Das in:takt: Kein Freiraum, sondern ein Instrument der Aufwertungspolitik

Wir dokumentieren hier das Statement, einiger Frauen, aus der Frauen*vernetzung Magdeburg. Das Originalstatement könnt ihr auch auf der offiziellen Homepage der Frauen*vernetzung lesen.

Das in:takt: Kein Freiraum, sondern ein Instrument der Aufwertungspolitik

– Warum wir unsere Buchungsanfrage für einen Frauen*stammtisch zurückzogen.

Magdeburg, den 16.Oktober 2019

Wiederholt haben Gruppen aus dem feministischen, antirassistischen und umweltpolitischen Spektrum das in:takt im Breiten Weg 28 (Anmerkung: jetzt Goldschmiedebrücke 17) als Veranstaltungsort genutzt. Doch das Projekt, welches sich als alternativer und unkommerzieller Freiraum verkauft, ist in Wirklichkeit Instrument einer Aufwertungspolitik von Stadt, Immobilienbesitzern und Unternehmern.

Die Idee: Leerstand beleben, Das Resultat: Gentrifizierung

Die Räumlichkeiten werden dem in:takt von der Stadt Magdeburg und der
Wohnungsbaugesellschaft Wobau zur Verfügung gestellt. Betrieben wird es durch Studierende des Studiengangs Cultural Engineering. Dieser Studiengang verbindet „die Fachgebiete der Logistik, Stadtentwicklung und Stadtsoziologie, der Wirtschaftswissenschaften und Organisationslehre sowie der Informatik und dem IT-Management“. Absolventinnen und Absolventen werden u.a. auf die zukünftige Lohnarbeit in den Bereichen „Kultur- & Eventmanagement, Marketing, Marktforschung und Vertrieb, Unternehmensberatungen, Personalwesen und -training, Organisationsentwicklung & – beratung, Stadtentwicklung, Logistik & Qualitätsentwicklung/-sicherung“ vorbereitet. 1
Die Wobau ist das kommunale Wohnungsunternehmen der Landeshauptstadt. Sie vermietet rund 20.000 Wohnungen in Magdeburg und Umgebung. Doch vom sozialen Wohnungsbau hat sich die Wobau längst verabschiedet. Allein in diesem Jahr stiegen die Mieten für etwa 1500 Wohnungen um bis zu 25 Euro pro Monat. Betroffen sind v.a. Mieter*innen in den Neubaugebieten im Kannenstieg, am Neustädter See oder in Reform. 2 Die Wobau setzt eher auf den Neubau von Luxuswohnungen für Besserverdienende, wie beispielsweise im Domviertel oder eben im Breiten Weg. 3
Dabei wird klar: Das vermeintlich alternative und unkommerzielle Programm des in:takt soll den Breiten Weg für Gewerbetreibende und besserverdienende Mieter*innen attraktiv machen. Dass Studierende und Bewohner*innen tatsächlich an den relevanten Prozessen für ihr Wohngebiet beteiligt werden, ist reine Illusion. Ganz im Gegenteil, die Aufwertung des Breiten Wegs wird dazu führen, dass viele, die dort wohnen, wegen steigender Mieten aus der Gegend verdrängt werden. Studierende und Kulturschaffende arbeiten so freiwillig und unbezahlt den Profitinteressen der Wobau zu.

Dass es letztendlich allein um Aufwertung geht, wird auch ganz offen formuliert: Das Seminar „MD:innen“ von Dipl.-Ing. Hendrik Weiner des Studiengangs Cultural Engineering hat sich der Idee verschrieben, „dem Leerstand in der Magdeburger Innenstadt entgegenzuwirken.“ 4 In einer im in:takt abgehaltenen Diskussionsrunde zum Thema „Leerstand und kulturelle Zwischennutzung in Magdeburg“ wird noch deutlicher, wessen Interessen das Projekt dient: „Zwischennutzungen bieten zum einen Kulturakteurinnen und -akteuren eine gute Möglichkeit ihre Ideen auf zeitweise unbenutzten Flächen zu verwirklichen und zum anderen Eigentümer*innen die Chance, den gegenwärtigen Leerstand zu beseitigen und Vandalismus am leerstehenden Objekt abzuwenden.“ 5 Das bedeutet im Klartext: Das Projekt wird Kulturschaffenden genau so lange zur Verfügung gestellt, bis die Gegend für Gewerbetreibende und Besserverdienende ausreichend attraktiv geworden ist. Durch ein Projekt wie das in:takt hält die Wobau die Instandhaltungskosten für ihre Immobilie möglichst gering und hat sich nebenbei noch ein positives Image erschlichen. Sobald sich die Räumlichkeiten aber profitabel vermieten lassen, wird das in:takt schließen müssen. Genau das ist Gentrifizierung.

