Von Thomas Eipeldauer, junge Welt 27.6.13
Während in Istanbul, Ankara und Izmir Antiterroreinheiten Büros und Redaktionen revolutionärer und sozialistischer Organisationen stürmen, gehen nun auch deutsche Behörden gegen linke Oppositionelle aus der Türkei vor. Wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch erklärte, habe sie zusammen mit den Generalstaatsanwaltschaften Hamburg und Düsseldorf »23 Wohnungen und weitere Räumlichkeiten« durchsuchen lassen, vier Personen seien festgenommen worden. Zwei Männern, Muzaffer D. und Özkan G., sowie zwei Frauen, Sonnur D. und Latife C., wird unterstellt, seit spätestens 2002 die revolutionäre türkische Organisation DHKP-C unterstützt zu haben. Die Devrimci Halk Kurtuluç Partisi-Cephesi (deutsch etwa: »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front«) ist eine in der Türkei wie in der BRD verbotene linke Gruppe, die bei türkischen sozialen Auseinandersetzungen präsent ist. Sie schließt revolutionäre Gewalt zur Erreichung des Sozialismus nicht aus und hat sich in der Vergangenheit zu mehreren Bombenanschlägen und bewaffneten Aktionen bekannt. Verankert ist sie vor allem in den Armenvierteln der türkischen Großstädte.
Von den Razzien betroffen waren unter anderem Vereinsräume der Anatolische Föderation in Duisburg, Dortmund und Köln. Diese schreibt in einer ersten Stellungnahme: »Während der Razzia hat die deutsche Polizei Gewalt angewendet, es gibt Verletzte, Handschellen wurden angelegt.« Ermittelt wird wegen Unterstützung einer »kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland«. Dieser Paragraph wird allerdings seit langem unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisiert, die Partei Die Linke, die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) sowie außerparlamentarische Initiativen fordern seine Abschaffung. Denn zum einen wird nach politischem Gutdünken festgelegt, welche Gruppierung als »terroristisch« gilt. Während die DHKP-C etwa so bewertet wird, weil sie militant für den Sozialismus in der Türkei kämpft, gelten Exilvertreter der »Freien Syrischen Armee«, die zahlreicher Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen beschuldigt wird, nicht als »Terroristen«.
Zum anderen drohen wegen geringfügiger Delikte oder gar ohne jedwede strafbare Handlung – etwa wegen des Verkaufs von Zeitungen, die der jeweiligen Organisation zugeordnet werden – langjährige Haftstrafen. So wurde etwa im Mai 2013 die 43jährige Gülaferit Ünsal vor dem Kammergericht Berlin zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie soll angeblich die DHKP-C in Europa geleitet und Spenden für die Gruppe gesammelt haben.
Gegenüber junge Welt kommentierte eine Vertreterin der Gefangenenhilfsorganisation »Internationale Plattform gegen Isolation« den erneuten Repressionsschlag als »Amtshilfe für den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan«: »Es geht offenbar darum, die Solidaritätsbewegung mit dem Aufstand in der Türkei zu schwächen. In Berlin und anderen deutschen Städten haben in den vergangenen Wochen Zehntausende an Demonstrationen gegen die AKP-Regierung teilgenommen; das ist nicht nur den Herrschenden in Ankara, sondern offenbar auch ihren Kollegen hierzulande ein Dorn im Auge.« Ähnlich sieht das die Anatolische Föderation. Sie wertet das Vorgehen als »Unterstützung des AKP-Faschismus«: »Die Merkel-Regierung tut auf der einen Seite so, als wäre sie gegen die Repressionen der AKP und stürmt auf der anderen Seite Vereinsräume der Völker Anatoliens, die diesen besagten Aufstand durchgeführt haben.«