Monday, 22. December 2008
Holcim-Werk in Andalusien besetzt. Belegschaft wehrt sich gegen Entlassung von TemporärarbeiterInnen. Region steht hinter dem Arbeitskampf. In der Schweiz wird der Konflikt totgeschwiegen.
HIer folgt eine Zusammenfassung des Arbeitskampfes von R.T.H:
Arbeiter besetzen Holcim-Werk in Andalusien
Aus Protest gegen vierzig Kündigungen haben am Freitag, 19. Dezember 2008 Holcim-Arbeiter zusammen mit Mitgliedern der klassenkämpferischen Gewerkschaft „Sindicato Andaluz de Trabajadores” (SAT) das Zementwerk von Torredonjimeno (Jaén) in Andalusien besetzt. Bei den vierzig Entlassenen handelt es sich offenbar um temporär beschäftigte Zeitarbeiter und Leiharbeiter. Darunter solche, denen nach über 30 Jahren Arbeitstätigkeit per Fax-Nachricht mitgeteilt wurde, dass sie nach den Festtagen nicht mehr gebraucht würden. Wie Andrés Bódalo, der Provinzverantwortliche der andalusischen Arbeitergewerkschaft SAT, gegenüber Europa Press erklärte, sei die Besetzung die Antwort auf das Vorgehen des multinationalen Unternehmens. Bódalo kritisierte auch die Haltung des Betriebskomitees, weil es sich nicht um die temporär Beschäftigten kümmere und ihre Anstrengungen auf die übrigen achtzig, direkt bei Holcim angestellten Mitarbeiter beschränke. Unterdessen verhandelt dieses weiter mit verschiedenen Vertretern der andalusischen Regierung und Abgeordneten und ersucht sie um Unterstützung, damit die von Holcim España angekündigte Schliessung des Werkes verhindert werden könne.
Die Besetzung laufe ohne Zwischenfälle ab, versicherte Bódalo: “Wir haben in Ruhe die Werkstätten von Holcim betreten, und von dort werden wir nicht weichen, bis sich das Unternehmen nicht verpflichtet hat, die Kündigungen zurückzunehmen.” Seit zehn Uhr morgens, als die Arbeiter mit der Besetzung begonnen und die Werkszufahrt blockiert haben, steht der Betrieb still. Um sieben Uhr abends befinden sich etwa siebzig Personen im besetzten Werk. Neben den betroffenen Mitarbeitern auch deren Familien sowie SAT-Gewerkschafter. Sie haben Verpflegung mitgebracht und sich seither im Betrieb eingeschlossen. Zudem haben sie mit dem Roten Kreuz Kontakt aufgenommen, damit dieses sie mit Decken versorge. Die Arbeiter versichern, dass sie entschlossen sind, solange im Zementwerk auszuharren, auch während der Festtage, bis die Unternehmung die Fax-Schreiben zurücknehme, die sie den vierzig Zeitarbeitern geschickt hat.
Im gleichen Mass, wie die Stunden vergangen sind, haben sich immer mehr Personen den Besetzern angeschlossen. Dennoch wird befürchtet, dass die Guardia Civil das Gelände räumen könnte, zumal um sechs Uhr abends bereits vier Patrouillen aufgetaucht seien, um den Besetzern mitzuteilen, sie hätten das Werk zu verlassen. Das Unternehmen hat sich mit ihnen nicht in Verbindung gesetzt, jedoch über das Betriebskomitee, das mehrheitlich aus Gewerkschaftern der sozialistischen UGT besteht, ausrichten lassen, man sei ab dem 30. Dezember bereit, sich mit der SAT zu treffen.
Angefangen hatte alles mit einer nüchternen Meldung in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 12. November 2008: “Der Zementkonzern leidet unter massivem Gewinnverlust und muss Werke in den USA und Spanien schliessen.“ Unter dem Strich habe der zweitgrösste Zementkonzern der Welt zwischen Juli und Ende September noch 673 Mio. Franken verdient, 23,3 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Damit habe Holcim die „Erwartungen der Finanzgemeinde“ verfehlt. „An der Schweizer Börse schloss die Aktie 10,5 Prozent tiefer auf 51.40 Franken“, so die Meldung von swissinfo.ch. Um die „Finanzgemeinde“ wieder zu beruhigen, führte der Holcim-Konzern in seiner Medienmitteilung aus, dass „weitere kostensenkende Massnahmen eingeleitet und gezielte Preisanpassungen“ vorgenommen würden: „Dazu gehören auch die geplanten Werkschliessungen in Spanien und den USA.“
Während in der Schweiz die Öffentlichkeit achselzuckend von der Mitteilung Kenntnis nahm, begann sich in Spanien, kaum war der erste Schock verdaut, der Widerstand gegen die geplante Werksschliessung zu formieren. Am 11. November, einen Tag vor der Medienkonferenz in der Schweiz, hatte der multinationale Konzern das Betriebskomitee von Holcim Torredonjimeno-Jamilena über seinen „strategischen Entscheid“ informiert. Bereits zwei Tage später trat dieses im Namen der 120 Beschäftigten, zusammen mit den Bürgermeistern von Torredonjimeno und Jamilena, vor die Presse und forderte die politischen Instanzen auf, zusammen mit Holcim eine Lösung zu finden, damit das Werk weitergeführt werde. Gleichzeitig rief das Betriebskomitee zu einer öffentlichen Kundgebung für den folgenden Samstag auf.
Noch am gleichen Abend fanden in Torredonjimeno und in der Nachbargemeinde Jamilena ausserdordentliche Gemeindeversammlungen statt mit einem einzigen Traktandum: Nein zur Schliessung von Holcim Torredonjimeno! Dieser Beschluss wurde an die andalusische Regionalregierung weitergeleitet. ¡Holcim, no se cierra! – Holcim wird nicht geschlossen! Das ist der Schlachtruf, der seither von einer ganzen Gegend aufgenommen wurde. Gegen zehntausend Menschen gingen am Samstag, 15. November in Torredonjimeno auf die Strasse, um gegen den Schliessungsentscheid des multinationalen Konzerns zu protestieren. Von zwölf Uhr mittags an blieben alle Geschäfte geschlossen. Dazu aufgerufen hatte der „Comercio Tosiriano“, die Vereinigung der kleinen und mittleren Händler der Stadt, um auf diese Weise den Beschäftigten des Zementwerks ihre Unterstützung zu zeigen. Holcim sei das wichtigste Unternehmen von Torredonjimeno, weshalb die geplante Schliessung ein schwerer Schlag für die lokale Wirtschaft bedeuten würde, erklärte deren Präsident gegenüber der Presse.
Der Demonstrationszug, an dessen Spitze die Bürgermeister der beiden betroffenen Gemeinden marschierten und der vom Stadtzentrum von Torredonjimeno zum Zementwerk führte, bildete den Auftakt zur einer Aktionswoche gegen die Betriebschliessung. Auf dem sonntäglichen Markt von Torredonjimeno wurden Unterschriften gesammelt. Am Dienstagabend, anlässlich des Fussballspiels Real Jaén-Sevilla, zogen die Holcim-Arbeiter vor Spielbeginn unter dem Applaus der Zuschauer mit ihrem Spruchband „Nein zur Schliessung von Holcim Torredonjimeno!“ durchs Stadion. Tagsdarauf demonstrierten über tausend Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrpersonen gegen die geplante Schliessung und zogen vom Schulhaus zum Werk, wo sie Erklärungen verlasen, in denen sie sich mit den Holcim-Arbeitern solidarisierten.
Die Bewegung ¡No al cierre de Holcim! vereinte die Bevölkerung über alle Parteigrenzen hinweg. Selbst der konservative „Partido popular“ traf sich mit dem Betriebskomitee und kündigte einen parlamentarischen Vorstoss zur Verhinderung der Schliessung an. Der Parteipräsident der Provinz Jaén, José Enrique Fernández de Moya, zog in Betracht, dass die Zementfabrik rentiere, weil sie genügend Nachfrage habe. Es wurde vorgerechnet, dass das Werk 320’000 Tonnen produziere, während die Nachfrage bei etwa 432’000 Tonnen liege. Die fehlenden Kapazitäten müssten mit Lieferungen anderer Zementwerke eingedeckt werden. Die geplante Schliessung sei unverständlich und unsinning. Es gehe nicht an, dass ein gutgehendes Werk, das während fünfzig Jahren aufgebaut und weiterentwickelt wurde, einfach von heute auf morgen geschlossen werde. Die Delegierte der andalusischen Regierung, Teresa Vega, die ebenfalls an der Protetkundgebung teilgenommen hatte, erinnerte daran, dass Holcim im gleichen Jahr bedeutende öffentliche Hilfe in Anspruch genommen hatte, um die Anlagen zu modernisieren und den Bedürfnissen der Umwelt anzupassen. Die andalusische Regierung sicherte den Arbeitern ausserdem zu, sie werde „alle vom Gesetz erlaubten Instrumente“ einsetzen, damit Holcim seinen Schliessungsentscheid zurückziehe.