Eine Bühne für Ausbeuter

Abgesehen von linksliberalen Veranstaltungen, die regelmäßig stattfinden, bot das in:takt auch wiederholt unternehmerfreundlichen Positionen eine Bühne. So wurde zur eben erwähnten Diskussionsrunde auch Rolf Lay, Mitglied des Vorstands der IG Innenstadt und ehemaliger Geschäftsführer der Karstadt Filiale in Magdeburg eingeladen. Der Interessengemeinschaft Innenstadt e. V. ist eine Gemeinschaft von mehr als 250 Unternehmern, „die sich das Ziel gesetzt haben, die Magdeburger City noch attraktiver zu gestalten.“ 6 Veranstaltungen wie „Kommerz mit Herz“ 7 oder die „Konsumkritische Stadtführung“ 8 vertreten Positionen, die in erster Linie in der Änderung des individuellen Konsumverhaltens Möglichkeiten zur Beseitigung globaler Ungerechtigkeiten und eines nachhaltigen Klimaschutzes sehen. Dieser Fokus auf die Eigenverantwortung lenkt die Aufmerksamkeit aber weg von denen, die tatsächlich verantwortlich für die nahende Klimakatastrophe sind. Es wird ein grüner Kapitalismus propagiert, der verschleiert, dass diese Probleme eben aus der kapitalistischen Wirtschaftsweise resultieren und zu aller erst Regierungen und Konzerne in die Verantwortung genommen werden müssen.

Auch die „Landesinitiative Fachkraft im Fokus“ darf im in:takt Veranstaltungen durchführen 9 Auftraggeber der Initiative ist das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt. Sie vergibt das Landessiegel “Das mitarbeiterorientierte Unternehmen – Hier fühle ich mich wohl”, laut Initiative „ein sichtbares Signal, dass Ihr Unternehmen auf Unternehmenskultur setzt und Sie ein attraktive*r Arbeitgeber*in sind“. Dabei werden die Unternehmen jedoch nicht danach beurteilt, ob sie angemessene Löhne bezahlen, Frauen und Männer gleichwertig entlohnen oder sich an geltendes Arbeitsrecht halten, sondern nach „Werten“ wie „Status und Prestige“, „Macht und Einfluss“ oder „Aufstiegsmöglichkeiten in der Hierarchie“ 10 .
Allesamt patriarchale „Werte“, die allein dem kapitalistischen Profitstreben dienlich sind. Außerdem betreibt die Initiative fünf „Welcome Center“ in Sachsen-Anhalt, deren Aufgabe es u.a. ist, Unternehmen Migrant*innen und Geflüchtete als billige Arbeitskräfte zu vermitteln. 11 Unter dem Slogan „Leben und arbeiten in Sachsen- Anhalt lohnt sich!“ findet sich ein Hochglanzflyer der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) Halberstadt auf der Website. 12 In der Vergangenheit wurde oft über die katastrophalen Lebensbedingungen in der Zast berichtet. Erst im August wurden zwei Bewohner mit massiver Gewalt von Wachleuten angegriffen. 13 Für diejenigen, die durch die rassistische und menschenverachtende deutsche Asylpolitik gezwungen sind, dort zu leben, muss dieser Flyer der reinste Hohn sein.
Auch die evangelische Freikirche „Elbkirche“ lädt anlässlich christlicher Feiertage  zum Brunch ins in:takt. 14 Wie „queerfeministische Freiräume“ und patriarchale Glaubensvorstellungen unter einem Dach zusammenfinden, können wir nicht nachvollziehen.

