Position zur rassistischen Stimmung in Deutschland

 

vom Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt

Seit einiger Zeit ist das Thema Asylpolitik in Deutschlands Öffentlichkeit
einer der Hauptdiskussionspunkte. Gründe dafür sind die bundesweiten
Flüchtlingsproteste, der kurze Aufschrei nach der medialen Aufmerksamkeit
für die Tragödie von Lampedusa, und die herbeihalluzienierte „Asylflut“
aus der Bürgerkriegsregion Syrien oder die angeblichen
„Wirtschaftsflüchtlinge“ aus osteuropäischen Ländern.
Letzteres geht einher mit der Schaffung neuer Flüchtlingslager aufgrund
des, im Vergleich zu den 90er Jahren, marginalen Anstiegs von
Asylerstanträgen in Deutschland. Nahezu überall dort, wo neue
Flüchtlingslager geschaffen werden, ist der rassistische Bürger_innenmob
mit seiner Hetze nicht weit.

In diesem Text wollen wir einen antirassistischen Blickwinkel auf die
aktuellen Entwicklungen werfen.

Wer in den letzten Monaten die Berichterstattung der Medien verfolgte,
wurde häufig mit Wörtern wie „Flüchtlingsströme“, „Asylflut“ und
„Armutsflüchtlinge“ konfrontiert. Das ist nichts neues: Genau die selben
Motive waren auch schon zentrale Bestandteile der rassistischen
Stimmungsmache, die in den Pogromen der 90er gipfelte. Sie werden jetzt
bloß wieder aufgewärmt. Dass die Bundesregierung sich bereit erklärt hat,
einige syrische Flüchtlinge aufzunehmen und ab Januar die volle
EU-Freizügigkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien gilt, ist ein
willkommener Anlass erneut angebliche Ängste vor sogenannter
„Überfremdung“ medial und politisch auszuschlachten.

Diese Stimmung nutzen Kameradschaften und die NPD für sich, um sich als
als einzig wahre Vertreter_innen migrations- und flüchtlingsfeindlicher
Interessen zu inszenieren und in der  Zivilbevölkerung wieder Rückenwind
zu bekommen. Die rechten Forderungen der NPD erfreuen sich plötzlich
erneut einer breiten Anschlussfähigkeit. In sozialen Netzwerken gründen
meist ortsansässige Nazistrukturen sogennante „Bürginitiativen“, über die
sie die örtliche Bevölkerung um sich scharen und Kundgebungen und
Demonstrationen mit bis zu 2000 Menschen gegen die Unterbringung von
Flüchtlingen organisieren, wie z. B. geschehen in Schneeberg, Greiz,
Berlin-Hellersdorf oder anderen Städten.

Dabei ziehen sie „wir sind das Volk!“ skandierend durch die Dörfer und
lassen ihren rassistischen Ressentiments freien Lauf. Auch das Bild
dieser, meist mit Fackeln begleiteten Aufmärsche, erinnert erschreckend an
die Bilder der 90er Jahre, in denen sich Nazis und Bürger_innen, z. B. in
Rostock-Lichtenhagen, zusammenrotteten um gemeinsam das dortige sogenannte
„Sonnenblumenhaus“ anzugreifen, in dem ehemalige vietnamesische
Vertragsarbeiter_innen untergebracht waren. Die ortsansässige Bevölkerung
solcher Dörfer, Kleinstädte oder Stadtteile begründet ihre Wut und ihren
Zorn gegen die Schaffung neuer Flüchtlingslager mit Aussagen wie z. B.
über die angebliche Unsicherheit der Kinder auf dem Schulweg. Die
dramatische Realität des letzten Jahres zeigt, dass die derzeitige
Stimmung schnell zu einem Nährboden für Übergriffe und Brandanschläge auf
Flüchtlingslager und Gewalttaten gegenüber vermeintlich „Nicht-Deutschen“
(sprich: Menschen, die nicht auf das rassistische Muster des_der weißen
Deutschen passen) werden können. Wirft man einen Blick auf die Statistik
des letzten Jahres, unter anderem auf Internetseiten wie die der
Initiative dok-maar, erkennt man schnell, dass dies wieder trauriger
Alltag geworden ist und in einigen Orten Deutschlands eine extrem
gefährliche Pogromstimmung droht.

