Wir dokumentieren einen kritischen Beitrag zu den Protesten am 29. Mai 2013 in Magdeburg:
Bildung, Marx und Bullerjahn
Weshalb Bildung und Kapitalismus nicht zusammenpassen
„Weshalb wird bei etwas derart Wichtigem wie Bildung gespart?“, fragen sich viele. Die Antwort ist erstaunlich simpel: Es wird eben dort gespart, wo sich Investitionen nicht mehr wirtschaftlich rechnen. Bildung ist eine Ressource, eine Ware, und muss als solche bewirtschaftet werden.
Wie eng verwoben Bildung bzw. Wissenschaft und Wirtschaft sind, lässt sich auch daran erkennen, dass im Lande Sachsen-Anhalt beide Ressorts von einem Ministerium gemeinsam betreut werden. Nun ist es dabei keineswegs so, dass Wirtschaft und Wissenschaft gegeneinander ausgespielt werden. Sondern Wissenschaft soll – muss – zur Erhöhung der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit beitragen. Jede
andere Behauptung ist angesichts der bestehenden ökonomischen Zwänge als Zynismus zu begreifen. Ausgebildet und erforscht wird nur, was dem Standortvorteil dient. Folgerichtig wurde auch die ehemalige Wissenschafts-und Wirtschaftsministerin Brigitta Wolff durch den Ministerpräsidenten ihrer Aufgaben entbunden, weil sie sich den massiven Spar-und Umbauplänen widersetzt und somit die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des Landes und des Standortes Deutschland gefährdet hatte.
Während die Londoner, Pariser und Stockholmer Vorstädte brennen, in Griechenland zwei Drittel aller arbeitswilligen Menschen unter 25 erwerbslos sind, in Spanien aus Not und Protest hunderte Häuser besetzt werden, die USA permanent am Rande der Fiskalklippe stehen, unsere Generation weltweit als Generation Y verspottet wird und Abertausende beim verzweifelten Sturm auf die europäischen Außengrenzen ihr Leben lassen, lautet das deutsche Rezept gegen die Krise im Euro-Raum: Weiter sparen! Gemeint sind damit natürlich nicht systemrelevante Elemente wie Großunternehmen und Banken, sondern in erster Linie der Sozialstaat und der Bildungssektor – einstmals durch die europäischen Arbeiterbewegungen mit vielen Opfern erkämpfte Bastionen.
Dies empört den Stammtisch, sofern er mal wieder sich selbst und nicht nur sog. „Schmarotzer“ übervorteilt sieht; ist jedoch eine korrekte Handlungsalternative, um das neoliberale Projekt weiter vorantreiben zu können. Eine andere Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus’ auch in Krisenzeiten findet man in Ungarn, das sich momentan in neo-faschistischen Staatsumbauten und antisemitischen Widerwärtigkeiten probt.
Die weltweite Produktivität befindet sich dank enormer Technisierung und Automatisierung auf einem Allzeithoch. Gleichzeitig und vor allem: als notwendige Folge davon ist die weltwirtschaftliche Situation bestenfalls als desolat zu bezeichnen. Denn in einem Umfeld, in dem die persönliche Existenz durch Lohnarbeit gesichert werden muss, während gleichzeitig immer weniger Arbeitskräfte benötigt werden, bleibt selbst im am meisten von der Krise verschonten Staat auf Dauer kein anderer Ausweg als prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder Massenarbeitslosigkeit – was nichts anderes als Verelendung bedeutet. Man muss weder Marx gelesen haben noch besonders intelligent sein, um zu begreifen, dass ganz offensichtlich das kapitalistische System immer weniger dazu in der Lage ist, den Menschen einen angemessenen Lohn für ihre Arbeit zu bezahlen. Konsumieren können die nicht mehr benötigten Erwerbslosen mangels Einkommens freilich nicht, was die Absatzzahlen drückt und letztlich zur sog. „Krise“ führt, die doch nichts anderes ist als unbedingte und unausweichliche Konsequenz kapitalistischen Wirtschaftens.
Schuld an diesen Vorgängen tragen nicht einzelne Regierungsmitglieder, gierige Manager_innen oder kaltherzige Hochschulleiter_innen. Sie alle agieren unter dem Zwang, unter den existierenden Verhältnissen die nach ihren Möglichkeiten vorteilhaftesten Ergebnisse forcieren zu müssen, um der Konkurrenz standhalten zu können.
Der Finanzminister des Landes Sachsen-Anhalt verkündete vor wenigen Tagen, die Schließung eines der beiden Uniklinik-Standorte sei momentan „nicht mehrheitsfähig“. Gleichzeitig bliebe es beim angedachten Sparvolumen von 50 Millionen Euro. Ein Strukturfonds mit der großzügigen Einlage von voraussichtlich etwa einer Million Euro soll helfen, Härtefälle abzumildern.
Gespart werden muss also weiterhin, nur eben an anderer Stelle.
In einer E-Mail an die Studierendenschaft Anfang Mai teilte der Rektor der Uni Magdeburg mit, dass die Hochschulleitungen der Landesregierung bereits zugesagt hätten, „sich aktiv an der Weiterentwicklung des Hochschulsystems zu beteiligen und . . . auch notwendige Profilierungs-und Strukturmaßnahmen zu entwickeln
und umzusetzen“. Es wurde also bereits versprochen, aktiv beim Sparen mitzuhelfen. Dieselben Rektoren haben interessanterweise zum heutigen Protest gegen die Sparmaßnahmen aufgerufen.
Warum sind wir also eigentlich heute hier, wo doch offensichtlich die Würfel schon gefallen sind? Ganz klar: Wenn schon gespart werden muss, dann doch bitte nicht bei uns! Spart bei den anderen! Es wird ein Konkurrenzkampf erzeugt, in dem diejenigen gewinnen, die die beste Lobby haben und diejenigen, die am lautesten schreien können. Nicht zufällig war niemals die Rede davon, bei den (wirtschaftsrelevanten) MINT-Fächern zu sparen.
Als Kinder der Aufklärung müssen wir uns fragen, ob wir diesen sozialdarwinistischen Weg tatsächlich noch länger beschreiten wollen. Wirtschaft und ihre Zwänge sind menschgemacht und als solche keine unumwerflichen Naturgesetze. Bildung wiederum kann nur außerhalb kapitalistischer Wirtschaft wirklich frei und unabhängig erfolgen und ihr wichtigstes Ziel, nämlich: die Herausbildung kritisch denkender und selbstbestimmt lebender Individuen, verwirklichen.