Auf dem absteigenden Ast

Hintergrund. Scheitern der USA im Irak offenbart Grenzen des Interventionismus

Von Joachim Guilliard / Junge Welt
Nach uns die Sintflut: GIs und Angehörige der kuwaitischen

Nach uns die Sintflut: GIs und Angehörige der kuwaitischen Armee schließen nach Abzug der US-Truppen aus dem Zweistromland einen Grenzübergang zum Irak (18.12.2011)
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Das 21. Jahrhundert sollte das US-amerikanische werden, und der Krieg gegen den Irak der Feldzug, der die langfristige Hegemonie des neuen Imperiums, die Pax Americana, etabliert. Ende vergangenen Jahres mußten die US-Truppen den Irak jedoch vollständig räumen. Sie gingen »erhobenen Hauptes«, beteuerte US-Präsident Barack Obama, der ihren fast neunjährigen Einsatz als großen Erfolg feierte. Tatsächlich schlichen sich die letzten Einheiten im Dezember heimlich bei Nacht und ohne Abschied von dannen, wesentliche Vorhaben unvollendet hinterlassend. Die Besatzung ist damit zwar noch nicht zu Ende, doch wird der erzwungene Rückzug in den USA weithin als schwere Niederlage gewertet. In Afghanistan, im ersten Krieg des neuen Jahrhunderts, droht längst ein noch viel schlimmeres Debakel. Statt eine langfristige Hegemonie zu sichern, scheinen die beiden Kriege vielmehr den Abstieg der einzig verbliebenen Supermacht eingeleitet zu haben. Auf alle Fälle zeigten sie den westlichen imperialistischen Mächten deutlich die Grenzen ihrer Interventionsmöglichkeiten.

Wie der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber US-General Wesley Clark im Pentagon erfuhr, waren Ende 2001, nach Beginn des Überfalls auf Afghanistan, auch Syrien, Libanon, Libyen, Iran, Somalia und Sudan auf einer Liste mit Ländern, gegen die in den folgenden Jahren Krieg geführt werden sollte. Ganz oben stand jedoch der bereits seit zehn Jahren belagerte und sturmreif geschossene Irak. Schließlich verfügt dieser selbst über riesige Ölvorräte und liegt im Herzen einer der geostrategisch wichtigsten Regionen, dort, wo nach Dick Cheney, dem früheren Vizepräsidenten der USA, »mit zwei Dritteln der Ölreserven der Welt nach wie vor (…) der ultimative Preis liegt.«

Die Eroberung des bereits stark geschwächten Landes und der Sturz des alten Regimes gelangen erwartungsgemäß rasch. Da die ursprünglich als Kriegsgrund angeführte Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen rasch als Propagandalüge entlarvt war, wurde der Aufbau eines neuen prowestlichen Staates, Demokratisierung und Wiederaufbau sowie bald auch Stabilisierung und Sicherheit zum offiziellen Ziel der langfristig angelegten Besatzung.

Land, aus dem man flieht

Dafür erhielt die von den USA angeführte Koalition der Willigen dann auch die Unterstützung der Kriegsgegner in der NATO und den Segen der Vereinten Nationen. Faktisch wurde der Krieg so durch die Hintertür doch noch legitimiert. Auch viele an sich kriegskritische Politiker und Intellektuelle sprangen auf und wollten nun die Beseitigung Saddam Husseins und des Baath-Regimes als Chance für das Land begriffen wissen. Die meisten sahen durchaus auch die eigennützigen Interessen der USA und ihrer Verbündeten, setzten aber hartnäckig darauf, daß die Iraker dennoch vom Neuaufbau ihres Landes profitieren würden – es sozusagen einen Kollateralnutzen gäbe.

Die tonangebenden westlichen Medien bemühen sich seither redlich, ein entsprechend erfolgreiches Bild zu zeichnen. Darauf konnte Obama bei seiner Rede zur Rückkehr der letzten »Helden« aufbauen und die »außergewöhnlichen neunjährigen Leistungen« der US-Streitkräfte preisen. Es sei noch kein perfekter Ort, »aber wir lassen einen souveränen, stabilen und selbständigen Irak zurück, mit einer repräsentativen Regierung«.

