Mord unter Staatsaufsicht
Von Sebastian Carlens
Haben Verfassungsschützer den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter beobachtet? Diesen Verdacht legen Observationsprotokolle des US-Militärgeheimdienstes DIA vom 25. April 2007 nahe. Einem Bericht von stern.de vom Mittwoch zufolge observierte an diesem Tag eine Spezialeinheit des amerikanischen Militärgeheimdienstes zwei Personen, die in einer Heilbronner Bankfiliale 2,3 Millionen Euro einzahlten. Zwei Verfassungsschützer »aus Baden-Württemberg oder Bayern« sollen laut US-Bericht an dem Einsatz beteiligt gewesen sein. Nach Verlassen der Bank seien die beiden observierten Personen zur Heilbronner Theresienwiese gefahren.
Dort habe die Operation allerdings abgebrochen werden müssen: Das US-Dokument berichtet von einer »Schießerei«, in die ein Zivilfahnder aus Baden-Württemberg (»BW Ops Officer«) mit einem rechtsradikalen Kommando (»right-wing operatives«) und einer regulären Polizeistreife vor Ort (»regular police patrol on the scene«) verwickelt waren. Bei einer der beiden observierten Personen soll es sich laut stern.de um Mevlüt K. handeln, der nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes 2007 der islamistischen »Sauerland-Gruppe« 26 Bombenzünder beschafft hatte.
An der Heilbronner Theresienwiese starb an diesem Tag die 22jährige Polizistin Kiesewetter, ihr Kollege überlebte schwer verletzt. Die Tatwaffe, mit der die beiden Beamten angegriffen worden waren, fanden Ermittler am 4. November 2011 im Wohnmobil der mutmaßlichen Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt. Bis zu diesem Zeitpunkt, also über viereinhalb Jahre nach dem Mord, wollen deutsche Ermittler nicht gewußt haben, wo sie die Täter zu verorten haben. Die Verfassungsschützer wußten es, den US-Angaben zufolge, allerdings schon unmittelbar nach der Tat.
Unter den bisher festgenommenen Mitgliedern und Unterstützern der NSU-Zelle seien keine V-Leute, teilte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages (PKG), Thomas Oppermann, am Mittwoch nach einer Sitzung des Geheimdienst-Ausschusses des Bundestages mit.
Gestern ab 16 Uhr trat der Innenausschuß des Bundestages in geheimer Sitzung zusammen. Ergebnisse der Sitzung lagen bis Redaktionsschluß noch nicht vor. Aus gut unterrichteten Kreisen war allerdings zu hören, daß während der Sitzung neue Erkenntnisse zum Tod von Mundlos und Böhnhardt präsentiert worden sein könnten. Es sollen Hinweise vorliegen, daß es sich »nicht um aufgesetzte Schüsse« gehandelt habe. Wenn beide Terroristen durch Distanzschüsse im Wohnmobil zu Tode kamen, wäre eine dritte Person dafür verantwortlich. Fremdeinwirkung war bisher offiziell stets bestritten worden.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht indes größere Chancen für ein NPD-Verbot, wenn Kontakte der neofaschistischen Partei zu der Zwickauer Terrorzelle belegt werden könnten. Dies wäre »ein wichtiges Argument« in einem möglichen Verbotsverfahren, sagte der Minister am Mittwoch in Berlin. Angesichts der sich täglich überschlagenden Erkenntnisse über die Rolle staatlicher Organe beim Abtauchen und beim Mordfeldzug der Terrorzelle ist die Debatte um ein NPD-Verbot, so sehr es auch zu begrüßen wäre, nur noch ein Ablenkungsmanöver: Zur Bedrohung wurden Neofaschisten in der BRD erst dank der Protektion durch staatliche Stellen. Es sind die Hintermänner, Helfer und Vertuscher im Staatsapparat, ohne die weder NPD noch NSU hätten gefährlich werden können. Eine dringend nötige Aufklärung der Rolle staatlicher Organe wird jedoch verschleppt und in geheime Gremien abgeschoben.
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