Der verschwiegene gefährliche Generalstreik

Ralf Streck, Kommentar: Hunderttausende haben im Baskenland beidseits der Grenze für bessere Renten, Löhne und ein würdiges Leben gestreikt und damit gezeigt, was moderne Gewerkschaftspolitik ist

Vermutlich hat kaum jemand im deutschsprachigen Raum mitbekommen, dass es im Baskenland am gestrigen Donnerstag einen Generalstreik gab. Sogar Zeitungen, die sich „sozialistisch“ nennen, oder die sich ausdrücklich als „linke Tageszeitung“ begreifen, war es bestenfalls eine kleine Meldung am Rande wert, dass beidseits der Grenze im französischen Baskenland Hunderttausende Menschen für würdige Renten, Löhne, und Arbeitsbedingungen gestreikt haben. Fabriken blieben geschlossen – auch viele Kneipen und Geschäfte -, und im Radio und im Fernsehen lief nur ein Notprogramm.

Es ist anscheinend selbst für linke Medien nicht von Bedeutung, wenn im kleinen Baskenland fast so viele Menschen und für ganz ähnliche Forderungen streiken und auf die Straße gehen wie beim Protest gegen die Rentenreform in ganz Frankreich. Dabei hat das Baskenland nicht einmal 5% der Bewohner Frankreichs, und auch findet sich hier weiterhin wohl die kämpferischste und am Besten organisierte Bewegung für soziale Rechte, deren Forderungen deutlich über die in Frankreich hinausgehen.

Oder wie der Schweizer sozialistische Politiker und Historiker Jo Lang per Twitter angemerkt hat: „Im Rahmen des baskischen Generalstreiks für würdige Löhne und Renten wird vor der Ladenkette Mango gegen die Arbeitsbedingungen in #Bangladesh demonstriert. Der Internationalismus ist nirgendwo so stark wie in #Euskadi – und #Catalunya…. #U30GrebaOrokorra.“ Jo Lang hat seine Doktorarbeit über das Baskenland geschrieben und weiß wovon er spricht.

Gestreikt wurde sowohl in den drei baskischen Provinzen im französischen Baskenland, den drei Provinzen in Spanien, die „Baskische Autonome Gemeinschaft“ genannt werden, als auch in Navarra. Und mit dem Streik wurde die seit fast zwei Jahren andauernde Bewegung der Rentner für würdige Renten, die ebenfalls im Baskenland begann und sich später über ganz Spanien ausgebreitet hat, auf eine neue Stufe gehoben.

Die Renter mit einem eigenen Block in der Demonstration. Foto: Ralf Streck

Die baskischen Gewerkschaften und die spanische anarcho-syndikalistische CNT haben den Schritt getan, sich auch Forderungen derer auf die Fahnen zu schreiben und dafür zu streiken, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen und nicht mehr streiken können. Das ist ein richtungsweisender Schritt! Damit zeigen diese Gewerkschaften, dass sie auf der Höhe der Zeit sein wollen und nicht allein Privilegien und Partikularinteressen vertreten, sondern sich um Vorgänge kümmern, die für die gesamte Gesellschaft relevant sind.

Vorbild für moderne Gewerkschaften

Das müsste das Vorbild für moderne Gewerkschaften sein. Dass derlei Vorgänge nicht einmal wahrgenommen und breit diskutiert werden, ist für die peinlich, die sich links verorten. Und so war es auch erfrischend, neben Rentnern und Arbeitern auch viele Schüler und Studenten auf den Straßen anzutreffen. Darunter auch viele Frauen, die sich für den nächsten Frauenstreiktag am 8. März warmlaufen, der nun vermutlich noch stärker als im letzten Jahr wird. Für kämpferischen Nachwuchs , der nicht allein gegen den Klimawandel streikt und demonstriert, ist gesorgt. Selbstverständlich gingen deshalb die Forderungen auch über die der Rentner nach einer Grundrente von 1.080 Euro hinaus. Gefordert wurde auch ein Mindestlohn von 1.200 Euro, die 35-Stunden Woche und würdige Lebensbedingungen für alle Menschen. Dazu wurde gefordert, die beiden Arbeitsmarktreformen zu streichen: sowohl die des Sozialdemokraten Zapatero von 2011 als auch die extrem aggressive des ultrakonservativen Rajoy.

Mit beiden Reformen wurde der Kündigungsschutz praktisch beseitigt, Abfindungen massiv gesenkt und die Rechte der Beschäftigten weiter massiv ausgehöhlt. Gebracht haben sie ohnehin nichts, statt weniger gibt es noch mehr befristete Jobs als früher und vor allem junge Menschen haben darunter zu leiden.

Deshalb weist die „Euskal Herriko Eskubide Sozialen Karta“(Baskische Sozialrechtscharta), in der Gewerkschaften und diverse andere Organisationen zusammengeschlossen sind, auf die „ständige Erosion“ von erkämpften sozialen Rechten durch die neoliberalen Regierungen hin, die sich in den Händen von „Bankern und Spekulanten“ befinden.

Beklagt wird erneut, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht und es an der Zeit ist, sich massiv dagegen zur Wehr zu setzen. Es muss eine Alternative mit sozialem Wandel und die reale Gleichstellung von Männern und Frauen auf die Tagesordnung gestellt werden.