Mit der Realität hat dies nichts zu tun. Das neue, von ethnischen und religiösen Parteien dominierte Regime hält sich nur mit militärischen Mitteln und brutaler Repression an der Macht. Diese wiederum ist sehr stark in den Händen des Premierministers Nuri Al-Maliki konzentriert.

Zigtausend Oppositionelle wurden ermordet oder verschleppt, sind außer Landes geflohen oder werden gefangengehalten. Über eine Million Irakerinnen und Iraker wurden seit 2003 von Besatzungssoldaten, irakischen Hilfstruppen und regierungsnahen Milizen getötet oder fielen der sektiererischen Gewalt zum Opfer, die von Washington und seinen Verbündeten angeheizt wurde. Mehr als vier Millionen, ein Sechstel der Bevölkerung, flohen oder wurden vertrieben und leben bis heute im Ausland oder als Binnenflüchtlinge. In einem solchen Land von Demokratie oder Stabilität zu reden, ist geradezu absurd.

Ebensowenig ist ein flächendeckender Wiederaufbau zu erkennen. Zwar gibt es moderne Vorzeigeprojekte, z.B. in besonders gesicherten Zonen Bagdads oder der von den Pilgerströmen profitierenden heiligen Stadt Nadschaf. Die sonstige Infrastruktur ist jedoch noch immer in einem erbärmlichen Zustand. Der fürchterliche Absturz der irakischen Gesellschaft ist längst nicht gestoppt.

Sieht man von den Kurden ab, ist, einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstitut Zogby vom November zufolge, nicht einmal jeder Vierte der im Land gebliebenen Iraker der Ansicht, die Lage im Land sei nun besser als zuvor unter Saddam Hussein. 54 Prozent beklagen geringere politische Freiheiten, über 75 Prozent eine – sogar gegenüber der Zeit des Embargos – verschlechterte wirtschaftliche Situation und 90 Prozent den Verlust der persönlichen Sicherheit.1 An den offiziellen Zielen gemessen, wären die USA und ihre Verbündeten somit grandios gescheitert.

Die tatsächlichen Ziele

Selbstverständlich hatten die Besatzer andere Prioritäten. Will man den Erfolg der eigentlichen Pläne beurteilen, muß man trennen zwischen den spezifischen, sehr radikalen Zielen, die die neokonservativen Hardliner in der Bush-Administration umtrieben, und dem, was man als durchgängigen Konsens der führenden Eliten in den USA betrachten kann. Deren Interessen wurden von den Regierungen Clintons und Obamas ebenso verfolgt wie von den beiden Bushs. Man darf nicht vergessen, daß der Krieg schon am 17. Januar 1991 begann und das Land bis 2003 einer Belagerung ausgesetzt war.

Im Vordergrund stand die dauerhafte Ausschaltung einer zu unabhängig gewordenen Regionalmacht, die man zuvor gegen den Iran massiv hochgerüstet hatte. Das strategische Interesse galt natürlich der Kontrolle des irakischen Öls und dem direkten Zugriff US-amerikanischer Konzerne auf die enormen Reserven des Landes. Ein weiteres Ziel, das von Washington im Grunde schon seit dem Sturz des Schahs im Iran im Jahr 1979 verfolgt wurde, war die permanente Stationierung von Truppen mit voller Handlungsfreiheit in einem Kernland dieser strategisch entscheidenden Region.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war oberstes Ziel Washingtons, die beherrschende Position der USA dauerhaft zu sichern und mit allen Mitteln zu verhindern, daß eine neue Macht oder eine Allianz von Mächten diese Vormachtstellung gefährden könnte. »Das erfordert, daß keine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen eine ausreichende Grundlage für den Aufbau einer Weltmacht wären«, heißt es in einem 1992 für den damaligen Verteidigungsminister Cheney erstellten Strategiepapier.2

Ausschaltung einer Regionalmacht

Das erste Vorhaben gelang gründlich: Die Zerstörung des irakischen Staates und die Verwüstung der irakischen Gesellschaft sind so umfassend, daß das Land auf längere Sicht garantiert keine größere machtpolitische Rolle mehr spielen wird. Allerdings wuchs durch den Wegfall des Rivalen die regionale Macht des Iran. Teherans innenpolitischer Einfluß im Irak ist dem der Besatzungsmacht längst ebenbürtig. Er spielt wirtschaftlich im Nachbarland eine große Rolle und beeinflußt durchaus auch dessen Außenpolitik. Zum großen Ärger Washingtons verteidigt Maliki z.B. die Atompolitik Irans und stellt sich hinter den syrischen Präsidenten Assad. Dies wiegt umso schwerer, als sich durch den vollständigen Rückzug der US-Streitkräfte die Balance weiter zuungunsten der Vereinigten Staaten verschoben hat.

Auch wenn über eine gewisse langfristige Truppenpräsenz noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, ist klar, daß der Plan, im Irak eine größere Streitmacht als Kern der US-amerikanischen Machtprojektion in der Region permanent zu stationieren, gescheitert ist.

Ursprünglich sollten über 30000 Soldaten bleiben. Ungeachtet des Abzugstermins, den die Bush-Regierung in einem Stationierungsabkommen vereinbarte, hatte die Militärführung eine solche Truppenstärke bereits für das ganze Jahrzehnt fest eingeplant. Zuletzt hatten die US-Kommandeure 20000 Soldaten als absolutes Minimum genannt – genug, um die fünf Mega-Basen sinnvoll zu besetzen. Diese Stützpunkte waren seit 2003 für viele Milliarden Dollar zu festungsartigen Städten ausgebaut worden, ausgestattet mit viel Komfort, modernster Technik und großen Flughäfen. Sie sind nun die kolossalsten Erinnerungen an ihre gescheiterten Pläne, die die Besatzer hinterlassen.

Kampf ums Öl

Der Einfall der US-Streitkräfte in den Irak setzte einen Pr

Der Einfall der US-Streitkräfte in den Irak setzte einen Prozeß der sozialen Verelendung in Gang (Bewohner Bagdads suchen auf einer Müllkippe nach Verwertbarem, 29.10.2011)
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Während die vollständige Öffnung des Marktes und der privaten Wirtschaft sofort nach der Invasion per Dekret durchgesetzt wurde und ausländische Konzerne seither Milliarden-Profite auf Kosten einheimischer Firmen einfahren, läuft der Zugriff auf das irakische Öl ebenfalls nicht nach Plan.

Die geheime Energie-Task-Force von US-Vizepräsident Cheney hatte bereits vor den Anschlägen des 11. September 2001 dazu detaillierte und ehrgeizige Pläne ausgearbeitet. Doch schon die ersten Versuche der Besatzer, in die Produktion und den Transport des schwarzen Goldes einzusteigen, scheiterten am Widerstand der Arbeiter. Sie kamen auch in den folgenden Jahren mit ihren diesbezüglichen Vorhaben nicht voran. Insbesondere gelang es ihnen bisher nicht, ein neues Ölgesetz verabschieden zu lassen, das den Weg zur Privatisierung der Ölproduktion frei machen würde.

Auch die bereits 2003 geplante Privatisierung von Staatsunternehmen außerhalb des Rohstoffsektors blieb bald stecken. Zu groß waren hier der Widerstand der Belegschaft und die Gefahr, durch forsches Vorgehen dem militärischen Widerstand zusätzliche Kämpfer zuzutreiben.

2009 bot die Maliki-Regierung ausländischen Ölkonzernen auf Basis der bisherigen Gesetze Serviceaufträge zur Modernisierung der Anlagen und zum Ausbau der Förderleistung für Ölfelder an, die bereits ausgebeutet werden. Auch wenn diese Aufträge eine Öffnung der Ölproduktion bedeuteten, sind sie weit von dem entfernt, was Cheney und die Ölmultis anstrebten.

Abgeschlossen wurden reine Dienstleistungsverträge mit dem Ziel, die Fördermengen eines bestimmten Ölfeldes auf ein festgelegtes Niveau zu bringen. Die Auftragnehmer erhalten dabei lediglich einen festen Betrag für jedes zusätzlich geförderte Barrel Öl – zwischen einem und zwei Dollar, d.h. weder Anteile am geförderten Öl noch Lizenzen.

