Banner des Neuköllner RFB (Roter Frontkämpferbund)
Neukölln hat Geschichte
Neuköllns Geschichte ist geprägt von Armut und Elend. Das Viertel entstand in seiner heutigen Form, nachdem durch die Industrialisierung massenhaft Arbeitssuchende nach Berlin zogen und so auch vor den historischen Stadtgrenzen Berlin-Cöllns, bei dem wegen seiner „schlechten Sitten und Kriminalität“ in Verruf geratenen Rixdorf, Arbeiterwohnviertel geschaffen werden mussten. Die humanitäre Lage in diesem Stadtteil war schon immer katastrophal, Kindersterblichkeit und die armutsbedingte Kriminalitätsrate waren wesentlich höher als in anderen Wohnvierteln. Zusammengepfercht auf engstem, rein profitorientiert genutztem Raum mussten die BewohnerInnen Neuköllns seither Tag für Tag malochen, ihre Arbeitskraft für Lohn verkaufen um ihre mehr als bescheidene Existenz zu sichern. Nach dem zweiten imperialistischen Weltkrieg blieb im Grunde genommen alles beim Alten.
Aber Neuköllns Geschichte ist auch eine Geschichte von Kämpfen gegen die herrschende Politik. Während der Novemberrevolution 1918/1919, bei der ArbeiterInnen deutschlandweit für Sozialismus und Räte zu den Waffen griffen, galt Neukölln als radikalster Bezirk Berlins und besaß innerhalb kürzester Zeit eine 500-köpfige revolutionäre Arbeitermiliz. Jugendliche überfielen und entwaffneten Polizisten, es wurde gemeinsam gestreikt und die geschaffenen Arbeiter- und Soldatenräte proklamierten fortan für sich, Kontrolle über alle Ämter und Fabriken auszuüben. Nachdem all diese – noch ungelenken – Aufstände durch die herrschenden SozialdemokratInnen und Reaktionäre blutig niedergeschlagen waren, blieb Neukölln trotzdem weiter eine Hochburg der KommunistInnen und des sozialen Widerstands. So wurden bei Barrikadenkämpfen zwischen der Polizei und kommunistischen Arbeitern, infolge des verbotenen Arbeiterkampftages am 1.Mai 1929, mehr als ein dutzend junger Revolutionäre ermordet und unzählige verhaftet. Bis zur Machtübergabe an die Faschisten 1933 hatte Neukölln eine breite antifaschistische Mehrheit. Unter dem Leitspruch „Hass sei verkündet Tyrannen und Kronen – Ehre dem Volk in den Fesseln der Not“ lieferte sich der Neuköllner Rotfrontkämpferbund beständig Auseinandersetzungen mit der faschistischen SA. Noch 1933 bekam die KPD bei Wahlen 26,2%.
Auch nach 1945 wurde Neukölln wieder zunehmend ein Ort der Klassenauseinandersetzungen mit sozialen Kämpfen und internationaler Solidarität.
Ein Stadtteil im Wandel
Auch heute noch ist Neukölln einer der ärmsten Stadtteile Berlins und die Bevölkerung besteht traditionell aus vielen MigrantInnen – lange Zeit gehörte Neukölln sogar zu den ärmsten Stadtteilen Europas. Dies wurde durch die Deindustrialisierung gefördert. Viele Betriebe zogen weg und das Stadtteilbild veränderte sich. Aktuell dominieren gastronomische, handwerkliche, künstlerische Betriebe und Kleingewerbetreibende die Arbeitswelt Neuköllns. Daneben blüht schon lange der kriminelle Sektor, was hauptsächlich der Perspektivlosigkeit und hoher Armut aufgrund von Arbeitslosigkeit und Arbeitsverboten für MigrantInnen geschuldet ist.
Seit circa 2008 wurde durch gezielte Umstrukturierungen das Viertel aufgewertet und das Stadtteilbild ändert sich bis heute rapide. Durch die Stillegung des Tempelhofer Flughafens, die Innenstadtlage, die vielen Bars, Cafés und die gute Infrastruktur ist Neukölln eine beliebte Wohngegend geworden und die Mieten steigen und steigen. Wohnungen in Neukölln sind gefragt. Diese hohe Nachfrage führt zu Mietsteigerungen bei Neuvermietungen.
