Demo gegen Residenzpflicht in Sachsen-Anhalt

„Apartheid in Deutschland – Residenzpflicht abschaffen!“ hieß es, als in Sachsen-Anhalt am Dienstag Flüchtlinge und AntirassistInnen gegen die Residenzpflicht demonstrierten und gegen die Landkreisbestimmung im Saalekreis, die zehn Euro Gebührenzahlung von Flüchtlingen für einen „Urlaubsschein“, nur um Landkreis oder Bundesland zu verlassen, verlangt. Es wurde zunächst in Halle/Saale vor dem Verwaltungsgericht demonstriert. Von hier ging es dann mit dem Bus weiter nach Merseburg zur Ausländerbehörde. In Merseburg gab es von Beginn an Schikanen durch Polizei und Ordnungsamt. Das zeigte, dass sich die Behörde von diesem friedlichen Flüchtlingsprotest empfindlich getroffen fühlte. Die teilnehmenden der Veranstaltung waren solidarisch, friedlich, selbstbewusst und voller Respekt für die erschütternden Berichte aus dem Leben eines der Flüchtlinge, der während der Veranstaltungen seine stimme gegen Rassismus erhob und auch von dem eigenen erlebten erzählte. Es war trotz der Momente der Repression ein sehr guter gemeinsamer Tag, danke an alle UnterstützerInnen! Ein subjektiver unvollständiger Bericht.

Aufgerufen hatte zu der Demonstration die Initiative Togo Action Plus. Ein Aktivist aus dieser Initiative hatte in 2007 in Halle gegen die Gebührenauflage von 10 Euro geklagt, doch bis jetzt wurde die Klage nicht bearbeitet. Mit der Demo protestierten wir deshalb gegen die Gebühr und gegen die Verschleppung der klage beim Verwaltungsgericht. Zugleich wendeten sich die DemonstrantInnen auch grundsätzlich gegen das rassistische Gesetz der Residenzpflicht in Deutschland (§ 56 im Asylverfahrensgesetz), das Flüchtlinge zwingt, jedes Mal, wenn sie den Landkreis oder das Bundesland verlassen wollen, einen Antrag dafür bei der Ausländerbehörde zu stellen. Eine Auflage, die es in ganz Europa nur in Deutschland gibt, und die die Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge massiv einschränkt. Sie bekommen oftmals keinen „Urlaubsschein“, wenn sie Freunde oder Familie in einem anderen Landkreis besuchen wollen und werden gezwungen, in den Regionen der Flüchtlingslager zu bleiben, in den bewaldeten Gegenden oder in den Industriegebieten und Peripherien der Städte. Rassistische Polizeikontrollen auf der Straße sind zudem mit der Residenzpflicht eine alltägliche Praxis – Apartheid in Deutschland, während PolitikerInnen und Promis das deutsche Grundgesetz feiern und uns die Ohren vollsülzen von der vermeintlichen Demokratie, in der wir leben.

Etwa 70 TeilnehmerInnen gingen am Dienstag in Halle/Saale auf die Straße, später in Merseburg 50-60, dabei UnterstützerInnen von der Flüchtlingsorganisation The Voice, von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und solidarische Einzelpersonen. Mit Sprechchören: „Residenzpflicht – abschaffen! Lager abschaffen!“ und Redebeiträgen ging es in Halle vom Bahnhof die Merseburger Straße entlang – nur die halbe Fahrbahn wurde uns von den grünen zugebilligt! – bis zum Verwaltungsgericht. Nebenbei wurde das eine und andere Npd-Plakat entsorgt. Vor dem Verwaltungsgericht hielten wir eine Kundgebung ab.

