Die Unbeugsamen

Über Olga Benario und Luiz Carlos Prestes

Robert Cohen (geb. 1941) ist Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Er lehrte von 1991 bis 2012 als Adjunct Professor am German Department der New York University. Von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts sowie der Roman »Das Exil der frechen Frauen«. Rotbuch Verlag, Berlin 2009, 624 Seiten, 24,90 Euro. Der vorliegende Text ist eine gekürzte und vom Autor überarbeitete Fassung seiner Einleitung des Buchs: Olga Benario und Luiz Carlos Prestes: Die Unbeugsamen. Briefwechsel aus Gefängnis und KZ. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 270 Seiten, 24,90 Euro

Die Münchner Jüdin und Komintern-Agentin Olga Benario wurde Ende 1936, nachdem sie in Brasilien an einem mißlungenen Aufstand gegen die Diktatur von Gétulio Vargas beteiligt gewesen war, hochschwanger an Nazideutschland ausgeliefert. In Gestapo-Haft, im Frauengefängnis in der Barnimstraße in Berlin, gebar sie eine Tochter, Anita. Kurz nach Ende des ersten Lebensjahres wurde sie ihr weggenommen. Olga Benario gehörte zu den ersten weiblichen Häftlingen im KZ Lichtenburg, dann in Ravensbrück. 1942 wurde sie in Bernburg vergast. Ihr Lebenspartner und der Vater ihres Kindes, der Brasilianer Luiz Carlos Prestes, hatte Mitte der 1920er Jahre als junger Kommandeur einer rebellierenden Militäreinheit während zwei Jahren das brasilianische Hinterland durchquert. Ein Gewaltmarsch von 25000 km, der ihn in der verarmten Bevölkerung als Cavaleiro da Esperança (Ritter der Hoffnung) zu einer mythischen Figur machte. Als Anführer des Aufstands von 1935 zusammen mit Olga Benario verhaftet, verbrachte er neun Jahre in Rio de Janeiro in Einzelhaft. Sein Schicksal und das von Olga Benario wurden in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zu einer internationalen Cause célèbre. Ihr Briefwechsel konnte unter den kaum vorstellbaren Schwierigkeiten der Haft, der Distanz, der Sprache und der Zensur selbst noch während Olga Benarios Inhaftierung im Konzentrationslager Ravensbrück aufrechterhalten werden.

12. Februar 1908 lautet das Geburtsdatum von Olga Benario, der Ort ist München, Haydnstraße 12. Am selben Tag wurde auch Simone de Beauvoir geboren, in New York startete das längste Autorennen der Welt (es führte nach Paris), und in Deutschland regierte Kaiser Wilhelm II. Die jüdisch-deutsche Familie Benario besteht aus dem Vater Dr. Leo Benario, einem Rechtsanwalt, der Mutter Eugenie, geborene Gutmann, und dem sieben Jahre älteren Bruder Otto. Eugenie Benario wird 1943 in Theresienstadt getötet werden, der Bruder Otto 1944 in Auschwitz.

Berlin

Im Alter von fünfzehn Jahren tritt Olga Benario dem illegalen Kommunistischen Jugendverband bei, wenig später ist sie Funktionärin. Im Mai 1925 lebt sie in Berlin im Stadtbezirk Neukölln mit dem acht Jahre älteren Otto Braun zusammen, der für den sowjetischen Geheimdienst arbeitet. Sie wird Mitglied der Bezirksleitung der Kommunistischen Jugend Neukölln, ein Jahr später der Bezirksleitung von ganz Berlin. Braun verschafft ihr eine Stelle als Stenotypistin in der sowjetischen Handelsvertretung, so kommt sie unmittelbar mit dem sowjetischen Geheimdienst in Berührung. Sie ist achtzehn, als ihre Karriere eine jähe Unterbrechung erfährt. Am 2. Oktober 1926 werden sie und Braun verhaftet. Der Polizeirapport ist erhalten: »Einlieferungs-Anzeige«, »Ergreifungsort«, »Abgenommene Wertsachen«, »Isoliergewahrsam« – das sagt sich leicht. Olga Benario soll mit ihrer Tätigkeit die Republik gefährdet haben. Der Vater in München bietet an, sie zu verteidigen. Aber von einem Sozialdemokraten, und sei es der eigene Vater, will sie sich inzwischen nicht mehr helfen lassen. Zwei Monate später kommt sie dennoch frei: ihre Inhaftierung war nur ein Vorwand, das Interesse der Justiz gilt Otto Braun. Gegen ihn wird eine unbefristete Untersuchungshaft verhängt wegen Verdacht auf Landesverrat.

