Geschichte. Vor 80 Jahren wurde der Keppler-Kreis gegründet – Bemerkungen zum Verhältnis von Großkapital und NSDAP
Von Reiner Zilkenat / jwDie Legendenbildungen zu den Ursachen der Machtübergabe an die NSDAP begannen bereits am 30. Januar 1933. Die deutschen Faschisten selbst sprachen von »Revolution« und »Machtergreifung«. Bürgerliche Autoren haben diese terminologischen Verschleierungsmanöver der Nazis übernommen, zu denen auch die Selbstbezeichnung der deutschen Faschisten als »Nationalsozialisten« gehört. Sie sind hierzulande Allgemeingut in den Schulbüchern und den herrschenden Medien sowie in den am meisten verbreiteten Darstellungen zur Geschichte des Faschismus.
Derartige Praktiken dienen seit mittlerweile acht Jahrzehnten einem einzigen Ziel: Ein genetischer Zusammenhang zwischen der Entstehung und dem Wachstum der Nazibewegung einerseits und der herrschenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung andererseits sowie die aktive Unterstützung der Faschisten durch einflußreiche Kreise des Großkapitals dürfen um keinen Preis in das Geschichtsbewußtsein breiter Bevölkerungskreise eindringen; sie müssen auch im akademischen Betrieb unerwünschte, ja beschwiegene Themen bleiben. Die berühmte Formulierung Max Horkheimers: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen«, so heißt es, sei durch empirische historische Forschung gegenstandslos geworden.1
Die politischen Motive derartiger Geschichtsfälschungen hat einst der US-amerikanische Historiker Henry A. Turner mit folgenden Worten definiert: »Entspricht die weitverbreitete Ansicht, daß der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen. Ist diese Meinung jedoch falsch, dann ist es auch die Voraussetzung, auf der die Einstellung vieler Menschen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung beruht.«2 Eine der Tatsachen, welche die Unterstützung der deutschen Monopolbourgeoisie belegen, ist die Gründung eines Kreises deutscher Unternehmer und Bankiers um den Chemieindustriellen Wilhelm Keppler im Frühjahr 1932. Um die Bedeutung dieses Kreises einordnen zu können, empfiehlt es sich, einen Blick auf das Verhältnis von Großkapital und Faschismus in der Weimarer Republik zu werfen.
Monopolherren und Nazibewegung
Schon bevor die NSDAP eine wähler- und mitgliederstarke Partei wurde, galt ihr und ihrem selbsternannten »Führer« Adolf Hitler das Interesse einflußreicher Herren aus den Vorstandsetagen deutscher Monopole. Hinter verschlossenen Türen wurde Hitler immer wieder die Gelegenheit geboten, seine politischen Ansichten und Ziele unverblümt auszuplaudern – ohne die lästige Rücksichtnahme auf die ansonsten in der Öffentlichkeit verkündeten Phrasen über einen angeblich angestrebten »nationalen Sozialismus«. Meilensteine derartiger Auftritte bildeten seine Rede vor dem renommierten »Hamburger Nationalklub von 1919« im Februar 1926 und mehrere Ansprachen vor Großkapitalisten und Managern an Rhein und Ruhr im selben und im darauffolgenden Jahr.
Hier bejubelten die anwesenden Herrschaften regelmäßig die von Hitler artikulierten politischen Auffassungen, bei denen es im Kern stets um die Notwendigkeit einer Vernichtung der Organisationen der Arbeiterbewegung, die Zerstörung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie und um die zielstrebige politische, ideologische und materielle Vorbereitung eines zweiten »Griffs nach der Weltmacht« durch den deutschen Imperialismus ging.
Derartige Auffassungen waren durchaus kompatibel mit den Vorstellungen einflußreicher Exponenten des Monopolkapitals. Ihr Verhältnis zur Weimarer Republik war vornehmlich taktischer Natur: Die in der Novemberrevolution und danach von der Arbeiterklasse erkämpften politischen und sozialen Errungenschaften wurden von ihnen nur so lange anerkannt, wie sie dazu beitrugen, in der Zeit der revolutionären Nachkriegskrise die kapitalistischen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse stabilisieren zu helfen. So schnell als möglich wollten sie z.B. den Acht-Stunden-Arbeitstag, die Anerkennung der Gewerkschaften als gleichberechtigte Tarifpartner, die Ausbreitung des kommunalen Wohnungsbaus und besonders die Ausgestaltung der staatlichen Sozialpolitik wieder außer Kraft setzen. Vor allem: Sollte endlich der Zeitpunkt herangereift sein, um den im eigenen Kontor praktizierten »Herr-im-Hause«-Standpunkt kompromißlos auf den Staat übertragen zu können, so galt es, zielgerichtet zu handeln. Als politischer Bündnispartner spielte die faschistische Partei mangels Massenanhang dabei zunächst nur eine untergeordnete Rolle.