Die größten Anteile sicherten sich Firmen aus Asien, vorneweg chinesische und malaysische. Auch BP, Shell und Total beteiligen sich an Konsortien. Mit Exxon Mobile und Occidental Petroleum Oil kamen nur zwei der sieben involvierten US-Konzerne zum Zug. Die anderen wollten oder konnten sich offenbar nicht mit den für sie mageren Bedingungen arrangieren. Damit war, so u.a. Pepe Escobar von der Asia Times, der Traum von Cheney, Rumsfeld und Co. endgültig geplatzt.

Für andere Experten ist das Ergebnis nicht so eindeutig. Sie heben hervor, daß die großen Ölmultis mit der Rückkehr zu einigen der weltgrößten Ölfelder erhebliche Einflußmöglichkeiten auf die Ölwirtschaft des Irak gewannen. Auch wenn sie im Moment nur einen Fuß in der Tür haben, so können sie nun die Basis für einen wesentlich umfassenderen Einstieg in die Ölproduktion legen.

Zudem zählt der in Auftrag gegebene massive Ausbau der Förderkapazitäten durchaus zu den Plänen, die die USA verfolgen und gegen heftigen Widerstand von Gewerkschaften, Management der Ölkonzerne und Parlamentariern durchsetzten. 2011 wurde die anvisierte Kapazitätssteigerung allerdings bereits weit verfehlt, die Produktion liegt immer noch unter Vorkriegsniveau. Ob es in den kommenden Jahren zu einer deutlichen Steigerung kommt und ob sich die Hoffnungen der Ölmultis auf eine stärkere Beteiligung erfüllen, ist angesichts der Verhältnisse im Land eher zweifelhaft.

Produktionsanlagen und Pipelines sind nach wie vor regelmäßig Ziel von Sabotageakten, und die ausländischen Ölfirmen waren auch immer wieder mit teilweise gewaltsamen Protesten konfrontiert. Nach Abzug der US-Truppen könnten diese noch zunehmen. Am 12. Januar stürmten z.B. »Militante in Militäruniformen« ein Maschinendepot des staatlichen angolanischen Ölkonzerns Sonangol, vertrieben die Arbeiter und sprengten das Equipment in die Luft.

Massive Niederlage

Der erzwungene Abzug wird daher in den USA weithin als massive Niederlage begriffen. Zum einen wird natürlich befürchtet, daß sich das etablierte Regime ohne die US-Truppen nicht lange halten wird. Er sei sehr besorgt um die Zukunft Iraks, antwortete beispielsweise Generalstabschef Martin Dempsey bei einer Senatsanhörung auf entsprechende Fragen. Die Kommandeure seien daher auch alle gegen einen Abzug gewesen.3 »Am Ende wird die irakische Regierung scheitern«, so auch der Tenor frustrierter US-amerikanischer Offiziere vor Ort.4

In Washington überwiegt allerdings der Ärger über die weitere Stärkung der Position des Iran. Indem der Irak als Aufmarschgebiet für einen Krieg wegfällt, sitzt Teheran nun auch militärisch nicht mehr so eng in der Zange.

Dies wird nun teilweise dadurch kompensiert, daß ein Teil der aus dem Irak abgezogenen Kampftruppen in die verbündeten Golfstaaten verlegt und zusätzliche Flottenverbände in den Persischen Golf entsandt wurden. Ein voller Ersatz für Truppen im Irak ist das jedoch nicht, da die Basen im Irak wesentlich besser ausgebaut waren und die US-Truppen dort eine Handlungsfreiheit hatten, die ihnen die Golfstaaten nicht gewähren.