Zwei Jahre später, man schreibt den 11. April 1928, die spektakuläre Aktion: Mit der Pistole in der Hand befreit die Zwanzigjährige, zusammen mit den Genossinnen und Genossen aus der Jugendgruppe, Otto Braun aus der Justizvollzugsanstalt Moabit. Die Schlagzeilen auf der Titelseite der Berliner Zeitung am Mittag melden erregt: »Mit Waffengewalt aus Moabit befreit« – »Kommunistenüberfall im Zimmer des Untersuchungsrichters« – »Wildwest-Pistolen-Szene« – »›Hände hoch‹«. Die Aktion wird in der ganzen Weimarer Republik bekannt, Alfred Döblin hat sie in einer Passage seines Romans Berlin Alexanderplatz für die Nachwelt aufbewahrt. Die Polizei will sich nicht von einer frechen jungen Frau veralbern lassen. Fotos der beiden Untergetauchten auf Litfaßsäulen und Kino­lein­wänden, der Oberreichsanwalt setzt für die Ergreifung eine Belohnung von 5000 Reichsmark aus. Sie haben Olga Benario damals nicht erwischt.

Moskau

Anfang Juli entkommen die beiden Flüchtlinge nach Moskau. Im September leitet Olga Benario bereits die Abschlußveranstaltung des fünften Weltkongresses der Kommunistischen Jugendinternationale, sie wird ins Zentralkomitee gewählt. 1929 (oder 1930) erhält sie in Borissoglebsk, 500 km südöstlich von Moskau, eine zehn Wochen dauernde paramilitärische Ausbildung. Sie erlernt den Umgang mit leichten und schweren Waffen, lernt Reiten usw. Die körperlichen Strapazen hält sie aus, sie treibt seit frühester Jugend Sport, bei der Jugendgruppe in München war sie für körperliche Ertüchtigung – so hieß das damals – zuständig, auf den Wiesen vor der Stadt trainierte sie mit den Kameraden Fußball. Sie liebt Bewegung, sie hält sich fit wie eine Leistungssportlerin. Im Frühjahr 1930 reist sie im Auftrag der Komintern nach Frankreich und England, wo sie verhaftet und nach Moskau abgeschoben worden sein soll. 1931 trennt sie sich von Otto Braun. Es mehren sich Ungewissheiten und Lücken in ihrem Lebenslauf, das entspricht dem Wesen konspirativer Tätigkeit. Von der Komintern dafür ausgewählt, nimmt sie an einem Fallschirmspringer- und Fliegerkurs an der Luftwaffenakademie Schukowski in der Nähe von Moskau teil. Im November 1934 – inzwischen ist ihr Vater gestorben und Hitler an der Macht – wird Olga Benario in Moskau an den Sitz der Komintern gerufen. Dmitri Manuilski, der leitende Funktionär, stellt ihr einen schmächtigen, unscheinbaren Mann im korrekt sitzenden Anzug vor, Typ des anonymen Funktionärs, einen Kopf kleiner als sie. Das soll der brasilianische Haudegen Luiz Carlos Prestes sein, von dessen Gewaltmarsch durch das brasilianische Hinterland und von dessen Anwesenheit in Moskau sie aus den Zeitungen erfahren hat?

Auf der Suche nach Verbündeten gegen den in Deutschland und Italien an die Macht gekommenen Faschismus richtet die Kommunistische Internationale im Jahr 1934 ihr Interesse auch auf Brasilien. Im größten Land Südamerikas nimmt sie einen sich formierenden Widerstand gegen die Diktatur des Mussolinibewunderers Vargas wahr. Der beste Mann, um diesem Widerstand eine organisatorische Form zu geben, befindet sich gerade in Moskau. Im August wird Prestes Mitglied der russischen Kommunistischen Partei. Mit einem kleinen Kollektiv erfahrener Berufsrevolutionäre soll er illegal nach Brasilien reisen und sich an die Spitze des erwarteten Volksaufstands stellen. Zur besseren Tarnung werden die Verschwörer von ihren Frauen begleitet, ihrerseits erfahrene Revolutionärinnen. Prestes braucht eine Ehefrau, er braucht aber, von Vargas’ Geheimdienst bedroht, auf der Anreise und während des illegalen Aufenthalts in Brasilien auch eine Leibwächterin. So wird ihm im November 1934 am Sitz der Komintern Olga Benario vorgestellt. Vier Monate sind die beiden illegal unterwegs. Ende April 1935 kommen sie in Rio an.

