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Auf der Internationalen Konferenz, zu der das Freiheitskomitee für Musa Asoglu am 10. und 11. Februar ins Hamburger Centro Sociale geladen hatte, war auch ein Mitglied der Revolutionären Jugend/Avrupa Dev-Genc zugegen. Im Gespräch mit dem Schattenblick wurden einige Fragen zu den politischen Bedingungen und ideologischen Kriterien des Kampfes dieser internationalistischen kommunistischen Jugendbewegung erörtert.
Schattenblick (SB): Wie ist die Situation für linke Oppositionelle derzeit in der Türkei?
Dev Genc (DG): Linke Politik in der Türkei wurde schon immer mal mehr, mal weniger kriminalisiert und verfolgt, doch seit dem gescheiterten Putschversuch hat die Verfolgung dramatisch zugenommen. Inzwischen will die Regierung dem sogenannten Terrorismus, wie sie jegliche Opposition nennt, den Garaus machen. Damit einhergehend wurden kurdische Städte wie Cizre und Sur dem Erdboden gleichgemacht bzw. revolutionäre Stadtteile täglich terrorisiert. Selbst Leute, die Revolutionäre nur grüßen, werden mit Repression überzogen, und Parlamentarier sowohl von der eigentlich staatstreuen republikanischen CHP als auch die beiden ehemaligen Vorsitzenden Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas der HDP, die zumindest hier in den Medien als prokurdisch gilt, sitzen mittlerweile in Haft. Heute kam die Nachricht, daß weitere Parlamentarier der HDP verhaftet wurden. Repressionen, Verhaftungen, Fälle von Folter und extralegaler Tötung nehmen jetzt nach dem Einmarsch der türkischen Armee in Afrin zu. Die Regierung kann nun, nachdem die Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit des Krieges in Nordsyrien eingeschworen wurde, noch leichter durchgreifen und Menschen willkürlich verhaften.
SB: Man hört hierzulande viel von der kurdischen Freiheitsbewegung, aber wenig von der türkischen radikalen Linken. Stellt sie aus deiner Sicht einen kleinen Teil des politischen Spektrums dar oder steht sie so unter Druck, daß sie sich nicht gefahrlos äußern kann?
DG: Die radikale Linke in der Türkei ist ein zusammenfassender Begriff verschiedener Strömungen, innerhalb derer es schon einige Unterschiede gibt. Was ihre Verfolgung in Europa angeht, ist zu sagen, daß die DHKP-C weltweit auf allen Terrorlisten steht. Deswegen ist ihre Betätigung im Ausland bzw. ihre Öffentlichkeitsarbeit auch stark eingeschränkt. Wir sind heute wegen der revolutionären Gefangenen hier, denen vorgeworfen wird, sogenannte Rädelsführer in der DHKP-C zu sein. Die Partei ist neben der PKK im Grunde die einzige türkische Organisation, die auf allen Terrorlisten geführt wird. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Die PKK ist heute natürlich viel größer als die radikale Linke, was zum einen damit zusammenhängt, daß sie eine nationale Bewegung ist und die kurdische Identität im Vordergrund steht, während bei der radikalen Linken wie der DHKP-C Klassenkampf und Antiimperialismus Priorität haben. Daher ist es nicht so einfach, sich zu organisieren, als wenn man für eine bestimmte Nationalität einsteht.
SB: Hier in Deutschland stehen sowohl KurdInnen als auch TürkInnen vor Gericht. Wie weit reicht die Zusammenarbeit beim Widerstand gegen diese Repression zwischen beiden Gruppen und ist sie überhaupt vorhanden?
DG: Zusammenarbeit ist insofern vorhanden, als man sich solidarisch erklärt, und es stimmt schon, daß dies in der Praxis noch ausbaufähig ist, sowohl mit der deutschen Linken als auch mit verschiedenen migrantischen Organisationen, die in Europa unter Repressionsdruck stehen. Diese Repression zieht sich bis zur Rigaer Straße hin, die nicht einmal den Anspruch hat, eine Revolution durchzuführen, und erstreckt sich selbst auf Aktivisten in Deutschland, die von vorne bis hinten keinen revolutionären Anspruch haben. Das heißt, der staatliche Druck zielt nicht nur auf Formen des bewaffneten Widerstands, sondern mittlerweile auf alles, was irgendwie tendenziell links ist. Deswegen ist Zusammenarbeit, natürlich unter Einhaltung bestimmter Prinzipien, absolut notwendig.
SB: Ihr bekennt euch zum Antiimperialismus. Was sind für dich persönlich die wesentlichen Inhalte des antiimperialistischen Kampfes?
DG: Antiimperialismus ist für mich heute wie gestern, da hat sich nichts geändert, eine absolute Notwendigkeit im Befreiungskampf aller Völker. Denn wir leben im Zeitalter des Imperialismus. Ob nun marxistisch-leninistische Organisation mit Klassenstandpunkt oder nationale Befreiungsbewegung, beides kann ohne antiimperialistischen Charakter nicht fortschrittlich sein. Der Imperialismus hat nicht nur den Anspruch, überall auf der Welt präsent und dominierend zu sein, sondern setzt dies auch in die Tat um. Es gibt noch einige wenige Flecken auf der Erde, die der Imperialismus noch nicht in seine Klauen gekriegt hat. Einer davon war Syrien, aber dort hat der Imperialismus inzwischen mehrere Militärbasen eröffnen können.