Ignoriert werden in der öffentlichen Diskussion dabei sowohl die Tatsache,
dass Flüchtlinge ihre Herkunftsländer aufgrund lebensbedrohlicher Umstände
verlassen, als auch die historische Verantwortung, die Deutschland aus
seiner kolonialen Vergangenheit, der Zeit des Nationalsozialismus und
seiner Position in neo-kolonialen Ausbeutungsverhältnissen zukommt. Nicht
umsonst ist „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!“ seit Jahren
ein Slogan der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen.
Aber so wie sich Deutschland bis heute weigert, den Völkermord an den
Herero und Nama als solchen anzuerkennen und sich dafür zu entschuldigen,
sind sich Medien und Politik  trotz der gezielten Vernichtung von Sinti
und Roma im Nationalsozialismus nicht zu schade, im Zusammenhang mit
Flüchtlingen aus Südeuropa noch die stumpfesten antiziganistischen
Ressentiments zu äußern.

Als wäre es nicht schon genug, dass Flüchtlinge ihre Freunde und Familien
aufgrund lebensbedrohlicher Umstände verlassen und die tödlichen
EU-Außengrenzen in überfüllten Booten oder auf endlos langen
beschwerlichen und gefährlichen Wegen überwinden müssen, werden sie hier
von Nazis und Rassist_innen erwartet, welche vor ihren Unterkünften pöbeln
und sie bedrohen. Man kann sich kaum ausmalen was die Menschen, die solche
weiten Wege auf sich genommen haben um vor Hunger, Elend oder Krieg zu
flüchten, in solchen Momenten verspüren.
Oft sind sie zudem auch mit dem institutionellen Rassismus des Bundesamtes
für Migration oder den örtlichen Ausländerbehörden, sowie rassistischen
und gewalttätigen Polizisten schutzlos ausgeliefert. Sie müssen
abgeschottet von dem Rest der Bevölkerung in menschenunwürdigen, engen und
verdreckten Flüchtlingslagern jahrelang ausharren, mit der täglichen Angst
vor der Abschiebung. Jeder Weg zur Behörde oder in das nächste
Einkaufszentrum, welche nicht selten bis zu 20km entfernt liegen, ist
beschwerlich und immer mit der Angst verbunden, von der örtlichen
Bevölkerung oder der Polizei beleidigt, bespuckt, geschlagen oder getreten
zu werden. In den Behörden hält man es nicht für nötig die Geflüchteten
auf ihre Rechte aufmerksam zu machen oder eine andere Sprache als Deutsch
zu sprechen. Oft bekommen die Flüchtlinge zu hören, sie sollten doch
„Deutsch sprechen“ oder „sich endlich mal anstrengen“, sonst könnten sie
ja gleich wieder „zurück in ihr Heimatland gehen, denn sie sind ja eh nur
hier um zu schmarotzen“.
Sie dürfen das jeweilige Bundesland, oder in Sachsen und Bayern die
jeweiligen Regierungsbezirke, nicht verlassen und bekommen vielerorts nur
Essensgutscheine oder Essenspakete. Die medizinische Versorgung ist
schlecht bis nicht vorhanden, was oft mit der Abgeschiedenheit der Lager
zu tun hat. Die – zu einem großen Teil privaten – Betreiberfirmen solcher
Lager verdienen mit dem Leid dieser Menschen bereitwillig ihr Geld. Nicht
selten werden Gelder für die Instandsetzung veruntreut, was sichtbar wird
durch kaputte Geräte und Möbel, defekte Dusche und Heizungen, undichte
Fenster und gesprungene Scheiben, Schimmel und Ungezieferbefall in den
Küchen und Schlafräumen.