Doch seit dem September 1930, nachdem bei den Wahlen zum Reichstag die zuvor unbedeutende NSDAP zur zweitstärksten Partei avanciert war, wurde für die Vertreter des deutschen Großkapitals die Frage akut: »Wie halten wir’s mit der NSDAP?«
Enge Beziehungen
Einige einflußreiche Exponenten der Monopole und ihrer Interessenverbände hatten frühzeitig enge Beziehungen zu den Faschisten geknüpft. Sie waren seit 1930 an führender Stelle daran beteiligt, die Nazis salonfähig zu machen mit dem Ziel, ihnen Regierungsverantwortung zu übertragen.
Zu den Propagandisten »der ersten Stunde« aus jenen Kreisen zählten vor allem Emil Kirdorf und Fritz Thyssen. Der 1847 geborene Kirdorf galt als der »große, alte Mann« an Rhein und Ruhr. Von 1893 bis 1926 amtierte er als Generaldirektor des größten Bergbauunternehmens in Deutschland, der Gelsenkirchener Bergwerks-AG. Auch in den Jahren danach genoß Kirdorf große Autorität und behielt beträchtlichen Einfluß unter den Monopolherren der Schwerindustrie. Im Juli 1927 schloß er sich der NSDAP an und spendierte der faschistischen Partei als »Eintrittsgebühr« 100000 Mark. Im Juli 1927 organisierte Kirdorf in seinem Haus ein exklusives Treffen Hitlers mit führenden Industriellen. Bereits ein Jahr später verließ er jedoch wieder die NSDAP. Für bürgerliche Historiker wird dies stets als Beleg für seine schnell vollzogene »Entfremdung« von der Nazipartei angeführt. Die Fakten vermitteln jedoch ein anderes Bild. Denn die Motive für seinen Parteiaustritt waren keineswegs grundsätzlicher Natur.
In einer persönlichen Stellungnahme über seine Beziehungen zur Nazipartei formulierte er, daß die NSDAP »im Revier eine Richtung einschlug, gegen die ich mich wenden mußte«. Für Hitler empfinde er jedoch weiterhin »warme Freundschaft und Hochschätzung«3. Warum ist es wichtig, an diese Episode zu erinnern? Zum einen bezog sich das, was hier als die »Richtung« der NSDAP »im Revier« umschrieben wird, auf die in der Parteipropaganda stark akzentuierte »sozialistische« Phraseologie, die dem Ziel diente, den beiden Arbeiterparteien KPD und SPD möglichst viele Anhänger und Wähler abspenstig zu machen. Die NSDAP im Ruhrgebiet hatte durch entsprechende propagandistische Aktivitäten tiefes Mißtrauen bei den Herren der Schwerindustrie verursacht.
Kirdorf und andere Industrielle befürchteten, daß hier eine Büchse der Pandora geöffnet wurde und die lauthals postulierten Ziele eines Kampfes gegen das »raffende jüdische Kapital« und die »Plutokraten« sich am Ende gegen sie selbst richten könnten. Kirdorf blieb der NSDAP eng verbunden, auch wenn er jetzt innerhalb der vom Medienmogul Alfred Hugenberg geführten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) agierte. So war er u.a. Ehrengast auf dem Parteitag der NSDAP 1929 in Nürnberg, spendierte Hitler weiterhin bedeutende Summen aus eigener Tasche und wurde folgerichtig im »Dritten Reich« der Faschisten mit dem Goldenen Parteiabzeichen geehrt.
