Verbrannt in Polizeigewahrsam: Die Mutter von Oury Jalloh war als Prozeßbeobachterin am Magdeburger Landgericht. Ein Gespräch mit Mariama Djombo Diallo
Im Jahr 2005 verbrannte der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt an Händen und Füßen in einer Arrestzelle des Dessauer Polizeireviers. Gericht und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, daß er den Brand selbst verursacht hat. Vieles spricht jedoch dagegen. Der Fall, der 2011 zum zweiten Mal aufgerollt wurde, wird derzeit am Magdeburger Landgericht verhandelt. Mariama Djombo Diallo ist Oury Jallohs Mutter. Sie kam aus Guinea nach Deutschland, um den Prozeß zu verfolgen
Lassen Sie uns ganz von vorne anfangen: Wie war das damals, welche Gründe hatte Ihr Sohn Oury, nach Deutschland zu gehen?
Wir lebten in Sierra Leone, wo im Jahr 1991 ein schrecklicher Bürgerkrieg begann. Wir waren nicht mehr sicher und entschieden uns wegzufahren. Ich wollte meine Kinder nicht zu Soldaten und Mördern machen. Zahlreiche Frauen, auch junge Frauen, wollten ihre Söhne, oft noch Kinder, nicht in den Krieg schicken. Denn viele Jungs dort sind umgekommen. Andere sind heute psychisch gestört oder haben bleibende Schäden von schweren Verwundungen. Wir schafften es bis ins Nachbarland Guinea: Oury, seine beiden Schwestern und ich. Wir waren alle verzweifelt. Oury hoffte, Arbeit in Deutschland zu finden und etwas Geld zu verdienen. Er wollte damit auch uns unterstützen.
Wann haben Sie Oury zum letzten Mal gesehen?
Das war ungefähr 1997, etwa ein Jahr, bevor er in Deutschland angekommen ist.
Wie haben Sie erfahren, was Ihrem Sohn geschehen ist?
Eines Tages bekam ich Besuch aus Conakry, der Hauptstadt von Guinea, von zwei älteren Männern und einem meiner Brüder. Zuerst meinten sie, sie wollten mich nur besuchen. Dann baten sie mich: Komm in die Wohnung, wir müssen mit dir sprechen. Ich fühlte, daß etwas nicht stimmt. Und da berichtete mir der eine Mann, daß mein Sohn tot ist.
Eine furchtbare Botschaft.
Ja, das war ein unglaublicher Schock für mich. Ich fühlte mich plötzlich so hilflos, so fertig und müde, daß ich nicht einmal weinen konnte. Ich schaute nur die Menschen um mich herum an, die die ganze Zeit weinten. Und ich fragte mich dauernd: Was ist nur passiert? War Oury krank? Hatte er einen Unfall? Ich bekam keine Antworten. Das war unerträglich für mich.
Erst vier Wochen später erfuhr ich, daß er verbrannt war. Ich konnte es nicht glauben und fragte: Wie? In seiner Wohnung? War es ein Unfall? Als ich dann hörte, daß es bei lebendigem Leib in einer Polizeizelle geschah, daß er dabei an Händen und Füßen gefesselt war, nicht fortlaufen, sich nicht bewegen konnte, bin ich zusammengebrochen. Ich konnte nicht mehr denken. Ich rief immer nur: Oh Gott, mein Sohn! Oury, Oury! Ich wurde krank, konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr schlafen. Ich fühlte mich wie gelähmt.
Und dann kamen Sie selbst in dieses Land, wo das passierte …
… um den Prozeß zu verfolgen. Ich wollte doch wissen, weshalb Oury unter so furchtbaren Umständen sterben mußte. Ich wollte erfahren: Wer hat ihm das angetan? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Oury sterben wollte.
Wie lange waren Sie hier?
Ich war zweimal in Deutschland – das erste Mal nur wenige Wochen, als 2007 der erste Prozeß in Dessau begann. Dann kam ich im März dieses Jahres erneut her.
Welche Erfahrungen haben Sie in Deutschland gemacht?
Ich bin froh, daß ich selbst keinen Rassismus erlebt habe. Ich habe auch Menschen getroffen, die mich beeindruckten. Viele haben mich unterstützt – Weiße und Schwarze. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. In Deutschland habe ich zum ersten Mal in meinem Leben weiße Menschen umarmt. Ich habe meine Vorstellung, daß alle Weißen etwas gegen Schwarze haben, sofort geändert. Sie haben nun den Prozeß vor dem Magdeburger Landgericht ein Stück weit verfolgt. Wie haben Sie ihn erlebt?
Dieser Prozeß ist wie die bunten Bonbons, die die Weißen unseren Kindern schenkten, als sie in unser Land kamen – und ein Jahr später war Bürgerkrieg.
