Ein anarchistischer Blick auf den syrischen Widerstand

 

Joshua Stephens im Gespräch mit dem syrischen Anarchisten Nadir Atassi

Seit die USA verstärkt mit einer militärischen Intervention in Syrien drohen, wird der Konflikt in Syrien beschrieben mit dem brutalen Regime von Bashar al-Assad auf der einen und islamistischen Elementen in der Widerstandsbewegung auf der anderen Seite. Das hat zur Folge, dass sich Kritik an der US-Position auch mit dem Widerspruch auseinandersetzen muss, Al-Qaeda-nahe Gruppen, die das Assad-Regime stürzen wollen, zu unterstützen. Laut einem kürzlich im Magazin Fast Company erschienenen Artikel, gibt es ein breites und vielfältiges Netzwerk unbewaffneten, demokratischen Widerstands gegen Assads Regime, das von lokalen politischen Initiativen, KünstlerIInnenkoalitionen, Menschenrechtsorganisatio­nen, gewaltfreien Gruppen und so weiter getragen wird. (Die Syria Nonviolence Movement erstellte eine interaktive Karte online1 , die das komplexe Verbindungsnetzwerk zeigt.)

Gleichzeitig gewannen die Texte und Berichte von syrischen Anar­chistInnen enormen Einfluss in anderen Kämpfen in der arabischen Welt. So wird AnarchistInnen, die in Assads Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, in Texten von PalästinenserInnen und während Demonstrationen für palästinensische politische Gefangene in Israel gedacht. Bei dieser Entwicklung fallen zwei Charakteristika beson­ders ins Auge: Erstens die Art und Weise, mit der AnarchistInnen in der arabischen Welt Kritik an den von den USA aufrechterhaltenen Widersprüchen zur Legitimation ihrer Außenpolitik üben und intervenieren und sie somit ad absurdum führen. Und zweitens den andauernden Austausch zwischen antiautoritären Bewegungen in der arabischen Welt, die westliche Referenzpunkte umgeht. Ob die zentrale Forderung der syrischen AnarchistInnen nach Selbstbestimmung als zentrales Organisierungsprinzip der unmittelbaren Realität der Gewalt in Syrien oder den Einflüssen ausländischer Interessen widerstehen kann, bleibt eine offene Frage.

Nadar Atassi ist syrischer Politikwissenschaftler und Autor. Ursprünglich kommt er aus Homs, pendelt aber zurzeit zwischen den USA und Beirut. Er betreibt den Blog Darth Nader2 , der sich mit Ereignissen der Syrischen Revolution auseinandersetzt. Ich habe mich mit ihm über die anarchistischen Spuren in der Syrischen Revolution und die Möglichkeit einer Intervention der USA unterhalten.

 

Joshua Stephens (Truthout): AnarchistInnen waren von Anfang an in der Syrischen Revolution aktiv und haben auch darüber geschrieben. Wissen Sie etwas darüber, welche Aktivitäten es davor gab? Gab es bedeutende Ereignisse, in denen sich Anarchismus in Syrien geäußert hat?

 

Nadir Atassi: Wegen des autoritären Charakters des syrischen Regimes gab es vor der Revolution immer sehr wenig Handlungsspielraum. Wenn wir jedoch vom Anarchismus im arabischen Raum sprechen, dann kamen bedeutende Stimmen aus Syrien.

Obwohl es keine Organisierung gab, die explizit „anarchistisch“ war, gewannen syrische Blog­ger und Autoren mit anarchistischen Einflüssen in den letzten zehn Jahren immer mehr Be­deutung in der „Szene“.

