicherheit durch Ägypten bedroht ist, dann sind die Amerikaner verpflichtet militärisch einzugreifen. Sie waren in Verhandlungen mit den Saudis und den Israelis über die Situation.
Falls Mubarak keine Rücktrittsbereitschaft gezeigt hätte, wäre eine Eskalation bevor gestanden. Mubarak hat selbst die Amerikaner eingeladen, um die Lage zu retten, die Klausel im Camp David-Abkommen war der Vorwand. Hätte die Armee Mubarak genug Zeit gegeben, hätten wir eine ausländische Intervention gehabt, um Mubarak an der Macht zu halten.
Intifada: Besteht in Syrien die Gefahr eines libyschen Szenarios?
Abdelhalim Qandil: Nein. Die Situation in Syrien ist anders. Dort sind die politischen Kräfte, die den Aufstand unterstützen, großteils antiimperialistische Kräfte. Nur Einzelpersonen aus der Gruppe der Damaskus-Erklärung werden von den USA unterstützt, aber diese haben keinen Einfluss auf die syrische Öffentlichkeit. Es gibt keine Kraft in Syrien, die eine amerikanische Intervention fordert. Ich selbst bin gegen Assad, aber ich weiß, dass die wesentlichen Kräfte der syrischen Linken mit dem Regime einen weitgehenden nationalen Dialog über Reformen eröffnen möchten, ohne ihn stürzen zu wollen.
Ein US-amerikanischer Einmarsch im arabischen Osten wäre ein Höllenritt. Das möchten die USA im Moment vermeiden. In Libyen ist die Situation anders. Dort ist die Spaltung innerhalb der regierenden Elite Tatsache. Nach dem Abgang Ghaddafi wird eine Kraft von außen nötig, um die Integrität und die Einheit des großen dünn besiedelten Landes zu bewahren. Ich glaube nach wie vor, dass die beste Option die ägyptische Armee ist.
Intifada: Haben die Ereignisse im arabischen Raum die palästinensische Bewegung in ihrer Rolle als Trägerin des Widerstands überholt? Wird Palästina nicht mehr als Leitbild dienen?
Abdelhalim Qandil: Die arabischen Aufstände haben ein neues Modell geschaffen, das auch ein Instrument für die Palästinenser sein wird. Stellen Sie sich eine ähnliche Massenbewegung im Westjordanland und in Jerusalem vor! Diese Massenbewegung kann auch eine moralische Brücke bilden und eine positive Veränderung der gesamtarabischen Situation bewirken. Eine Folge der Veränderung in Ägypten war die palästinensische Versöhnung [zwischen Hamas und Fatah, Red]. Das Abkommen an sich ist nicht wichtig, aber es öffnet die Wege für eine andere Stimmung, in der eine neue Intifada möglich ist.
Intifada: Eine Frage zur verfassunggebenden Versammlung: Nach den gegensätzlichen Positionen der politischen Kräfte stehen die Chancen dafür nicht gut. Halten Sie diese Forderung für wichtig?
Abdelhalim Qandil: Vor kurzem habe ich einen Leitartikel mit dem Titel geschrieben „Die Verfassung zuerst, geehrte Generäle!“. Erfahrungen haben gezeigt, dass, um etwas zu erreichen, Druck auf den Militärrat auszuüben ist. Man muss sich nicht unbedingt vor dem vom Militärrat entworfenen Szenario beugen. Die Aufgabe der Stunde ist die Bildung einer konstituierenden Versammlung, die eine neue Verfassung verabschiedet. Das ist das Fundament für jeden demokratischen Aufbau. Das Szenario der Wahlen unter der jetzigen Verfassung wird Komplikationen mit sich bringen und das Land drei Jahre lang politisch lähmen. Nach Parlaments- und Präsidentschaftswahlen entsteht nach sechs Monaten eine parlamentarische Verfassungskommission. Diese wird sechs Monate lang an einer Verfassung arbeiten. Dann würde es ein Referendum über den Entwurf geben. Nach der neuen Verfassung würde das Parlament nicht mehr gültig sein und es wären neue Wahlen nötig. Auch der Präsident müsste dann neu gewählt werden. So gehen wir von Wahlen zu Wahlen, ohne tatsächliche Reformen der Wirtschaft, der Politik und der Sicherheitslage zu realisieren. Dieses Szenario ist ein Desaster.