Die republikanischen Scharfmacher werfen daher Obama vor, die Verlängerung der Stationierung nicht mit genügend Nachdruck verfolgt und notfalls auch über das irakische Parlament hinweg durchgesetzt zu haben. Sie verkennen dabei, wie beschränkt der Spielraum der Besatzer im Irak geworden war. Schließlich war es der Bush-Administration bereits 2008 nicht gelungen, mit der von ihr in Bagdad ins Amt gehievten Regierung eine langfristige Stationierung US-amerikanischer Streitkräfte zu vereinbaren. Sie hatte einen Entwurf vorgelegt, der Washington berechtigt hätte, eine beliebige Zahl von Truppen auf unbeschränkte Zeit im Land zu stationieren und jederzeit Angriffe auf jedes Ziel im Irak führen zu dürfen. Auch Angriffe auf Nachbarstaaten sollten ohne Einverständnis der irakischen Regierung möglich sein.

Die Besatzungsmacht konnte sich jedoch nicht gegen den breiten Widerstand im Land durchsetzen. Die entsprechend konzipierten Wahlen hatten zwar überwiegend pro-amerikanische Kräfte ins Parlament gespült, angesichts der verheerenden Besatzungspolitik und der grundlegenden Stimmung im Land waren aber immer mehr Verbündete ins nationalistische, die Fremdherrschaft bekämpfende Lager gewechselt. Zwei Jahre zuvor war daran bereits das neue Ölgesetz gescheitert.

Da das UN-Mandat, das bis dahin den legalen Rahmen für die Präsenz der US-Truppen lieferte, auslief, blieb der Bush-Regierung kaum etwas anderes übrig, als ein wesentlich ungünstigeres Abkommen zu akzeptieren – mit einem klaren Zeitplan für den schrittweisen Abzug aller Truppen. Alles andere hätte zu neuen Aufständen und einem Aufleben des bewaffneten Widerstands geführt. Daran hat sich auch danach nichts geändert.

Besatzung nicht zu Ende

Washington bemüht sich nun, seinen bestimmenden Einfluß auf den Irak so gut wie möglich zu bewahren, indem die Besatzungsaufgaben auf zivile Kräfte übertragen wurden. Die ohnehin schon riesige Botschaftsfestung wurde erweitert, das Personal auf über 16000 Angestellte aufgestockt, darunter viele Angehörige der CIA und des US-Militärs sowie über 5500 bewaffnete Söldner. Die USA bauen weiter auf Maliki, der seinerseits – trotz seiner guten Verbindungen zum Iran – immer noch auf US-Hilfe angewiesen ist. In den knapp neun Jahren haben die Besatzer eine stattliche Zahl von Armee- und Polizeieinheiten aufgebaut – insgesamt 800000 Mann. Verläßlich aus ihrer Sicht sind jedoch nur die eng mit den eigenen Spezialkräften verzahnten Sondereinheiten. Dennoch hofft man in Washington, daß Maliki militärisch stark genug ist, sich auch mit der reduzierten US-Unterstützung an der Macht zu halten. Wie realistisch dies ist, muß sich zeigen. Wie die US-Pläne zeigen, geht man auch in den Vereinigten Staaten davon aus, daß das Land auf absehbare Zeit Kriegszone bleiben wird und US-Amerikaner sich dort nur unter massivem militärischen Schutz bewegen können. Das betrifft natürlich auch die ausländischen Konzerne.

Noch ist im Irak nichts endgültig entschieden. Noch sind die US-Amerikaner in Divisionsstärke im Land und sitzen US-Berater auf vielen Ebenen an den Schaltstellen in den Ministerien, in der Verwaltung und dem Sicherheitsapparat. Andererseits summieren sich allein die direkten Ausgaben für den Krieg bald auf 1000 Milliarden Dollar, mußten die Streitkräfte 4500 Tote, 32000 Schwerverwundete und bis zu 500000 weitere körperlich und psychisch geschädigter Rückkehrer verkraften; somit ist der immense Imageverlust durch den verbrecherischen Krieg eine schwere Hypothek für die US-Außenpolitik. Da der Krieg rein auf Pump geführt wurde, trugen die gewaltigen Kriegsausgaben zudem erheblich zur gewaltigen Verschuldung der USA und der US-amerikanischen Wirtschaftskrise bei. Unabhängig davon, wie es nun konkret weitergeht, kann man, gemessen an den ursprünglichen Zielen und den immensen Kosten, die der Krieg auch den USA abverlangt, durchaus von einem Scheitern sprechen.

