Der revolutionäre 1. Mai 2012 in Berlin – eine kurze Einschätzung

Dieses Jahr fanden am Kampftag unserer Klasse wieder mehrere kämpferische Aktionen und Demonstrationen statt, an denen wir uns beteiligten. Zusammenfassend kann erfreulicherweise konstatiert werden, dass die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen zum Teil enorm gestiegen sind, was allerdings nur wenig über den tatsächlichen Bewusstseinsstand der Menschen oder die Perspektive in ihren Kämpfen aussagt. Es steht außer Frage, dass der hohe Aufwand und die Energie, die von allen Seiten in dieses „Event“ gesteckt werden, leider so gut wie keine nachhaltige Wirkung erzielen und auch die aufständischen Aktionen reinen Symbolcharakter haben.
Trotzdem halten wir es weiterhin für sinnvoll, am 1.Mai die rebellische Tradition unserer Klasse auf Demonstrationen zum Ausdruck zu bringen und klassenkämpferisches, revolutionäres Bewusstsein in die protestierenden „Massen“ zu tragen. Doch darf dieser Aktionismus gegenüber der politischen und organisatorischen Aufbauarbeit im Stadtteil und an den Arbeitsplätzen nicht überbewertet werden.

Wir verteilten im Vorfeld des 1.Mai im Rahmen unserer diesjährigen Beteiligung am „Klassenkämpferischen Block“, eine von diesem herausgegebene Massenzeitung in dem Spandauer Arbeiterviertel Siemensstadt. Vor Betrieben und in den angrenzenden Mietblocks wurden wir so mehrere hundert Zeitungen los. Es wird Zeit, dass die außerparlamentarische Linke die Arbeitsstätten unserer KlassengenossInnen endlich wieder als ihr (mit) zentrales Politikfeld begreift.

Im Neuköllner Schillerkiez, einem unserer regionalen Politikschwerpunkte, tauchten unterdessen Stencils auf, die zum 1.Mai mobilisierten.

Am Vorabend des 1.Mai, der sogenannten Walpurgisnacht, nahmen wir dann an der Demonstration „Nimm was dir zusteht! Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung!“ teil, ebenso wie circa 4000 weitere Menschen. Darunter – neben dem gewöhnlichen, teils stark alkoholisiertem Szeneklientel – auch recht viele AnwohnerInnen des „roten Wedding“. Mit GenossInnen aus dem subproletarischen Millieu und AktivistInnen der ARAB bildeten wir auf der Demonstration einen Internationalistischen Block, der bereits vor Demo-Beginn die proletarische Hymne „Roter Wedding“ durch die Straßen schallen ließ. Wir werten es als Erfolg, dass wir das Mitführen von zwei Palästinafahnen gegen den engstirnigen und realitätsfernen Organisatoren-Konsens durchsetzen konnten. Somit wurde der Demonstration ein den AnwohnerInnen gegenüber offeneres Gesicht und internationalistische Solidarität beigesteuert.
Die Demonstration wurde, wie im terminlichen Umfeld des 1.Mai üblich, von einem massiven Polizeiaufgebot schikaniert.

Am Morgen des 1.Mai startete wie gewohnt die Demonstration des sozialpartnerschaftlichen und letztendlich arbeiterfeindlichen DGB-Apparats. Um unsere Klassenbrüder und -schwestern nicht mit den verlogenen Parolen der Gewerkschaftsbosse allein zu lassen, sondern klar antikapitalistische Positionen zu stärken, nahm der „Klassenkämpferische Block“ (ein Bündnis aus linken Gruppen, GewerkschaftsaktivistInnen und -Oppositionellen), dessen Teil wir waren, unter dem Motto „Gemeinsam & Entschlossen – Kapitalismus überwinden!“, an der Demo teil. Jeweils mit eigenen Blöcken stark vor Ort vertreten waren außerdem GenossInnen aus verschiedenen klassenbewussten türkischen Organisationen wie ATIF und der Halk Cephesi (Volks Front), sowie die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU. Im Lautsprecherwagen unseres Blocks kamen ausschließlich BasisaktivistInnen zu Wort, die sich in ihren Betrieben und auf ihren Arbeitsplätzen gegen die zunehmende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen. Zusammenfassend ist es uns auf der DGB-Demo gelungen, eigene Akzente zu setzen, Inhalte zu vermitteln und die Notwendigkeit einer revolutionären Organisierung abseits der verräterischen Gewerkschaften, auf dem Weg raus aus den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu verdeutlichen. Mehr Fotos hiervon

Danach kam es gegen 13 Uhr im Neuköllner Schillerkiez noch zu einer Spontan-Demonstration von ungefähr 20 Menschen. Mit lauten Parolen wie „Mein Kiez, mein Block – Mieten stopp!“, „1.Mai – Straße frei!“, „Hoch die internationale Solidarität!“ und „Hinter Krieg und Krise steht das Kapital – der Kampf um Befreiung ist international!“ liefen die AktivistInnen die Weisestraße hinunter. Von PassantInnen und AnwohnerInnen kamen dabei vor allem viele Solidaritätsbekundungen, was auch dem offenen Charakter dieser Sponti geschuldet ist und auf eine wachsende Verankerung der eigenen Positionen im Kiez hindeutet. Niemand informierte die Bullen. Warum auch…

 


Am Abend kam es aus dem Bezirks-Befriedungsprojekt „Myfest“ in Kreuzberg heraus zu einer weiteren unangemeldeten, aber angekündigten Demonstration, die sich unter dem gut vermittelbaren Motto „Schnauze voll von Hohen Mieten!“ und leider immergleichen, tendenziell eher unvermittelbaren Parolen, ihren Weg durch Kreuzberg 36 bahnte. Begleitet wurde sie von einem Spalier aus Zivil-Beamten zu beiden Seiten. Ungefähr 900 Personen nahmen teil, darunter auch FestbesucherInnen.