Es ist an den politischen Kräften, sich zu organisieren um auf den Militärrat Druck auszuüben.
Übrigens hat der Militärrat das Ergebnis des Referendums vom 19. März über Verfassungsänderungen annulliert. Bei diesem Referendum ging es auch um die Verfassung von 1971. Erst danach entdeckte der Militärrat, dass diese Verfassung keinen Militärrat beinhaltet.
Intifada: Gibt es eine signifikante politische Koalition, die für die verfassunggebende Versammlung ist, ähnlich wie in Tunesien?
Abdelhalim Qandil: Ja, ich sehe große Möglichkeiten, in diese Richtung Druck auszuüben und den Militärrat dazu zu bringen, von den geplanten Wahlen im November abzusehen. Wichtig ist, dass sich die Gruppen einigen. Das Szenario der konstituierenden Versammlung ist das schnellste. Innerhalb eines Jahres hätten wir eine neue Verfassung und eine neue Regierung.
Intifada: Welchen Präsidentschaftskandidaten unterstützen Sie?
Abdelhalim Qandil: Es gibt zwei Kandidaten, deren Linie ich teile: Hamdin Sabahi und Hisham Bastawisi. Ich hoffe dass die beiden sich einigen, dass es nur einen gibt. Klar ist, dass wir auf keinen Fall Amre Mousa oder Mohammad Baradai unterstützen würden.
Intifada: Haben Sie erwogen, selbst zu kandidieren?
Abdelhalim Qandil: Ich wurde darauf angesprochen, doch ich sehe nicht darin meine Aufgabe, sondern in der Bildung einer neuen linken Partei. Diese Partei soll eine Kraft sein, die den Moslemischen Brüdern nicht feindlich gesinnt ist, aber doch im Wettbewerb mit ihnen steht. Ich bemühe mich, dass die Kampagne für die Präsidentschaft gemeinsam mit der Kampagne für die Bildung der Partei geführt wird. Die Moslemischen Brüder werden bei den nächsten Wahlen gewinnen, doch was ist mit den übernächsten?
Mit den Moslemischen Brüder haben wir Übereinstimmungen hinsichtlich der nationalen Frage. Kulturell muss man verstehen, dass innerhalb der ägyptischen Gesellschaft die Frage „Säkularismus vs. religiöser Staat“ keine authentische Debatte ist. Die Hauptdebatte spielt sich zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen.
Intifada: Sabahi hat das Referendum vom 19. März unterstützt. Heißt das nicht, dass er dadurch das Projekt des Militärrats unterstützt?
Abdelhalim Qandil: Seine Partei Karama hat eine Position gegen dieses Referendum abgegeben und er korrigierte seine Position zugunsten der Parteilinie.
Intifada: Sehen Sie di Gefahr einer militärischen Eskalation seitens Israel?
Abdelhalim Qandil: Ja, Kriegsgefahr ist da. Deswegen betonen wir, dass die ägyptische Armee ein Teil der Bewegung ist. Die ägyptische Armee ist kein Berufsheer und kein Heer von Freiwilligen, sondern ein Volksheer. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die Existenz Israels eine Bedrohung für die Existenz Ägyptens selbst ist. Die Palästina-Frage ist nicht nur eine Frage für die Palästinenser, die Araber oder die Moslems, sondern auch eine Frage der ägyptischen nationalen Sicherheit. Es sind sogar mehr Ägypter im Kampf gegen den Zionismus gefallen als Palästinenser.
In der letzten Nummer unserer Zeitung haben wir ein Interview mit den Personen, welche die Gasleitungen nach Israel gesprengt haben. Das sind ägyptische Patrioten keine Islamisten.
Die jetzige Behörde bemüht sich darum, die Erdgasverträge mit Israel loszuwerden.