Rio

Dort wohnen sie in der Rua Barão da Torre, wenige Schritte vom Strand von Ipanema entfernt, heute Strand der Schickeria, damals entlegen am südlichen Stadtrand, der Strand der Sonnenanbeter und Nichtstuer, aber auch von Einwanderern aus vielen Ländern, darunter deutsche Exilanten. Das war den Bedingungen der Illegalität günstig. Wochen und Monate vergehen mit konspirativen Treffen, mit Kontaktnahmen zur Widerstandsorganisation ANL, zur illegalen kommunistischen Partei und zu oppositionellen Militärs, Prestes’ ehemaligen Kameraden. Pläne werden ausgearbeitet, ein Zeitrahmen festgelegt. Nach außen ist Prestes ein Mann von Muße, glattrasiert, leichter Anzug, Sonnenbrille, Hut, der am Spätnachmittag mit seiner eleganten Frau an den Stränden von Ipanema und Leblon spaziert. Die Tarnung vollendet durch Principe, der sie bellend umtanzt, er hat ihn ihr geschenkt, sie wird den kleinen Hund in ihren Gefängnisbriefen erwähnen. Die Komintern trägt das ihre dazu bei, Prestes’ Aufenthalt in Brasilien zu verschleiern. Ende August wird er auf dem VII. Weltkongreß zum Mitglied des Exekutivkomitees gewählt, die Prawda veröffentlicht sein Foto, da wird er sich wohl in Moskau befinden. Trotzdem bleiben Aufenthalte im Freien für ihn gefährlich. Olga Benario lernt Portugiesisch (sie spricht bereits Französisch, Englisch und Russisch), sie begibt sich an seiner statt zu Treffen, diskutiert in seinem Namen, aber mit eigenem Wissen, über Fragen der Strategie und Taktik. Im November wird Prestes endlich Mitglied der brasilianischen KP, so lang dauert es, bis die Genossen ihr Mißtrauen gegenüber einem kleinbürgerlichen Offizier überwinden.

Wenig später, am 23. November 1935, bricht im 2.000 km von Rio entfernten Natal, am nordöstlichsten Punkt Brasiliens, nahe am Äquator, der Aufstand aus. Zu früh, wie Prestes und die Mitverschwörer sofort feststellen; die Stimmung in der Bevölkerung ist noch nicht reif. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als den Aufstand zu unterstützen. Nach wenigen Tagen ist alles vorbei. Es gibt viele Tote, Tausende, darunter auch fast alle Mitglieder des kleinen Verschwörerkollektivs, werden verhaftet, viele gefoltert, die ANL zerschlagen. Unter den Gefolterten die deutschen Kominternagenten Arthur und Elisabeth »Sabo« Ewert, Olgas enge Freundin. Die Folter des einen in Gegenwart des anderen, von einer Grausamkeit, die unausdenkbar ist. Arthur Ewert wird davon wahnsinnig. Nach dem Krieg hat man ihn in die DDR zurückgeholt und in ein Sanatorium verbracht, er stirbt 1959. Sabo wird zusammen mit Olga Benario nach Deutschland ausgeliefert, kommt in dieselben Gefängnisse und stirbt 1939 in Ravensbrück.

Olga Benario und Carlos Prestes entkommen zunächst den Fahndern in die nördliche Arbeitervorstadt Méier. Am 5. März werden auch sie verhaftet. Die Polizei hat den Auftrag, Prestes niederzuschießen, aber Olga Benario, die Leibwächterin, soll sich, schwanger, vor ihn gestellt und dadurch die Tötung verhindert haben. Sie haben sich nicht mehr wiedergesehen.

Ende August beschließt die brasilianische Regierung, Olga Benario, die Jüdin und Kommunistin, nach Nazideutschland abzuschieben, Vargas weiß, was er tut. Ende September 1936 bringt man die im siebten Monat Schwangere gemeinsam mit Sabo auf die im Hafen von Rio ankernde Coruña. Das widerspricht jedem »Minimalprogramm der Humanität«, nach einer Formel Walter Benjamins; es widerspricht auch der brasilianischen Verfassung, wonach Frauen das Recht haben, mit brasilianischen Ehemännern gezeugte Kinder in Brasilien zur Welt zu bringen. Waren Olga Benario und Carlos Prestes verheiratet? Die Frage ist naiv angesichts der Bedingungen der Illegalität. Dennoch haben die nazideutschen Behörden immer wieder auf den Heiratsschein gedrängt. Als ob sie im Mindesten die Absicht gehabt hätten, Olga Benario freizulassen. Am 18. Oktober erreicht La Coruña Hamburg. Wenig später wird Olga Benario ins Frauengefängnis in der Barnimstraße 10 in Berlin eingeliefert, jenes einstige königlich-preußische Weibergefängnis, in dem 1915 schon Rosa Luxemburg einsaß. Sie wird zu ›Schutzhaft‹ verurteilt, Nazicode für unbegrenzte Haft, bei der die Häftlinge ohne Schutz den Wärtern ausgeliefert sind.

