Von: Sozialistische Tageszeitung / Für Stimme des Neuen Kolumbien
In Kolumbien wird der Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe Muñoz vom Juristenkollektiv José Alvear Restrepo rund um die Uhr von Leibwächtern und Freiwilligen der Internationalen Friedensbrigaden begleitet. Auch ein gepanzertes Fahrzeug ist obligatorisch, steht der 48-Jährige doch auf zahlreichen Todeslisten. Während eines Deutschland-Aufenthalts sprach Knut Henkel mit dem Träger des Martin-Ennals-Preises für Menschenrechte.
ND: Am Internationalen Tag der Menschenrechte hatte sich Kolumbien vor dem UN-Menschenrechtsrat für seine Menschenrechtspolitik zu verantworten. Welche Bedeutung hat diese Anhörung?
Alirio Uribe Munoz: Für uns Menschenrechtsverteidiger ist die Überprüfung der Situation in Kolumbien ausgesprochen wichtig. Darauf arbeiten wir gemeinsam mit anderen Organisationen hin. Wir verfassen Studien, erstellen Dokumentationen über Menschenrechtsverbrechen und hoffen, dass internationale Organisationen und Regierungen auf die Situation in unserem Land aufmerksam werden und nachfragen.
Die Regierung in Bogotá behauptet, es gebe Fortschritte bei der Wahrung der Menschenrechte. Ist das richtig?
Allein unter der Regierung von Alvaro Uribe Vélez wurden 480 Gewerkschaftsfunktionäre ermordet. Sie gehören zu den mehr als 13 000 Zivilisten, die in diesen sechs Jahren getötet wurden. Kolumbien wird von sozialen Konflikten geprägt, die allzu oft mit der Waffe ausgetragen werden. Die Situation ist mit Blick auf die Menschenrechte prekär. Das gravierendste Problem ist das der Vertriebenen. Allein in diesem Jahr werden, so schätzen Experten, rund 500 000 Menschen von ihrem Land, aus ihrem Haus, ihrer Stadt vertrieben werden. Jeden Tag begeben sich rund 1500 Menschen auf die Flucht, weil sie um ihr Leben fürchten. Insgesamt beläuft sich die Zahl der durch den Bürgerkrieg Vertriebenen auf rund vier Millionen Menschen – etwa zehn Prozent der Bevölkerung.
Wer steckt hinter solchen Vertreibungen?
Studien zufolge sind die Paramilitärs für rund 60 Prozent der Vertreibungen verantwortlich, 10 Prozent werden den Streitkräften Zugeschrieben, die oft unter einer Decke mit den Paramilitärs stecken. Für 30 Prozent der Vertreibungen wird die Guerilla, FARC und ELN, verantwortlich gemacht.
In Europa wird der Konflikt in Kolumbien selten als Bürgerkrieg wahrgenommen. Es wird oft auf den Drogenhandel im Hintergrund verwiesen …
Ja, es hat manchmal den Anschein, als würden sich da Verrückte bekriegen. Wir haben es aber in Kolumbien nicht mit einem Drogenkrieg zu tun. Das belegt zum Beispiel die Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof derzeit gegen 62 Abgeordnete der Partei des Präsidenten wegen ihrer Verbindungen zu den Paramilitärs ermittelt, 40 sitzen im Gefängnis. Wir haben schon vor Jahren auf diese Verbindungen hingewiesen, die sich für die Betroffenen politisch und ökonomisch ausgezahlt haben.
Auch gegen Mario Uribe, einen Cousin des Präsidenten, wird ermittelt. Selbst Minister mussten zurücktreten. Hat das der Regierung geschadet?
Sie hat an Ansehen verloren – aber nicht so stark, wie man das hätte erwarten können. Die Regierung hat zudem die Ermittlungen nicht unterstützt, sondern den Obersten Gerichtshof angegriffen. Selbst der Präsident persönlich hat die Richter attackiert. Ihnen wurden Korruption und Verbindungen zu Drogenbaronen vorgeworfen. Darüber hinaus verschwanden Dokumente und Informationen, vor den Häusern ermittelnder Richter tauchten verdächtige Personen auf, Drohbriefe wurden gefunden …
Als erschwerend für die Ermittler wirkte sich auch die Auslieferung einiger ranghoher Paramilitärs wegen Drogenhandels in die USA aus. Sie stehen den Richtern nicht mehr zur Aufklärung der Verbrechen in Kolumbien zur Verfügung. Ich meine, dass die Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen Vorrang vor der Ahndung von Drogendelikten haben sollte.
Täuscht der Eindruck oder fehlt es tatsächlich an politischem Willen, Menschenrechtsverbrechen zu ahnden?
Tatsächlich werden Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien nur selten geahndet. So haben wir Menschenrechtsanwälte zwar Informationen, dass viele Politiker, gegen die der Oberste Gerichtshof ermittelt, Morde an Oppositionellen in Auftrag gegeben haben. Gleichwohl sind wir von der strafrechtlichen Verfolgung noch ein gutes Stück entfernt. Immerhin ist das Ausmaß der Kooperation zwischen Politik und Paramilitärs nun deutlich bekannter. Das ist ein Verdienst der Presse und vielleicht ein neuer Anfang.