Conti: Weiteres Werk besetzt

Die Belegschaft der Continental Clairoix besetzt das Werk in Sarreguemines und versucht so, den Kampf auszuweiten. Der Kampf der Contis geht weiter

Werksbesetzung in Sarreguemines

Eigentlich wollten die Continental-Arbeiter aus dem nordfranzösischen Clairoix an jenem Tag nach Aachen fahren, um vor dem deutschen Reifenwerk gegen die Schliessungspläne des multinationalen Konzerns zu protestieren. Eine solche Absicht hatten sie jedenfalls zuvor geäussert. Die Folge war, dass vor dem Aachener Werk ein riesiges Polizeiaufgebaut auf sie wartete: Mit mindestens 20 Fahrzeugen waren die Ordnungskräfte aufgefahren, vor dem vollständig abgeriegelten Parkplatz patrouillierte berittene Polizei, in Spezialwagen kläfften mehrere Hunde, vor dem Werkstor stand die Betriebsfeuerwehr bereit, ausserdem zur Überwachung jede Menge Beamte in Zivil. Ein eigentliches Heer der bürgerlichen Staatsmacht war ausgerückt, um den Arbeiterprotest niederzuschlagen. Denn was sich seit einigen Wochen und Monaten in Frankreich abspielt, das soll in Deutschland sogleich im Keim erstickt werden. Die wackeren Hüter von Ruhe und Ordnung waren gut vorbereitet und warteten mehrere Stunden lang auf die kämpferischen Arbeiter aus Clairoix. Doch sie warteten vergebens, die Contis kamen nicht. Wo waren sie bloss geblieben?

„Wir haben gezeigt, dass wir gehen können, wohin es uns beliebt“, hat Xavier Mathieu, der Wortführer der Contis, am 23. April an der Demonstration in Hannover angekündigt. Am Mittwoch, 6. Mai machen sich frühmorgens dreihundert bis vierhundert Arbeiter aus Clairoix mit 60 Autos auf den Weg. Während in Aachen noch immer eine ganze Armee von Polizeikräften auf sie wartet, sind sie längst im französischen Continental-Werk von Sarreguemines (Saargemünd) eingetroffen, unweit der deutschen Grenze zum Saarland. Die deutschen Kollegen hätten die Protestkundgebung vor dem Werk in Aachen abgesagt, deshalb habe man umdisponieren müssen, lassen die französischen Contis verlauten… Sie knacken sogleich die Schlösser der Werkstore, und mit dem Schlachtruf: „On est chez nous“ (Wir sind bei uns) und „Continental Solidarité“, stürmen sie das Betriebsgelände. Einige der dort Beschäftigten verlassen die Hallen und gesellen sich zu ihren kämpferischen Kollegen aus Clairoix. „Ihr seid die nächsten, die entlassen werden, schliesst euch unserem Kampf an!“, ruft ihnen Xavier Mathieu zu. Es habe keinerlei Absprache gegeben, sie seien einfach unangekündigt gekommen, beklagt sich demgegenüber der Delegierte der gemässigten Gewerkschaft CFDT und meint: „Wir müssen nachdenken.“

Nachdenken muss auch Philippe Gustin, der Staatssekretär für Industrie, nachdem ihn die Forderung der Contis nach einem Dreiergespräch zwischen Belegschaft, deutscher Konzernspitze und dem französischen Staat erreicht hat. Eine Antwort werde am Nachmittag oder am Donnerstag erfolgen. Solange wollen die Contis aus Clairoix im lothringischen Schwesterwerk bleiben. Bis kein genaues Datum feststünde, verkündet Xavier Mathieu, bleibe das Werk besetzt, notfalls auch während Tagen. Zelte und Schlafsäcke haben die Contis nämlich bereits vorsorglich mitgebracht. In den Nebenstrassen vor dem Werk sind die Einsatzfahrzeuge und Mannschaftswagen der nationalen Polizei CRS geparkt. Hinter dem geschlossenen Tor der Werkseinfahrt brennt ein grosser Stapel Reifen und strahlt bis zehn Meter Entfernung sengende Hitze aus. Eine dicke, schwarze Rauchfahne, die vom Continental-Werk aufsteigt und vom lebhaften Wind nach Osten getragen wird, macht klar: „Dieses Werk ist besetzt.“

Seit der angekündigten Schliessung des Reifenwerks im nordfranzösischen Clairoix mit 1100 Beschäftigten sind die Conti-Arbeiter zum Inbegriff eines harten Widerstandes gegen Betriebsschliessungen geworden. Die französische Regierung versucht derzeit, einen Käufer für das Werk zu finden und führt Gespräche mit dem arabischen Investor MAG, der offenbar seit Jahren auf der Suche nach einem Reifenhersteller ist und vor einigen Tagen den Betrieb in Clairoix besichtigt hat. Obwohl Continental erklärt hat, der Weg für mögliche Verhandlungen mit MAG stünde offen, und sogar „technische Unterstützung“ in Aussicht gestellt hat, machen sich die Contis keine Hoffnung auf eine Übernahme durch den Investor aus Dubai. Denn MAG will die Produktion vor Ort weiterführen, was den Plänen des Reifenmultis zuwiderlaufe, der – wie eine französische Zeitung schreibt – „im Rahmen der Automobilkrise die globale Reifenproduktion reduzieren“ will, so als wäre für den Bedarf an Reifen hauptsächlich die Anzahl neu produzierter Fahrzeuge und nicht die auf den Strassen gefahrenen Kilometer massgebend.