Gefängnis und KZ

Bis zu Olga Benarios Tötung bleiben noch sechs Jahre. Kurz nach der Einlieferung bringt sie am 27. November 1936 eine Tochter, Anita Leocadia, zur Welt. Vierzehn Monate später, am 21. Januar 1938, wird ihr das Kind weggenommen. Nach Tagen erst erfährt sie, Anita sei der brasilianischen Großmutter Leocadia und der Tante Lygia übergeben worden und mit ihnen nach Paris gereist. Im Oktober 1938 entziehen sich Leocadia und Lygia mit dem Kind dem langen Arm der Nazis nach Mexiko.

Olga Benario kommt am 15. Februar 1938 ins KZ Lichtenburg in Prettin, 100 km südlich von Berlin. Die ersten Wochen verbringt sie in Einzelhaft. Mitte Mai 1939 wird sie mit weiteren weiblichen Gefangenen in das gerade fertiggestellte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück bei Fürstenberg gebracht, 80 km nördlich von Berlin. Auch in Ravensbrück soll Olga Benario die ersten Wochen in Einzelhaft verbracht haben. Was sich an Qualen dahinter verbirgt, ist nicht überliefert. Das gilt auch für die Zeit von Ende August bis Anfang Oktober 1939, die sie erneut in den Händen der Gestapo in Berlin zubringt. Davon ist ein in Ravensbrück ausgestellter »Transportzettel für die Gefangenen-Beförderung« vom 20. Juli 1939 erhalten. Olga Benarios Erscheinung und ihre Kleidung sind mit buchhalterischer Vollständigkeit aufgelistet: »Haare: dunkelblond; Augen: blau; Zähne: vollständig; Bart: ohne«; und: »buntes Kleid m. rotem Gürtel, schwarzer, dreiviertellanger Mantel, beige Sandaletten, helle Strümpfe. Gepäck: gelbe Handtasche«. So könnte man eine lebensfrohe junge Frau beschreiben. Unter Anordnungen zur »Fesselung« der Gefangenen heißt es: »nach Bedarf«. Der Zweck der Überstellung an die Gestapo: »Vernehmungen«. Man möchte sich nicht vorstellen, was damit gemeint ist. Oben auf dem Zettel schließlich, unterstrichen, der handschriftliche Vermerk »Jüdin«. Auch das möchte man lieber nicht wissen; noch da, wo die Nazisprache ein Faktum zu bezeichnen scheint, erweckt sie Grauen. Nach der Rückkehr aus Berlin wird Olga Benario nicht mehr in der Gefangenenbaracke (im KZ-Jargon: »Block«) für politische Häftlinge untergebracht, sondern im Zellblock 11, der Baracke der Jüdinnen, die auf der Skala der Nazis noch unter den Kommunistinnen rangieren. Im November ist sie ›Stubenälteste‹ – der Begriff ›Stube‹ läßt an ein behagliches Wohnzimmer denken –, später ›Blockälteste‹, die einzige jüdische Gefangene in dieser Position in der Geschichte von Ravensbrück. Sie hat sich auch noch unter den Bedingungen des Konzentrationslagers für ihre Mithäftlinge eingesetzt. Das ist keine wohlmeinende Vermutung. Die Österreicherin Ida Hirschkron, im September 1941 aufgrund eines »Irrtums«, wie sie später aussagt, aus Ravensbrück entlassen, hat am 3. November 1947 in Wien vor Hauptmann H.A.Brunner von der britischen Field Investigation Section, War Crimes Group (NWE) Folgendes unter Eid zu Protokoll gegeben: Nach dem mißlungenen Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller (8. November 1939) seien in Ravensbrück die jüdischen Häftlinge wochenlang im Zellblock 11 eingesperrt und von der Aufseherin [Emma] Zimmer angeschrien und geschlagen worden. »Da wagte unsere Blockälteste Olga Benario Brestes [sic] die Zimmer zu ersuchen, diesen beinahe unerträglichen Zustand zu beenden. Die Zimmer schrie wie eine Verrückte und machte dem Lagerkommandanten Kögl [recte Kögel] eine Meldung wegen Meuterei.« Olga Benario wurde für ihre Frechheit bestraft (es gab die Prügelstrafe).