Mit eineinhalb Stunden Verspätung brach schließlich die sogenannte Revolutionäre 18-Uhr-Demonstration auf. Unter dem Motto „Der Druck steigt – für die soziale Revolution!“ zog sie ebenfalls durch Berlin Kreuzberg. Über 20 000 Menschen gingen auf die Straße. Es gab mehrere Lautsprecherwagen, Blöcke, viele Transparente, sowie einige symbolische Aktionen aus der Demo heraus, so etwa Böllerwürfe und ein paar kaputte Glasscheiben an einer Tankstelle und einer Sparkasse. Trotzdem wurde sie kurz nach der Grenze des Bezirks Mitte brutal von den den ganzen Tag in Kreuzberg und Umgebung herumlungernden Bullenhorden aus allen Teilen der Republik angegriffen und letztendlich auch aufgelöst und zerschlagen. Es gab viele verletzte DemonstrantInnen und auch wieder eine vielzahl Festgenommener. Verleumdnerische Medienberichterstattung, Hetze und Repressionen folgen wie üblich. Als Erfolg kann man, wie bereits oben erwähnt, die hohe Teilnehmerzahl werten.

Der große Volksaufstand in Zentral-Berlin blieb auch dieses Jahr vorerst aus. Mangelndes Bewusstsein, Organisiertheit und Entschlossenheit in den Massen sowie einem absoluten Großteil der linken Gruppen und Bewegungen dürfte dies ebenso zu verschulden haben, wie überlegene Taktik, Konzepte, Mittel und Ressourcen der Hunde der Herrschenden.

Woanders:

In Magdeburg fand nun schon zum fünften Mal organisiert von Zusammen Kämpfen [Magdeburg] eine revolutionäre 1.Mai-Demonstration statt.

In Stuttgart brachten unsere GenossInnen von Zusammen Kämpfen [Stuttgart] zahlreiche Flugblätter in Umlauf, so eine Flugschrift zum 1.Mai und eine zur Geschichte von Stuttgart-Ost.

In zahlreichen anderen Städten der BRD (z.B. Hamburg, Nürnberg, Duisburg) und International waren ebenfalls wieder Millionen auf der Straße, und die Parole behält ihre Richtigkeit:

Klasse gegen Klasse – Es gibt keine Befreiung ohne Revolution!

Wir möchten uns herzlich für die bei uns eingegangenen Grußbotschaften aus anderen Städten und Ländern bedanken, und veröffentlichen nachfolgend die unsere, die an zahlreiche revolutionäre 1.Mai-Demonstrationen und Gruppen in der BRD und der Schweiz verschickt wurde:

„Liebe Genossinnen und Genossen in […]!

Wir wollen euch und eurer Demonstration anlässlich dieses Kampftages unserer Klasse, an dem weltweit die Ausgebeuteten und Unterdrückten auf die Straße gehen, unsere herzlichen und solidarischen Grüße übermitteln!

Wir leben in Zeiten, in denen unsere Klasse Schlag um Schlag kassiert. Der Klassenkampf von oben tobt zunehmend rücksichtslos. Die Herrschenden lassen in Zeiten der Krise endgültig ihre „soziale“ Maske fallen, Sozialabbau zum Nachteil der Ärmsten und der breiten Volksmassen steht auf der Agenda. Überall wird gekürzt, die Lebenssituationen prekärer, die Löhne niedriger und die Arbeitsumstände erpresserischer und unerträglicher.

Die Situation weist uns Kommunisten und Revolutionären also ganz klar den Weg: Propaganda und Agitation intensivieren, Klassenbewusstsein und Solidarität schaffen – auf den Straßen unserer Viertel ebenso wie in Betrieben und Ämtern – unsere Organisierung vorantreiben, zusammenkommen, zusammen kämpfen, gegen das Kapital und seinen bürgerlichen Staat!

Lassen wir uns in unserem Kampf nicht beirren: Ein konsequenter Bruch mit Opportunismus, Revisionismus, Reformismus und anderen zersetzenden Tendenzen ist richtig und wichtig, wollen wir der Klasse beweisen, dass wir es ernst meinen und nicht schlussendlich einen falschen Weg einschlagen.

Die Situation in den Metropolen und imperialistischen Zentren darf dabei nicht der alleinige Maßstab sein. Unsere Aktivitäten dürfen den Bezug zu den revolutionären Befreiungsbewegungen in aller Welt nicht verlieren. Ob in Indien, Türkei/Nordkurdistan oder Palästina – es ist unsere Klasse, die leidet und kämpft!

Lasst uns in diesem Sinne einen kämpferischen 1.Mai begehen:
Für eine fortwährende revolutionäre Organisierung – für einen revolutionären Aufbauprozess!

Es gibt keine Befreiung ohne Revolution!

Zusammen Kämpfen [Berlin]“

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