Kurznachrichten – 30.01.2009: Häuserabrisse in Istanbul/Hrant Dink-Prozess/erneuter Folterfall im F-Typ Gefängnis/Protest in Wien für Nurhan-Cengiz-Ahmet


HÄUSERABRISSE IN ISTANBUL

Am 27. Januar wurden im Stadtteil Filistin (übersetzt: Palästina) in Istanbul 6 Häuser abgerissen.

Die Volksfront („Halk Cepehsi“) hielt am vergangenen Mittwoch, den 28. Januar eine Demonstration ab, mit der sie gegen diese Maßnahmen protestierte.

Im Aufruf hieß es: „Am 27. Januar ist es zu einem weiteren Abriss-Angriff in der Filistin Wohngegend gekommen, in dem vorwiegend finanziell schwache Menschen leben, die dorthin aus diversen Gründen zur Migration gezwungen wurden.

Es wurden 6 Häuser abgerissen. Die AKP-Regierung, die die Arbeit und die Häuser von 6 armen Familien zerstörte, welche ihre grundlegenden Wohnbedürfnisse zu lösen suchten, machte damit deutlich, dass sie ihre Abreißpläne nach den Wahlen fortsetzen wird.

Wir laden die Bevölkerung zu einer Presseerklärung ein, die das Ziel anstrebt, die Politik der AKP, die sich am Elend der Bevölkerung bereichert zu enttarnen, und diese Politik zu verhindern.“

Nach ZeugInnenaussagen wurde eine Frau von Mobilen Eingreiftruppen der Polizei verprügelt, während ihr Haus niedergerissen wurde.

Am 28. Januar hielt die Volksfront gemeinsam mit den betroffenen Menschen des Stadtteils Filistin eine Demonstration ab. Vor dem Abmarsch um 19.15 Uhr wurde über Megaphon gerufen: „Gestern haben sie hier 6 Häuser über unserem Kopf weggerissen. Morgen werden sie wieder kommen und unsere Häuser abreißen. Wir müssen jetzt anfangen, unser Viertel zu verteidigen“.

Bei dem Protestmarsch wurden Fackeln angezündet und ein Transparent mit der Aufschrift: „Unsere Kraft gegen die Abrisse ist unsere Einheit“ getragen. Die Menschenmenge rief fortwährend die Parolen: „Unser Recht auf Unterkunft kann nicht verhindert werden!“, „Wir sind das Volk, wir sind im Recht und wir werden siegen!“ und „Wir werden die Villen derer niederreißen, die unsere Häuser zerstören!“.

Während der Demonstration wurden die BewohnerInnen des Stadtteils zum gemeinsamen Widerstand aufgerufen, um so den Abriss der Häuser zu verhindern. Neben einer Moschee im Viertel wurde anschließend eine Presseerklärung verlesen. Die Protestaktion, an der sich rund 70 Personen beteiligten endete um 20.15 Uhr.

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HRANT-DINK PROZESS

Der Verein für Rechte in Trabzon veröffentlichte am 27. Januar eine Erklärung zum Fall des ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink. Die Erklärung setzt sich mit dem aktuellen Stand im Prozess gegen die Mörder Hrant Dinks zusammen.

Hier die Übersetzung der Erklärung:

„DER PUNKT, DER IM PROZESS VON HRANT DINK ERREICHT WURDE, ENTHÜLLT DIE VERANTWORLICHEN DIESES MORDES

Ein bewaffneter Jugendlicher kommt von Trabzon nach Istanbul. Der Kalender schreibt 19. Januar 2007. Der verantwortliche Redakteur der Zeitung Agos, Hrant Dink, wird vor seinem Zeitungsbüro ermordet. Dieser Mord wird seitens der bürgerlichen Presse und der Fernsehkanäle mitverfolgt. Dieser Jugendliche ist 17 Jahre alt und weiß eigentlich nicht, wen und weshalb er ihn tötet. Obwohl er sich, wie die meisten Jugendlichen in Anatolien lediglich zu seinem Heimatland hingezogen fühlt, ist er mit chauvinistischen Gefühlen und Gedanken beschmutzt worden. Er wurde zu einem blutigen Schützen. Genauso, wie es Menschen gibt, die gegen den Mörder von Hrant Dink Zorn verspüren, gab es Personen, die ihn als Helden bezeichneten. Es waren jene, die sich in Polizeipräsidien vor einer türkischen Fahne mit ihm fotografieren ließen. Sie sind es, die solche Personen ermutigen, indem sie sie als „Helden“ bezeichnen. Und sie sind Beamte des Staates. In ihren Augen ist die Voraussetzung für einen „Patrioten“, Türke zu sein und keine Politik des Staates zu kritisieren.

Wenn ein Armenier, der sein Land liebt die Politik des Staates kritisiert, dann hat er den Tod verdient. In diesem Land hat es tödliche Folgen, wenn eine Politik angestrebt wird, die sich gegen die Herrschenden richtet. Und dieser Tod wird direkt vom Staat organisiert. Der Mord an Hrant Dink ist ein deutliches Beispiel dafür. Auch der Prozess im Fall Hrant Dink ist eine Fortsetzung dieser „Kontra“-Organisierung. Auch das maßlose Verhalten der Angeklagten Erhan Tuncel und Yasin Hayal im Hrant Dink-Prozess vom 26. Januar 2009 ist ein eindeutiger Beweis dafür. Yasin Hayal verpasste dem Agenten des Militärgeheimdienstes JITEM, Erhan Tuncel, einen Faustschlag mit den Worten „Du bekommst das Geld und ich muss mich mit den Problemen herumschlagen“. An dieser Aussage hat sich ganz deutlich gezeigt, mit welchen Versprechen jene betrogen wurden, die angeblich für das Vaterland zur Waffe greifen. Diese „patriotischen“ Jugendlichen rebellieren mit den Worten „Unser Leben wurde ruiniert, wir werden 2 Jahre einsitzen“, „Ich bin kein Agent des Staates. Ich bin nur eine Person, die eine zeitlang von der Polizei in Trabzon benutzt wurde“.

Dieses Szenario, das sich im Gerichtssaal abspielte zeigt Folgendes: „Der Staat versucht sich nach Ausführung einer Kontra-Aktivität der Verantwortung dieses Mordes zu entziehen, indem er die Schuld auf einige Personen, die er benutzt hat, abwälzt. Der Verantwortliche für diesen Mord ist der Staat. Wenn diese Sache nicht auf diese Weise kommentiert wird, bedeutet das nichts anderes, als die Öffentlichkeit in die
Irre zu führen.“


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FORDERUNG ZUR FREILASSUNG VON TEKIN TANGÜN UND AYSUN AKDAG


In einer Aktion der Volksfront in Istanbul/Besiktas wurde auf einen Prozess hingewiesen, in dem der ehemalige TAYAD-Vorsitzende Tekin Tangün und Aysun Akdag unter dem Vorwand eines Angriffs auf eine Mc Donalds Filiale angeklagt werden und der am 27. Januar im Gericht für Schwere Strafsachen eröffnet wurde.

In der, bei der Aktion verlesenen Erklärung hieß es: „Wir kämpfen für Unabhängigkeit und Demokratie. Denn unser Land ist weder unabhängig noch demokratisch. Über jede Politik, ob auf politischer oder militärischer Ebene, entscheiden die imperialistischen Staaten, ihre ansässigen Kollaborateure und internationale Institutionen. Deshalb gibt es in unserem Land Revolutionäre, die für Unabhängigkeit und Demokratie kämpfen und dafür einen Preis zahlen. Dieser Preis bedeutet manchmal Gefangenschaft, manchmal auch Tod. Tekin Tangün und Aysun Akdag sind ebenfalls Revolutionäre, die sich für die Unabhängigkeit und Demokratie in unserem Land einsetzen. Sie beide sind Gefangene und wurden in F-Typ Isolationsgefängnisse gesperrt. In ihrer Anklage wird eine erschwerte, lebenslängliche Haft gefordert. Noch während sich Tekin und Aysun im Polizeigewahrsam befanden, wurden sie von den Medien, Zeitungen und Fernsehsendern für schuldig erklärt – also noch bevor sie vor Gericht gestellt wurden. … Sie sind Menschen, die einen gerechten und legitimen Kampf führen und sie sind nicht schuldig. Schuldig sind jene, die diese Tyrannei, Armut und Degeneration schaffen. Es sind jene, die Menschen foltern und ermorden, jene, die unser Land plündern und unsere Arbeitskraft ausbeuten. Sie sind es, die vor Gericht gestellt und bestraft werden sollten.“

Bei der Protestaktion wurde die sofortige Freilassung der beiden Verhafteten gefordert. Nach der Erklärung begaben sich die Mitglieder der Volksfront in den Gerichtssaal, um dem Prozess beizuwohnen. Bei der Verhandlung wurden Aussagen von Polizisten aufgenommen. Das Gericht beschloss unterdessen die Fortdauer der Haft für Tekin Tangün und Aysun Akdag. Der Prozess wurde auf 30. April vertagt.

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RECHTSBÜRO DES VOLKES („Halkin Hukuk Bürosu) ENTHÜLLT WEITEREN FOLTERFALL IN F-TYP GEFÄNGNISSEN

In einer Erklärung vom 26. Januar beschreibt das Anwaltsbüro die Folter am politischen Gefangenen Kemal Avci:

DIE RECHTSWIDRIGKEIT UND FOLTER IN DEN F-TYP GEFÄNGNISSEN DAUERT AN. … DIESMAL LAUTET DIE FOLTERADRESSE EDIRNE F-TYP GEFÄNGNIS!