Mazen Kamalmaz3  ist ein syrischer Anarchist, der in den letzten Jahren viel geschrieben hat. Seine Texte beinhalten viel anarchistische Theorie, die er auf aktuelle Anlässe bezog. Und er war eine bedeutende Stimme des arabischen Anarchismus, lange bevor der Aufstand begann. Er hat viel auf Arabisch geschrieben und kürzlich hielt er einen Vortrag in einem Café in Kairo mit dem Titel: „Was ist Anarchismus?“

Bezüglich der Organisierung war die Situation jedoch eine andere. In der repressiven Landschaft eines autoritären Regi­mes mussten viele kreativ sein und Möglichkeiten, die sich ihnen boten, nutzen, um irgendeine Form von Bewegung zu organisieren. Das hat de facto zu einer dezentralen Art sich zu organisieren geführt. Zum Beispiel entstanden während der zweiten palästinensischen Intifada und des Irakkrieges Stu­dierendenbewegungen an den syrischen Universitäten. Das war eine Art öffentlicher Un­mutsäußerungen, die das Regime tolerierte. Es wurden Demonstrationen organisiert, um gegen den Irakkrieg zu demon­strieren, oder in Solidarität mit der palästinensischen Intifada. Obwohl viele Mukhabarat4 -Mitglieder diese Bewegungen infiltrierten und streng überwachten, handelte es sich dabei um eine rein spontane Erhebung seitens der Studierenden.

Und obwohl sich die Studierenden sehr bewusst waren, wie stark sie überwacht wurden (der Mukhabarat begleitete die Demos mit Notizbüchern, in die sie die gerufenen und auf Transparente geschriebenen Parolen notierten), nutzten sie diesen kleinen politischen Handlungsspielraum, der ihnen gewährt wurde, um schrittweise auch innenpolitische Themen im Rahmen der vom Regime ge­währten Proteste zu außenpolitischen Themen anzusprechen.

Eines der gewagtesten Ereignisse, von denen ich gehört ha­be, war, als Studierende der Aleppo-Universität während eines Protests gegen den Irakkrieg Schilder mit dem Slogan „Nein zur Notstandsgesetzge­bung“ hochhielten. [In Syrien gelten seit 1963 Notstandsge­setze]. Solche Aktionen hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Viele der Studierenden, die sich während dieser Proteste spontan als charismatische Organisatoren hervorgetan haben, verschwanden zu einem sehr frühen Zeitpunkt der jetzigen Aufstände. Das Regime war misstrauisch gegenüber den Netzwerken der Aktivisten, die aus den vorangegangenen Bewegungen entstanden sind, und ist deshalb gegen diese friedlichen Aktivisten vorgegangen, von denen es wusste, dass sie eine Bedrohung darstellen könnten. (Und gleichzeitig wurde das Regime nachsichtiger mit den Netzwerken der Djihadisten und ließ Ende 2011 hunderte von ihnen aus dem Gefängnis frei.) An der Aleppo-Universität gibt es zu­fälligerweise eine sehr bekannte Studierendenbewegung, die den Aufstand unterstützt, so dass die Uni auch als „Universität der Revolution“ bekannt ist. Später hat das Regime die Universität angegriffen und viele Studierende im Architek­turinstitut getötet.

 

Joshua Stephens (Truthout): Sie haben kürzlich auf Ihrem Blog über eine mögliche US-Intervention als eine Art Folge einer Iranischen und Russischen Intervention zugunsten Assads und islamistischer Intervention in revolutionäre Bewegungen geschrieben. Fast wie kürzlich in Ägypten scheinen AnarchistInnen eine herausragende Stimme zu sein, die sich gegen zwei unbefriedigende Säulen in der Berichterstattung der Mainstream-Medien erhebt – eine Stimme, die von Selbstorganisierung spricht. Ist das eine zutreffende Interpretation?

