130.000 Menschen gegen die Regierung

Ein „großartiges Bild“ bietet sich dem Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Rudolf Kösters, als er vom Podium am Brandenburger Tor zu den 130.000 Demonstrierenden spricht: Vollbesetzt sieht er „die Meile Unter den Linden bis zur Siegessäule“ – ähnlich der Fanmeile zu Zeiten der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. „Wir zeigen den Politikern, was passiert, wenn man glaubt, die Krankenhäuser im ökonomischen Würgegriff halten zu können“. Die deutschen Krankenhäuser bräuchten endlich „umfassende finanzielle Hilfe“. Denn sie „erbringen gerne die erwarteten hochwertigen Leistungen an sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden rund um die Uhr. Aber wir erwarten auch, dass diese Leistungen ausreichend finanziert werden.“ Leider verwehre die Politik den Kliniken „die Achtung vor dieser Leistung“.

So sei es „kein Zufall, dass mehr als ein Drittel der deutschen Krankenhäuser akut insolvenzgefährdet sind“. 6,7 Milliarden Euro fehlten ihnen bis Ende 2009. Das habe auch bereits „tiefe Spuren im Arbeitsalltag der deutschen Kliniken hinterlassen“. Die Zusage der Bundesregierung über drei Milliarden Euro nennt Rudolf Kösters „eine Mogelpackung – unseriös, Schönfärberei“. Auch das „großartig angekündigte Pflegehilfeprogramm“ mit 21.000 zusätzlichen Kräften sei in Wirklichkeit eine Zusatzbelastung für die Krankenhäuser, weil der Staat nicht alle Kosten dafür übernehme. Diese „Ignoranz und Arroganz macht uns wütend“. Die Krankenhäuser und ihre Mitarbeiter/innen seien es endgültig leid, als Kostenfaktor zu gelten.

Christian Ude, Präsident des Deutschen Städtetages, verwahrt sich gegen den Vorwurf, diese größte Demonstration in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, sei der „Aufmarsch einer Lobby“, die nur eigene Interessen durchsetzen wolle. Vielmehr sei diese Rettungsaktion für die Krankenhäuser „ein breites Bündnis“ – von Ärzten und Pflegepersonal, ihren Gewerkschaften und Arbeitgebern, vom Deutschen Pflegerat und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und von allen Spitzenverbänden der Kommunen und der Freien Wohlfahrtspflege. Kurz: eine „Initiative für das Gemeinwohl. Wir vertreten hier nicht Sonderinteressen, sondern die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung“. Denn „jeder kann morgen einen Angehörigen im Krankenhaus haben“.

Im Namen der deutschen Städte fordert Christian Ude: „Macht Schluss mit einer Krankenhauspolitik, die unvermeidbar immer mehr Krankenhäuser an den Rand ihrer Existenz drängt und zur Überlastung des Personals sowie zur Vernachlässigung der Patientinnen und Patienten führt!“. Schluss müsse auch sein „mit dem schäbigen Spiel, sich wechselseitig die Verantwortlichkeit zuzuschieben und selber nicht das Notwendige zu tun“. Denn auf der Strecke blieben dabei die Menschen, um die es geht: „die Patientinnen und Patienten und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Beruf es ist zu helfen“.

Die Belegschaft werde längst bis an die Grenzen des Zumutbaren und darüber hinaus belastet. Politiker in Bund und Ländern, die stets „eine gerechte Bezahlung der in den Krankenhäusern Tätigen“ forderten, dürften „jetzt nicht verhindern, dass die Krankenhäuser die Tariflohnsteigerung in Gänze refinanziert bekommen. Wir in den Städten finden es unerträglich, wenn die Krankenhäuser aus Finanznot zu Notlagentarifverträgen oder gar zur Tarifflucht gezwungen werden.“ Besser sei es, „Tarifdumping von Anfang an zu vermeiden“. Es müsse Schluss sein mit dem Krankenhaussterben und der erzwungenen Privatisierung.