Ich finde es merkwürdig, wenn ich höre, daß mein Sohn nicht in erster Linie als Opfer, sondern als Täter hingestellt wird. Überall schreiben sie, er hätte zwei Frauen belästigt. Richtig ist, daß er etwas getrunken hatte und sie um Hilfe bat. Er wollte jemanden anrufen und fragte nach einem Telefon. Als die Frauen das ablehnten, ging er weg. So bestätigt es ja auch die Polizei. Er hatte ihnen nichts getan – und dies nicht vorgehabt, wie aus Zeugenaussagen hervorgeht.
Außerdem hat mich verwirrt, daß die Richter die These aufgestellt haben, Oury habe sich selbst angezündet. Und daß sie nicht davon abweichen, nicht einmal in die andere Richtung – also Mord – ermitteln. Hier wird ein Fall konstruiert, der so nicht stimmen kann und nicht beweisbar ist. Welchen Grund soll Oury gehabt haben, sich umzubringen – und das ausgerechnet in einer Polizeizelle und auf diese Weise? Er wird doch nicht absichtlich das Feuerzeug in die Zelle hineingeschmuggelt haben, um anschließend die feuerfeste Matratze aufzureiben, sie anzuzünden, um sich zu verbrennen? Das ist wirklich eine haarsträubende These.
Glauben Sie, daß etwas vertuscht werden soll?
Ich kann es mir nicht anders erklären. Schon als Mouctar Bah von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« mir das Urteil vom Landgericht Dessau übersetzt hatte, war ich davon überzeugt. Darin heißt es lapidar, daß es möglich war, daß Oury das Feuerzeug in seiner Hosentasche versteckt hatte. Selbst wenn Polizeibeamte es bei der Leibesvisitation übersehen hätten – was eigentlich nicht sein kann – , hieße das immer noch nicht, daß er sich damit angezündet hat. Trotzdem gab es ein Urteil – einen Freispruch, ganz ohne Beweise.
Und nun zeigt sich immer deutlicher, daß die Version von Polizei und Gericht hinkt. Bei der letzten Verhandlung am 22. Juni konnten die Sachverständigen anhand von Textilrückständen nicht nachweisen, daß das Feuerzeug in Ourys Hosentasche war. Alles deutet auch darauf hin, daß es während des Brandes nicht in der Zelle lag. Ich befürchte aber, die Richter werden trotzdem an der Selbstmordthese festhalten und versuchen, es passend zu machen. Das dürfen wir nicht zulassen. Diese Lügen müssen endlich aufhören.
Verschwundenes Beweismaterial, widersprüchliche Aussagen, Verdacht auf Absprachen, Erinnerungslücken, Schweigen – nicht nur die Initiative, auch der Richter aus Dessau konstatierte das schon 2008. Sind Sie wütend auf die Polizei?
Ich habe keinen Kontakt zu den Polizeibeamten, ich kenne sie nicht. Deshalb kann ich sie nicht beurteilen. Ich bin nicht wütend, nur traurig. Ich habe auch keinen Haß auf die deutsche Polizei. Das paßt nicht in meine Tradition und Weltanschauung.
Was wünschen Sie sich vom Gericht?
Ich hoffe sehr, daß die Gerechtigkeit am Ende siegen wird. Das ist doch keine Lappalie: Mein Sohn verbrannte im Polizeigewahrsam, lebendig und gefesselt – also nicht etwa irgendwo im Krieg oder auf der Straße durch einen Unfall. Ich wünsche mir, daß das Gericht wirklich unparteiisch ist, wie es sich gehört. Die Richter dürfen sich nicht etwas von oben diktieren lassen.
Haben Sie den Eindruck, daß das Gericht parteiisch ist?
Ja, und das denke nicht nur ich. Dabei ist aber ein Gericht doch eigentlich dazu da, die Wahrheit herauszufinden? Ich glaube aber nicht, daß es das überhaupt will.
Was würden Sie den Richtern sonst noch gern sagen?
Danke, daß sie mir während des Versuchs, den der Brandsachverständige durchführte, die Möglichkeit gaben, in die Polizeizelle zu gehen. Es war sehr wichtig für mich, dort zu sein und zu sehen, wo mein Sohn ums Leben kam.
Wer auch immer Oury das Schreckliche angetan hat: Er soll zu uns kommen und sich entschuldigen. Er soll mit uns sprechen über die Wahrheit. Er soll darüber nachdenken, warum er einen solchen einen Haß in sich trägt und sich davon befreien. Das wäre mein größter Wunsch. Nur darum geht es mir, nicht um eine bestimmte Strafe.
Der Prozeß ist noch nicht zu Ende, aber Sie fliegen trotzdem am Samstag zurück nach Guinea. Warum?
Es ist mir nicht möglich, länger hierzubleiben, auch wenn ich dürfte. In Guinea müssen die Felder bestellt werden. Wir sind dort darauf angewiesen; es wartet viel Arbeit auf mich. Wenn ich das verpasse, muß ich das nächste Jahr hungern.
Interview: Susan Bonath