 

Nadir Atassi: Ja, ich glaube, das stimmt. Aber ich würde auch ein paar Dinge klarstellen. Am Beispiel Syrien gibt es viele, auf die diese Beschreibung zutrifft; nicht nur auf AnarchistInnen sondern auch auf TrotzkistInnen, MarxistInnen, Linke und sogar auf einige Liberale. Der ständige Verweis auf Selbstbestimmung basiert auch auf Autonomie und Dezentralisierung und nicht auf der irgendwie nationalistischen, zentralisierten Selbstbestimmung „eines Volkes“ nach Wilsons Vorstellung. Es geht darum, dass die Syre­rInnen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen – nicht im nationalistischen Sinn, sondern auf mikro-politischer Ebene.

Syrische Selbstbestimmung be­deutet zum Beispiel nicht, dass es eine Linie gibt, der alle Sy­rerInnen folgen, sondern dass jede Person ihre eigene Linie bestimmt, ohne dass andere Einfluss darauf nehmen. Syrische KurdInnen haben in dieser Konzeption zum Beispiel auch das Recht auf volle Selbstbestimmung, anstatt sie in eine beliebige syrische Identität zu zwingen und zu sagen, dass alle Menschen, denen diese Identität zugeschrieben wird, das gleiche Schicksal teilen.

Sprechen wir über Parteien, wie zum Beispiel das Regime, aber auch seine ausländischen Verbündeten und die Djihadisten, die gegen syrische Selbstbestimmung sind. Das sind sie aber nicht, weil es eine Idee sy­rischer Selbstbestimmung gibt, gegen die sie sind, sondern sie wollen ihre eigene Idee allen anderen aufzwingen. Das Regime ist und war immer gegen syrische Selbstbestimmung, weil es die gesamte politische Macht in Händen hält und sich weigert, sie zu teilen.

Die Islamisten sind gegen syrische Selbstbestimmung, nicht weil es ihnen ihre islamistische Tugend verbietet (deshalb sind auch viele Liberale gegen sie), sondern weil sie ein Bild vor Augen haben, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte. Das wollen sie anderen aufzwingen. Auch das ist gegen die syrische Selbstbestimmung.

Die Alliierten des Assad-Regi­mes, Iran, Russland und verschiedene ausländische Milizen, sind gegen syrische Selbstbestimmung, weil sie entschlossen sind, dieses Regime zu stützen, weil sie sich entschieden haben, dass ihre geo­politischen Interessen über denen der SyrerInnen stehen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Berichterstattung der Main­streammedien versucht immer Menschen so darzustellen, als würden sie in Verhältnissen leben, in denen es nur zwei Seiten gibt. Aber die syrische Revolution brach aus, als die Menschen Selbstbestimmung von der einen Partei forderten, die sie ihnen verwehrte: dem Regime von Bashar al-Assad. Mit der Zeit betraten andere Akteure die Bühne, die den Sy­rerInnen ebenfalls ihre Selbstbestimmung absprachen, da­runter auch einige, die gegen das Regime kämpfen.

Aber die Position war es nie, einfach gegen das Regime zu sein, um gegen das Regime zu sein. Von unseren GenossInnen in Ägypten vermute ich auch, dass sie gegen die Ikhwan [Muslimbruderschaft] sind, um gegen die Ikhwan zu sein. Das Regime nahm den Menschen die Selbstbestimmung. Sollte das Regime mit dem Ergebnis abgesetzt werden, dass andere an dessen Stelle treten, die die SyrerInnen dominieren, sollte das nicht als Erfolg gesehen werden.

Als in Ägypten die Ikhwan an die Macht kamen, machten diejenigen, die sie für eine Beleidigung der Revolution hielten, mit dem Slogan „al thawra musta­mera“ [„die Revolution geht weiter“] weiter. Das wird auch in Syrien passieren, wenn nach dem Sturz des Regimes eine Partei an die Macht kommt, die die SyrerInnen nicht ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen lässt.