Komi E., Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus, Flüchtling in Deutschland, konfrontierte die Öffentlichkeit mit seinem Bericht vom erlebten Unrecht – rassistischem Alltag mit Beschimpfungen, Gewalterfahrung, Nazi-Angriffen, ständigen Polizeikontrollen, dem jahrelangen Verbannt-sein in eine menschenunwürdige Behausung. „Das ist unerträglich! – es gibt kein Menschenrecht in Deutschland!“ „Ich musste im Wohnheim mit Kakerlaken wohnen, schlafen!“, „Sie wollen uns nur kontrollieren, wir sind immer das Objekt für Polizeikontrollen!“ „Wenn wir uns im Land bewegen wollen, verlangen sie noch zehn Euro Gebühr!“ Immer wieder die Frage: „Warum?“ und: „Ist das Menschenrecht?“

So mussten sich einmal die PassantInnen und die BeamtInnen, die im Justizzentrum Halle ein und aus gingen oder aus dem Fenster sahen, eine echte Stimme anhören, die anklagte, überströmte von Erfahrungen, die hastete und fragte – eine Kehrseite zu ihren Paragraphen und zu den monotonen lebensfernen reden aus den Medien. Ein Mensch muss schreien, wenn die, die Antwort geben sollen, so weit weg sind. Ich werde diese Veranstaltung nie vergessen.

Komi E. erinnerte auch an die kolonialistische Entsprechung zur heutigen Residenzpflicht- schon in den deutschen Kolonien verboten die Besatzer die freie Bewegung der Bevölkerung. Auch verstoße die heutige Residenzpflicht gegen die Konvention der Menschenrechte und gegen Art. 3.3 des Grundgesetzes, das die Diskriminierung aufgrund Rasse, Herkunft…untersagt. Komi E. hatte die Klage gegen die Gebührenzahlung beim Gericht erhoben. Er forderte im Namen der Togo Action Plus die Abschaffung der Gebühr für den „Urlaubsschein“ und die Abschaffung der Residenzpflicht.

Es wurde außerdem in weiteren Redebeiträgen an den Flüchtling Felix Otto in Thüringen erinnert, der nun in im Gefängnis sitzt, und zu acht Monaten Haft verurteilt worden war – wegen Residenzpflichtverstößen. Die TeilnehmerInnen der Kundgebung forderten seine sofortige Freilassung.

Ein weiterer Aktivist berichtete von der Situation der Flüchtlinge im Lager Möhlau, Saalekreis, einem Lager im Wald, in dem sie abgeschottet von der Gesellschaft leben müssen. Die Flüchtlinge erhalten hier so gut wie nie „Urlaubsscheine“ von der Behörde. Auch die Wohnsituation (ehemaliges NVA-Gebäude, völlig marode) und die medizinische Versorgung sind äußerst desolat. Die BewohnerInnen beschreiben ihre Situation in dem heim auch als „Kasernierung“. Bei Krankheit dauert es drei tage, bis die BewohnerInnen einen Krankenschein erhalten. Ein anderer Redebeitrag der Kundgebung wendete sich gegen die Feierlaune in diesen Tagen, da das 60-jährige Bestehen des Grundgesetzes zum Anlass für partielles und nationalistische Töne genommen wird.

Sprecher der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh prangerten die rassistische Polizeigewalt in Deutschland an, die eine tägliche Bedrohung für Flüchtlinge darstellt. Sie erinnerten daran, dass auch Oury Jalloh aufgrund der Residenzpflicht kontrolliert und zum opfer rassistischer Polizeigewalt wurde. OURY JALLOH- DAS WAR MORD!

In Merseburg wollten die DemonstrantInnen vom Bahnhof aus vor die Landkreis-Ausländerbehörde ziehen – eine angemeldete Demonstration. Doch am Bahnhof angekommen, ging es los mit Einschüchterungsversuchen der Behörden. Bemerkenswert ist z. B. das gemeinsame Auftreten von Vertreterinnen des Ordnungsamtes mit der Polizei. Zwei oder drei Ordnungsamt-SprecherInnen traten zusammen mit mehreren PolizistInnen an die VeranstalterInnen heran. Zunächst wurde die Position des Lauti-Wagens (der zur Abfahrt für die Demo bereitstand) zu einem Problem erklärt, dann forderten Ordnungsamtssprecherinnen, dass eine mehrseitige „Ordnungsauflage“ gelesen und der erhalt durch den Flüchtling Komi E., der nicht Anmelder der demo gewesen war, schriftlich unterzeichnet wurde.