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske nennt als gemeinsames Ziel des Bündnisses: „Wir wollen die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser für die Patientinnen und Patienten erhalten – und dabei anständige Arbeitsbedingungen gewährleisten für die, die in den Krankenhäusern Tag und Nacht für die Kranken da sind und eine hervorragende Arbeit leisten.“ Mangelhafte Finanzierung habe zu massivem Personalabbau in den Krankenhäusern geführt: „100.000 Beschäftigte in den vergangenen zehn Jahren, 50.000 davon allein in der Pflege – und das obwohl mittlerweile eine Million Patienten mehr zu versorgen sind als noch vor zehn Jahren bei weiter sinkenden Liegezeiten und entsprechend massiver Arbeitsverdichtung“.

Die wachsende Belastung der Pflegekräfte belegt Frank Bsirske mit Beispielen aus der Praxis: In vielen Krankenhäusern können Dienstpläne nur noch gemacht werden, indem von vornherein Überstunden eingebaut werden. Zur Weiterbildung für Pflegekräfte meldet sich neimand mehr an, weil das Personal auf Station so knapp ist, dass keiner mehr weg kann. Qualifizierte Praxisanleiter für die Ausbildung fehlen oder haben keine Zeit mehr, sich um diese Aufgaben zu kümmern. Von Krebsstationen wird berichtet, in denen der Blutzucker nicht mehr bestimmt und Verbände nicht mehr gewechselt werden können, weil 26 schwerstkranke Patienten von nur drei Pflegekräften und einer Schülerin versorgt werden müssen. Auf dem Ärztetag wurden Fälle bekannt, dass alte Patientinnen in Krankenhäusern mehrere Kilo Gewicht verlieren, weil niemand mehr Zeit hat, ihnen beim Essen zu helfen. All das beweise, dass mit der Krankenhausfinanzierung etwas nicht stimme.

„Die Beschäftigten in Krankenhäusern“, so Frank Bsirske weiter, „haben den Stress und die dauernde Überlastung satt bis obenhin.“ Das zeige zum Beispiel der Wunsch eines Krankenpflegers auf der ver.di-Internetseite: „Alle, die hier hinter den Schreibtischen die Fäden ziehen, müssten zu mindestens einer Woche Dienst in einem Krankenhaus verdonnert werden: Einfach mal mitgehen in der Pflege, sterbende Patienten versorgen, Ausscheidungen entsorgen, Patienten von Exkrementen aller Art befreien, unzufriedene Angehörige bändigen und enttäuschte oder akut gefährdete Patienten beschwichtigen, wenn man Zeit für sowas hat.“

Nur den vielen Aktionen der Beschäftigten in Städten und Landkreisen und dem Druck des Bündnisses zur Rettung der Krankenhäuser sei es zu verdanken, dass die Bundesregierung sich bewegt habe und sich „überhaupt mit einem neuen Gesetz zur Krankenhausfinanzierung befasst“. Der Entwurf müsse aber noch korrigiert werden, weil es nicht ausreiche, drei Milliarden Euro zuzugestehen, wo 6,7 Milliarden benötigt würden. Auch die Länder dürften nicht weiter ihre gesetzliche Pflicht zur Finanzierung der Investitionen für die Kliniken verletzen.

Frank Stöhr vom dbb beamtenbund und tarifunion verlangt ebenfalls: „Die Krankenhäuser dürfen nicht kaputtgespart werden“, der Deckel und die Sparschraube müssten weg. Gesundheit sei keine Ware. Deshalb „erwarten wir alle von der Bundesregierung, dass sie das Krankenhausfinanzierungsgesetz verbessert“. Wenn es mit der Demonstration und weiteren Aktivitäten gelinge, die Bürger/innen von diesem Anliegen zu überzeugen, „werden wir unser Ziel erreichen – und bis dahin werden wir weiterkämpfen!“

Quelle: ver.di / RedGlobe

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