Der Schweizer Multi zeigte sich von der Volksbewegung gegen die Schliessung des Werks von Torredonjimeno wenig beeindruckt. Auf die Frage des SRG-Pressedienstes Swissinfo, wie sich all die Manifestationen der Bevölkerung auf die Zukunft des Werkes auswirke und ob es eine Möglichkeit gebe, auf den Schliessungsentscheid zurückzukommen, erklärte der Sprecher von Holcim Spanien, Manuel Soriano Baeza: „Unsere diesbezügliche Haltung hat sich nicht geändert.“ Es handle sich um eine streng wirtschaftliche Entscheidung. Torredonjimeno sei eines der kleinsten und ältesten Werke, die Holcim in Spanien habe, und es sei von der Kostenseite her eines der am wenigsten effizientesten, erklärte der Firmensprecher.
Am Freitag, 28. November demonstrierten die Holcim-Arbeiter in Jaén vor dem Sitz der Provinzregierung, damit diese ihren Druck auf den multinationalen Konzern aufrechterhalte und ihn dazu bewege, Hand zu bieten zu einer Lösung, die dem Werk in Torredonjimeno das Überleben sichere. Mario Martinez, der Präsident des Betriebskomitees, erklärte, dass die Provinz im nächsten Jahr 450’000 Tonnen Zement für Infrastrukturprojekte benötige. Weit mehr als das Werk mit seinen 320’000 Tonnen produziere. Der Gewerkschafter zeigte sich allerdings beunruhigt über die Weigerung von Holcim, das Werk zu verkaufen. Wie es scheine, lägen bereits zwei Kaufofferten auf dem Tisch. Holcim wolle jedoch verhindern, dass andere das Werk übernähmen und dann den eigenen Konzern konkurrenzierten.
Anfangs Dezember empfing Holcim die Arbeitnehmervertreter zu Verhandlungen, machte jedoch von Anfang an klar, dass der Schliessungsentscheid unwiderruflich sei. Gegenüber den Medien liess der Konzern durchblicken, man biete den 120 Beschäftigten verschiedene Möglichkeiten an: Frühpensionierung, Versetzung in andere Holcim-Werke oder Hilfe bei der Stellensuche für jene, die weiterhin in der Gegend arbeiten
wollen. Zu diesem Zweck werde ein Sozialplan bereitgestellt, der in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu konkretisieren sei. Bis ungefähr Ende Jahr werde das Werk seine Tätigkeit weiterführen. Anschliessend beginne man mit der Demontage, um das Gelände für andere Nutzungen tauglich zu machen.
Am 18. Dezember erinnerten Vertreter der andalusischen Arbeitergewerkschaft SAT an einer Pressekonferenz in Torredonjimeno an den von über tausend Personen anlässlich einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung gefassten Beschluss, sich der Schliessung des Zementwerkes zu widersetzen. Es erstaune daher, dass seit einigen Tagen nur noch von Sozialplänen, Frühpensionierungen und Versetzungen die Rede sei. Es könne nicht hingenommen werden, dass Holcim mit dem Betriebskomitee an einem geheimen Ort hinter verschlossenen Türen verhandle. Obwohl 38 Beschäftigte des Zementwerkes ihr angehören, anerkenne Holcim die SAT nicht als Verhandlungspartner und schliesse sie von den Verhandlungen aus.