Fritz Thyssen zählte wie Kirdorf zu den mächtigsten Exponenten der Schwerindustrie an Rhein und Ruhr. Seit der Bildung der Vereinigten Stahlwerke AG im Jahre 1926, des größten schwerindustriellen Konzerns in Europa, amtierte er als Vorsitzender des Aufsichtsrates. Außerdem war er Mitglied des Präsidiums des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) und der »Ruhrlade«. Dabei handelte es sich um einen im verborgenen wirkenden Kreis von Großindustriellen des Ruhrgebietes, die für bürgerliche Parteien, einschließlich der NSDAP, finanzielle Mittel für die Organisierung von Wahlkämpfen sowie für die Herausgabe von »industriefreundlichen« Zeitungen bereitstellten.
Thyssen hatte bereits 1923 die Bekanntschaft Hitlers gemacht und ihm im Mai 1930 100000 Mark zur Verfügung gestellt, die den Ankauf einer repräsentativen Immobilie in München ermöglichten, um hier das »Braune Haus« als Parteizentrale der Nazipartei einzurichten. Am 1. Mai 1931 war er formell der NSDAP beigetreten. Großes Aufsehen erregte Thyssen, als er am 27. November 1930 bei einer Tagung des Hauptausschusses des RDI den anwesenden Reichskanzler Heinrich Brüning direkt angriff. Der sensationelle Wahlerfolg der NSDAP lag gerade zwei Monate zurück: »Die politische Führung, die wir bisher hatten, war keine glückliche. Man kann sich nicht wundern, wenn angesichts dieser Tatsache eine Bewegung im Reiche entsteht, wie sie sich bei den letzten Wahlen gezeigt hat. Ich möchte nur wünschen, Herr Reichskanzler, daß es Ihnen gelingt, die Bewegung aller nationalen Kreise hinter sich zu ziehen; denn ich glaube, daß erst dann Sie vollen Erfolg mit Ihren Absichten haben werden.«4
Neben ablehnendem »Zischen« vermerkt das Protokoll auch Beifall für diese Ausführungen Thyssens, die eine unverzügliche Regierungsbeteiligung der NSDAP beinhalteten. Doch die Zeit schien dafür noch nicht reif zu sein.
Wirtschaftspolitische Dissonanzen
Der Wahlerfolg der Faschisten bei den Reichstagswahlen im September 1930 blieb jedoch keine Ausnahme. Im Gegenteil erzielten die Nazis bei den Landtagswahlen seit 1930 herausragende Ergebnisse, so daß sie mittlerweile in Thüringen (Januar 1930) und Braunschweig (September 1931) Regierungsverantwortung trugen. Zugleich wurde die NSDAP zu einer mitgliederstarken Massenpartei. Die »Sturmabteilungen« (SA) wuchsen zu einer wahren Bürgerkriegsarmee heran, die vor allem die Arbeiterorganisationen mit gewaltsamen Aktionen provozierte. Offensichtlich handelte es sich bei der NSDAP und ihren »Vorfeldorganisationen« nicht um ein kurzlebiges Phänomen. Die Haltung großindustrieller Kreise zur faschistischen Partei bedurfte somit dringend einer Klärung.
Dabei existierten vornehmlich zwei bedeutsame Probleme. Erstens irritierte die bereits oben genannte pseudosozialistische Propaganda der faschistischen Partei. Innerhalb der NSDAP wurden vor allem die Gebrüder Otto und Gregor Strasser als Exponenten entsprechender Aktivitäten identifiziert. Otto Strasser hatte im Juli 1930 allerdings mit der Parole »Die Sozialisten verlassen die NSDAP« der Partei den Rücken gekehrt. Sein Bruder Gregor, der für das vom Reichswehrminister bzw. Reichskanzler Kurt von Schleicher 1932 favorisierte »Querfront«-Bündnis mit der Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der Christlichen Gewerkschaften große Sympathien zu empfinden schien, blieb allerdings als Reichsorganisationsleiter der NSDAP und wirtschaftspolitischer Sprecher im Reichstag einer ihrer einflußreichsten Funktionäre. Mehrfach trat er öffentlich für großangelegte, vom Staat finanzierte Arbeitsbeschaffungsprogramme zur Überwindung der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise ein. Die Nähe zu zeitgleich entwickelten Vorstellungen des ADGB war unübersehbar. Nach Schleichers Vorstellungen, dessen wirtschaftspolitische Pläne mit denen Strassers kompatibel waren, hätte er, nicht Hitler, durchaus als Vizekanzler in ein von ihm geführtes Kabinett eintreten können, dem zugleich prominente Exponenten der Gewerkschaften angehören sollten. Alles das ließ das Mißtrauen der Großindustriellen in die politische Verläßlichkeit der faschistischen Partei nicht ruhen.