Kurios war u. a. eine Klausel in dem betreffenden Papier, bei der sich das Ordnungsamt im verlauf der Demo „weitere Auflagen“ „aufgrund von Gefahr für leben oder Gesundheit(…) vorbehält“. Offenbar wurde angesichts dieser Flüchtlingsdemonstration schrecklichen Bedrohungen ins Auge gesehen… diese erhielt somit gleich einen Stempel von Ausnahmecharakter, mensch könnte auch sagen: eine Stigmatisierung (so mein persönlicher Eindruck). Das betreffende Amt verlangte außerdem: dass die DemonstrantInnen auf dem Fußweg gehen, dass die Demo-Ordner ihre Personalien hergeben, und etliche Absurditäten mehr. Das lehnten wir ab, und wir verfassten vor Ort einen schriftlichen Widerspruch. Es wurde von Komi E. nur der Erhalt des Schriftstücks schriftlich bestätigt. Danach gingen wir los. Team Green filmte eifrig, so wurde aus einem Kameraauto heraus gefilmt. Auch ein mysteriöser Kameramann, der sich für einen MDR-Menschen ausgab, aber ganz offensichtlich keiner war, filmte die ganze Zeit über und hielt immer wieder vertrauliche Gespräche mit den PolizistInnen. Auch eine Frau vom Ordnungsamt richtete einen Foto- oder Filmapparat dreist aus nächster Nähe auf die DemonstrantInnen.

Auf dem Domplatz vor der Ausländerbehörde hielten wir eine weitere Kundgebung ab, forderten die Abschaffung der Residenzpflicht und wandten uns gegen den Behördenrassismus in Deutschland. Komi E. berichtete außerdem, dass diese Ausländerbehörde ihn seit dem Beginn seiner Faxkampagne gegen die Residenzpflicht (Faxschreiben an diese betreffende Ausländerbehörde, die die Abschaffung der gebühr von 10 Euro fordern) im Mai dieses Jahres einzuschüchtern versuchte: So hatte er wenige Tage nach Beginn der Kampagne ein Schreiben der Ausländerbehörde erhalten, in dem sie eine hohe Zahlung „wegen Passbeschaffungsgebühren“ verlangte also die kosten für eine frühere Botschaftsanhörung, die jetzt urplötzlich berechnet werden. Komi E. wurde vor Jahren zu dieser zwielichten Anhörung vorgeladen. Solche Kosten dürfen aber von der Behörde nicht erhoben werden, wie der Anwalt uns mitteilte. Ein deutlicher Fall von Einschüchterung.
Die Veranstaltung verlief in friedlich angeregter Stimmung, mensch ruhte sich auf dem Boden sitzend in der zaghaften Sonne aus, es wurde getanzt und es war schön, an diesem Ort die Reggae-Klänge von der Musik von „The Most Wanted“ anzuhören: „Wie lange noch muss ich leiden – wie lange noch willst du schweigen?“

Stressig war nur das repressive Klima während der Veranstaltung, denn Polizei und Ordnungsamtswachteln fixierten uns die ganze Zeit über, und anstatt unsere angemeldete Veranstaltung zu schützen, stützten die BeamtInnen unmutige bis feindselige Bemerkungen mancher vorübergehender PassantInnen. Auch kam es später, als die Mehrzahl der DemonstrantInnen im Bus abgefahren war, am Bahnhof zur Verhängung eines „Ordnungsgeldes“ gegen einen Aktivisten der Oury-Jalloh-Gedenkinitiative, weil er einmal über die Bahngleise gesprungen wäre.
Doch war die Stimmung bei allen Teilnehmenden der Kundgebung friedlich, freundschaftlich und solidarisch, so dass von dieser Veranstaltung eine mutmachende Erinnerung verbleibt! Das ungute Klima in Merseburg zeigte uns nur, dass diese Stadt noch nicht optimal auf das Phänomen: „Flüchtlingsdemo in Sachsen-Anhalt“, und: „Demokratieverteidigung in Merseburg“ vorbereitet ist. Aller Anfang ist schwer. Es ist immerhin im tiefsten Sachsen-Anhalt, vergessen wir das nicht. Aber da können wir sicher weiterhelfen. Und damit sich die BeamtInnen und die Behörden besser an den Anblick demonstrierender Flüchtlinge gewöhnen, werden wir auch ganz bestimmt wiederkommen, versprochen! Abschaffung der Residenzpflicht jetzt! Gegen Behördenrassismus und Polizeigewalt! Bewegungsfreiheit ist Menschenrecht!