Das Fass zum Überlaufen gebracht habe jedoch die Tatsache, dass nun von 120 Beschäftigten vierzig von einem Tag auf den andern hinausgeworfen würden. Vordringlich sei deshalb, unabhängig davon, wer sich an den Verhandlungstisch setzen dürfe und wer nicht, dass diese Kündigungen zurückgenommen würden. Es gehe nicht an, dass vierzig Arbeiter als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt würden. Wenn über die Zukunft des Werks verhandelt werde, dann für alle: Entweder würden alle hinausgeworfen oder niemand. Falls Holcim nicht bereit sei, auf die legitimen Forderungen der Arbeiter einzugehen, dann würden von nun an alle notwendigen Mittel ergriffen, um ihnen Nachachtung zu verschaffen. Dabei könne auch eine Radikalisierung des Konflikts nicht ausgeschlossen werden.
Anlässlich der Schülerdemonstration verlasen die Söhne und Töchter der Arbeiter von Holcim einen Brief an „los reyes magos“ , wie das Christkind in Spanien genannt wird: „…im Wissen, dass ihr tatsächlich Zauberer seid, möchten wir euch um die Erfüllung eines einzigen Wunsches bitten: Ihr sollt irgendwo in der Schweiz den entsprechenden Personen in Erinnerung rufen, wie wichtig es ist, in das Beste zu investieren, was es gibt: die Menschen selbst.“ Wenn es magische Kräfte gibt, welche die Verantwortlichen von Holcim zum Umdenken bewegen können, dann werden es der entschlossene Kampf der Arbeiter und der Bevölkerung von Torredonjimeno sein sowie die internationale Solidarität, die um diesen Kampf aufgebaut wird. – rth
Videodokumente auf youtube zum Widerstand gegen die Schliessung von Holcim Torredonjimeno:
Pressekonferenz des Betriebskomitees anlässlich der ausserordentlichen Gemeindeversammlung von Torredonjimeno: http://www.youtube.com/watch?v=8VnKOadkHIo&feature=related
Strassenkundgebung vom 15. November in Torredonjimeno: http://www.youtube.com/watch?v=wGgr90xH2Rk&feature=related
Schülerdemo vom 19. November gegen die Schliessung von Holcim: http://www.youtube.com/watch?v=kyUUQ4_umIE&feature=related
Pressekonferenz der Gewerkschaft SAT vom 18. Dezember: http://www.youtube.com/watch?v=VKClRyTbMYU&feature=channel
Arbeiter besetzen am 19. Dezember das Werk: http://www.youtube.com/watch?v=jHAXbBM2B2c&feature=channel
Internetseiten zum Widerstand gegen die Schliessung von Holcim Torredonjimeno:
Internetseite der Arbeiter von Torredonjimeno: http://www.noalcierredeholcim.com/
Blog „Nein zur Schliessung von Holcim Torredonjimeno“: http://noalcierredeholcimtorre.blogspot.com/
Internetseite der Gewerkschaft SAT: http://www.sindicatoandaluz.org/
Neben den angegebenen Videodokumenten stammen die Informationen aus verschiedenen Berichten spanischer Online-Zeitungen. Ausser einem Artikel auf Swissinfo.ch in spanischer Sprache haben die Schweizer Medien bisher mit keinem Wort über den Kampf gegen die Schliessung des Holcim-Werkes von Torredonjimeno berichtet. Nachfolgend alle für diesen Text verwendeten Quellen:
http://www.swissinfo.ch/ger/swissinfo.html?siteSect=105&sid=9959844&ty=ti
http://www.ideal.es/jaen/20081113/jaen/seismo-torredonjimeno-cerrojazo-holcim-20081113.html
http://www.elpais.com/articulo/andalucia/conjura/Torredonjimeno/elpepiespand/20081116elpand_3/Tes
http://fotomartos.blogspot.com/2008/11/apoyo-los-trabajadores-holcim.html
http://www.ideal.es/jaen/20081113/jaen/prejubilaciones-recolocaciones-otros-centros-20081113.html
http://www.swissinfo.ch/spa/swissinfo.html?siteSect=105&sid=10045469&ty=st
http://www.abc.es/historico-opinion/index.asp?ff=20081120&idn=911367655514
http://www.ideal.es/jaen/20081129/provincia/trabajadores-holcim-lamentan-empresa-20081129.html