Die Ablehnungsfront

Obwohl sogar die spanische Nachrichtenagentur Europa Press davon berichtete, dass allein in Bilbao 50.000 Menschen am Mittag demonstriert haben, fand das Thema auch in Spanien nur wenig Beachtung. Dabei haben in allen baskischen Städten, auch Kleinstädten, gleichzeitig zahllose Menschen gestreikt und demonstriert, wie auf den Bildern des Autors aus Donostia zu sehen ist, wo ebenfalls Zehntausende auf der Straße waren.

Erstaunlich ist auch die Ablehnungsfront. Sogar die Linkskoalition Unidas Podemos (UP) sprach, wie die Sozialdemokraten (PSOE) oder die christdemokratische regierende Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) von einem „politischen Streik“. Das ist im Fall der PNV nur konsequent, im Fall von Podemos nur noch peinlich.

Genau das, was die Sozialrechtscharta fordert, hat UP stets auch gefordert. Aber im Verlauf der Sozialdemokratisierung hat sie immer weiter abgespeckt, um in die Regierung von Pedro Sánchez zu kommen. Sie spricht deshalb nicht mehr über die Einschnitte der Arbeitsmarktreform der Sozialdemokraten 2011 und auch die der Konservativen soll nicht mehr gestrichen werden, sondern nur noch die schädlichsten Auswirkungen beseitigt werden.

Auch alle übrigen Forderungen der Sozialrechtscharta trug Podemos noch bis vor wenigen Monaten offiziell mit, verteidigte die Mindestrente, als sie noch nicht an der Regierung beteiligt war. Jetzt wurde aber der Mindestlohn (SMI) nicht auf 1.200 erhöht, sondern nur auf 950 und liegt damit weit unter der Armutsschwelle von knapp 1.200.

Und eine Rentenerhöhung um 0,9%, nachdem sie Jahre eingefroren waren, darf man wohl als totalen Witz bezeichnen.

Man muss kein großer Wahrsager sein, um vorhersehen zu können, dass die Legislaturperiode zu Ende gehen wird, ohne dass es einen SMI von 1.200 Euro gibt, an der Arbeitsmarktreform wird es nur kleine Änderungen geben und die Rentner wird man ebenfalls versuchen, mit Almosen abzuspeisen.

Bärendienste

Dass nur wenig passieren wird, hängt auch an den großen spanischen Gewerkschaften, die glücklicherweise im Baskenland in der Minderheit sind und immer weiter an Bedeutung verlieren. Bliesen auch sie einst gegen die Arbeitsmarktreformen zum Generalstreik, sitzen sie jetzt mit der Regierung und Unternehmern im „Sozialpakt“ zusammen, handeln lächerliche Mindestlohnerhöhungen aus und kritisieren die baskischen Gewerkschaften dafür, dass sie auf die Straße gehen.

Sogar der Chef der größten spanischen Gewerkschaft CCOO spricht von „politischen Gründen“ hinter dem Streik und er befürchtet, dass die Rentenkasse aufgebrochen werden soll. Unai Sordo, der ja aus dem Baskenland stammt, ist bekannt, dass auch das nur die Umsetzung der Verfassung und des baskischen Autonomiestatus wäre, der auch die Übertragung der Sozialversicherung an die Basken vorsieht.

Ins Horn der spanischen Nationalisten zu stoßen, wie neoliberale Christdemokraten zu argumentieren, statt für die Rechte der Beschäftigten und die sozialen Rechte der Bevölkerung einzutreten, damit tut sich die Gewerkschaft einen Bärendienst und macht sich überflüssig.

Echte soziale Verbesserungen

Sordo sollte einmal nach Portugal schauen, dort haben die Gewerkschaften auch oft und stark gegen die Linksregierung gestreikt und ihr Zugeständnisse abgetrotzt, die letztlich das Land stabilisiert haben.

Klar ist, dass nun die spanische „Linke“ sich davor ängstigt, dass die Bewegung, wie einst die Bewegung der Rentner für eine Mindestrente, sich ebenfalls auf Spanien ausbreitet und es der schwachen Sánchez-Regierung noch schwieriger macht. Es wird die Angst bemüht, dass sonst die Rechten bis Ultrarechten kommen.

Doch nur wirkliche soziale Verbesserungen sind ein Schutz gegen Rechtsextreme, auch das zeigt Portugal mehr als deutlich. Frankreich unter einer Hollande-Regierung sollte allen eine Warnung sein und wenn die Linke dort nicht eine klare Alternative aufzeigt, dann war Macron der letzte Kandidat, der noch auf den Präsidentensessel gehoben wurde, um die rechtsradikale Le Pen zu verhindern. In diesem Sinne ist auch der Dauerstreik in Frankreich gegen Macron zu verstehen und zu begrüßen, mit dem sich die Basken ausdrücklich solidarisiert haben.

Und auch in Spanien verhallte der Streik nicht ungehört. Nicht nur in Madrid solidarisierten sich weitblickende Menschen mit dem Streik. Die antikapitalistische Fraktion innerhalb von Podemos unterstützte ihn ebenfalls und auch Gewerkschaftler von Gewerkschaften, die im Baskenland als Streikbrecher aufgetreten sind, haben ein Manifest zur Unterstützung unterzeichnet. (Ralf Streck)

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