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Demo gegen Residenzpflicht in Sachsen-Anhalt

Luise 31.05.2009 23:54 Themen: Antifa Antirassismus Freiräume Soziale Kämpfe

„Apartheid in Deutschland – Residenzpflicht abschaffen!“ hieß es, als in Sachsen-Anhalt am Dienstag Flüchtlinge und AntirassistInnen gegen die Residenzpflicht demonstrierten und gegen die Landkreisbestimmung im Saalekreis, die zehn Euro Gebührenzahlung von Flüchtlingen für einen „Urlaubsschein“, nur um Landkreis oder Bundesland zu verlassen, verlangt. Es wurde zunächst in Halle/Saale vor dem Verwaltungsgericht demonstriert. Von hier ging es dann mit dem Bus weiter nach Merseburg zur Ausländerbehörde. In Merseburg gab es von Beginn an Schikanen durch Polizei und Ordnungsamt. Das zeigte, dass sich die Behörde von diesem friedlichen Flüchtlingsprotest empfindlich getroffen fühlte. Die teilnehmenden der Veranstaltung waren solidarisch, friedlich, selbstbewusst und voller Respekt für die erschütternden Berichte aus dem Leben eines der Flüchtlinge, der während der Veranstaltungen seine stimme gegen Rassismus erhob und auch von dem eigenen erlebten erzählte. Es war trotz der Momente der Repression ein sehr guter gemeinsamer Tag, danke an alle UnterstützerInnen! Ein subjektiver unvollständiger Bericht.

Aufgerufen hatte zu der Demonstration die Initiative Togo Action Plus. Ein Aktivist aus dieser Initiative hatte in 2007 in Halle gegen die Gebührenauflage von 10 Euro geklagt, doch bis jetzt wurde die Klage nicht bearbeitet. Mit der Demo protestierten wir deshalb gegen die Gebühr und gegen die Verschleppung der klage beim Verwaltungsgericht. Zugleich wendeten sich die DemonstrantInnen auch grundsätzlich gegen das rassistische Gesetz der Residenzpflicht in Deutschland (§ 56 im Asylverfahrensgesetz), das Flüchtlinge zwingt, jedes Mal, wenn sie den Landkreis oder das Bundesland verlassen wollen, einen Antrag dafür bei der Ausländerbehörde zu stellen. Eine Auflage, die es in ganz Europa nur in Deutschland gibt, und die die Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge massiv einschränkt. Sie bekommen oftmals keinen „Urlaubsschein“, wenn sie Freunde oder Familie in einem anderen Landkreis besuchen wollen und werden gezwungen, in den Regionen der Flüchtlingslager zu bleiben, in den bewaldeten Gegenden oder in den Industriegebieten und Peripherien der Städte. Rassistische Polizeikontrollen auf der Straße sind zudem mit der Residenzpflicht eine alltägliche Praxis – Apartheid in Deutschland, während PolitikerInnen und Promis das deutsche Grundgesetz feiern und uns die Ohren vollsülzen von der vermeintlichen Demokratie, in der wir leben.

Etwa 70 TeilnehmerInnen gingen am Dienstag in Halle/Saale auf die Straße, später in Merseburg 50-60, dabei UnterstützerInnen von der Flüchtlingsorganisation The Voice, von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und solidarische Einzelpersonen. Mit Sprechchören: „Residenzpflicht – abschaffen! Lager abschaffen!“ und Redebeiträgen ging es in Halle vom Bahnhof die Merseburger Straße entlang – nur die halbe Fahrbahn wurde uns von den grünen zugebilligt! – bis zum Verwaltungsgericht. Nebenbei wurde das eine und andere Npd-Plakat entsorgt. Vor dem Verwaltungsgericht hielten wir eine Kundgebung ab.