Progressiv ist nur der Name

Des Weiteren finden in den kommenden Tagen im Rahmen der „progressiven Einführungswochen“ der Universität Magdeburg diverse Veranstaltungen statt, die für uns als Antikapitalistinnen mehr als fragwürdig sind. Zu nennen ist hierbei eine Veranstaltung der entwicklungspolitischen Non-Profit-Organisation „Viva Con Agua“. 15 „Diese Marke, die alle kennen, weil die Wasserflaschen längst nicht mehr nur in Szenebars verkauft werden, sondern auch auf den Konferenztischen unzähliger Hamburger Unternehmen stehen, in der Bürgerschaft, der Senatskanzlei. 13 Millionen Flaschen Mineralwasser verkaufte Viva con Agua im vergangenen Jahr. Im Jahr 2016 könnten es weit über 18 Millionen werden.“ 16 Viva Con Agua ist zu einem umsatzstarken Unternehmen herangewachsen und verkauft hierzulande Wasser, um mit seinen Profiten Wasserprojekte der Welthungerhilfe zu unterstützen. Abgesehen von der Verkaufsorientierung dieser „Non-Profit-Organisation“, die jetzt auch Klopapier verkauft, stößt hierbei die postkoloniale Denkweise der rettenden Europäer*innen, die in der sogenannten Dritten Welt „Entwicklungshilfe“ leisten, unangenehm auf. Dabei wird völlig ignoriert, dass diese Kontinente deshalb so arm sind, weil westliche Regierungen und Konzerne das Land und die Menschen dort ausbeuten. Es wäre also besser daran getan, die Konzerne von ihrem Tun abzuhalten, anstatt das Wirtschaftssystem weiterhin am Laufen zu halten und Wasser zu verkaufen.

Daneben findet eine Veranstaltung statt mit der Landeszentrale für Politische Bildung. Sie zeigen die Serie „Black Mirror“ und schreiben in ihrem Ankündigungstext: „Die Serie “Black Mirror” beschäftigt sich auf spannende, faszinierende und erschreckende Weise mit den Auswirkungen einer hochtechnisierten Welt auf verschiedene Aspekte des Leben“ 17 Die Auswirkungen dieser „hochtechnisierten“ Welt sind dabei alles andere als faszinierend. Die Veranstalter*innen wollen auch netzpolitisch relevante Aspekte thematisieren und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Wir glauben jedoch nicht, dass eine staatliche Stelle zufriedenstellende Handlungsmöglichkeiten gegen das zunehmende Tracking der Gesellschaft aufzeigen kann, wo doch der Staat erst die Weichen dafür stellt.
In unseren Kämpfen gegen das vorherrschende Patriarchat und den Kapitalismus mit all seinen Unterdrückungsformen vertrauen wir nicht auf staatliche Stellen und lehnen es ab, in den selben Räumen zu agieren. Dieser Raum scheint offen für fast alles zu sein, was nicht offen rassistisch oder antifeministisch auftritt. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es eben der Kapitalismus ist, der diese Unterdrückungsformen aufrechterhält, weil sie ihm nützen. Rassismus und Sexismus können nur effektiv bekämpft werden, wenn sich die Kämpfe gleichermaßen gegen ihn selbst richten. Auch Klimagerechtigkeit kann nur durch die Abschaffung der auf unendliches Wachstum ausgelegten kapitalistischen Wirtschaftsweise erreicht werden. Mit der Durchführung von Veranstaltungen der linken Szene wird das Projekt politisch aufgewertet und erhält dadurch eine gewisse Legitimität.Es dient aber lediglich Profitinteressen und lässt sich mit umweltpolitischer, antirassistischer und feministischer Arbeit nicht vereinbaren.

Aus diesem Grund rufen wir euch dazu auf, unsere Kritik ernstzunehmen und keine weiteren Kooperationen mit dem in:takt einzugehen. Nutzt stattdessen die vorhandenen unabhängigen und selbstorganisierten Räume und schafft weitere. Stellt euer politisches Engagement nicht in den Dienst der wirtschaftlichen Interessen von Immobilienbesitzern und Unternehmern.

Gezeichnet,


einige Frauen der Frauen*vernetzung Magdeburg

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