Von einer der Aktivitäten Olga Benarios hat sich ein Artefakt erhalten. Die Vielgereiste hat ihren Mitgefangenen Kenntnis der Welt vermittelt. Zu diesem Zweck hat sie aus dem Naziblatt Völkischer Beobachter – der einzigen erlaubten Zeitung– kleine Landkarten ausgeschnitten und zu einem mehrseitigen Atlas von der Größe einer Zigarettenpackung zusammengefügt. Der winzige Atlas ist heute in der Gedenkstätte in Ravensbrück zu besichtigen.

Am 1. September 1939 beginnt Nazideutschland seinen Krieg. Am 1. Juni 1941 marschiert die Wehrmacht in die Sowjetunion ein, und am 20. Januar 1942 beschließen die Nazis auf der Wannseekonferenz die für die Vernichtung der Juden nötige Organisation. Ende April 1942 wird Olga Benario mit einem der ersten Transporte von Ravensbrück nach Bernburg gebracht, etwa 150 km südwestlich von Berlin, und in der zu diesem Zweck erstellten, wenige Quadratmeter großen Gaskammer der Landes-Heil- und Pflegeanstalt vergast.

Erinnerung

In der DDR haben aus dem Exil zurückgekehrte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Anna Seghers und Stephan Hermlin schon früh an das Schicksal von Olga Benario erinnert. 1961 erschien die romanhaft in ein Heldenlied transformierte, zugleich faktenreiche Darstellung von Ruth Werner, Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens. Das besonders der Jugend zugedachte Buch war ein Erfolg, Schulen und Straßen wurden nach Olga Benario benannt. In der BRD dagegen bestand an diesem Opfer des Holocaust kein Interesse. Seit Beginn der 1990er Jahre nimmt die Aufmerksamkeit für Olga Benarios Schicksal zu, von Dea Lohers Stück Olgas Raum (1992), über Galip Iyitanirs halbdokumentarischen Film Olga Benario. Ein Leben für die Revolution (2004) bis zu Robert Cohens Roman Exil der frechen Frauen (2009).

Luiz Carlos Prestes wird am 7. Mai 1937 in Rio wegen Desertion zu 16 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Er verbringt die Jahre bis zum Kriegsende in Einzelhaft. Das sind neun Jahre ohne mit einem Menschen zu sprechen– außer, wenn es ihm, selten genug, erlaubt ist, mit seinem Anwalt. Ende April 1945, wenige Tage vor Kriegsende, wird er aufgrund einer Amnestie für politische Gefangene aus der Haft entlassen. Er erfährt vom Tod Olga Benarios, und am 28. Oktober lernt er seine Tochter Anita kennen. Ende 1945 werden er und weitere Genossen als erste Vertreter der Kommunistischen Partei ins brasilianische Parlament gewählt. 1948 ist die KP bereits wieder verboten, Prestes verbringt zehn Jahre im Untergrund. 1951 heiratet der inzwischen Dreiundfünfzigjährige und hat mit seiner Frau Maria noch sieben Kinder. 1958 bezeichnet ihn die US-Wochenzeitschrift Time als den einflußreichsten Kommunisten der westlichen Hemisphäre. 1964 kommt es in Brasilien nach einem Putsch zur Militärdiktatur, Prestes taucht erneut unter. 1971 gelingt ihm die Flucht ins Exil nach Moskau, 1979 kann er nach Brasilien zurückkehren. In einem offenen Brief bricht er im März 1980, nach vierzig Jahren als deren Sekretär, mit der KP Brasiliens, die ihre revolutionären Ziele aufgegeben habe. Er stirbt am 7. März 1990 im Alter von 92 Jahren in Rio. Die Mythenbildung um seine Figur hat schon zu seinen Lebzeiten auch in der Literatur eingesetzt, mit Jorge Amados Heldenepos O Cavaleiro da Esperança (1942) und mit Pablo Nerudas Gedichten »Prestes von Brasilien (1949)«, »Gesprochen in Pacaembú (Brasilien, 1945)«, »Und wieder die Tyrannen«. Nach dem Ende der Militärdiktatur (1985) erscheinen in Brasilien immer neue wissenschaftliche Aufsätze, Monographien, Radio- und Filminterviews.

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