Zwar hatten Adolf Hitler, Hermann Göring und Heinrich Himmler stets glaubhaft versichert, daß sie nicht daran dächten, die kapitalistische Gesellschaftsordnung anzutasten und wirtschaftspolitische Experimente gemeinsam mit Herrn von Schleicher, der Gewerkschaftsführung oder anderen politischen Kräften anzustreben. Die pseudosozialistische Demagogie sollte nur dazu dienen, »Eroberungen« innerhalb der Arbeiterklasse und in den verelendeten Kreisen des Mittelstandes zu realisieren. Doch wie sicher konnte man sein, daß sie weiterhin die Richtlinien der Politik innerhalb der NSDAP bestimmen würden?
Zweitens galt es, unterschiedliche ökonomische Interessen unter den deutschen Großindustriellen ins Kalkül einzubeziehen, die sich nicht zuletzt auf ihre Abhängigkeit vom Export bezogen, der vor allem bei den Metall- und Elektrokonzernen stark ausgeprägt war.
Drittens war in Rechnung zu stellen, daß die faschistische Partei, seit den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 die stärkste parlamentarische Kraft, den Posten des Reichskanzlers für Adolf Hitler beanspruchte. Als »Juniorpartner« in ein Kabinett einzutreten und mit dem Amt eines Vizekanzlers abgefunden zu werden, war für die NSDAP und die meisten ihrer Anhänger nicht denkbar.
Was war in dieser Situation zu tun? Um die wirtschaftspolitischen Forderungen der Partei mit den Vorstellungen des Großkapitals in Einklang zu bringen sowie Hitler und die faschistische Partei für den Einzug in die Reichskanzlei vorzubereiten, wurde ein Kreis prominenter Industrieller und Bankiers aus der Taufe gehoben, die Hitler in diesen Fragen kompetent »beraten« sollten.
Ein Expertengremium
Im Mai 1927 wird ein mittelständischer Industrieller Mitglied der NSDAP: Wilhelm Keppler. Fünf Jahre zuvor hatte er in Eberbach am Neckar gemeinsam mit dem weltweit agierenden US-amerikanischen Eastman-Kodak-Konzern die Chemischen Werke Odin GmbH gegründet, die sich auf die Herstellung von Fotogelatine spezialisierten. Keppler pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Robert Ley, Gauleiter der faschistischen Partei in Rheinland-Süd, dem späteren »Führer« der »Deutschen Arbeitsfront«, sowie geschäftlichen Umgang mit dem Kölner Privatbankier Kurt Freiherr von Schröder, einem der eifrigsten Freunde Hitlers und seiner Partei. Keppler und Adolf Hitler hatten seit ihrem ersten Zusammentreffen kurz nach dem Parteieintritt des Chemieindustriellen häufig miteinander kommuniziert. Als im Dezember 1931 die Frage zu beantworten war, wer künftig als offizieller Wirtschaftsberater Hitlers fungieren solle, fiel die Wahl auf Wilhelm Keppler.
Hitler übertrug ihm vor allem die Aufgabe, möglichst rasch mit der Konstituierung eines aus prominenten Wirtschaftsführern bestehenden Gremiums zu beginnen, das für die NSDAP und deren »Führer« nicht nur wirtschaftspolitische Expertisen ausarbeiten, sondern auch innerhalb der Großindustrie für die Machtübergabe an die Nazipartei Stimmung machen sollte. Außerdem galt es, die wirtschaftspolitischen Kompetenzen innerhalb der NSDAP neu zu ordnen. Keppler schaffte es binnen kurzer Zeit, die Vorgaben Hitlers zu erfüllen. Allerdings mußte er sich zunächst eines »Konkurrenzunternehmens« erwehren.