In den vergangenen Monaten ereignete sich ein Vorfall, der in der gesamten Türkei bekannt wurde. Engin CEBER hatte im Metris Gefängnis infolge tagelanger Folter sein Leben verloren. Obwohl seither kaum 3 Monate vergangen sind und dieser Fall großes Aufsehen erregte, werden wir täglich mit neuen Folterberichten konfrontiert. Diesmal lautet die Folteradresse Edirne F-Typ Gefängnis. Das Opfer ist Kemal AVCI.
Uns erreichte heute folgendes Fax von einem Zelleninsassen unseres Mandanten Kemal Avci: ‚Er wurde am 20.01.2009 aufgrund einer Vernehmung zur Staatsanwaltschaft in Edirne gebracht. Bei der Rückfahrt wurde abgesehen von der üblichen Durchsuchungsprozedur von ihm verlangt, den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. Nachdem er sich geweigert hatte, wurde er mit blutverschmiertem Mund, ohne Hose und fast ohnmächtig in seine Zelle gebracht. Er wurde anschließend keinerlei ärztlicher Kontrolle unterzogen.

Nach diesem Vorfall erstatteten unser Mandant und seine Mitgefangenen eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft von Edirne. Aber trotz der Dringlichkeit der Situation und der bestehenden Gefahr, dass die Folterspuren verschwinden könnten, hat die Staatsanwaltschaft bislang keine Schritte unternommen. Ein Antrag beim Justizministerium blieb ebenfalls unbeantwortet.

Ihr redet von „Null-Toleranz“ gegenüber Folter? Ihr sprecht von Einzelfällen? Ihr entschuldigt Euch? Wie viele  Menschen müssen noch gefoltert werden und sterben, bis ihr euch entschuldigt und ein Ermittlungsverfahren einleitet?

Erst vor wenigen Wochen haben wir eine Erklärung im Zusammenhang mit dem Angriff auf Ileri Kizilaltun und Burak Demirci veröffentlicht. Ganz zu schweigen davon, dass wir keine Antwort erhielten, haben sich diese Angriffe wiederholt. Aus den Gefängnissen dringen Stimmen der Folter, der Willkür und Rechtswidrigkeit. Wir können diese Stimmen nicht ignorieren. Genauso beharrlich wie die Gefängnisleitungen und die Regierung im Bezug auf die Folter sind, leisten wir Widerstand gegen die Willkür und enthüllen sie.

Es können für diese Angriffe nicht nur einzelne Vollzugsbeamte und der Gefängnisdirektor verantwortlich gemacht werden. Die Verantwortung tragen auch die Staatsanwälte, Richter, das Justizministerium und die Regierung, die die Folter zulassen, die Grundlage dafür schaffen, sie nicht anklagen, nicht nachrecherchieren, nicht zuhören und nicht bestrafen.

Folter ist ein Verbrechen an der Menschheit. Hört mit diesem Verbrechen auf!“

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SOLIDARITÄTSAKTION MIT DEN GEFANGENEN NURHAN, CENGIZ UND AHMET

Am 5. November 2007 wurden drei AktivistInnen der Anatolischen Föderation von deutschen Polizisten festgenommen. Nurhan ERDEM, Ahmet ISTANBULLU und Cengiz OBAN befinden sich seit drei Monaten in strenger Isolationshaft. Das große Vergehen dieser Menschen war es, für Rechte und Freiheiten gegen Faschismus und Imperialismus zu kämpfen.

Die Initiative „Freiheitskomitee“ hielt aus Protest gegen diese Festnahmen heute Freitag (30.01.2009) eine Kundgebung vor der deutschen Botschaft
in Wien ab. Der Protest dauerte von 14.00-14.30 Uhr. Neben Mitgliedern der Anatolischen Föderation  Österreich wurde die Aktion auch von der Kommunistischen Initiative (KI) unterstützt. Auf einem vor Ort geöffneten Transparent hieß es „Freiheit für Cengiz, Nurhan und Ahmet“. Per Megaphon und mittels Flugblättern wurde über die rechtswidrige Verhaftung der Mitglieder der Anatolischen Föderation informiert. Im Zuge der Protestaktion begab sich ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft zur Protestmenge, wo es zu einem kurzen Gespräch mit einer Sprecherin der Initiative kam. Der Botschaftsvertreter wurde darüber aufgeklärt, dass die Anatolische Föderation seit vielen Jahren in Deutschland legal arbeitet und sich keinerlei Schulden zu Lasten kommen hat lassen. Überdies wurde auf die langjährige Beziehung zwischen dem deutschen Staat und dem Regime in der Türkei Stellung genommen, wobei dem Diplomaten nahegelegt wurde: „Wir hoffen, dass für Deutschland in Zukunft menschliche Interessen den wirtschaftlichen Interessen vorgehen und die Beziehungen mit dem Folterregime in der Türkei abgebrochen wird, bzw. dass er für diese Vergehen getadelt wird. Die drei rechtswidrig verhafteten und massiven Isolationsbedingungen ausgesetzten Menschen, müssen freigelassen werden. Wir werden unsere Aktionen solange fortsetzen, bis unsere Forderung zu ihrer Freilassung akzeptiert und das rechtswidrige Verfahren gegen sie eingestellt wird“. Der Botschaftsvertreter bekräftigte, dass er die Nachricht übermitteln werde.

Folgender Link beinhaltet eine Erklärung des Freiheitskomitees zu den Verhaftungen in Deutschland (mit Fotos der inhaftierten Vereinsmitglieder)

http://www.no129.info/material/erklaerung.pdf

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