 

Joshua Stephens (Truthout): Als ich Mohammad Bamyeh5  dieses Jahr interviewte sprach er über Syrien als ein sehr interessantes Beispiel dafür, dass Anarchismus die treibende Methode vor Ort sei. Er hob besonders hervor, dass, wenn mensch von Organisierung in der syrischen Revolution hört, mensch dann von Komitees und anderen Formen hört, die sehr horizontal und autonom sind. Seine Vermutung scheint von Berichten von Menschen wie Budour Hassan genährt zu werden, die Leben und Arbeit Omar Aziz’ dokumentierten.6  Sehen Sie diesen Einfluss bei dem, was Ihre GenossInnen machen und berichten?

 

Nadir Atassi: Ja, das beschreibt Anarchismus so, wie er gesehen werden sollte, als eine Vielzahl bestimmter Praktiken, statt als Ideologie. Viele Organisierungsansätze im syrischen Aufstand hatten einen anarchistischen Ansatz, wenn auch nicht explizit. Ein Beispiel ist die Arbeit, die der Märtyrer Omar Aziz bei der Entstehung der lokalen Räte leistet, was Tahir-ICN7  und Budour Hassan sehr gut dokumentierten. Aziz betrachtete diese Räte im Kern als Organisationen, wo Selbstverwaltung und gegenseitige Hilfe gedeihen können. Ich denke, dass Omars Vision der Arbeitsweise der lokalen Räte Leben eingehaucht hat, auch wenn mensch erwähnen muss, dass die Räte den Fokus auf Selbstverwaltung aufgegeben haben und sich dafür auf Medienarbeit und auf das Beschaffen von Hilfe konzentrieren. Aber ihre Arbeitsweise basiert immer noch auf den Prinzipien der gegenseitigen Hilfe, der Kooperation und des Konsens.

Die Stadt Yabroud, die zwischen Damaskus und Homs liegt, ist die Kommune des syrischen Aufstands. Neben dem Vorbild für religiöse Koexistenz, viele ChristInnen leben in der Stadt, wurde Yabroud auch Vorbild für Autonomie und Selbstverwaltung in Syrien. Nachdem sich die Sicherheitskräfte des Regimes auf Befehl Assads aus Yabroud zurückgezogen haben, um woanders eingesetzt zu werden, füllten die BewohnerInnen die Lücke und erklärten „wir or­ganisieren jetzt alle Aspekte des Stadtlebens selbst [sic].“ Angefangen von der Stadtge­staltung bis zur Umbenennung der Schule in „Freiheitsschule“ ist Yabroud das Beispiel dafür, wie viele SyrerInnen, mich eingeschlossen, hoffen, dass das Leben nach Assad aussehen wird. Andere Gegenden, die von reaktionären Djihadis kontrolliert werden, zeichnen ein dunkleres Bild von der Zukunft, aber nichtsdestotrotz ist es wichtig anzuerkennen, dass es Alternativen gibt.

Die „Revolutionäre Jugend Syriens“ ist ein Netzwerk von Ak­tivistInnen, das hauptsächlich in Damaskus aktiv ist, eigentlich aber über das ganze Land verstreut. Sie sind eine klandestine Organisation, die extrem wagemutige Demonstrationen machen, oft im Herzen des regi­mekontrollierten Damaskus, vermummt und mit Symbolen und Fahnen der syrischen Revolution zusammen mit kurdischen Fahnen (einem weiteren Tabu in Syrien).

In Darayya im Umland von Damaskus, wo es von Seiten des Regimes immer wieder zu schweren Kämpfen kommt, seit die Stadt im November 2012 in die Hände der Rebellen gefallen ist, haben sich einige Be­wohnerInnen inmitten all der Kämpfe entschieden, sich zusammenzutun und eine Zeitung zu gründen, die sie Enab Baladi (was so viel bedeutet wie „Trauben von hier“, da Darayya eine berühmte Traubenstadt ist).

Die Zeitung berichtet sowohl darüber, was in Darayya vor Ort als auch im Rest von Syrien passiert. Sie wird gedruckt und gratis in der ganzen Stadt verteilt.