Intifada: Sie haben oft betont, dass die nächste Revolution eine soziale sein wird. Wollen Sie die soziale Frage antikapitalistisch beantworten oder ist das unmöglich?
Abdelhalim Qandil: Die kapitalistische Lösung hat ihre Möglichkeiten verbraucht. In diesem Land kommt Kapitalismus der allgemeinen Plünderung und Aushöhlung der Ressourcen gleich. Die „Öffnung der Wirtschaft“ und Privatisierungen haben das Land wirtschaftlich zerstört. Ägypten wurde einem Raubzug ausgesetzt, den es in den dreitausend Jahren seiner Geschichte nicht kannte. Es gibt keine kapitalistische Antwort.
Intifada: Wie sehen Sie die Rolle von Saudi-Arabien in einem militärischen Szenario?
Abdelhalim Qandil: Was jetzt neu ist, ist die Wachsamkeit des ägyptischen Volkes. Im Jahr 2009 während der israelischen Angriffe auf Gaza waren die Reaktionen der Massen in Ägypten sehr beschränkt. Wenn jetzt eine Aggression gegen Gaza stattfinden würde, dann würden Millionen auf die Straße gehen. Das Regime wäre gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. Jetzt sagt es, dass es innerhalb einer Woche den Grenzübergang nach Gaza dauerhaft öffnen wird. Das sieht Israel als Provokation.
Vorbei ist die ägyptische Bereitschaft, Israel zu dienen und an den israelischen Militäroperationen teilzunehmen. Mubarak war der Mann Nr. 1 der USA. Der israelische Generalstabschef Benjamin Ben-Eliezer bezeichnete ihn als „den größten strategischen Schatz Israels“. Auch für Shimon Perez war er der „wichtigste Mann in der Geschichte Israels nach Ben Gurion“. Für sie ist der Verlust von Mubarak nicht einfach. Dass er gestürzt wurde, ist eine Ohrfeige für Israel, die USA und Saudi Arabien. Von Camp David ist eine Art Koexistenz geblieben.
Die Ägypter sehen die Palästinenser als die erste Verteidigungslinie der ägyptischen Souveränität. In den USA führen jährlich Meinungsforschungsinstitute Umfragen im Arabischen Raum zu den Beziehungen zu den USA durch. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass unter den arabischen Völker die Ägypter den USA am feindlichsten gesinnt sind.
Intifada: Wie sehen Sie die Zukunft der palästinensisch-israelischen Verhandlungen nach dem Sturz von Mubarak? Dies insbesondere nach der unterzeichneten Versöhnung zwischen Fatah und Hamas?
Abdelhalim Qandil: Ich glaube es wird keine echten Verhandlungen mehr geben. Es mag zu Scheinverhandlungen kommen, ohne dass es diese tatsächlich gibt. Konkrete Veränderungen wird es in der Realität geben. Ich glaube, dass die Palästinenser sich in Zukunft anders verhalten werden.
Intifada: Wir haben bei anderen Treffen mit linken Aktivisten gehört, dass die Arbeiterbewegung unpopulär sei und die Streiks angefeindet würden. Eine Isolation der Arbeiterforderungen von der politischen Bewegung würde ein Problem darstellen, vor allem weil die sozial Frage in Ägypten nach wie vor eine zentral ist. Wie sehen Sie das?
Abdelhalim Qandil: Die Lage ist zwar noch kompliziert, jedoch geht es der Arbeiterbewegung heute besser. Neue Gewerkschaften werden gebildet und es gibt eine unabhängige Arbeiterunion. Die Aktivisten, mit denen ihr gesprochen habt, meinen das vom Militärrat verabschiedete Gesetz, das Streiks von Interessensgruppen einschränkt. In der Realität wird dieses Gesetz nicht umgesetzt. Keiner ist in der Lage, es umzusetzen. Bis jetzt wurde keinem auf der Basis dieses Gesetzes einen Prozess gemacht. Der Militärrat hat Angst vor der Massenbewegung. Er möchte die bestehende Ordnung möglichst beibehalten und gleichzeitig Konfrontationen vermeiden. Diese Gleichung ist schwer.