Anmerkungen zur Freilassung von Christian Klar. Von Hans Schulz. Entnommen aus der Jungen Welt vom 27.11.2008
Es gibt nur zwei Situationen, in denen politische Gefangene freigelassen werden. Entweder sind die Kräfte der Revolution so stark, daß der Staat gezwungen ist, seine Geiseln freizugeben oder der Staat ist so stark, daß er einen Gnadenakt erweisen kann.
Die erste Situation gab es in Deutschland so gut wie nie. Tausende haben über Jahrzehnte versucht, die Haftbedingungen der politischen Gefangenen in den BRD-Knästen zu verbessern, haben auf den Straßen ihre Freilassung gefordert. Aus humanitären Gründen, aus Solidarität. Genützt hat das nichts. Der bewaffnete Kampf war längst Geschichte.
Aber auch das neue, große Deutschland wollte keinen Schlußstrich ziehen. Niemand soll es in noch einmal wagen, jene Herrschenden persönlich zur Rechenschaft zu ziehen, die verantwortlich sind für millionenfache Ausbeutung, Massenverarmung, Elend, Krieg und Tod. Das war die Botschaft dieser 26 Jahre Haft – mit Isolationshaft und weißer Folter. Dafür wurde das Recht gebeugt, gab es Sondergesetze und eine nie dagewesene Hatz auf Sympathisanten. Christian Klar hat das alles jetzt hinter sich, ungebrochen. Dafür sind ihm in diesem Land mehr Menschen dankbar, als es der herrschenden Bande recht sein kann. Die Gefangenen aus der RAF haben in den Verfahren gegen sie nie juristisch agiert – revolutionäre Politik ist nicht justitiabel. Dafür haben sie die härtesten und fragwürdigsten Urteile kassiert. Die Justiz wußte nie, wer für was verantwortlich war. Man hat das Recht gebeugt und die Kollektivschuld eingeführt. Christian Klar konnte nichts bewiesen werden. Weder kennt das deutsche Strafrecht Reue oder Buße noch Aussagebereitschaft als Voraussetzung für eine Haftentlassung. Praktiziert wurde pure Rache. Eigentlich ein Fall für die UNO-Menschenrechtskommission.
Der Co-Pilot der 1977 entführten Lufthansamaschine, Jürgen Vitor, kündigt in der Bild an, er werde wegen der Freilassung sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Die Witwe des ebenfalls 1977 erschossenen Jürgen Ponto hat ihres bereits zurückgegeben. Warum auch nicht? Die Trauer der Angehörigen der Opfer dieser Auseinandersetzung wurde nicht nur von Christian Klar respektiert und verstanden. Tote gab es auf beiden Seiten.
Die Lumpenjournaille kann nicht fassen, daß ein Revolutionär so einfach nach 26 Jahren freikommt – nach deutscher Tradition gehören die alle an die Wand. So wie 1918/19 die roten Matrosen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, so wie 1920 die Räte der Münchner Republik, 1929 die Arbeiter im Berliner Wedding und ab 1933 Zehntausende von Kommunisten und Antifaschisten.
Eine Tradition und Moral, die nicht die unsere sein kann. Am 15. Mai gab der letzte Ankläger im »Auschwitz-Prozeß« Mitte der 60er Jahre in Frankfurt am Main, Oberstaatsanwalt Hans Eberhard Klein, dieser Zeitung ein Interview: »Eines dieser Verfahren hatte die sogenannte Skelettesammlung in Auschwitz zum Gegenstand. Seinerzeit war da ein Befehl aus Berlin gekommen, man soll 30 jüdische Häftlinge töten und die Skelette der Universität Straßburg zuführen. Zu medizinischen Experimenten. Der verantwortliche Mediziner ist dann extra nach Auschwitz gekommen, um die Häftlinge auszusuchen. (…) Drei der Beteiligten dieses Verbrechens standen dann bei uns als Angeklagte vor Gericht: Derjenige, der selektiert hat, derjenige, der die 30 getötet hat, und derjenige, der die Auswertung der Leichen vorgenommen hatte. Der letzte der drei hat sich darauf berufen, nur auf Weisung gehandelt zu haben. Er wurde sogar freigesprochen. Die anderen beiden wurden zu lächerlichen Strafen von drei bzw. dreieinhalb Jahren verurteilt. Und das, obwohl die Tat zweifelsfrei feststand: Es war Mord.«
Daß seinerzeit irgendjemand sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben hat, ist nicht bekannt.
Trotz alledem: Willkommen in der Freiheit, Genosse Christian Klar.