Hjalmar Schacht, von 1923 bis 1930 Präsident der Deutschen Reichsbank, hatte sich Hitler in einem vertraulichen Schreiben vom 12. April 1932 angedient, unter seiner Leitung eine »Arbeitsstelle« einzurichten, da sich »bei gemeinsamer Arbeit eine völlige Übereinstimmung zwischen den Grundanschauungen des Nationalsozialismus und der Möglichkeit privater Wirtschaft erzielen läßt«.5 Schachts Arbeitsstelle und Kepplers Industriellen-Kreis beendeten nach Hitlers Intervention rasch ihr Konkurrenzverhältnis, so daß am Ende der Keppler-Kreis der maßgebende Ort wurde, an dem das wirtschaftspolitische Handeln der NSDAP konzipiert wurde. Wer konnte zur Mitarbeit gewonnen werden? Genannt sei August Rosterg, Generaldirektor des Deutschen Kalisyndikates und der Wintershall AG, die bei Merkers das größte Kalibergwerk der Welt bewirtschaftete. Wes Geistes Kind dieser Großindustrielle war, demonstrierte er in einem Zeitungsartikel für die Deutsche Bergwerkszeitung, als er seiner Meinung Ausdruck gab, »die Hälfte aller Kranken sind Simulanten«6, so daß drastische Kürzungen der Ausgaben für die Sozialversicherungen gerechtfertigt seien.
Ein weiteres Mitglied des »Keppler-Kreises« war Ewald Hecker. Seit 1923 amtierte er zunächst als Mitglied des Vorstandes, dann als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Ilseder Hütte AG in Niedersachsen. Zugleich war er als Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Hannover tätig und gehörte als stellvertretender Vorsitzender dem Aufsichtsrat der Commerzbank an. Apropos Commerzbank. Mit Friedrich Reinhart, Vorstandsmitglied des Kreditinstituts, und Franz Heinrich Witthoefft, Vorsitzender des Aufsichtsrates, war diese Großbank höchst prominent im »Keppler-Kreis« repräsentiert. Daß Witthoefft darüber hinaus Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Vorsitzender seines Außenhandelsausschusses und Inhaber der weltweit engagierten Hamburger Übersee-Handelsfirma Arnold Otto Meyer war, diente als weitere Empfehlung für die Zugehörigkeit zu diesem illustren Zirkel.
Aber auch die beiden anderen Großbanken waren mit von der Partie. Für die Dresdner Bank arbeitete Emil Meyer, Mitglied des Vorstandes, im »Keppler-Kreis mit. Die Deutsche Bank schätzte den direkten Zugang zu Adolf Hitler. Georg von Stauß, Vorsitzender des Vorstandes in Deutschlands wichtigstem Finanzinstitut und Vorsitzender der Aufsichtsräte bei Daimler-Benz und BMW, bei der Deutschen Lufthansa und den Bergmann-Elektrizitätswerken, ging in Hitlers Berliner Domizil, dem Hotel »Kaiserhof«, ein und aus. Aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels und von Hitlers langjährigem Wirtschaftsberater Otto Wagener erfahren wir, daß neben Gesprächen in Hitlers Suite immer wieder verschwiegene Bootsfahrten auf dem Wannsee mit der Motoryacht des Deutschbankers stattfanden. Auch der Vorstandsvorsitzende des Allianz-Versicherungskonzerns, Dr. Kurt Schmitt, bevorzugte Gespräche mit Hitler unter vier Augen im Hotel »Kaiserhof«. Als bekennender Antisemit verstand er sich offenbar prächtig mit dem »Führer« der faschistischen Partei, der ihn 1933 zum Reichswirtschaftsminister ernannte. Die Industriellenfamilie Quandt, Großaktionäre bei Daimler-Benz, den Mauserwerken AG und bei Varta, war geradezu ein unentbehrlicher Bestandteil von Hitlers Entourage im »Kaiserhof«. Täglich gab es Gespräche, Ausflüge und gemeinsame Essen. Eines Tages meldete sich Harald Quandt, gerade zehn Jahre alt, in Uniform und mit umgeschnalltem Dolch bei Hitler mit den Worten: »Der jüngste Hitler-Junge Deutschlands meldet sich bei seinem Führer!«
Doch zurück zum »Keppler-Kreis«. Mit von der Partie waren außerdem die schon erwähnten Bankiers Kurt Freiherr von Schröder und Hjalmar Schacht sowie Rudolf Bingel, Vorstandsmitglied der Siemens-Schuckert-Werke AG. Auch Emil Helfferich, Aufsichtsratsvorsitzender der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG), und Otto Steinbrinck, Vorstandsmitglied der zum Flick-Konzern gehörenden Mitteldeutschen Stahlwerke, wurden für die Mitarbeit gewonnen. Zu guter Letzt durften Fritz Thyssen und Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke, Präsidiumsmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) sowie der Ruhrgas AG, in dieser Runde nicht fehlen.