Die Angestellten der sogenannten „Gemeinschaftsunterkünfte“ sind oft
ungeschult und sprechen nur Deutsch, die Securitys sind oft anmaßend und
schnell reizbar. In den Lagern herrscht unter den Bewohner_innen ein Klima
der Angst, da sie fürchten durch unkonformes Verhalten in ihr
Herkunftsland abgeschoben zu werden oder sonstige Nachteile zu erleiden.
Privatsphäre und Ruhe sind für diese Menschen Fremdwörter, da sie sich
meist ein Zimmer mit bis zu 5 Menschen teilen müssen, welche
unterschiedlichen Kulturen oder Religionen angehören und nicht die gleiche
Sprache sprechen. Dies führt nicht selten auch zu Spannungen unter den
Bewohner_innen. Am stärksten davon betroffen sind dabei, aufgrund des
vorherrschenden Patriarchats, Frauen. Oft berichten diese von Stalking und
sexuell motivierten Angriffen, sowie Vergewaltigung und anderen Formen von
Gewalt. Die Duschen und Toiletten teilen sich alle Bewohner_innen
gleichermaßen und können meist nicht abgeschlossen werden, was in der
Konsequenz, neben den unhygienischen Bedingungen, gerade auch für Frauen,
Privatsphäre unmöglich macht. Krankheiten und Ungeziefer verbreiten sich
schnell und können kaum in den Griff bekommen werden, durch die Enge und
den ständigen Gebrauch derselben Geräte oder sanitären Anlagen.

Von allen Seiten werden die Menschen also bedroht durch Rassismen und
menschenunwürdiger Behandlung. Dennoch, oder gerade deswegen, treten immer
mehr Flüchtlinge für ihre Rechte ein und protestieren für ein
menschenwürdiges Leben. Uns ist es immer wieder wichtig zu betonen, dass
wir als antirassistische Linke die Pflicht haben, die Flüchtlinge
entscheiden zu lassen, was für sie das Wichtigste ist und wie wir
gemeinsam unsere Forderungen formulieren und politisch umsetzen können,
statt wie es oftmals Praxis ist, über sie zu sprechen oder über ihre Köpfe
hinweg zu entscheiden. Dabei spielt eine zentrale Rolle die
Sprachbarrieren zu überwinden, aktiv Solidarität in den Flüchtlingsheimen
zu leisten und die Menschen in alle Entscheidungsprozesse einzubinden. Wir
schließen uns den Forderungen der bundesweit protestierenden Flüchtlinge
in allen Punkten an. Wichtig dabei ist auch im Kontext der aktuellen
Entwicklungen den Fokus auf die Forderungen nach dezentraler Unterbringung
von Geflüchteten in Wohnungen zu legen. Vielerorts werden im Moment neue
Flüchtlingslager eröffnet. Deshalb ist es uns ein besonderes Bedürfnis uns
weiterhin konsequent gegen die Eröffnung weiterer Lager zu stellen und für
die Schließung der schon bestehenden Lager einzutreten.
Denn Lagerunterbringung ist und war nie eine menschenwürdige Lösung und
muss demnach umgehend eingestellt werden! Vielerorts positionieren sich
Antirassist_innen und Antifaschist_innen gegen den Protest der
rassistischen Anwohner in Orten in denen Flüchtlingslager eröffnen oder
eröffnet werden sollen. Das ist wichtig und in jeder Hinsicht notwendig!
Dabei sollte jedoch nicht aus den Augen verloren werden, die politischen
Inhalte der Flüchtlinge und die eigenen politischen Inhalte konsequent zu
vertreten und den Menschen näher zu bringen. Es ist unbedingt notwendig
die rassistischen Ressentiments und Argumentationsmuster dieser
sogenannten „Bürgerinitiativen“ als solche zu entlarven und zu bekämpfen.
Ebenso wichtig ist, eine resolute und antirassistische Positionierung, zu
den Bedingungen unter denen Geflüchtete in Deutschland leben müssen, zu
formulieren. Die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsselbstorganisationen und
antirassistische zukunftsweisende Strategien mit dem Umgang des
sogennanten „Asylsystems“, welches eher als „Abschiebungs- und
Ausweisungssystem“ betrachtet werden sollte, gilt es auszubauen und zu
entwickeln.

Wir fordern eine enge solidarische Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und
Flüchtlingsselbstorganisationen! Werdet aktiv und unterstützt lokale
antirassistische Strukturen und Flüchtlinge!

Lasst uns gemeinsam kämpfen, für eine Welt ohne Grenzen und
Nationalstaaten, in der sich jeder Mensch, dort wo er möchte, frei
entfalten kann! Für ein Recht auf Migration!

Zeigen wir den Nazis und Rassist_innen gemeinsam, was wir von ihnen halten!

Refugees are Welcome!
vom Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt

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