In den letzten vier Jahren ist die Miete des Viertels dramatisch gestiegen und die durchschnittliche Kaltmiete beträgt schon über 9 € pro Quadratmeter. Mittlerweile müssen einige Menschen schon die Hälfte ihres Einkommens für die Miete ausgeben, die Zahl der Zwangsumzüge steigt. Gleichzeitig gelten 70% der Kinder Nordneuköllns als „arm“ und im Schillerkiez sind Statistiken zufolge 40% der Menschen arbeitslos. Auf der anderen Seite werden immer mehr Mietwohnungen zu Eigentumswohnungen umgewandelt, aus Fabriketagen werden Lofts und viele Häuser stehen leer – um sie irgendwann mit möglichst
großem Profit weiterzuverkaufen. Eine allgemeine Mieterhöhung ist in diesem Klima somit schon vorprogrammiert. Die Sanierungsstrategie der Politik und die Vermietungspraxis der Unternehmen fördern diesen Prozess. Es entstehen keine neuen Sozialwohnungen, sondern vermehrt Eigentumswohnungen, weil damit mehr Geld verdient werden kann.
Recht auf Stadt?
In anderen Städten zeigt sich ein ähnliches Bild. KünstlerInnen und Studierende ziehen in ärmere Stadtteile und das Stadtbild ändert sich langsam, weil Bars und Cafés dieser Nachfrage nachziehen. Die Mieten steigen immer weiter, weil einige Viertel attraktiver für noch Vermögendere werden. Die einkommensschwachen Menschen können sich das Leben in dem betroffenen Stadtteil nicht mehr leisten und müssen immer weiter an den Rand der Stadt ziehen. Diese Entwicklung entspricht den Gesetzen des Kapitalismus. Die neue Nachfrage schafft ein neues Angebot und beide bedingen einander. Diesem Kreislauf können wir nur entfliehen, wenn wir uns gegen diese Umstrukturierungen wehren. Unsere Ansprüche und Bedürfnisse auf bezahlbaren Wohnraum und lebenswerte Stadtteile können wir nur gegen diese gesetzmäßige Entwicklung durchsetzen. Dabei sollte uns immer klar sein, dass unsere Bedürfnisse im Kapitalismus nicht zählen, sondern nur, ob wir dafür bezahlen können.
Es gibt kein Recht auf Stadt, welches wir irgendwo einklagen oder einfordern könnten. Wir müssen uns dieses Recht erkämpfen. Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum fällt meistens mit den Kämpfen der Kleingewerbetreibenden und KleinhändlerInnen zusammen, diese dominieren u.a. sogar die verschiedenen Initiativen und Netzwerke gegen die Umstrukturierung. Dabei geht es ihnen natürlich um ihre eigenen Interessen und nicht um die Abschaffung des Kapitalismus als Ganzes. Kleinbürgerliche Kräfte streben dabei meistens Kompromisse an, bei denen ihre eigenen Interessen besonders berücksichtigt werden und sie weiter ihre Geschäfte machen können. Deshalb ist es auch nicht besonders erstaunlich, dass bisweilen unter Labels wie “Recht auf Stadt” gegen Prostituierte, ZigeunerInnen und Obdachlose, als Teile der Ärmsten und am meisten Ausgebeuteten unserer Klasse, gehetzt wird.
Neukölln bleibt Rot!
Wir als Organisation Zusammen Kämpfen (ZK), wollen, das die ausgebeutete Klasse ihre Interessen als Ganzes vertritt und lassen nicht zu, dass gespalten wird und wir gegeneinander ausgespielt werden. Dabei wollen wir jedoch nicht nur das Problem der Umstrukturierung bekämpfen. Als revolutionäre Gruppe gehen wir davon aus, dass dieses und andere Probleme sich nur durch die entschiedene Überwindung des Kapitalismus lösen lassen. Wir sind eine Organisation, die neben der konkreten Beteiligung und Unterstützung verschiedenster Kämpfe vor allem auch eine revolutionäre Perspektive in diese tragen will. Dabei geht es uns auch darum, die organisierte Linke Bewegung in der BRD zu stärken und überregional Vernetzungen und Strukturen aufzubauen. Letztendlich sehen wir die Notwendigkeit im Aufbau einer bundesweiten Organisation. Wir sind dabei offen für alle, die uns bei all dem tatkräftig unterstützen wollen.
Dieser Text wurde von uns zum unkommerziellen Weisestraßenfest 2012 verfasst, und ist mit ein paar Ergänzungen und Hinweisen als Flugblatt verteilt und als Rede gehalten worden. Die Idee für die Grundstruktur des Textes ist von den GenossInnen von SoL * Sozialistische Linke bzw. ihrem Text “Gekommen ohne zu fragen … Yuppies aus St. Pauli jagen!” entnommen. Die Parallelen der Prozesse in den deutschen Großstädten und speziell ihren Arbeitervierteln sind unübersehbar.