Die „Bunte-Verdränger-Butze“
Verdrängung in Stadtfeld mit sozial-ökologischem Anstrich
Gentrifizierung ist die Aufwertung eines Stadtteils bei gleichzeitiger Verdrängung derjenigen Menschen, die sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können. Im letzten Jahr berichteten wir darüber, wie Aufwertung nicht ausschließlich von großen Immobilienfirmen vorangetrieben wird. Mittlerweile sind es auch zunehmend Angehörige der sogenannten „grünen Mittelschicht“, die bei dieser Verdrängung aktiv mitmischen. [1]
Bereits im letzten Jahr kaufte eine Gruppe „alternativer“ Menschen das Eck-Haus in der Hans-Löscher- Str./Ecke Anna-Str. in Stadtfeld Ost, um „umweltverträglichen und gleichzeitig sozialen wie günstigen Wohnraum [zu] schaffen“. Unter den KäuferInnen befinden sich u.a. ein Angestellter des Finanzministeriums und „selbstständiger Berater“, eine „Windelfreiberaterin“, die „Leiterin technische Entwicklung in einem mittelständischen Unternehmen“ sowie die EigentümerInnen von „Frau Ernas loser Lebensmittelpunkt“ in Stadtfeld Ost. Beratend zur Seite steht ihnen außerdem Emanuel Fischer, Referent für die Fraktion der Grünen im Landtag. Sie nennen sich selbst und das Haus „Bunte Butze“. [2]
Der dort seit vielen Jahren ansässige Friseursalon Bittmann, ein Familienunternehmen, findet im neu erworbenen Hausprojekt Bunte Butze allerdings keinen Platz mehr. Sie erhielten von den neuen EigentümerInnen die Kündigung. Das bedeutet für die Familie eine existenzgefährdende Situation, denn sie verlieren mitten in der Corona-Pandemie ihren seit Jahrzehnten etablierten Standort. Nun ist auch klar, wem genau der Salon Bittmann weichen muss: Frau Ernas loser Lebensmittelpunkt, ein sogenannter Unverpacktladen, der sich z.Z. noch in der Arndtstraße befindet, wird in diesem Jahr dort einziehen.
Der Umzug eines Geschäfts in neue Räumlichkeiten kostet eine Menge Geld und ist aufwändig, das bekam vor allem Familie Bittmann zu spüren. Ein Friseurbetrieb kann nicht einfach umziehen, ein neuer Salon muss teuer hergerichtet werden – ohne Verschuldung nicht möglich. Hinzu kommt, dass die Miete für die neuen Räumlichkeiten die bisher zu zahlende Miete weit übersteigen wird. Aber auch andere Faktoren wie die Standortwahl in Bezug auf andere bereits bestehende Friseursalons machen einen Umzug schwierig.
Crowdfunding für Verdrängung und Aufwertung
Dem Team der Bunten Butze ist das alles offenbar egal, denn zunächst denkt man an sich selbst und die Finanzierung des Umzugs des eigenen Unternehmens. Es herrscht Goldgräberstimmung. Das nötige Geld soll durch ein vermeintlich soziales Image im Stadtteil verdient werden. Deshalb griffen die EigentümerInnen von Ernas Unverpacktladen zum Mittel des Crowdfunding. Sie wandten sich direkt an die Öffentlichkeit, um möglichst viele Menschen für eine gemeinschaftliche Finanzierung zu gewinnen. Am Ende kamen zwischen dem 06.12.2020 und dem 13.01.2021 über 26 000 Euro zusammen.
Dazu wurde im Vorfeld ein kurzer Imagefilm [3] produziert, um potentielle SpenderInnen anzulocken. Eine Kernaussage in dem Video lautet, dass man noch „inklusiver“ und vor allem „sozialer“ werden wolle. Weiter wird geschildert, dass unverpacktes Einkaufen dank Frau Erna in Magdeburg zum Alltag wurde. Alltag für wen? Unerwähnt bleibt, dass das faire, regionale und unverpackte Angebot des Ladens letztendlich nur besser Verdienenden offen steht.
Jede/r dritte Beschäftige in Sachsen-Anhalt arbeitet für Niedriglohn, jedes vierte Kind lebt hier in sogenannten Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Der „Alltag“ sieht also für viele Menschen in dieser Stadt anders aus. Die langen Schlangen vor den Ausgabestellen der Tafel in Buckau und Olvenstedt führen täglich vor Augen, dass immer mehr arme Menschen auf derlei Hilfsangebote angewiesen sind, um überhaupt ausreichend zu essen zu haben.