Auf einem bedruckten T-Shirt der Contis steht: „Continental Patrons voyoux“ – Continental Besitzer Halunken!. Zuerst hat der Reifenkonzern selber mit neuen, moderneren Werken – beispielsweise in Rumänien – Überkapazitäten geschaffen, und dann diese dazu benützt, einen „Standortwettbewerb“ zu veranstalten, um die Arbeiter gegeneinander auszuspielen. Mit einer Standortgarantie bis ins Jahr 2012 wurden die Arbeiter von Clairoix vor zwei Jahren dazu gebracht, für den gleichen Lohn länger zu arbeiten. Inzwischen gibt es zu viele Reifen und Continental beginnt, jene Werke zu schliessen, die weniger Gewinn abwerfen, angefangen mit den 1100 Beschäftigten in Clairoix. „Man muss aufhören, die Leute zu verarschen!“, erklärte Xavier Mathieu im französischen Fernsehen, nachdem ein Gericht sich auf die Seite der „Patrons voyoux“, der Besitzer Halunken von Continental, gestellt hatte und die Arbeiter darauf als wütende Reaktion eine Präfektur verwüstet hatten.

Der Aachener Betriebsratsvorsitzende von Continental, der auch Vorsitzender des europäischen Konzernbetriebsrates ist, wird in der Presse zitiert, er wolle in der durch die Betriebsbesetzung in Sarreguemines angespannten Lage keine Gespräche mit den Besetzern führen: «So etwas sind wir nicht gewohnt.» Es wird Zeit, dass die Betriebsräte in den deutschen Conti-Werken aus ihrem Schlaf der Gerechten erwachen! Gewählt wurden sie nämlich, damit sie die Interessen der Beschäftigten wahrnehmen und nicht jene der Besitzer. Solange Betriebsräte und Gewerkschaften sich die Logik der Unternehmer zu eigen machen, bleibt den von Entlassung bedrohten Arbeiterinnen und Arbeitern nur die Möglichkeit, ihre Interessen selbst an die Hand zu nehmen, und zwar genau so, wie es die französischen Contis vorgemacht haben.

In Hannover hat Xavier Mathieu auch den deutschen Kollegen zugerufen: „Die Stilllegung eines Betriebs ist kein Schicksal, das ist eine Wahl, eine menschenunwürdige und unannehmbare Wahl, die einen einzigen Grund hat, mehr Geld zu gewinnen. Wir können sie durch Kampf dazu zwingen, dass ihr Vorhaben scheitert, dass sie eine andere Wahl treffen, … Ausschlaggebend ist das Kräfteverhältnis zwischen ihnen und uns. (…) Wir haben nichts zu verlieren. Die Opfer, die dieser Kampf von uns fordern wird, sind nichts gegen die Opfer, die uns für den Rest unseres Lebens von unseren Bossen und ihren Handlangern, ihren offenen und versteckten Verbündeten aufgezwungen werden. (…) Sie wollten uns das Rückgrat brechen und wie die Schafe zur Schlachtbank führen. Aber nein, sie haben es mit kämpfenden Werktätigen zu tun, die ihrem Schicksal die Stirn bieten.“ Mögen diese klaren und deutlichen Worte alle aufrütteln, nicht nur die Contis in Deutschland und Frankreich, sondern alle Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Deutschland, in Frankreich, in der Schweiz, in Italien und allen andern Ländern von Entlassung und Betriebsschliessung betroffen sind! – rth

Verwendete Quellen:
–    http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5j406duKRC7Jm60aB0On8vlWeALYQ
–    http://www.lexpress.fr/actualites/2/continental-pret-a-negocier-avec-mag-sur-la-reprise-de-clairoix_758776.html
–    http://www.lepoint.fr/actualites-societe/2009-05-06/continental-des-salaries-de-clairoix-penetrent-par-la-force-dans-l-usine-de/920/0/340950
–    http://www.an-online.de/lokales/aachen-detail-an/891671?_link=&skip=&_g=Franzoesische-Conti-Kollegen-nicht-in-Rothe-Erde.html
–    http://www.az-web.de/lokales/aachen-detail-az/891678?_link=&skip=&_g=Grossaufgebot-vor-Conti-Werkstor-wartet-vergebens.html
–   http://www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/titelseite/lokalnews/Continental-Saargemuend-Sarreguemines-Proteste;art27857,2885761

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