Antiimperialismus bedeutet für mich, die Bestrebungen des Imperialismus zurückzudrängen, also die Völker und Nationen dieser Welt von seinem Joch zu befreien, denn der Imperialismus unterwirft sowohl Nationen als auch Völker. Antiimperialismus bedeutet, Freiheit und nationale Selbstbestimmung für alle Völker dieser Welt zu erkämpfen, die unterdrückt werden. Vor allem jedoch gilt es, die unterdrückten Klassen zu befreien. Antiimperialismus will eine Welt schaffen, in der die Völker brüderlich miteinander leben und nicht, wie der Imperialismus es anstrebt, daß die Völker in kleinste Gruppen, sei es nun konfessionell oder national, zergliedert werden und sich dann gegenseitig bekriegen.
SB: Ist es in internationalistischer Hinsicht relevanter, von Klassenkonfrontation zu sprechen, oder ist die Kategorie der Nation oder des Volkes das Dominante für dich?
DG: Der Volksbegriff ist für mich kein Widerspruch zum Klassenbegriff, weil mit Volk die Gesamtheit der unterdrückten Klassen gemeint ist. Aber unser Volksbegriff beinhaltet nicht die unterdrückenden Klassen, das heißt, ein türkischer Großgrundbesitzer ist für mich nicht Volk, sondern dem Volke feindlich gesinnt. Es ist wichtig, den Begriff des Volkes, der ein fester Bestandteil in unserem Vokabular ist, nicht den Nazis oder Rechten zu überlassen, weil sie ihn falsch besetzen. Volk ist die Gesamtheit der unterdrückten Klassen innerhalb einer bestimmten Eingrenzung, sei es einer Nation, eines Kontinents oder wie man es auch immer handhaben will.
SB: Im Selbstverständnis der deutschen Linken gibt es eine relativ starke Differenzierung zwischen antiimperialistischen und antifaschistischen Organisationen bzw. Orientierungen. Was macht heute Antifaschismus aus oder welche Rolle spielt er für dich im Rahmen einer antiimperialistischen Bewegung?
DG: Ich muß vorweg sagen, daß sich in Deutschland zumindest aus meiner Beobachtung heraus antifaschistische Kräfte zunehmend bündeln, die zugleich auch antiimperialistisch sind. Für uns besteht kein Widerspruch zwischen diesen beiden Strömungen. Im Gegenteil beinhaltet das eine zwangsläufig das andere, weil wir der Meinung sind, daß der Faschismus an sich ein Produkt des Imperialismus ist, das heißt, der Imperialismus nutzt den Faschismus für seine Interessen und Zwecke. Wie der Hitler- oder NSDAP-Faschismus ein Produkt des Imperialismus war, war es auch der türkische Faschismus. Deswegen geht Antifaschismus nur mit Antiimperialismus zusammen und umgekehrt.
Aber es ist wichtig, daß man eine richtige Analyse der Lage vornimmt. Die Analyse muß auf jeden Fall beinhalten, daß Faschismus nichts anderes als eine imperialistische Staatspolitik ist. Die herrschende Klasse hat zwei Formen zu regieren, zum einen die bürgerliche Demokratie und zum anderen den Faschismus. Je nach Lage und Situation wird entweder mit bürgerlicher Demokratie regiert oder aber man greift, wenn die Regierenden nicht weiter herrschen können, ohne sich radikal ändern zu müssen oder die Widersprüche zwischen dem Staat und den Völkern so groß sind, daß ein Weiterregieren nicht ohne weiteres möglich ist, auf den Faschismus zurück. Deswegen wird vor allem der Zivilfaschismus, also der Faschismus in der Bevölkerung, immer aufrechterhalten, weil er gebraucht werden könnte.
SB: Wie erlebst du die Linke in Deutschland aus migrantischer Sicht, was würdest du dir wünschen und was kritisieren?
DG: Ich würde mir schon wünschen, daß die deutsche Linke mehr Mut und Opferbereitschaft zeigt. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, daß der Kampf für den Sozialismus nicht ohne Opferbereitschaft möglich ist. Es gibt in dieser Hinsicht vor allem für die neue Generation keine Beispiele mehr für bedingungslosen Kampf und das Nichtzurückschrecken vor den Angriffen der herrschenden Klasse, an denen man sich orientieren könnte. Momentan ist es meines Erachtens so, daß die Linke in Deutschland viel zu sehr im Rahmen dessen bleibt, was der Imperialismus oder die BRD noch erlaubt. Wenn es darüber hinausgeht, wird sofort zugeschlagen, und davor scheut man zurück, wie ich glaube.
In puncto Solidarität, denke ich, ist es wichtig, nicht nur in Hinblick auf die migrantische Linke, sondern auch untereinander, daß man sich noch mehr vernetzt, stärker zusammenarbeitet und auf den gemeinsamen Nenner zurückkommt und daß man es vielleicht auch schafft, endlich eine kämpfende marxistisch-leninistische Partei in Deutschland zu gründen. Denn über kleine Gruppen geht es momentan nicht hinaus. Bündnisse dieser Art sind zumindest in meiner Wahrnehmung kaum präsent.
SB: Vielen Dank für das Gespräch.
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