Schließlich stieß auch Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen zum Keppler-Kreis, ein Enkel des »eisernen Kanzlers«. Der bewirtschaftete Ländereien in der Uckermark, hatte aber in den zwanziger Jahren leitende Funktionen bei der HAPAG und in der Geschäftsstelle des RDI in Berlin bekleidet.
Sternstunde der Wirtschaft
Der Keppler-Kreis kam am 20. Juni 1932 im Hotel Kaiserhof zu einem Treffen mit Adolf Hitler zusammen. Einmal mehr redete der »Führer« der NSDAP in kleinem Kreis Klartext. Er wolle im von ihm angestrebten »Dritten Reich« die Organisationen der Arbeiterbewegung endgültig zerschlagen, die bürgerlichen Parteien verbieten und mit großangelegten Rüstungen beginnen. Wie sich Keppler im September 1946 in einer eidesstattlichen Erklärung für das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal erinnerte, erhob niemand aus dem »Keppler-Kreis« irgendwelche Einwände gegen diese Zielvorstellungen. Im Gegenteil. Man drückte die »Besorgnis aus, daß es ihm nicht gelingen werde, diese hervorragenden Ideen in die Tat umzusetzen.«7
Der Keppler-Kreis erreichte vor allem, daß wichtige wirtschaftspolitische Erklärungen vorab Hitler vorgelegt werden mußten und damit der Kontrolle Wilhelm Kepplers unterlagen. Die Parteizentrale in München wurde derart umorganisiert, daß leitende Mitarbeiter, deren wirtschaftspolitische Ansichten nicht vollständig den Vorstellungen der Großindustriellen entsprachen, kaltgestellt wurden. Das betraf vor allem Gregor Strasser, aber auch Gottfried Feder, den Autor des Parteiprogramms von 1920. Seit Dezember 1932 führte Walther Funk, der ehemalige Chefredakteur der Berliner Börsen-Zeitung, hier die Geschäfte eines Leiters der Kommission für Wirtschaftspolitik.
Im November 1932 schlug dann eine Sternstunde des Keppler-Kreises. Seine Mitglieder sowie weitere führende Repräsentanten der deutschen Industrie- und Bankenwelt unterzeichneten eine Eingabe an den Reichspräsidenten von Hindenburg, in der die Übergabe der Regierungsmacht an die faschistische Partei gefordert wurde. Nur zwei Monate sollte es dauern, bis dieses Ziel schließlich erreicht werden konnte.
Henry A. Turner, einer der professionellen Weißwäscher des deutschen Großkapitals, schrieb einst: »Die launenhafte Fortuna stand eindeutig auf Hitlers Seite.«8 Statt dessen müßte es heißen: »Besonders reaktionäre Kreise der deutschen Industrie- und Bankenwelt bedienten sich Hitlers und der NSDAP, um ihre ökonomischen und politischen Interessen endlich kompromißlos in die Tat umsetzen zu können.« Es scheint an der Zeit, wenige Monate vor dem 80. Jahrestag der Machtübergabe an die deutschen Faschisten, an die Verantwortung derjenigen zu erinnern, ohne die Hitler und seine Partei in Deutschland nie die Macht hätten erringen und die Welt in den furchtbarsten aller Kriege hätten stürzen können.
Anmerkungen
1 Siehe Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S.9
2 Henry A. Turner: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, S.7
3 Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 397, 23.8.1930: »Eine Erklärung Kirdorfs«
4 Zitiert nach: Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981, S. 86
5 Zitiert nach: Dirk Stegmann: Zum Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930-1933. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der sog. Machtergreifung, in: Archiv für Sozialgeschichte, Band XIII, 1973, S. 450
6 Deutsche Bergwerkszeitung, Nr. 105, 5.5.1929: »Drehpunkte der deutschen Wirtschaftspolitik«
7 Zitiert nach: Ulrike Hörster-Philipps: Wer war Hitler wirklich? Großkapital und Faschismus 1918-1945. Dokumente, Köln 1978, S.137
8 Henry A. Turner: Hitlers Weg zur Macht. Der Januar 1933, München 1996, S.222