Die Prinzipien Selbstverwaltung, Autonomie, gegenseitige Hilfe und Kooperation gibt es in vielen Organisationen innerhalb des Aufstands. Die Organisationen, die nach einigen dieser Prinzipien handeln, tragen die Totalität des Aufstandes nicht mit. Es gibt reaktionäre Elemente, sektiererische Elemente, imperialistische Elemente. Aber davon haben wir ja schon immer viel gehört, oder nicht? Es gibt Leute die auf Ba­sis guter Prinzipien großartige Arbeit machen und Unterstützung verdienen.

 

Joshua Stephens (Truthout): Wie würde eine US-Intervention die Gestalt oder die Dynamik der Revolution verändern?

 

Nadir Atassi: Generell denke ich, dass Interventionen den Aufstand sehr negativ beeinflusst haben. Eine US-Intervention wäre da nicht anders. Aber ich denke, wie diese spezielle Intervention die Gestalt und Dynamik der Revolution beeinflussen wird, hängt vom Umfang der US-Militärschläge ab. Wenn die USA so eingreifen, wie sie sagen, dass sie es werden, nämlich mit „strafenden“, „beschränkten“, „chirurgischen“, „symbolischen“ Schlägen, wird das zu keinen bedeutenden Veränderungen auf dem Schlachtfeld führen. Es könnte dem Assad-Regime jedoch einen Propagandasieg bescheren, weil es dann behaupten kann, es hätte dem „US-Imperialismus standgehalten.“

Diktatoren, die Kriege gegen sie überlebten, tendieren dazu, Siege auf Basis des Überlebens auszurufen, auch wenn sie in Wirklichkeit verloren haben.

Als Saddam Hussein von den USA, Saudi-Arabien und anderen aus Kuwait vertrieben wurde, blieb er noch für zwölf Jahre an der Macht, zwölf Jahre die gefüllt waren mit Propaganda darüber, wie Saddam während „der Mutter aller Schlachten“ standhaft blieb.

Wenn die Militärschläge am En­de doch härter ausfallen sollten, als zur Zeit diskutiert wird, und sie die Lage auf dem Schlachtfeld bedeutend ändern oder das Assad-Regime bedeutend schwächen, dann denke ich, dass die möglichen negativen Auswirkungen andere sein werden. Ich denke, das wird da­zu führen, dass die SyrerInnen ihre Zukunft nicht selbst bestimmen werden können. Auch wenn die USA Assad nicht mö­gen, haben sie doch oft erklärt, dass sie denken, dass der institutionelle Rahmen des Regimes intakt bleiben solle, um die Stabilität des zukünftigen Syrien zu gewährleisten.

Kurz gesagt, wie viele schon geschrieben haben, die USA wollen einen „Assadismus oh­ne Assad“. Sie wollen das Regime ohne die Figur Assad.

Genauso wie sie es in Ägypten erreichten, als Mubarak zurücktrat, aber die Macht des Militärs, der „deep state“, erhalten blieb. Genauso was im Jemen passiert ist, wo die USA aushandelten, dass der Präsident zurücktritt aber der Rest größ­tenteils unverändert blieb. Das Problem dabei liegt darin, dass die SyrerInnen riefen: „Das Volk fordert den Sturz des Regimes“ und nicht nur Assads. Es gibt einen allgemeinen Konsens, der von den USA, Russland bis zum Iran geteilt wird, dass egal was in Syrien passiert, die Institutionen des Regimes intakt bleiben sollen. Diejenigen Institutionen, die von einer Diktatur errichtet wurden. Diejenigen Institutionen, die Syrien geplündert haben und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hervorgerufen haben, die zu diesem Aufstand führte. Diejenigen Institutionen, die nur die Überbleibsel des französischen Kolonialismus sind.

Jede_r in Syrien weiß, dass die USA KandidatInnen für Füh­rungsrollen in einem zukünftigen Syrien bevorzugt, die erst Teil des Regimes waren und dann abtrünnig wurden: Ba’athistische Bürokraten die zu neoliberalen Technokraten wurden, die zu „Abtrünnigen“ wurden. Solche Leute sollen Syrien regieren, wenn es nach den USA geht.