Als Alibi für die viel versicherte eigene soziale Verantwortlichkeit kommen im Video Menschen zu Wort, die erklären, welche Rolle Ernas Laden in ihrem Leben spielt. Erwähnt werden hauptsächlich immaterielle Werte. Es geht um „Begegnungen“, „Entschleunigung“, „Inspiration“, „Lebensfreunde“, „Liebe und Lachen“. Man kommt „ins Wohnzimmer“, weil man zu „Ernas Familie“ gehört. Bewusst verschleiert wird hier ganz offensichtlich, dass dieser Unverpacktladen ein kommerzielles Geschäft wie jedes andere ist und die gefilmten Menschen letztendlich einfach KundenInnen dort sind.
Auffällig ist, dass der Laden im Imagefilm selten als solcher bezeichnet wird. Gesprochen wird von einem „Treffpunkt“, der „noch mehr Möglichkeiten für soziales und kulturelles Engagement“ bieten soll. Der rein kommerzielle Charakter des Ladens wird dadurch komplett verschleiert, so dass der Eindruck entsteht, als würde in der „Bunten Butze“ ein soziales Zentrum für die gesamte Nachbarschaft aufgebaut werden. Weiter heißt es, dass man „soziales, nachhaltiges und verantwortungsvolles Miteinander hier und heute möglich machen“ und „im Kiez bleiben und diesen weiter beleben“ will. Solche Behauptungen und Falschdarstellungen klingen angesichts des Rauswurfs der Familien Bittmann wie der reinste Hohn.
Gegen Selbstverwirklichung auf Kosten unserer NachbarInnen
All diese nett klingenden Phrasen in dem Image Video wollen Glauben machen, dass es sich hier um ein völlig uneigennütziges Projekt handle, dass allen im Viertel zu Gute kommen wird. Dabei ist ein Großteil der Menschen dieser Stadt aufgrund von Armut von Ernas losem Lebensmittelpunkt völlig ausgeschlossen. Das hält die InitiatorInnen des Crowdfunding allerdings nicht davon ab, ein kommerzielles Geschäft, das sich nur besser verdienende Bevölkerungsschichten leisten können, als soziales Projekt zu vermarkten. Und aus dem so aufgebauten positiven Image wird schließlich Kapital geschlagen. Und so schaffen es gut situierte Bürgerliche ihre exklusiven und verdrängenden Projekte nicht einmal alleine aus eigener Tasche finanzieren zu müssen.
Wir schreiben diesen Text, weil wir uns mit der Familie Bittmann und allen, die von Verdrängung bedroht sind, solidarisieren möchten. Zum anderen wollen wir uns dagegen wehren, dass Profitinteressen und der Wunsch nach Selbstverwirklichung zur sozialen Wohltat umgedeutet werden. Denn es gibt in diesem Stadtteil Projekte, die zurecht als sozial bezeichnet werden dürfen. Sozial in dem Sinne, dass sie selbstorganisiert, kostenlos und somit allen Menschen zugänglich sind. Sie sind getragen von gelebter Solidarität in Form von gegenseitiger Hilfe und der Befähigung zur Selbstermächtigung. Gemeint sind der Infoladen, der Nachbarschaftsladen F52 oder die Selbsthilfe-Fahrrad-Werkstatt SoliRadisch. Hier finden Sozialberatungen und Voküs statt, es werden Lebensmittel gerettet und verteilt, alte Fahrräder wieder flott gemacht und Besorgungen für die erledigt, die es selbst gerade nicht können. Sie alle könnten 26,000 Euro gut gebrauchen.
Also, falls ihr ein paar Euro übrig habt: Unterstützt die Projekte im Kiez, die allen Menschen zu Gute kommen und damit Bezeichnungen wie sozial und inklusiv auch wirklich verdienen, anstatt irgendwelchen Yuppies die Selbstverwirklichung zu finanzieren.
[1] http://zusammenkaempfen.bplaced.net/2020/05/verdraengung-in-stadtfeld-durch-frau-erna-und-freunde/
[2] https://buntebutze.de/butzekern/
[3] https://www.startnext.com/ernas?inc_id=340163#rid-340163