An den Grenzen der Macht

Im Irak so heißt es oft, hätten die USA alles falsch gemacht, was falsch zu machen sei. Übersehen wird, daß die Besatzungspolitik sich konsequent an den Kriegszielen orientierte. Natürlich kommen auch »handwerkliche« Fehler dazu, die aufgrund mangelhafter Kenntnisse über das Land wie dem Rassismus der sich überlegen fühlenden Invasoren und ähnlichem auch schwer vermeidbar waren.

Die Faktoren, die zu diesem Scheitern führten, weisen daher auf prinzipielle Grenzen, auch militärisch weit überlegener Mächte hin, anderen Nationen mit Gewalt ihren Willen aufzuzwingen. Die militärische Überlegenheit ermöglicht zwar eine rasche Eroberung, sie reicht aber selten aus, ein Land auch zu halten. In dem Maße, in dem die Besatzungsmacht mit wachsender Gewalt ihre Pläne durchzusetzen sucht, wächst der Widerstand dagegen. Die USA griffen im Irak wie in Afghanistan zum klassischen Mittel, ethnische und religiöse Gruppen, die in Opposition zum früheren Regime standen, zur führenden Kraft im Land zu machen. Da diese nur eine Minderheit der Bevölkerung hinter sich haben, kann auch dies nur militärisch aufrechterhalten werden. Je mehr Gewalt die Besatzer und ihre indigenen Hilfstruppen anwenden, desto mehr Menschen treiben sie in die aktive Opposition.

Im Irak sah es Ende 2005 schon so aus, als müßten die Besatzer bald die Koffer packen. Die USA konnten sich nur halten, indem sie und ihre Verbündeten die konfessionellen Konflikte anheizten. Das spaltete nicht nur den Widerstand, die eskalierende Gewalt schiitischer, teils regierungsnaher Milizen und sunnitischer Extremisten nötigte viele Besatzungsgegner sogar zur zeitweisen Zusammenarbeit mit den Okkupanten.

Doch auch ziviler Widerstand machte den Besatzern immer stärker zu schaffen. So war es die Gegenwehr von Gewerkschaften, die die ersten Privatisierungsversuche verhinderte. Militärischer und ziviler Widerstand ergänzten sich dabei. Die Sorge, den militärischen zu stärken, zwang die Okkupanten immer wieder zur Zurückhaltung gegenüber dem zivilen.

Die fürchterliche Welle sektiererischer Gewalt führte zu einer breiten Stimmung gegen die herrschende sektiererische Politik, gegen bewaffnete Auseinandersetzungen und gegen die Präsenz der Besatzer, die in erster Linie für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Am Ende war es die darauf aufbauende, immer machtvollere politische Opposition, die die Pläne der USA endgültig vereitelte.

Die Stärke der amerikanischen Streitkräfte war »bedrohlich eindrucksvoll«, so der kritische US-Journalist Tom Engelhardt, »aber nur, bis George W. Bush zweimal den Abzug drückte«. Dadurch »offenbarte er der Welt, daß die USA unfähig sind, entfernte Landkriege gegen kleinste Feinde zu gewinnen und zwei schwachen Ländern im Größeren Mittleren Osten ihren Willen aufzuzwingen«. Auch wenn Landkriege für die USA wohl vorläufig passé sind, militärische Interventionen gegen weitere Staaten auf der eingangs erwähnten Pentagon-Liste sind damit leider – wie der Libyen-Krieg zeigt – keineswegs vom Tisch.

Anmerkungen

1 Iraq: The War, Its Consequences & the Future, Zogby Research Services, 18.–20. Nov. 2011

2 Excerpts from 1992 Defence Planning Guidance, PBS Frontline, Keeping the U.S. First; Pentagon Would Preclude a Rival Superpower, Washington Post, 11.3.1992

3 »McCain clashes with Panetta over U.S. troop withdrawal from Iraq«, CNN, 15.11.2011

4 »U.S. Troops to Leave Iraq by Year’s End, Obama Says«, The New York Times, 21.10.2011, (deutsche Übersetzung in Luftpost 191/11)

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