Kolumbianische Gewerkschaften kritisieren Verhandlungen der EU über ein Freihandelsabkommen mit Bogotá. Ein Gespräch mit Rodolfo Vecino Acevedo
amerika21.de
Herr Vecino, bis zum Jahresende will die Europäische Union einen Freihandelsvertrag mit der kolumbianischen Regierung abschließen. Sie bereisen derzeit mehrere EU-Mitgliedsstaaten, um diesen Abschluss zu verhindern. Weshalb?
Es gibt maßgeblich zwei Gründe, sich gegen dieses Abkommen zu wenden. Zum einen finden in Kolumbien nach wie vor schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte statt und viele dieser Verbrechen stehen in Zusammenhang mit sozialen Auseinandersetzungen. Zum anderen hat Kolumbien nichts zu gewinnen. Die wirtschaftliche Kraft beider Vertragspartner ist sehr unterschiedlich. Ein Freihandelsabkommen würde Kolumbiens kleinere und mittlere Betriebe schwer schädigen, weil das Abkommen Großkonzerne begünstigt. Auch die Folgen für Landarbeiter, die kleine Parzellen bewirtschaften, wären verheerend.
Sieht die kolumbianische Regierung diese Gefahren nicht?
Schlimmer noch: Sie sind ihnen egal. Präsident Alvaro Uribe hat die Verhandlungen mit einem konsequenten Abbau der Arbeiterrechte vorbereitet. Die Folgen sind verheerend: Die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, also über 20 Millionen Menschen. Die Internationale Arbeitsorganisation führt Kolumbien unter den ersten 20 Staaten der Erde auf, die Arbeitsrechte verletzen. Dennoch verhandelt die EU mit Bogotá.
Aber der Text des geplanten Freihandelsvertrages beinhaltet doch eine Klausel über Menschenrechte.
Darauf wird immer wieder verwiesen, ja. Tatsache ist aber, dass der Schutz der Menschenrechte nicht als Voraussetzung für die Handelskontakte aufgenommen wurde. Eben das ist aber unser Ziel, das der Gewerkschaftsbewegung. Solange Menschenrechte verletzt werden, darf kein Abkommen mit Bogotá geschlossen werden.
Weshalb, denken Sie, wird der Freihandel mit der EU die Lage in Kolumbien noch weiter verschlechtern?
Im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit soll vor allem der Anbau von Ölpalmen zur Herstellung von Agrartreibstoff ausgebaut werden. In den vergangenen Jahren wurden diese Kultivierungsflächen auf rund drei Millionen Hektar erweitert. Dies ging mit massenhaften Vertreibungen von Kleinbauern einher. Mit mehr als vier Millionen Betroffenen weist Kolumbien schon heute die meisten Binnenflüchtlinge nach dem Sudan auf. Menschenrechtsorganisationen haben herausgefunden, dass die Anbauflächen fast deckungsgleich mit der Präsenz paramilitärischer Milizen sind. Uribe hat schon jetzt angekündigt, den Anbau der Ölpalmen auf sechs Millionen Hektar ausweiten zu wollen.
Und was bedeutet das für die Gewerkschaftsbewegung?
Massive Repression. Seit der Wahl Uribes wurden 462 Gewerkschafter und soziale Aktivisten ermordet. Im Schnitt wird jeden dritten Tag ein politischer Mord begangen.
Ein ausführlicheres Interview mit Rodolfo Vecino von Radio Flora (Hannover) in spanischer Sprache findet sich hier.