Die SyrerInnen haben schon sehr viele Opfer gebracht. Sie haben den höchsten Preis für ihre Forderungen bezahlt. Ich will nicht, dass das alles ver­gebens war. Ich hoffe, dass bei der Eile, Assad, das Symbol des Regimes, loszuwerden, nicht das Regime erhalten bleibt.

Syrien hat mehr verdient als einen Haufen zwielichtiger Institutionen und eine Bürokratie, die von Diktatoren errichtet wurde, die das syrische Volk unter Kontrolle und befriedet halten wollte. Es gibt keinen Grund, Institutionen zu behalten, die an der Plünderung des Landes und der Ermordung der Menschen beteiligt waren.

Auch weil ich weiß, dass sich die USA genau das für Syrien wünscht, lehne ich jedes direkte Eingreifen der USA ab. Wenn die USA helfen wollen, können sie mit diplomatischen Mitteln auf Russland und Iran einwirken und sie überzeugen, den Krieg zu beenden, damit die Sy­erInnen selbst bestimmen können, was als nächstes getan werden soll.

Aber ein direktes Eingreifen der USA ist eine Fremdbestimmung der nächsten Stufe für die Sy­rerInnen, was meiner Meinung nach abgelehnt werden sollte.

 

Joshua Stephens (Truthout): Wie kann Syrien von außen geholfen werden?

 

Nadir Atassi: Für Menschen von außerhalb ist das schwierig. Materielle Unterstützung kann nur sehr wenig geleistet werden. Das einzige, was mir in einem größeren Rahmen einfällt, ist diskursive bzw. intellektuelle Unterstützung.

Die Linke stand dem syrischen Aufstand sehr ablehnend gegenüber, haben die schlimmsten Elemente der Aktivitäten gegen das Regime als die einzigen, die es gibt, behandelt und haben Darstellungen des Regimes für bare Münze genommen. Was ich von den Menschen will, ist, dass sie dieses Bild gerade rücken und aufzeigen, dass es im syrischen Aufstand Elemente gibt, die es wert sind, unterstützt zu werden.

Helft mit, die schädliche Dichotomie zu brechen, dass mensch sich nur zwischen Assad und Al-Kaida oder Assad und US-Imperialismus unterscheiden kann. Seid fair zur Geschichte und den Opfern des syrischen Volkes, in dem ihr ihnen angemessen Rechnung tragt.

Vielleicht ist es zu spät und die herrschenden Sichtweisen sind gegenwärtig zu stark, um überwunden werden zu können.

Aber wenn die Menschen jetzt damit anfangen, können viel­leicht zumindest die Geschichtsbücher fair sein.

 

Interview: Joshua Stephens

 

Übersetzung aus dem Englischen: twinkle me

 

Die englische Version des Interviews erschien am 6. September 2013 in der Internet-Zeitung truth-out: http://truth-out.org/news/item/18617-syrian-anarchist-challenges-the-rebel-regime-binary-view-of-resistance

 

Anmerkungen:

1 www.fastcolabs.com/3016532/this-interactive-infographic-shows-the-depth-of-the-syrian-resistance

2 http://darthnader.net/

3 http://libcom.org/tags/mazen-kamalmaz

4 Arabisch für Geheimdienst

5 http://towardfreedom.com/middle-east/3159-talking-anarchism-and-the-arab-uprisings-with-mohammed-bamyeh

6 http://budourhassan.wordpress.com/2013/02/20/omar-aziz/

7 http://tahriricn.wordpress.com/2013/08/23/syria-the-life-and-work-of-anarchist-omar-aziz-and-his-impact-on-selforganization-in-the-syrian-revolution

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 382, Oktober 2013, www.graswurzel.net

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