Seit April sammeln Flüchtlinge aus dem abgelegenen Lager in Möhlau, Sachsen-Anhalt, Unterschriften unter einem offenen Brief, in dem sie gegen die unmenschlichen Bedingungen protestieren, unter denen sie schon seit bis zu fünfzehn Jahren leben müssen. Nun kam ein Bewohner von einem nächtlichen Spaziergang aus noch ungeklärten Gründen schwerstverletzt zurück.
Azad Murad Hadji, ein im Asyllager Möhlau untergebrachter Flüchtling, ging am 29. Juni 2009 um 23 Uhr aus dem Haus. Um 2 Uhr nachts kam er mit lebensgefährlichen Brandverletzungen an Kopf und Oberkörper zurück. Er sagte zu seiner Frau: „Die Nazis haben mich kaputt gemacht.“
Ein Krankenwagen wurde gerufen. Da seine Freunde große Angst um Azad hatten, fuhren sie ihn dann doch direkt ins Krankenhaus nach Bitterfeld. Von dort wurde er mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Halle gebracht. Dort liegt er seitdem im künstlichen Koma.
Die Polizei traf erst um 4 Uhr am Lager in Möhlau ein. Sie selbst gibt an, sie wäre erst um 2:40 Uhr angerufen worden.
Um 6 Uhr suchte die Polizei mit einem Spürhund das Gelände ab. Der Spürhund konnte die Blutspur nur bis zum Parkplatz vor dem Lager in Möhlau verfolgen.
Die zwei Freunde, die Azad in das Krankenhaus brachten, und seine Frau wurden von der Polizei vernommen.
Flüchtlinge aus dem Lager in Möhlau riefen beim Multikulturellen Zentrum in Dessau an und baten um Hilfe. Am Mittwoch kam Razak Minhel vom Dessauer Multikulturellen Zentrum mit Presse zum Lager Möhlau. Die Heimleiterin Frau Salzmann ließ das Tor verschließen und verweigerte den Zutritt. Es sei Privatbesitz. (Besitzer des ehemaligen Kasernengeländes ist Marcel Wiesemann.)
Hiergegen protestierten die Flüchtlinge heftig. So musste die Heimleitung die Presse auf das Lagergelände lassen. Sie verweigerte es aber der Presse, in die Wohnungen der Flüchtlinge zu gehen, obwohl dies der private Wohnbereich der Flüchtlinge ist.
Über die Wohnsituation der Flüchtlinge konnte so nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Ganz besonders katastrophal ist diese für Azads Familie: Noch immer muss sie in der Wohnung im Lager leben, in der seine Blutspuren sind. Seine Frau und seine Kinder sind permanent mit den Erinnerungen an die schreckliche Nacht konfrontiert.
Damit sie ihren im Koma um sein Leben ringenden Mann im Krankenhaus besuchen kann, muss die Ehefrau Fahrten nach Halle selber organisieren und bezahlen. Eine psychologische Betreuung oder auch nur Beratung wurde der traumatisierten Familie nicht angeboten. Ebensowenig wurde eine Unterkunft in Halle angeboten, um regelmäßige Besuche bei dem im Koma liegenden Mann zu ermöglichen. All dies liegt in der Verantwortung des Landkreises Wittenberg.
Am Donnerstag rief die Polizei Salomon Wantchoucou, den Sprecher der Flüchtlingsinitiative Möhlau, an. Sie wolle mit ihm sprechen. Auf die Frage, worüber, wurde geantwortet: über die Situation im Lager in Möhlau. Salomon willigte ein. Als die Polizei ins Lager in Möhlau kam, legten sie Salomon eine Kopie vor. Dies sei ein Artikel aus der Bild-Zeitung. In dem Artikel würden der Brandanschlag auf einen Döner-Imbiss in Dessau-Roßlau und der Mordversuch an Azad in einen Zusammenhang gebracht und Salomon zitiert.
Salomon wollte die gesamte Bild-Zeitung sehen. Dies wurde ihm verweigert. Die Polizei wollte ihn als Zeugen vernehmen. Salomon sollte bestätigen, dass die Information von ihm käme, und einen Vernehmungsbogen (als Zeuge) ausfüllen. Salomon verweigerte all dies. Daraufhin brach die Polizei das Gespräch ab.
Die Flüchtlinge im Lager in Möhlau schlafen seit der Nacht zum 30. Juni kaum noch und essen auch kaum noch, aus Angst.
Sie erwarten, dass die Polizei die Tatumstände ermittelt.
Ihre Lebensbedingungen im Asyllager waren schon vor diesem Überfall kaum zu ertragen: Sie leben weitab von anderen Menschen auf einem ehemaligen Kasernengelände im Wald, dürfen nicht arbeiten und haben keine Perspektive. Was sie als Lebensunterhalt bekommen, liegt weit unter dem Existenzminimum und wird zum großen Teil nicht als Bargeld, sondern als Gutscheine ausgegeben. Die medizinische Versorgung ist minimal und es erfordert großen bürokratischen Aufwand, überhaupt zu einem Arzt zu dürfen. Schließlich sorgen rassistische und rechtsextreme Anfeindungen und Angriffe, auch auf Kinder, sowie die feindselige Haltung der Ausländerbehörde für ein Klima permanenter Bedrohung.
Die Flüchtlinge wollen nicht isoliert im Wald im Lager in Möhlau leben. Sie verlangen Wohnungen als wichtigste Voraussetzung, um sich menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen!