Sozialisten verhindern Faschismus-Aufklärung

er umstrittene Ermittlungsrichter am spanischen Nationalen Gerichtshof Baltasar Garzón hatte Anfang September einen Vorstoß gestartet, der ihm erneut Schlagzeilen bescherte. Er erließ eine Verfügung, um ein Register der geschätzten knapp 200.000 Opfer zu schaffen, die nach dem Putsch 1936 und der Diktatur von 1939 und 1975 ermordet wurden. Nun will er auch einige Verantwortliche ermitteln und sorgt erneut für Furore. Ausgerechnet die regierenden Sozialisten (PSOE) wollen das verhindern, sagen das aber nicht so offen wie die Postfaschisten der PP. Erstaunlich ist, dass Garzón das Vorgehen bis 1952 begrenzt, um praktisch keine Lebenden mehr vor Gericht zitieren zu müssen. Man fragt sich, warum heute sein Vorgehen gegen die baskische Linke ( http://de.indymedia.org/2008/02/208365.shtml) aber auf Foltergeständnissen beruhen ( http://de.indymedia.org/2008/09/227265.shtml).

Ein Ermittlungsrichter am spanischen Nationalen Gerichtshof Baltasar Garzón sorgt erneut für Furore. Er erklärte sich für zuständig, die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in der Franco-Diktatur zu untersuchen. Damit geht er einen Schritt weiter, um Licht in die brutalen Vorgänge zu bringen. Anfang September verfügte er, ein Register mit den Opfern zu schaffen, die nach dem Putsch 1936 und der Diktatur von 1939 und 1975 ermordet wurden.
Dabei soll es aber nicht bleiben, denn Garzón will nun auch Verbrechen aufklären. Es geht nicht mehr nur um das Schicksal der „Verschwundenen“, die noch heute zu Zehntausenden in Massengräbern verscharrt liegen.

Er behauptet, es habe einen Plan zum „Genozid“ zur „systematischen Ausrottung“ der politischen Gegner gegeben (Hier der Beschluss auf Spanisch http://www.elperiodico.com/vivo/recursos/pdf/auto_161008.pdf). Würdenträger des spanischen Staates seien in die Gräueltaten verwickelt gewesen – angefangen mit Diktator Francisco Franco selbst. Um sich zu vergewissern, dass die juristische Verantwortlichkeit Francos sowie 34 seiner engsten Vertrauten erloschen ist, fordert Garzón in dem Beschluss deren Sterbeurkunden an. Wichtiger ist, dass er vom Innenministerium eine Aufstellung der Personen verlangt, die vom Beginn des Bürgerkrieges 1936 bis 1952 die wichtigsten Posten in der faschistischen Falange bekleideten. Danach wolle er prüfen, ob jemand strafrechtlich belangt werden könne.

Der Zensus der Opfer, mit Daten der Opfervereinigungen erstellt wurde, ergab inzwischen eine Liste mit fast 150.000 Namen. Nun argumentiert Garzón, das internationale Recht erlaube „keine Normen des Pardon oder des Vergessens“ bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schon vor der spektakulären Ankündigung, dass 33 Jahre nach dem Tod des Diktators erstmals geprüft werden soll, ob es noch Verantwortliche für die Massaker an Republikanern, Kommunisten und Anarchisten gibt, hatte er die Öffnung von 19 Massengräbern angeordnet, darunter auch ein Grab in der südspanischen Stadt Granada, in dem der 1936 ermordete Dichter Federico García Lorca vermutet wird.

In Granada wurden allein zwischen Juli 1936 und März 1939 mehr als 2000 Menschen hingerichtet, obwohl das Morden danach weiter ging, meist aber mit Schnellverfahren bemäntelt. Die Zahl gab der Hispanist Ian Gibson an, der eine Liste in Granada einsehen konnte und in seinem Buch „Der Tod von García Lorca“ davon berichtete. Darin seien sogar Todesumstände angeführt: „Todesschuss“ oder „Militäranordnung“, erinnert sich Gibson.
Solche Dokumente forderte der Richter für einen Zensus an, denn die Opfer wurden von den Tätern meist sogar aus den Melderegistern gestrichen, so, als habe es sie nie gegeben. Garzón fordert von der Kirche, ihm Unterlagen aus den Archiven der 22.827 Kirchengemeinden zur Verfügung zu stellen, doch die mit dem Faschismus eng vertreckte katholische Kirche, hat sich bisher verweigert. Wie rechte Parteien, Richter- und Militärvereinigungen. Gemeinsam hatten sie auch dafür gesorgt, dass das Opfergesetz so schwach ausfiel ( http://de.indymedia.org/2007/11/198288.shtml) , dass die Sozialisten (PSOE) im letzten Jahr verabschiedet haben, denn wie die postfaschistische Volkspartei (PP) will „keine alten Wunden“ öffnen, weil das „zu nichts führt“, sagte ihr Parteichef Mariano Rajoy.

