Saturday, 15. August 2009
INNSE: il trionfo degli operai
Es ist zweifellos ein ergreifender Moment, als am Mittwoch, 12. August 2009 eine halbe Stunde nach Mitternacht die Menschen auf der Strasse jubeln und einander zuprosten. Die Arbeiter der INNSE tragen ihren Wortführer auf den Schultern, einer der vier, die acht Tage lang auf dem Kran waren. Alle rufen aus vollem Halse: « Giù le mani dalla INNSE! » – Hände weg von der INNSE! Das Heer an Polizeikräften ist in Auflösung begriffen, die Via Rubattino hat sich in ein Volksfest verwandelt. Kurzum, die klassische Szene, wenn die Macht zusammenbricht und die Solidarität aller die Übermacht einiger weniger besiegt hat. Fast zu schön, um wahr zu sein, wenn es nicht die vielen Fotos und Videos gäbe. Nach vierzehn langen Monaten haben die INNSE-ArbeiterInnen Genta besiegt, den Schrotthändler und Spekulanten, der am 31. Mai 2008 glaubte, er werde seine Belegschaft mit einem einfachen Telegramm los: «Wir haben beschlossen, sämtliche Aktivitäten einzustellen.» Nun hat sich Freude in die wütenden Rufe gemischt, vielleicht auch alles zusammen. «Genta, Genta, vaffanculo! » (Genta, Genta, scher dich zum Teufel!) hallt es durch die nächtliche Via Rubattino, gleich wie am 5. März 2009 in Turin, als die INNSE-ArbeiterInnen Genta einen Besuch abstatteten. Doch in dieser Nacht hört man auch einen neuen Sprechchor: « La INNSE, la INNSE ce l’ha inseganto, la lotta dura ha pagato! » (Die INNSE, die INNSE, sie hat uns gelehrt, dass sich der harte Kampf gelohnt hat). Die Arbeiter haben einen wichtigen Sieg errungen.
Wenn für einmal die Arbeiter gewonnen haben, fehlen offensichtlich nicht die Kommentare jener, die Erklärungen abzugeben zum Beruf gemacht haben. Reden wir nicht über die „Selbstkritik“ jener, die wahrscheinlich bereits an die nächsten Wahlen denken, wenn sie schreiben, die Politik habe die Arbeiter allzu sehr allein gelassen. Sie täuschen sich. Den Arbeitern geht es viel besser, wenn sie sich von ihnen allen fern halten! Einige, die im Kampf bei INNSE eine „Verzweiflungstat“ sehen, vermögen dahinter kaum ihre eigene Verzweiflung darüber zu verstecken, dass der Klassenkampf zwischen Arbeitern und Unternehmern wieder neu aufgeflammt ist. Und wer den Kampf bei INNSE als „gewaltfreien Streik“ bezeichnet, hat vermutlich die Zusammenstösse vom 10. Februar 2009 vergessen, als zusammen mit den drei verletzten Arbeitern auch sechs Polizisten und der Polizeichef in die Notfallklinik eingeliefert wurden. Aber es gibt sogar solche, die im Kampf der INNSE-ArbeiterInnen einen „reformistischen Kampf“ sehen. Diese haben den Aufruf „Es gibt keine Zeit zu verlieren“ bestimmt nicht gelesen, den zwölf Arbeiter unterzeichnet haben, darunter drei von ihnen, die acht Tage auf dem INNSE-Industriekran verbracht haben. Darint steht unter anderem: „Arbeiter, mit Vergnügen begrüssen wir die grosse Krise und heissen sie willkommen. Das Vehikel fährt nicht mehr, sie wollen, dass wir von Hand schieben. Es ist Zeit, um es ganz zu zerstören! … Man muss sich von diesem System befreien, man muss geradewegs auf eine neue Art von Produktion und Austausch setzen, die nur in der Überwindung dieser Art von Produktion entstehen kann.“
Jemand hat sogar den Vorschlag gemacht, den Protagonisten des Arbeiterprotests den “Ambrogino d’oro” zu überreichen. Die Goldmedaille für revolutionäre Arbeiter! Was braucht es mehr, um zu verstehen, dass die Unternehmerklasse gescheitert ist und als herrschende Klasse von der Bühne der Geschichte verschwinden muss! Doch hinter dem Vorschlag steckt möglicherweise auch eine alte Strategie: Wenn selbst mit den Ordnungkräften die Bourgeoisie die Arbeiter nicht mehr unter Kontrolle halten kann, dann bietet sie, um ihre Macht zu retten, ihnen sogar einen Sitz in der Regierung an. „Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ Der Mann, der vor über 150 Jahren diese Worte geschrieben hat, konnte natürlich nichts von den ArbeiterInnen der INNSE wissen, aber die Vorstellung ist dieselbe geblieben!
Am Tag nach dem Sieg der INNSE-ArbeiterInnen steht das Wohnmobil der Besetzung am gewohnten Platz vor dem alten Pförtnerhäuschen. Das Besetzercamp ist wieder wie vorher, nur stärker als zuvor. Der einzige Unterschied besteht in einem grossen Spruchband, das vermutlich die Studenten befestigt haben: «Hic sunt leones» – hier sind die Löwen. Das ist nicht nur eine Ehrbezeugung für die ArbeiterInnen der INNSE, die hier ihr Basislager aufgeschlagen haben, nachdem sie am 17. September 2008 von der Polizei aus dem Betrieb geholt worden sind. Das Spruchband soll auch all jenen eine Warnung sein, die versuchen könnten, in schlechter Absicht in ihr Revier einzudringen. Auch wenn die INNSE jetzt einen neuen Besitzer hat, ist es besser, sich vorzusehen. Allzu oft sind die Arbeiter von den Behörden mit leeren Versprechungen getäuscht worden. Solange die INNSE nicht die Produktion wieder aufgenommen hat, wird die Besetzung aufrecht erhalten. Darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Die Arbeiter haben eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den Krieg gegen die Kapitalbesitzer.