Komi E., Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus, Flüchtling in Deutschland, konfrontierte die Öffentlichkeit mit seinem Bericht vom erlebten Unrecht – rassistischem Alltag mit Beschimpfungen, Gewalterfahrung, Nazi-Angriffen, ständigen Polizeikontrollen, dem jahrelangen Verbannt-sein in eine menschenunwürdige Behausung. „Das ist unerträglich! – es gibt kein Menschenrecht in Deutschland!“ „Ich musste im Wohnheim mit Kakerlaken wohnen, schlafen!“, „Sie wollen uns nur kontrollieren, wir sind immer das Objekt für Polizeikontrollen!“ „Wenn wir uns im Land bewegen wollen, verlangen sie noch zehn Euro Gebühr!“ Immer wieder die Frage: „Warum?“ und: „Ist das Menschenrecht?“

So mussten sich einmal die PassantInnen und die BeamtInnen, die im Justizzentrum Halle ein und aus gingen oder aus dem Fenster sahen, eine echte Stimme anhören, die anklagte, überströmte von Erfahrungen, die hastete und fragte – eine Kehrseite zu ihren Paragraphen und zu den monotonen lebensfernen reden aus den Medien. Ein Mensch muss schreien, wenn die, die Antwort geben sollen, so weit weg sind. Ich werde diese Veranstaltung nie vergessen.

Komi E. erinnerte auch an die kolonialistische Entsprechung zur heutigen Residenzpflicht- schon in den deutschen Kolonien verboten die Besatzer die freie Bewegung der Bevölkerung. Auch verstoße die heutige Residenzpflicht gegen die Konvention der Menschenrechte und gegen Art. 3.3 des Grundgesetzes, das die Diskriminierung aufgrund Rasse, Herkunft…untersagt. Komi E. hatte die Klage gegen die Gebührenzahlung beim Gericht erhoben. Er forderte im Namen der Togo Action Plus die Abschaffung der Gebühr für den „Urlaubsschein“ und die Abschaffung der Residenzpflicht.

Es wurde außerdem in weiteren Redebeiträgen an den Flüchtling Felix Otto in Thüringen erinnert, der nun in im Gefängnis sitzt, und zu acht Monaten Haft verurteilt worden war – wegen Residenzpflichtverstößen. Die TeilnehmerInnen der Kundgebung forderten seine sofortige Freilassung.

Ein weiterer Aktivist berichtete von der Situation der Flüchtlinge im Lager Möhlau, Saalekreis, einem Lager im Wald, in dem sie abgeschottet von der Gesellschaft leben müssen. Die Flüchtlinge erhalten hier so gut wie nie „Urlaubsscheine“ von der Behörde. Auch die Wohnsituation (ehemaliges NVA-Gebäude, völlig marode) und die medizinische Versorgung sind äußerst desolat. Die BewohnerInnen beschreiben ihre Situation in dem heim auch als „Kasernierung“. Bei Krankheit dauert es drei tage, bis die BewohnerInnen einen Krankenschein erhalten. Ein anderer Redebeitrag der Kundgebung wendete sich gegen die Feierlaune in diesen Tagen, da das 60-jährige Bestehen des Grundgesetzes zum Anlass für partielles und nationalistische Töne genommen wird.

Sprecher der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh prangerten die rassistische Polizeigewalt in Deutschland an, die eine tägliche Bedrohung für Flüchtlinge darstellt. Sie erinnerten daran, dass auch Oury Jalloh aufgrund der Residenzpflicht kontrolliert und zum opfer rassistischer Polizeigewalt wurde. OURY JALLOH- DAS WAR MORD!

In Merseburg wollten die DemonstrantInnen vom Bahnhof aus vor die Landkreis-Ausländerbehörde ziehen – eine angemeldete Demonstration. Doch am Bahnhof angekommen, ging es los mit Einschüchterungsversuchen der Behörden. Bemerkenswert ist z. B. das gemeinsame Auftreten von Vertreterinnen des Ordnungsamtes mit der Polizei. Zwei oder drei Ordnungsamt-SprecherInnen traten zusammen mit mehreren PolizistInnen an die VeranstalterInnen heran. Zunächst wurde die Position des Lauti-Wagens (der zur Abfahrt für die Demo bereitstand) zu einem Problem erklärt, dann forderten Ordnungsamtssprecherinnen, dass eine mehrseitige „Ordnungsauflage“ gelesen und der erhalt durch den Flüchtling Komi E., der nicht Anmelder der demo gewesen war, schriftlich unterzeichnet wurde.

Kurios war u. a. eine Klausel in dem betreffenden Papier, bei der sich das Ordnungsamt im verlauf der Demo „weitere Auflagen“ „aufgrund von Gefahr für leben oder Gesundheit(…) vorbehält“. Offenbar wurde angesichts dieser Flüchtlingsdemonstration schrecklichen Bedrohungen ins Auge gesehen… diese erhielt somit gleich einen Stempel von Ausnahmecharakter, mensch könnte auch sagen: eine Stigmatisierung (so mein persönlicher Eindruck). Das betreffende Amt verlangte außerdem: dass die DemonstrantInnen auf dem Fußweg gehen, dass die Demo-Ordner ihre Personalien hergeben, und etliche Absurditäten mehr. Das lehnten wir ab, und wir verfassten vor Ort einen schriftlichen Widerspruch. Es wurde von Komi E. nur der Erhalt des Schriftstücks schriftlich bestätigt. Danach gingen wir los. Team Green filmte eifrig, so wurde aus einem Kameraauto heraus gefilmt. Auch ein mysteriöser Kameramann, der sich für einen MDR-Menschen ausgab, aber ganz offensichtlich keiner war, filmte die ganze Zeit über und hielt immer wieder vertrauliche Gespräche mit den PolizistInnen. Auch eine Frau vom Ordnungsamt richtete einen Foto- oder Filmapparat dreist aus nächster Nähe auf die DemonstrantInnen.

Auf dem Domplatz vor der Ausländerbehörde hielten wir eine weitere Kundgebung ab, forderten die Abschaffung der Residenzpflicht und wandten uns gegen den Behördenrassismus in Deutschland. Komi E. berichtete außerdem, dass diese Ausländerbehörde ihn seit dem Beginn seiner Faxkampagne gegen die Residenzpflicht (Faxschreiben an diese betreffende Ausländerbehörde, die die Abschaffung der gebühr von 10 Euro fordern) im Mai dieses Jahres einzuschüchtern versuchte: So hatte er wenige Tage nach Beginn der Kampagne ein Schreiben der Ausländerbehörde erhalten, in dem sie eine hohe Zahlung „wegen Passbeschaffungsgebühren“ verlangte also die kosten für eine frühere Botschaftsanhörung, die jetzt urplötzlich berechnet werden. Komi E. wurde vor Jahren zu dieser zwielichten Anhörung vorgeladen. Solche Kosten dürfen aber von der Behörde nicht erhoben werden, wie der Anwalt uns mitteilte. Ein deutlicher Fall von Einschüchterung.
Die Veranstaltung verlief in friedlich angeregter Stimmung, mensch ruhte sich auf dem Boden sitzend in der zaghaften Sonne aus, es wurde getanzt und es war schön, an diesem Ort die Reggae-Klänge von der Musik von „The Most Wanted“ anzuhören: „Wie lange noch muss ich leiden – wie lange noch willst du schweigen?“

Stressig war nur das repressive Klima während der Veranstaltung, denn Polizei und Ordnungsamtswachteln fixierten uns die ganze Zeit über, und anstatt unsere angemeldete Veranstaltung zu schützen, stützten die BeamtInnen unmutige bis feindselige Bemerkungen mancher vorübergehender PassantInnen. Auch kam es später, als die Mehrzahl der DemonstrantInnen im Bus abgefahren war, am Bahnhof zur Verhängung eines „Ordnungsgeldes“ gegen einen Aktivisten der Oury-Jalloh-Gedenkinitiative, weil er einmal über die Bahngleise gesprungen wäre.
Doch war die Stimmung bei allen Teilnehmenden der Kundgebung friedlich, freundschaftlich und solidarisch, so dass von dieser Veranstaltung eine mutmachende Erinnerung verbleibt! Das ungute Klima in Merseburg zeigte uns nur, dass diese Stadt noch nicht optimal auf das Phänomen: „Flüchtlingsdemo in Sachsen-Anhalt“, und: „Demokratieverteidigung in Merseburg“ vorbereitet ist. Aller Anfang ist schwer. Es ist immerhin im tiefsten Sachsen-Anhalt, vergessen wir das nicht. Aber da können wir sicher weiterhelfen. Und damit sich die BeamtInnen und die Behörden besser an den Anblick demonstrierender Flüchtlinge gewöhnen, werden wir auch ganz bestimmt wiederkommen, versprochen! Abschaffung der Residenzpflicht jetzt! Gegen Behördenrassismus und Polizeigewalt! Bewegungsfreiheit ist Menschenrecht!

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