Bis heute herrsche in Spanien Straflosigkeit gegenüber den schweren „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, stellt nun auch Garzón plötzlich fest. Die Sieger des Bürgerkriegs „haben den Besiegten ihr Recht aufgezwungen“. Nach dem Putsch wurden sie „verfolgt, inhaftiert gefoltert und von denen verschwinden gelassen, die sich gegen das geltende Rechtssystem und den Staat bewaffnet erhoben hatten“.

Das ist die verbreitete Analyse von Historikern. Umso erstaunlicher ist, dass die sozialistische Regierung das Vorgehen nicht begrüßt. Die Staatsanwaltschaft hat sogar Widerspruch angekündigt. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, dessen Großvater unter den Opfern ist, stiehlt sich aus der Affäre. Er erklärt, er respektiere Garzóns Vorgehen, aber auch das der Staatsanwaltschaft. Die behauptet, die Verbrechen seien verjährt oder fielen unter die Amnestie, die sich die Nachfolger der Diktatur nach dem Tod Francos gegönnt haben.

Das ist eine politische Entscheidung, denn die Staatsanwaltschaft ist ein Ministerium und untersteht der Regierung. Die zaghafte Aufklärung hat Methode bei der PSOE. In ihren ersten 14 Regierungsjahren unternahm sie bis 1996 kaum etwas. Das Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer, 2007 verabschiedet, annulliert weder die Unrechtsurteile, noch unterstützt es die Opfer bei der Aufklärung, wo ihre Angehörigen verscharrt wurden. Die Falange dagegen darf noch heute bei Wahlen antreten. Mitglieder der Franco-Regierung gründeten die Volkspartei (PP), die sich nie von der Diktatur distanzieren musste ( http://de.indymedia.org/2008/03/211898.shtml). Franco-Minister Manuel Fraga ist Ehrenpräsident der PP und wurde erst 2005 als Präsident Galiciens abgewählt.

Der bezeichnet die Ermittlungen als „schweren Fehler“. Garzón verweist auf internationales Recht, wonach derlei Verbrechen weder verjähren noch amnestiert werden können. Er bezieht sich dabei auch auf ein Interview, das Franco zu Beginn des Bürgerkriegs gab. Darin erklärt der General, man werde jeden Preis für den Sieg zahlen. „Dann werden Sie halb Spanien töten müssen“, stellt der Journalist fest. Franco erwidert: „Ich sagte, ich würde jeden Preis zahlen.“

Doch auch bei der Linken und den Opferverbänden findet das Vorgehen des umstrittenen Richters nicht nur Beifall. Allein die Tatsache, dass er sich selbst für zuständig erklärt, entspricht dem Vorgehen des Richters an einem Sondergericht. Die progressiven „Richter für die Demokratie“ erklärten, das Vorgehen habe „keine Erfolgschancen“. Ihr Sprecher Miguel Ángel Jimeno fragte: „Welches Ziel verfolgt Garzón?“. Strafrechtlich sei kaum etwas zu machen und es sei nicht dessen Aufgabe, schwarze Löcher der Regierungsgesetze zu füllen.

Auch der sozialistische Regierungschef der Extremadura „traut“ dem Richter nicht, der auf „den Friedensnobelpreis aus ist“. Den verfehlte er mit seiner gescheiterten Anklage gegen Pinochet. Dass die Anklagen Garzóns oft kein Fundament haben, ist bekannt ( http://de.indymedia.org/2008/09/227759.shtml). Gefragt wird vor allem aus dem Baskenland, warum er das Vorgehen auf 1952 begrenzt und nicht die gesammelten Morde und Folter vorgeht, die der Guardia Civil noch bis heute bis in die Vereinten Nationen vorgeworfen wird, auf desssen „Geständnisse“ ausgerechnet Garzón seinen Feldzug gegen die baskische Linke gründet ( http://de.indymedia.org/2008/09/227886.shtml). Die macht der Sonderrichter mit der Anordnung einer fünftägigen Kontaktsperre ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html) sogar erst möglich.

© Ralf Streck, Donostia den 17.10.2008

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